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VoigtliiMchtr Algcigtr. Amtsblatt für die Gerichtsämter lind Stadträthe zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. Reummüsechzigster Jahrgang. Verantwortliche Nedaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Dieses Blatt erscheint wöchentlich dreimal, und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. Jährlicher AbonnementspreiS, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 10 Ngr. — Annoncen, die bis Mittags 12 Uhr eingeben, werden in die Tags darauf erscheinende Nummer ausgenommen, spater eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Corpus-Zeile berechnet. Dienstag. Plaueu, den 20. März 1858. Wir haben vor Kurzem (Nr. 25 des V. A.) unseren Lesern das Be denkliche angedeutet, welches uns aus den Maßregeln und Gesetzen unaus bleiblich hervorgehen zu muffen schien, die Louis Napoleon in Folge des Mordversuchs vom 14. Januar als nothwcndig für den Bestand seiner Regierung und für die Ruhe Frankreichs anordnete, und schon heute be stätigt daS größte und wichtigste englische Blatt unsere dort gehegten Be sorgnisse, indem es von den dermaligen Zustanden in Frankreich, insbeson dere von der Physiognomie von Paris eine äußerst düstere Schilderung macht. Jedermann, heißt es in der Times, beobachte die ängstlichste Zurückhaltung, die übertriebenste Vorsicht, nicht bloS an öffentlichen Orlen, sondern auch in Briefen, in der Auswahl der anzuschaffenden Bücher, ja selbst im Familienkreise, denn Niemand sei vor Spionen sicher, von den vornehmsten Kreisen der Gesellschaft bis zum Arbeiter herab sei jeder Stand mit Spionen angefüllt, die in tausend Verkleidungen umherschlichen. „Daö Kaiserthum ist die Spionage," ruft die „Times," „und seine Jncarnation (Verkörperung) ist der Aufpasser." Wohl sei das Aussehen der Stadt noch das alte, vorige, dieselben Spaziergänge, Springbrunnen, Kaffee häuser rc.; aber das heitere Paris, die Heimath des geselligen Verkehrs, des freien Meinungsaustausches, der lebhaften Unterhaltung sei nicht mehr zu erkennen. Auf Allem ruhe eine düstere, unheimliche Stimmung. Die Leute sprachen nur schüchtern mit einander und unterhielten sich lang weilig über die gleichgiltigsten Dinge. Familien besännen sich, wen sic einladen, wen sie besuchen, von wem sie Besuche annehmen sollten. „Man überlegt sich erst, ob man mit einem Freunde über die Straße gehen soll, den man seit Jahren gekannt hat. Wenn zwei Personen miteinander reden und ein dritter zu ihnen treten will, halten sie plötzlich inne und wechseln den Gegenstand des Gespräches. Mitten in einem geselligen Kreise vermag oft ein einziger Gast die Heiterkeit zu dämpfen und jeder Zunge den Zaum der Behutsamkeit anzulegen. Man nimmt sich in Acht, waö für Bücher man in seiner Bibliothek, was für Zeitungen man auf seinem Schreibe tische liegen läßt. Man spricht nicht mehr so leutselig mit der dienenden Klasse, wie die leichtherzigen Franzosen der alten Zeit gewohnt waren. Dienstboten und zweideutige Frauenzimmer werden zum Auskundschaftcn ihrer Herrschaften, ihrer Liebhaber benutzt. Den Portier (Hausmann), den Kellner im Kaffeehause, selbst seinen Bedienten hält man sich drei Schritte vom Leibe. Im Eisenbahnwagen thut man wohl, nicht zu mit- theilsam gegen scinen Nachbar zu sein, und schreibt man einen Brief, so beschränkt man sich darauf, sein Privatgeschäft zu besorgen und seinem Freunde Gesundheit und langes Leben zu wünschen. Denn Paris und Frankreich stehen unter strenger Polizeiaufsicht, und Niemand weiß, wer beaufsichtigt und wer beaufsichtigt wird. DaS Allerschlimmste ist, daß der Vcrrath im Hause, in der Familie durch die Bestechung des Gesindes be fördert wird. Niemand ist sicher, ob -er, welcher seinen Rock bürstet, oder diejenige, welche seine Kinder wartet, nicht im Einverständniß mit der Polizei ist. Wir beten hier keine Plaudereien nach, wir sprechen von unbezwcifelt erwiesenen Thatsachen." So die Times, die am Schluffe ihrer Darstellung noch sagt, daß die schlimmen Folgen dieses allgemeinen UeberwachungösystemS nicht auf die 23. März 1858. Minister, die den Kaiser dazu verleitet hätten, sondern auf diesen selbst zurückfallcn würden. Hoffentlich gehe dieses System bald vorüber, der Kaiser bedürfe dessen nicht. Er könne jederzeit das bewunderte Haupt eines großen und freien Volkes bleiben. Nach seinen großen Thaten, seinem Ruhme brauche ec sich nicht das Greisenalter eines Tiberius (be kanntlich ein mißtrauischer, grausamer, altrömischer Kaiser) zu bereiten. Noch bedenklicher ist, was die Augsb. Allg. Ztg. sich auS Paris schreiben läßt: „In der Garnison zu Tours haben Unordnungen stattge funden, die aber bereits wieder unterdrückt sind. Auf indirektem Wege gehen uns Nachrichten zu, die beweisen, daß als die Regierung durch den Mordversuch vom 14. Jan. aus ihrer Sicherheit aufgeschreckt wurde, eS die höchste Zeit war, sich gegen die allerorten auftretende Opposition (Wi derstand) zu waffnen, die bereits sogar im Heere um sich gegriffen hatte. Das Heer soll seit dem Krimfeldzug durch die Art, wie die Beförderungen vor sich gegangen, durch die Errichtung der Garden und hauptsächlich durch den immer mehr sich in der Bevölkerung kundgebendcn Geist der Unzufrie denheit leider theilweise an gesteckt fern. Graf Morny's Behauptung, daß die Opposition sich bereits nicht gescheut, sich durch „Ton und Hal tung" zu verrathen, wird wiederholt bestätigt." Wir theilen dieß nicht mit, um bange zu machen, sind auch selbst vor der Hand ohne Besorgniß; denn Louis Napoleon ist nicht der Mann, der seinen Thron leichtsinnig verliert, wie 1830 Karl X., oder gutwillig vor VolkSaufläufen weicht, wie 1848 Louis Philipp, während ein Bugeand mit 50,000 Manu Kerntruppcn vergeblich auf Befehl zum Niederwersen derselben wartet. Wir glauben im Gegentheil, daß der gegenwärtige Kaiser der Franzosen seine Stellung behaupten wird, so lange ihm cm Loth Pulver und ein Soldat zu Gebote steht; aber der Beobachter dec Zeitereignisse darf doch solche Symptome und Anzeichen, wie sie oben ge geben sind, nicht unbeachtet lassen. Der franz. Moniteur erklärt allerdings den Artikel der Times für unrichtig, und die Zukunft erst wird auSwei- sen, wer Recht hatte. Beiträge zu den Ursachen der gegenwärtigen Handelsstockung. Wenn wir zurückblicken auf die Ursachen, welche die leider noch im mer herrschende Handelsstockung mit hervorgebracht haben, so haben wir zu den Einflüssen, welche die außerordentliche Goldgewinnung dec verflosse nen Jahre hervorrief, ganz besonders die Einwirkung desselben auf Ent faltung deS Luxus und dec Genußsucht zu zählen. Amerika, wohin be greiflicherweise das Gold zur Verwerthung strömte, stand dabei obenan; eine Menge Aufträge auf Verbrauchs- und Luxusgcgenstände wurden nach Europa gegeben und im Verlaufe der Jahre pünktlich gedeckt; eS entstand dadurch gleichzeitig eine Wechselwirkung, da man diesseits anfing, dem Glauben zu huldigen, jene Abzugsquelle unserer Erzeugnisse sei und bleibe fortdauernd im Zuge und auf diesen Wahn nun die maßlosesten Speku lationen gründete. Alles, was man glaubte oder sich berichten ließ, es rentire, das mußte für eigene oder auf gemeinschaftliche Rechnung hinüber in die neue Welt. Nicht allein Kaufleute arbeiteten auf diesem Felde in gewohnter und außerordentlicher Weise, sondern auch der Gewerbestand, die Handwerker, namentlich Berlins, Hamburgs u. s. w. und unter diesen