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1574 Regierung, welchen man auf diese Zustände aufmerksam machte, hat selbst zugegeben, daß Verschwörungen im Werke seien. Die Gestaltung der politischen Verhältnisse, sowie der Ehrgeiz der Parteien und der Generäle gestatten eS nun einmal nicht, daß sich hier eine Regierung mehrere Jahre halten und segensreich wirken könnte. Selbst daS Volk ist mit der Zeit ungeduldig geworden. Es erwartet von jeder neuen Regierung eine sofortige Verminderung der Steuern, und da sich nun diese Hoffnungen wegen des traurigen Standes der Finanzen getäuscht fühlen, so wendet sich die Sympathie der Masse Denen zu, die auf Umsturz sinnen. Daß dadurch nichts besser werden kann, vielmehr jede Regierung auf finanziellem Gebiete dieselben Schwierigkeiten vor finden muß, liegt auf der Hand. — Nach der officiellen Madrider Presse ist Don Carlos in Begleitung von Dorregaray und Ceballos am 7. Juni in Mexico eingetroffen und von der Geistlichkeit mit königlichen Ehren empfangen worden. Der Nationalclub veranstaltete ein Fest zu Ehren des Prä tendenten, in Folge dessen der Präsident dieses ClubS, der spanische Gesandte Muruaga, den Vorsitz niederlegte. — Der Sturm im Orient macht sich auch an den Ufern deS Manzanares fühlbar. Im Kongresse wurde die Regierung dieser Tage darüber befragt, wie sie sich in dieser Angelegenheit zu verhalten gedächte. Wahrscheinlich um einer Antwort hierauf auS dem Wege zu gehen, ließ der Minister des Aeußern sich während der Sitzung im Hause nicht sehen. Doch sind einige Kriegsschiffe bereits nach der Türkei beordert. Die der Regierung nahestehenden Blätter befür worten gemeinschaftliches Handeln mit den übrigen Userstaaten des Mittelmeerbeckens. Rußland. Petersburg, 9. Juni. Der „GoloS" bringt einen Leitartikel über dteSituation, worin eS am Schluffeheißt: Rußland könne Angesichts der englischen Demonstrationen ruhig die Resultate der Konstantinopeler Umwälzungen abwarten, da eS bei seinen huma nen Sympathieen für den Freiheitskampf türkischer Slaven, der mit keiner Niederlage enden werde, seiner europäischen Alliirten sicher sei und demzufolge sich auf eine kriegerische Gegendemonstration nicht einzulassen brauche. Aus Ödes sa, 8. Juni, wird gemeldet : An Bord eines griechischen Schiffes kam ein verwundeter und incognito reisender türkischer Wür denträger hier an, in welchem der frühere Großvezier Mahmud Pascha erkannt wurde, der von den Sofias furchtbar mißhandelt worden sein soll. Das Schiff hatte in Folge von Stürmen im schwarzen Meer eine lange und gefährliche Fahrt. Türkei. Konstantinopel, 8. Juni. (Tel.) Die „Agence Bordeano" meldet: Heute fand bei dem Scheik-ul-Islam ein Mtnisterrath statt, in welchem die Grundprincipien deS neuen Regimes discuttrt wurden. — Das Reformprogramm enthält, nach dem „Pesther Lloyd", folgende Punkte: 1) das ganze Reich erhält eine Repräsentativ-Verfassung. Aber diese wird sich vorläufig von der europäischen Schablone gam entfernen. Der Duraj- Schevlet (der große Raths wird aus Vertretern aller Provinzen bestehen, die aus allen Confessionen je drei Notabeln entsenden werden. Zuerst blos Berathungs- körper, Mrd derselbe allmählich in eine gesetzgebende Versammlung verwandelt werden, deren Präsident von der Krone ernannt wird. Zu dieser Stelle soll Midhat Pascha ausersehen sein. 2) Die aufständischen Provinzen werden alle jene Reformen erhalten, die Sultan Aziz nach Annahme der Andrassy'schen Note gewährte. Murad wird den Aufständischen Amnestie gewähren. Legen die Auf ständischen die Waffen nicht nieder, dann soll das Schwert entscheiden. 3s Man wird eine loyale Neutralität von Serbien und Montenegro verlangen und für die unverbrüchliche Beobachtung derselben Garantieen fordern. Falls die Fürsten Milan und Nikita solche gewähren, so wird man die Truppen aus Nisch und Podgoritza zurückziehen. Widrigenfalls wird die Pforte eine außerordentliche Aushebung von 200,000 Soldaten veranstalten, um die Rechnung mit den Vasallen zu regeln. 4) Alle Ministerien werden reorganisirt. 5s Die Finanzen sollen von Grund aus reorganisirt werden, das Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen soll hergestcllt werden. Alles sei aufzubieten, um nach Jahren die Zinsenzahlung aufnehmen zu können. 6) Die Gerichte sollen ganz nach europäischem Muster organisirt werden, in denen Christen wie Türken Recht sprechen werden. Ueber daS Ableben deS früheren SultanS und die begleiten den Umstände werden der „Deutschen Ztg." auS Konstantinopel vom 7. Juni folgende Einzelheiten berichtet: Abdul-Aziz war am Freitag zu Schiffe nach Therragan gebracht worden, angeblich auf eine Bitte, die er brieflich an Murad gerrchtet habe. Ausgestiegen, wollte er am Quai fortgehen, woran ihn die begleitenden Offiziere hinderten. Er zog darauf den Revolver, und nun drangen von allen Seiten Soldaten auf ihn ein, entrissen ihm diese Waffe, den Säbel und sein Messer. Raserei-Anfälle wechselten nun mit vollkommenster Stumpfheit. In der Nacht zum Sonntag schrie er vom Garten und aus dem Fenster fortwährend nach der Marine: von dieser seiner Lieblingsschöpfung hoffte er bis zuletzt Hilfe. Ain Sonntag Morgen erstattete der Wachthabende den Rapport an den Kriegsminister. Um 8 Uhr früh soll der Sultan angeblich eingeschlafen sein. Um 10 Uhr soll er von seiner Mutter eine Schecre verlangt haben, um Nägel und Bart zu reinigen; darauf habe er sich eingeschlossen. Die Sultanin Valide sprengte besorgt die Thüre, fand aber Abdul-Aziz schon sprachlos in den letzten Zügen. Die Frauen hörten das Ge schrei, daß der Sultan ermordet sei, und schlugen die Fenster und Holzgitter ihrer Gemächer ein, wodurch das Gerücht entstand, der Sultan sei aus den Fenstern gestürzt worben. Seraskier Pascha (Hussein Avni) war schnell hinzugekommen und ließ gegen 11 Uhr den Hof-Apotheker Delabroussi und zunächst nur levanti- nische Äerzte holen. Erst um 1 Uhr benachrichtigte er die Gesandtschaften. Der österreichische Botschaftsarzt vr. Sotto erhielt direct durch einen Boten vom Pa laste aus die Aufforderung, zu kommen; er langte nach halb zwei Uhr in Ther- ragan an, wo er nur levantinische Aerzte fand, bis auf den englischen Botschafts- Arzt Dixon, der geborener Levantiner ist, und den französischen Botschafts-Arzt Marroin. Sämmtliche Aerzte verweilten zuerst noch eine Stunde in der Vorhalle, Kaffee trinkend, und wurden dann gegen 3 Uhr in die Wachstube geführt. Die Leiche des Sultans lag hier auf einer Matratze, mit einem weiten Morgenrocke bekleidet. Die Stube war gedrängt voll; außer den neunzehn Aerzten waren noch eine Menge Offiziere und Soldaten da, so daß eine genaue Untersuchung schwer möglich war. Außer den Wunden an den Armen wurde der Körper gar nicht untersucht. Die Aerzte wurden dann aus der Wachstube durch eine ausgebrochene Stelle der Hofmauer in den Hintern Theil des sehr schmutzigen Kiosks nach dem oberen Stockwerke geführt, wo ihnen em großes Zimmer gezeigt wurde, das auf drei Seiten Fenster nach dem Meere hatte und in das nur eine einzige Thüre in der vierten Wand des Zimmers führte. Spuren eines Kampfes waren nicht zu finden, vr. Sotto erklärt, der Selbstmord sei in Anbetracht der Wuthanfälle, welchen der Sultan unterworfen war, immerhin wahrscheinlich. Auf die Frage, ob nicht durch vorherige Chloroformirung oder durch Behandlung mit einem Opiate Widerstandslosigkeit erzielt worden sein könnte, erklärte vr. Sotto, die Chloroformirung sei nach fünf Stunden nicht mehr zu constatiren und eine Secirung nach türkischer Sitte unzulässig. „Es ist sonach (heißt es am Schluß des Berichtes der „Dtsch. Ztg") möglich, daß der Sultan einfach im Schlafe fest gehalten wurde, wobei man ihm die Todeswunden beibrachte. Ändere Äerzte er klärten, es sei anatomisch unmöglich, daß Jemand bei einem Selbstmorde mit der Scheere die Cubital-Arterie treffen und dann noch so große Wunden schnei den könne." Der Leibarzt des verstorbenen Sultans, Omer Pascha, ein polnischer Jude, der zum Islam übergetreten ist und erst vor Kurzem von Abdul Aziz zum Divisions-General ernannt wurde, ist vom Kriegsminister wegen Schmähung des todten Sultans im Consilium der Aerzte vor dem Leichnam verhaftet und später degradirt worden. Orsova, 9. Juni. (Tel.) Tewfik Pascha ist auf der kaiser lichen Yacht „Edirne" heute in Widdin angekommen, um mit dem serbischen Regierungs-Commiffair Oberst Oreskovich die Grenze zu bereisen und künftigen Grenzverletzungen vorzubeugen. Griechenland. Athen, 4. Juni. Der „Pol. Corr." zufolge ist im Ministerrathe beschlossen worden, dem Gesuche vieler Städte Folge zu geben, die in Vergessenheit gerathene Institution der Nationalgarde wieder her- zustellen. Die gesummte griechische Nationalgarde stellt eine Macht von 60-—70,000 streitbaren Männern und Jünglingen dar. Amerika. Der Senat der Vereinigten Staaten hat die Regierung be vollmächtigt, über die Herstellung einer gemeinsamen Münz einheit zwischen Großbritannien und Nordamerika in Unterhandlungen zu treten. Vermischt--. — In dem 52. Hefte des erschienenen „össopis" der wend, liier. Gesellschaft in Bautzen sind, außer einer großen Anzahl von Originalgedichten und der Uebersetzung von 6 Shakespeare'schen Sonetten, „altwendische Worte aus einem Magdeburger Manuskripte des 12. Jahrhunderts von I. M. Hornig", „10 Schriftsteller (welche Manuscripte hinterlassen) unter evang. Wenden der Lausitz bis 1800 und 13 solche, die bis dahin über die Wenden in andern Sprachen geschrieben von C. A.'Jentsch" und ein „Nekrolog vom vr. Hermann Lotze aus Bautzen ebenfalls von Jentsch" geboten. Von großem Interesse ist auch die Abhandlung des Assessor Wehle über vr. Joh. Mahr und seine Stiftung, welcher zwei darauf bezügliche Documente in der deutschen Sprache beigefügt sind. — Am 18. Mai sind die Herren vr. Clotar Müller au- Leipzig und W. A. Haupt aus Chemnitz nach Philadelphia gereist, um dem da selbst Mitte Juni tagenden homöopathischen Weltcongresse beizu wohnen. Ersterer vertritt den Central-Verein deutscher homöopathischer Aerzte, Letzterer den Landesverein für Homöopathie im Königreiche Sachsen. — Der genannte Centralverein wird im Juli seine diesjährige Hauptversammlung in Pesth abhalten. — Nach der vr. Schwabe'schen homöop. Zeitschrift haben