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78 Zuvörderst waren sehr viele meiner Herren Collegen von demHrn. vr. plnl. Gumbinner aus demselben Grunde gerichtlich belangt wor den, wie ich, wenn schon — so viel ich weiß — später, als ich; denn nicht nur, daß drei meiner hiesigen Herren Collegen vom Land- und Stadtgericht zur Beantwortung der Klageschrift des Herrn vr. pllll. Gumbinner na ch mir aufgesordect wurden; auch von auswärts gin gen mir so viele Aufforderungen von Schicksalsgenossen zu, ihnen Mittheilungen über diese Angelegenheit zur Benutzung vor Gericht zu machen, daß ich durch jene Aussätze in Nr. 63, 7 l und >06 des letzt- jährigen „Börsenblattes" auf die kürzeste und geeignetste Weise dem so oft und dringend gegen mich geäußerten Wunsche entsprechen zu kön nen glaubte. Außer diesem b e sondere n Grunde lag mir noch ein allge meiner zur Berücksichtigung vor. Jede bedeutendere Erfahrung im Buchhandel, jedes darin zur Be leuchtung und Entscheidung kommende Rechtsprincip, jede Auslassung über buchhändlerische Verhältnisse und Eonsequenzen kann dem, seinem Berufe als Buchhändler mit Liebe ergebenen, mit Wärme anhangen den Manne nicht gleichgültig sein; vielmehr muß die Gelegenheit zur Kenntnißnahme solcher Verhältnisse, Rechteprincipien und Erfahrun gen ihm überall in hohem Grade erwünscht sein, weil dadurch ein be deutenderes Maß von Einsicht und Umsicht, von Tact und Sicherheit in seinen Geschäftsverhältnissen ihm vermittelt, durch Abstraktion von ihm gewonnen wird. Die Klage wegen Woeniger's „Reichstag" brachte ein solches Rechtsprincip zur Sprache und durch potenzirtes Ec- kennlniß zur definitiven Entscheidung; es konnte und durfte meinen Herren Eollegen die Sache nicht ohne Bedeutung sein — so argumen- tirte ich nach Analogie von mir selber — und glaube nicht, mich ge täuscht zu haben. Uebrigens lege ich sine irs el stullio gegen Herrn vr. plnl. Gum binner, die Feder in dieser Angelegenheit aus der Hand, denn sehr wohl weiß ich stets die Person von der Sache zu trennen. Möge Herr vr. pliil. Gumbinner meine Versicherung nicht nur glauben, son dern auch freundlich sie aufnehmen, wie ich herzlich ihn wegen der be deutenden Geldkosten bedaure, die diese fatale Prozeßangelegenheil in ihrem Gefolge haben wird, zumal wenn noch mehrere, ja viele andere Herren Collegen das Schicksal doppelter Freisprechung — wie ich — haben sollten! Magdeburg, 18. Jan. 1849. Emil Baensch. Betrachtungen über das Kapitel „Defecte". Die von Hrn. E. H. Reclam sen. angeregte Frage hat im Börsen blatt 1848 Nr. 106 eine Beantwortung, und wir hätten gewünscht, auch ihre Erledigung gefunden. Nach unserer Meinung ist diese Beantwortung, denn Erledigung können wir sie nicht nennen, sehr ungenügend ausgefallen. Fassen wir das Gesagte zusammen, so ist nur das Hergebrachte, der Handwecksgebrauch, daß wir uns so ausdrücken, darin erklärt, u. dieser scheintuns nicht inFrage gestellt zu sein. Vielmehr lag doch wohl Herrn Reclam daran, zu erfahren: was ist unter allen Umständen hier Rechtens. Daß R. als alter Rath eben so gut wie jeder andere Rath leider zur Genüge das Gebräuchliche bereits wisse, durfte wohl vorausgesetzt werden. In dem Augenblick, wo Rechte und Pflichten in Frage kommen, kann füglich nicht mehr die Rede von möglich oder unmöglich sein. Welch ein klassischer Be griff umfaßt das Wort unmöglich! wo beginnt er und wo sind seine Grenzen? Ein Ding, das weder Anfang noch Ende hat, hat mit dem, was man im gewöhnlichen Leben Recht nennt, nicht wenig zu schaffen. Und dieser Begriff darf natürlich nur zum Vortheil des Ver legers ausgebeutet werden, wie das vorliegend auch redlich geschehen. Mit einem Wort: weil es dem Verleger nicht möglich ist—oder scheint — seine Waare als eine vollständige zu verkaufen, sondern es vielmehr dem Zufall überlaßt, wie dieser sie in die Hand des Sortim.- Handels bringt, soll der Letztere unbedingt die Verpflichtung überneh men, vor dem Verkauf die Vollständigkeit der Waare zu prüfen, oder jeden Schaden, so durch Vernachlässigung dieser Pflicht entsteht, ein zig und allein tragen. — So haben wir die ganze Berichtigung ver standen, und müssen gestehen, gewiß zu unsrer eignen Schande, hier jeden Rechtsgrund zu solchem Verfahren zu vermissen. Und damit Herr Reclam sen., wir und der ganze Sortim.-Handel einmal belehrt werden, was in dieser Defect-Frage unter all' und jeden Umständen hier und für alle analoge Fälle für Recht er kannt werden könne, bitten wir Alle, die sich dazu für befähigt hal ten, diese Frage nicht für zu geringfügig zu Hallen, vielmehr solche einer ruhigen, nach allen Seiten beleuchtenden Prüfung zu unter werfen. Wir haben bisher vergebens auf eine gründliche und unparteiische Zergliederung resp. Berichtigung dieser Frage im Börsenblatt gewartet, ohne daß uns eine andere als die oben angeführte zu Gesicht gekommen wäre. Was aber mag wohl die Ursache davon sein? Wer da weiß, wie störend ein Defect in dem Geschäft des Sortim.-Handels ist, wel ches Heer von Zeit- und Arbeitsverlust stets damit im Gefolge ist; wer da weiß, wie unsicher, wie langsam die Ergänzung unter dem obwaltenden Gebrauche ist, der wird wahrhaftig versucht zu glauben, hier liege mehr als Gleichgültigkeit zum Grunde. Um noch einmal aus die bewußte Beantwortung zurückzukommen, wollen wir hier noch anführen, zu welchen Ausschreitungen die in dem Kreis des Hergebrachten liegenden Begriffe von Unmöglichkeiten füh ren können. Hier ein Beispiel aus dem Leben. Der Verleger eines Taschenbuchs setzt auf den Umschlag: aufgebrochene oder durchgelesene Exemplare werden unter keiner Bedingung vom Verleger zurück genommen. Ein solches Taschenbuch wurde an einen Fremden verkauft. Als derselbe solches zu Hause durchliest, findet er, daß darin einige Blätter fehlen. Er sendet sofort das Buch durch die Post unfrankirt zurück und fordert für sein volles Geld auch dafür ein vollständiges Buch. Dem Käufer mußte von unserer Seite sein Recht werden. Als wir nun mit unserer Forderung wegen des Portos hin und her ge gen den Verleger auftraten, wurden wir höhnisch an den betreffenden Buchbinder gewiesen, weil es ihm, dem Verleger, doch unmöglich sei, die vom Buchbinder gelieferten Exemplare zuvor zu prüfen, sondern dieses Pflicht des Sortimenters sei. Daß wir diese Pflicht vernachläs siget, lag zu Tage und konnte nicht geläugnet werden. Aber wenn wir nun die Verpflichtung erfüllt hätten, und alle diese Taschenbücher mit goldnem Schnitt vor dem Verkauf durchgesehen, die Blätter aus einandergerissen und dann nicht verkauft hätten ? Nun, dann hätten wir die Ehre gehabt, sämmtliche Exemplare für eigne Rechnung zu behalten, denn wir hätten ja das Verbot des Verlegers nicht geachtet. Bedarf ein solcher Fall noch einer Erklärung den oben ausgesprochenen Grundsätzen gegenüber? Es ist dieses ein endloses trauriges Kapital, und wir müssen uns schier wundern, wie noch solche Fragen nach einer rechtlichen Verpflich tung entstehen können und solche Berichtigung finden, die sich nur in dem Kreis des Hergebrachten bewegt, nachdem der deutsche Buchhan del schon einige Jahre besteht und sich gern als wohl organisirter Kör per darstellt. Daß der oben erwähnte Herr Verfasser in dieser leider ernsten Frage einen Scherz vermulhet, ist uns selbst wie ein Scherz, leider wie ein sehr ernsthafter Scherz vorgekommen; wollen aber der Folgerung darüber uns gern enthalten. Was aber der Herr Verfasser am Schlüsse seiner Berichtigung andeuten will, indem er die idyll. patr. Zeit des Krieger'schen Wochen blattes anführt, ist uns ganz unverständlich, möglich, daß wir bis da hin nicht zurückdenken können. Soll es aber so viel bedeuten als eine Zeit, wo man es für heilige Pflicht hielt, Rechte und Pflichten gleichma-