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Voigtländischer Anzeiger. Fünfundsechszigster Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Jährlicher AbonnementSpreiS für dieses Blatt, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Ihlr. 6 Ngr. — Die JnsenionSgebuhren werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Corpus-Zeile berechnet, größere Schrift nach Verhältniß deS Raumes. — Dienstag. 80« 11 Juli 1854. Das „Abwarten" Deutschlands Wenn es den englischen und französischen Zeitungen, am Ende auch den Regierungen dieser Länder nachgegangen wäre, so hätte Deutschland, Oesterreich und Preußen voran, schon lange, vielleicht schon seit zehn Monaten, gegen Rußland kämpfen sollen. Wahrscheinlich ist es sogar, daß der Westen hierauf rechnete; denn sonst ließe es sich kaum erklärlich fin den, wie derselbe an Rußland den Krieg erklären konnte, ehe noch Landlruppen in der Türkei angekommen waren, und man doch in London jund Paris besser, als anderswo wissen mußte und ganz gewiß auch wußte, daß mit den größten Kriegsflotten allein etwas Entscheidendes gegen Rußland nicht ausgeführt werden könne. Da begann nun vor und nach der Kriegserklärung in den englischen und französischen Zeitungen ein Drängen und Hetzen Deutschlants zum Kriege gegen Rußland, als ob jede Stunde Zögerung Deutschland Verderben brächte. Da wurden alle Mittel versucht und angewendet, den Vetter Michel aufzustacheln. Schmeichelei, Drohung, Spott und Hohn, freundliche, vä terliche Ermahnungen und Vorstellungen, Versprechungen und Aussichteröffnungen auf Ländergewinne — nichts wurde ge spart, um Deutschland zum Kampfe gegen Rußland geradezu zu Hetzen. Dieß war indessen begreiflich, da, wie gesagt, der Westen wußte, oder je länger desto mehr begriff, daß ohne kolossale Lanbheere dem russischen Kolosse nicht beizukommen, wenigstens derselbe nickt niederzuwerfen, zum Frieben zu zwingen, wohl gar zu verkleinern sei. Gleichwohl müßte England seine ganze Natur verleugnen, wenn es nicht die Absicht hätte, den türkischen Streit zu seinem Nutzen auf das Beste aus. zubeuten; gleichwohl betbeiligt sich Frankreich sicherlich auch nicht aus reiner, türkischer Nächstenliebe so st.rrk an diesem Kampfe. Was Wunder daber, wenn alle Segel aufgesetzt wurden, Micheln in das englisch-französische Fahrwasser gegen Rußland zu bringen. Weniger begreiflich aber ist es, daß so viele Stimmen in Deutschland selbst Tag und Stunde nicht erwarten konnten, und heute noch nicht können, uns in den Strudel jenes weit aussehenden Kampfes unmittelbar hineingerissen zu sehen. Die Zuneigung zu Rußland ist in Deutschland allerdings nickt übermäßig; aber deshalb, d. h. aus Abneigung oder Hoß gegen Rußland die Katzenpfoten zu machen, um dem Westen die Kastanien aus dem Feuer zu holen, dazu, meinen wir, habe Deutschland weder Beruf noch Lust, weder Geld noch Blut. Wenn Rußland geschwächt werden soll, so mag dieß wenigstens nicht durch Deutschland zu Gunsten des Westens geschehen, und wenn eine Macht auf Kosten Rußlands gestärkt werden soll, so finden wir nicht den ge ringsten Grund, warum Deutschlands Kraft die Macht Eng- lands und Frankreichs stärken soll. Es mag zweckmäßig sein, Rußlands Einfluß auf Deutschland zu beschränken, zu min dern; aber es hieß doch bei Lickt betrachtet, nur ein Uebel mit dem andern vertauschen, wenn man dafür den Einfluß, die Macht des Westens überhaupt und somit auch auf und gegen Deutschland erhöhen wollte. Soll Deutschland das Schwert ziehen, so meinen wir, es soll dies weder für den Westen noch für den Osten, sondern lediglich für sich, für seinen Nutzen, seinen Einfluß, seine Macht geschehen. Darum, wenn Englands Nutzen und Einfluß in Asien es erfordern, daß Rußland daselbst nicht weiter greife oder beschränkt werde; wenn dessen Vortheil es bedingt, daß das schwarze Meer ein freies Meer für alle Völker werde; wenn dessen Einfluß und Geltung in Constantinopel größer sein soll, als Rußlands; wenn es die Kriegsflotte Rußlands ver nichten will rc., so ist dies alles Englands Sache, so mag England dafür sein Geld und Blut aufwenden. Deutschlands Nutzen ist es, daß die Donau ein freier Strom werde, daß die Donaufürstenthümer nicht in Rußlands Hände kommen, sondern Oesterreich die Schutzherrschaft darüber erhalte, daß die Türkei und Griechenland erhalten werden. Dafür wirb es seiner Zeit die Hände kräftig rühren, bis dahin aber — abwarten. Und wir können uns nur Glück wünschen, daß die Weis- heil unserer Fürsten und Regierungen bis jetzt abgewartet hat. Wir empfinden mittelbar ohnedieß die Nachtheile des entbrannten Kampfes und wollen uns glücklich preisen, dessen unmittelbaren Wehen so lange als möglich enthoben bleiben zu können. Wie die Sachen stehen, ist zu befürchten, daß aus dem türkischen Kriege am Ende ein europäischer, wohl gar ein Weltkrieg entvrennen werde, an welchem Deutschland seine Betbeiligung nicht wird ablehnen können. Wozu also dieses Drängen? Abwarten! Leitungen Sachsen. Bis zum 3. Juli waren bei Kaufmann Marr in Leipzig für die Nothleibenden im Erzgebirge schon gegen 1450 Thlr. eingegangen. Die eine Million Thaler EassenbilletS, welche 1848 crcirt