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AMhtMMNchlichtni. Verordnungsblatt der Kreishauptmannschaft Bantzen als Konfistorialbehörde der Oberlaufitz. Amtsötatt der Amtshauptmannschaften Bautzen und Löbau, Landgerichts Bautzen und der Amtsgerichte Bautzen, Schirgiswalde, Herrnhut und Bernstadt, des Hauptzollamts Bautzen, ingleichen der Stadträt? zu Bautzen und Bernstadt, sowie der Stadtgcmcindcräte zu Schirgiswalde und Weißenberg. Organ der Handels- und (ttewerbekammer zu Zittau. Erscheinungsweise: Täglich abend» mit Ausnahme der Sonu- und Fein lag«. Schriftleituug und Geschäftsstelle: Bautzen. Innere Lauenstrabe 4. Fernsprecher: Nr. bi. — Diahlnachricht: AmlSblatt, Bautzen. VetUgSpreiS pro Monat: Bei Abholung In der Geschäftsstelle —-iw bei freier Zust«S„n' I"S OanS 1.— Anzeigenpreis: Die 6gcspaliene Pclitzeile oder deren Raum 15 Pfennige, in geeigneten Fällen Ermäßigung. Schwieriger Say entsprechend teurer. Reklamen: Die ^gespaltene Pelitzcile 50 Pfennige. «r. L48. Dienstag, veu LK Oktober NUN, abeads. Jahrgang. Tas Wichtigste vom Tage. * Der K a i s e r, die K a i s e r i n und Prinzessin Viktoria Luise sind gestern abend nach Brüssel abgereist. Heute Dienstag findet im fünften Leipziger Land tagswahlkreise die Stichwahl zwischen Rechtsanwalt vr. Zöphel (Nat.-lib.) und Lagerhalter Lammes (Soz.) statt. Nach einem Erlasse des französischen Kriegsministers sind am 26. bezw. 27. d. M. alle Eisenbahnbeamte, welche anläß lich des Eisenbahnerausstandes einberufen waren, zu entlaßen. Der griechische Ministerpräsident Venizelos verlangte von dv Kammer für die zur Befestigung der Ordnung und Revi sion der Verfassung nötige Zeit ein uneingeschränktes Ver trauensvotum, andernfalls werde er dem Könige raten, die Kammer aufzulösen. * In Uruguay (Südamerika) ist eine Verschwörung entdeckt worden: die Hauptanstifter wurden ve-yas.^ * Infolge der ständig wachsenden Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche sind im Königreich Sachsen neue Be- § stimmungen getroffen worden. * Zn der Nacht zum Montag sind in der Umgebung von Neapel schwere Regengüsse niedergegangen und haben die Ortschaften am Vesuv weithin überschwemmt. Atan meldet schwere Verwüstungen und Opfer an Menschenleben. * Wetteraussicht für Mittwoch: Teils heiter, teils nebelig, kälter, trocken. * Austührliches siehe an andere: Stelle. Das Wahlgeheimnis. (Nachdruck verboten.) Der verstorbene Staatssekretär v. Stephan stellte einmal bei einer Plauderei die Behauptung auf, daß es für einen intelligenten, aufmerksamen Postmeister einer kleinen Stadt kein Briefgeheimnis gäbe, es genüge ihm vielmehr, die Adresse eines Briefes in seinem Amtslokal zu sehen, um den Inhalt des Briefes zu erraten. Er erläuterte dies folgendermaßen: Teils aus den Gesprächen an seinem Stammtisch, teils durch sonstigen gesellschaftlichen Verkehr erhalte er Kennt nis von den Vorgängen in den Familien des Städtchens. Gelegentlich lese er die ein- und ausgehenden offenen Post karten und die Telegramme: er lerne die Handschriften der Bewohner kennen, und so vermöge er dann bei guter Kom binationsgabe mit ziemlicher Sicherheit auf den Inhalt der geschlossenen Briefe zu schließen. Als grobes Beispiel führte er an: der Postmeister wisse, daß der Sohn aus einer Familie des Ortes als Gymnasiast vor der Abgangs prüfung stehe. Er liest eine Postkarte, mit welcher der Gymnasiast ersucht wird, be: günstigem Verlauf der Prü fung den Eltern telegraphisch Nachricht zu geben. Das erwartete Telegramm kommt nicht. Statt dessen ein Brief des Gymnasiasten. Daraus ergibt sich für den Beamten der Schluß, der Gymnasiast habe die Prüfung nicht bestanden, was er in dem eingegangenen Briefe den Eltern mitteilt. Im Anschluß hieran erörterte er, daß es in entsprechen der Weise auch für den Bürgermeister eines solchen Städt chens auch kein Wahlgeheimnis geben dürfe. Der stehe in ständiger, unmittelbarer, dienstlicher und außer dienstlicher Berührung mit den Bürgern und Einwohnern des Ortes, er kenne die führenden Politiker, sowie deren Anhang. Bei einer Reichstagswahl müsse er sich daher völlig darüber klar sein, für welchen Kandidaten sich jeder Wähler entscheide. Die Erinnerung an diese Plauderei gab bei der letzten Reichstagswahl einem Zuhörer Stephans Veranlassung, auch in einem großstädtischen Wahlkreise einmal den Ver such zu machen, das Wahlgeheimnis zu lüften. Die Ge legenheit hierzu bot sich dar, während und nach der Wahl. Selbstverständlich konnte es sich nur um entsprechende Kom binationen handeln. Im übrigen wurde die Ermittelung darauf beschränkt, wer für den Kandidaten der Sozial demokratie und für Kandidaten der Ordnungsparteien ge stimmt hatte. Vor der Wahl lagen zunächst die Wählerlisten aus. Die Wähler hatten sich darum zu kümmern, daß sie in der Liste ihres Bezirks Aufnahme gefunden hatten, um ihr Wahlrecht ausüben zu können. Als der Beobachter am dritten Tage der Auslage in das Zimmer mit den Wahl listen gelangte, um auch für seine P-rson die Richtigkeit der Wahlliste zu kontrollieren, traf er dort einen durch ein äußeres Zeichen als Aufsichtsperson kenntlich gemachten Herrn mit einem Zettel in der Hand an, der sich über die Aufnahme einer größeren Zahl von Arbeitern in die Liste Gewißheit verschaffen wollte. Erfahrungsgemäß nehmen aber nur die unter sozialdemokratischem Einfluß stehenden Arbeiter ein derartiges Interesse an der Wahl, daß sie schon in den ersten Tagen die Listen kontrollieren. Es ließ sich daher im Zusammenhang mit der Nachprüfung durch den erwähnten Herrn schließen, diese Klaffe werde sozial demokratisch wählen. Ebenso ließ sich von vornherein an nehmen, daß die sozialdemokratisch organisierten Arbeiter, z. B. die Maurer, in der überwiegenden Mehrzahl für den sozialdemokratischen Kandidaten stimmen würden. Ueber- haupt besteht gegenüber „Organisierten" kein Wahlgeheim nis. Ebensowenig besteht auch gegenüber den aufgestellten Kandidaten ein Wahlgeheimnis, da sich mit völliger Sicher- ! heit annehmen läßt, daß jeder Kandidat sich selbst wählt und nicht dem Konkurrenten seine Stimme gibt. Für den Wahltag selbst wurden zwei verschiedene Be zirke zum Zwecke von Wahlstudien ausgesucht. In dem einen lagen die Verhältnisse sehr einfach: Die Bewohner dieses Wahlbezirks bestanden aus Villenbesitzern, Rent nern, Professoren, Offizieren a. D. und deren Dienstperso nal. Von ersteren wurden 240, von den Hausdienern, Kutschern, Gärtnern usw. 320 Stimmen abgegeben. Der Kandidat der Ordnungspartei erhielt 242, der Kandidat der Sozialdemokratie 318 Stimmen. Es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß die 318 sozialistischen Stimmen von dem Personal abgegeben wurden. Weniger einfach lagen die Verhältnisse in dem anderen Bezirk, dessen Wähler den verschiedensten Bevölkerungs klaffen angehörten. Zum Verständnis der hier gemachten Beobachtungen vergegenwärtige man sich den Wahlakt: dem Eingang zum Wahlraum gegenüber saßen an langem Tisch die Mitglieder des Wahlvorstandes, an kleinen Tischen zur Seite die Auserwählten der politischen Parteien, an deren Ende der der sozialdemokratischen Partei. Links vom Eingang befand sich die abgeschloffene Zelle, in die die Wähler zunächst einzutreten haben, um den Stimm zettel zu schreiben oder von den empfangenen sich den ge wünschten hervorzusuchen. — Bei Abgabe des geschlossenen Stimmzettels hat der Wähler seinen Namen und Stand oder Beruf zu nennen. Auffallend war es bald, daß ein Teil der in den Wahlraum tretenden Wähler, ohne erst Umschau zu halten, direkt links nach der Zelle ging, wäh rend andere sich erst orientieren oder zurecht gewiesen wer den mußten. Bei Nennung ihres Berufes erfuhr man, daß die vorher orientierten Personen Zimmerleute, Maurer, Schlosser usw. waren und es ließ sich schließen, daß, da bei spielsweise die Maurer soizaldemokratisch organisiert waren, auch die Wähler, die in gleicher Weise informiert schienen, sozialdemokratische Stimmzettel abgeben würden. — Schwieriger war es schon, die sozialdemokratischen „Mit läufer" herauszufinden. Auch dies gelang in vielen Fällen. Es waren Wähler, die nach ihrem Eintritt mit den Augen zunächst den als solchen bekannten sozialdemokratischen Kontrolleur suchten und erst, wenn sie sich von diesem be merkt glaubten, ihren Wahlpflichten nachkamen. Eventuell streiften sie beim Weggange seinen Tisch oder suchten einige Worte mit ihm zu wechseln. Endlich konnten etliche von den Sozialdemokraten herbeigeholte säumige Wähler fest gestellt werden. Erfahrungsgemäß holen Sozialdemokraten nur ihre sicheren Wahlanhänger zur Urne. Trotz dieser soweit gewonnenen Resultate stellte sich am Schluffe bei der Abzählung heraus, daß der sozialdemokratische Kandidat in diesem Bezirke 22 v. H. Stimmen mehr hatte, als es nach den vorgeschilderten Beobachtungen zunächst den An schein hatte. Eine Vervollständigung des wahren Resultats erlangte man aber z. B. auf der Straße nach Bekanntgabe des Er gebnisses aus dem ganzen Wahlkreise: Die Aufregung war eine allgemeine und eine derartige, daß im ersten Augen blick Sieger und Besiegte meist zu unterscheiden waren. Bei Benutzung etlicher Straßenbahnwagen konnte man nicht lange im Zweifel bleiben, für welchen Kandidaten sich die Straßenbahnbeamten entschieden hatten. Am Morgen nach der Wahlschlacht begrüßten sich zwei Arbeiter in Gegenwart ihres Aufsehers mit den Worten: „Wir haben gesiegt." Ihr Wahlgeheimnis hatten sie damit selbst verraten, doch war es für den Beobachter schon vorher kein Geheimnis mehr. — Ob Herr v. Stephan wohl recht gehabt hat?! Die Türkei und der Dreibund. Die Türkei steht sich nach Bundesgenossen um. Unter dem alten Regime galt Deutschland als der beste Freund der Osmanen. Die Jungtürken hatten deshalb zu Anfang ihres Regimes nichts Eiligeres zu tun, als sich aufjauchzend in Englands ausgebreitete Arme zu stürzen. Die An nexion Bosniens und der Herzegowina führte sogar zu schweren Mißstimmungen gegen den sichersten Bundes genoffen Deutschlands, gegen Oesterreich, und zum Boykott österreichischer Waren, wobei natürlich auch reichsdeutsche Waren und Kaufleute, wenn auch ohne Absicht, in Mit leidenschaft gezogen wurden. Nur im türkischen Militär hielt man Deutschland noch die Stange, da man die Ver dienste der deutschen Instrukteure, insbesondere die v. d. Eoltz's einzuschätzen wußte. Allmählich erkannten aber die Jungtürken, daß die Freundschaft mit England für sie höchst zweifelhaft war. Der König Georg von England sprach sich zu Gunsten seines Onkels, des Königs der Hellenen entschieden aus und machte aus seiner Abneigung gegen die Türkei kein Hehl. Das englische Kabinett hielt es wie alle liberalen englischen Kabinette lieber mit Griechen als mit Türken. Umsomehr pflegten nun die Jungtürken ihre Beziehungen zu Paris. In Paris war während der Herrschaft Abdul Hamids das jungtürkische Komitee, Paris gilt überhaupt im ganzen Orient als die Wunderstadt der Welt. Frankreichs Politik war auch lange Zeit hindurch türkenfreundlich: man wollte auch den Türken die notwendigen Anleihen bewilligen, hoffte man doch auf diese Weise ein glänzendes Geschäft machen zu können. Nun sind aber gerade wegen dieser Anleihe Türken und Franzosen an einander geraten. Die Franzosen er hoben so weitgehende Forderungen, daß das türkische Kabi nett nicht glaubte, die Abmachungen dem Parlament be kannt geben zu können: ja es ist in den letzten Tagen sogar zu schweren Konflikten zwischen dem türkischen Finanz minister und dem Kriegsminister deshalb gekommen. Im Laufe der Zeit hat sich nun in der Türkei auch der Groll wegen der Annexion Bosniens gelegt. Alan hat ein gesehen, wie töricht man damals handelte, da es nur so dem jetzigen Könige und damaligen Fürsten von Bulgarien gelang, Ostrumelien seinem Stammlande dauernd einzu verleiben und die Unabhängigkeit des ganzen Landes zu erklären. Das hätten die Türken sich durch eine klügere Politik vielleicht ersparen können. Man erkannte also wieder, daß man in Deutschland eine bessere Stütze haben würde, und man glaubte, nachdem die Anleihe in Frank reich nicht aufgebracht wird, daß man in Deutschland viel leicht die Gelder oder wenigstens die nötigste Summe er halten könne. Man dachte dabei einmal an die ungarische Anleihe, die ja auch zuerst in Frankreich gedeckt werden sollte und die schließlich in Berlin und Wien aufgebracht wurde, und man hat denn nun auch jetzt schon vorläufige Zusagen von einem Kreise deutscher Großbanken erhalten. Darob ist natürlich die Begeisterung in Konstantinopel groß. Man hat Versammlungen dort abgehalten und dem deutschen Kaiser ein Huldigungstelegramm gesandt. Man spricht zudem in begeisterten Worten vom Dreibund. Kurz, in der Türkei wäre man lieber heute wie morgen bereit, sich dem mitteleuropäischen Dreibund anzuschließen, deffen festen Bestand ja erst kürzlich der österreichische Minister des Aeußeren, Aehrenthal, aller Welt verkündet hat. Das ist ja an sich erfreulich, denn die Türkei ist eine an sehnliche Macht, und ihre Freundschaft ist keineswegs zu verachten. Die Gerüchte von einem Militärabkommen zwischen Rnmänien und der Türkei sind vielleicht auch mehr der Wahrheit gemäß, als man von offizieller rumäni scher Seite aus sich den Anschein gab. Aber wenn man im deutschen Sinne auch die Freundschaft und gute Beziehun gen zur Türkei mit Freuden begrüßen kann, so ist es mit der Frage eines Bündnisses doch noch ganz etwas anderes. Alan kann nicht wissen, ob die innerpolitischen Verhältnisse in der Türkei schon zur Genüge konsolidiert sind, und was aus der arabischen, der armenischen und der albanischen Frage noch alles wird. Zudem bietet die Türkei auch in der äußeren Politik ungeheuer viel Gelegenheit zu Kon fliktstoff. Abgesehen von den heißen Bemühungen von Griechen und Bulgaren, Unruhen zu stiften und bei guter Gelegenheit im Trüben zu fischen, liegt da der ewige Streit mit Rußland vor, die Dardanellenfrage. Die ägyptischen und die persischen Interessen der Türkei sind auch derart, daß jeden Tag aus ihnen schwere Verwickelungen entstehen können, ohne daß vielleicht dabei die Türken eine Schuld trifft. Sollen wir etwa unsere Truppen für solche Dinge ins Feld ziehen lasten? Das Wort Bismarcks von den Knochen des pommerschen Grenadiers gilt nicht nur für Bulgarien, sondern auch für alles, was noch weiter östlich und südlich liegt. Nun aber gibt es viele Kreise, die in Deutschland ein Bündnis mit der Türkei begrüßen würden. Auf dem neu lich abgehaltenen Tage der Jungliberalen in Köln hat sich sogar ein Redner sehr deutlich und ohne Widerspruch zu finden, in diesem Sinne ausgedrückt. Man hat offenbar nicht daran gedacht, zu welchen unangenehmen Verwickelun gen solch ein Bündnis führen kann. Deutschland und Oester reich haben zur Zeit der bosnischen Frage bewiesen, daß sie vereint so leicht nicht angegriffen werden können und sei es auch von dem gesamten übrigen Europa. Wir brauchen jetzt, wo Italien sich wieder fester an den Dreibund ange schloffen hat, überhaupt keine weiteren Bundesgenoffen. Verpflichtungen muß man nur auf sich nehmen, wenn die daraus entstehenden Vorteile groß genug sind. Die Freund schaft der Türkei ist uns wertvoll, ein Bündnis wäre aber mehr als bedenklich.