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.1/ 107, 13. Mai 1913. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 5047 Vor einiger Zeit erließ der Regierungspräsident von Pots dam im Aufträge des Ministers des Innern einen Aufruf zur Sammlung von Briefen und Tagebüchern aus Kriegszeiten. Der Landesdirektor der Provinz Brandenburg, v. Winterfeld, hat jetzt der Königlichen Bibliothek in Berlin die bei ihm einge troffenen Schriftstücke zugestelll. Unter den Schriftstücken befinden sich einige, die einen bemerkenswerten Sammelwert haben. Be sonders hervorzuheben sind ein Kriegstagebuch des Landesober sekretärs Schmalfuß aus dem Jahre 1870/71, ferner vier unver öffentlichte Kriegsgedichte über den Krieg 1864 und eine Er zählung aus dem Jahre 1870 vom Bäckermeister Behrendt aus Strausberg und drei Bände Briefe und Tagebuchblätter vom Feldzuge 1870/71 vom Taubstummenanstaltsdireklor Weise in Guben. Weitere Briefe und schriftliche Aufzeichnungen, wie Lieder- und Notizbücher, werden noch voll den Magistraten, Ge schichtsvereinen und Provinzbehörden entgegengenommen. Der Minister hat zur Durchführung des Unternehmens eine besondere Kommission eingesetzt und zu deren Mitgliedern den Geheimen Regierungsrat Professor vr. v. Ubisch, Geheimrat Professor vr. Hans Delbrück und den Abteilungsdirektor an der Königlichen Bibliothek in Berlin Professor vr. Perlbach ernannt. Für die Sammlung und Aufbewahrung von Aufzeichnungen aus Kriegs zeiten sind Sammelstellen eingerichtet worden in den königlichen Bibliotheken in Berlin, Königsberg i. Pr., Greifswald, Breslau, Halle a. S., Göttinge», Kiel, Münster i. W., Bonn, Marburg und der Technischen Hochschule in Danzig. Die Schriftstücke kön nen sowohl gefchenkweise wie unter Vorbehalt des Eigentums rechts angenommen werden. Man gewinnt doch den Eindruck, als ob bei der ganzen Sache der behördliche Aufwand nicht recht im Verhältnis zu den erzielten Erfolgen stehe. Wir besitzen umfangreiches ge drucktes Material über die letzten Kriege; ob da die Gefahr so groß war, wenn »eine Erzählung (!) aus dem Jahre 1870 von einem Bäckermeister« oder »4 Gedichte über den Krieg 1864« in Vergessenheit gerieten? Was uns not tut — ich habe das in »Nord und Süd« seinerzeit ausgeführt —, ist eine Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der letzten Kriege. Die Vor aussetzung bildet eine systematische Durchforschung der staatlichen, städtischen und sonstigen wichtigen Archive, die natürlich bedeu tend mühsamer wäre, aber auch ein unvergleichlich wertvolleres Resultat bringen würde, als die kritiklose Aufhäufung von Zu fallsmaterial. Im übrigen wird in einer späteren Mitteilung an gleicher Stelle daraus hingewiesen, daß die Königliche Bibliothek schon eine derartige »Kriegssammlung« besitzt, und zwar von keinem Geringeren als Kaiser Wilhelm I. zusammengestellt. Dieser ließ nämlich durch seinen Vorleser Louis Schneider gleich nach Be endigung des Krieges 1870/71 alle Schriften, Gedichte, Zeich nungen, Spottblätter usw., die aus Anlaß des Feldzuges er schienen waren, sammeln und seiner Privatbibliothek einver leiben. Nach den Mitteilungen des Bibliothekars an der König lichen Bibliothek vr. Paul Hirsch befinden sich manche merk- würdige Sachen darunter, wie denn überhaupt die Geschichte der Sammlung ganz interessant ist. So sandte z. B. einer seine Schrift mit der bescheidenen Bitte ein, dem Opus »ein Plätz- chen in der Sammlung zu gönnen, und sei es auch nur neben oder hinter den Hyänen des Schlachtfeldes«. 1873 wurde die Sammlung der Königlichen Bibliothek überwiesen, vorher aber gegen ein Eintrittsgeld von fünf Silbergroschen öffentlich aus gestellt. Der erwartete Überschuß sollte den Invaliden des Feld zuges zugute kommen — sie hatten aber schon damals Pech und erhielten nichts: die Einnahmen hatten die Ausgaben gerade gedeckt. Die »Ausgaben« aber bestanden hauptsächlich in der Entschädigung für zwei Schutzleute, die das Polizeipräsidium — unklar, ob als Ehrenposten oder aus Mißtrauen gegen die durch Abwesenheit glänzenden Besucher — an Ort und Stelle ent sandt hatte. Heute verstaubt die Sammlung in den Magazinen, und die Bände und Blätter nimmt jetzt höchstens einmal ein Geschichtsprofessor oder ein Generalstäbler in die Hand . . . Franz Jedermann. Aus dem schwedischen und norwegischen Buchhandel. in. lll vgl. Nr. 4V.) Der Verkehr mit Skandinavien und Skandinavismus. — Kincmato- graph und Buchhandel. — Die schwedische Buchhandelsschule. — Rene Kataloge. Die Nummern 74, 75 und 76 des Börsenblatts bringen einen umfassenden statistischen Artikel über den deutschen Buchhandel in Skandinavien. Wir erfahren, daß sich selbst in mittelgroßen Plätzen Schwedens, Norwegens und Dänemarks Buchhändler finden, die in regelmäßigem Verkehr mit der Zentrale Deutsch lands stehen, und daß der deutsche Buchhandel mit keinem Lande, abgesehen von Österreich und der Schweiz, so lebhafte Geschäfts beziehungen unterhält wie mit jedem der drei nordischen König reiche.*) Ich glaube, es lohnt sich deshalb, einige, fast möchte ich sagen erbliche Mängel festzustellen, die dem Verkehre hinderlich sind, ja zuweilen dem Buchhandel aller Länder schaden. Wollte ich im Sinne der hiesigen Sortimenter schreiben, so müßte ich an erster Stelle das fortwährende Fehlen des festen internatio nalen Ladenpreises erwähnen. Alle Buchhändler Schwedens, Norwegens und Dänemarks schließen sich dem Wunsche der buch händlerischen Organisationen Frankreichs, Italiens usw. an, daß auf dem kommenden Kongresse in Budapest auch der Börsen verein und der Deutsche Verlegerverein sich für einen festen inter nationalen Ladenpreis erklären möchten. So gut wie ich auf der einen Seite, eben durch die entstehenden Verluste an Gewinn mangels Verkaufs deutscher Bücher, das Drängen nach einem inter nationalen Übereinkommen verstehe, so muß ich doch andrerseits die Zweifel des Börscnvereins an der Möglichkeit einer Aufrecht- erhaltung des Ladenpreises im Auslande als berechtigt aner kennen. Hier existier! z. B. eine Akliebolag för Spridning af Lit- terära Werk (Aktiengesellschaft für Verbreitung literarischerWerke), die abseits vom organisierten Buchhandel ein Konversationslexi kon : »Nordist Familicbok« meines Wissens nach in ungefähr tau send Exemplaren vertrieben hat. Wenn in Ländern mit guter Organisation ein derartiger Zwischenhandel möglich ist, wie mutz es dann erst in Ländern, die jener vorzüglichen Organisation des Buchhandels entbehren, mit dem Zwischenhandel bestellt sein! Ich vermute, wir sind noch ziemlich weit von dem ersehnten Ziel, dem festen internationalen Ladenpreis, entfernt. Was ich in erster Linie beim Verkehre mit Firmen der drei nordischen Reiche zu bemängeln habe, ist die in Deutschland und allen übrigen Län dern herrschende Unkenntnis in geographischer Beziehung. Die Tatsache, daß die Buchhändler — und nicht bloß diese — in regem Verkehr mit Geschäften des Kontinents stehen, müßte zu der Annahme führen, daß Skandinavien in vieler, zum mindesten jedoch in geographischer Hinsicht recht gut bekannt ist. Leider ist's aber damit recht schlecht beschaffen. Man adressiert, wie es ein fällt: Stockholm in Norwegen, Kristiania in Schweden oder noch kühner: Stockholm in Finnland; auf ein Paar tausend Kilometer Entfernung mehr oder weniger kommt es dem Adressierenden gar nicht so genau an. Er ist eben der Meinung, daß da oben ein Volk, genannt die »Skandinavier«, mit gleichen Sitten, gleichem Gemüt und Charakter, ziemlich gleicher Sprache usw. wohnt, das als Geldwährung Krone und Sre hat. Ja, wenn er doch wüßte, daß der Münzvertrag, der das gemeinschaftliche Münzsystem auf Grundlage der Kronenwährung ausstelltc, fast das einzige ist, was die Völker heute noch miteinander verbindet! Ilm auf das Adres sieren zurückzukommen, weiß ich einen Fall zu berichten, der glück licherweise seltener vorkommt. Die Firma A. L B. in Stockholm bestellt Waren im Auslande bei C. in D. Die Waren werden expediert und adressiert an: A. L B. in Kristiania, obwohl der Lieferant schon jahrelang Beziehungen mit A. L B. in Stock holm unterhält. Keinem Geschäftsmanne wird es einfallen, Waren nach Lissabon statt nach Madrid oder nach Amsterdam statt nach Brüssel zu senden, obwohl Holland und Belgien oder Portugal und Spanien keineswegs getrennter oder entfernter von Deutschland liegen. Mit Stockholm und Kristiania wird es jedoch nicht so genau genommen. Glücklicherweise gelangt das *> Vgl. hierzu auch den Art. in Nr. 102. Red. «53*