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649 — Die „N. Fr. Pr." erhält von hier folgende Meldung! Die Bemühungen einiger Bukarester Agenten, mit hiesigen großen Finanzmännern eine neue Anleihe von 80 Millionen Francs ab zuschließen, sind vollständig gescheitert. In hiesigen politischen Kreisen glaubt man, daß in Folge dessen die Position des Fürsten Carol schwierig werden dürste. — Dieser Tage hat bekanntlich Gambetta in Lyon vor einer auS mehr als tausend Personen bestehenden Privatversammlung eine Aufsehen erregende Rede gehalten. Der „Progrös de Lyon" veröffent licht ein ResumL dieser Rede, und wir entnehmen demselben einige der Hauptstellen. Gambetta leitete seine Rede mit der Bemerkung ein, er habe die Eröffnung der Kammer nicht abwarten können, ohne vorher die zweite Hauptstadt Frankreichs besucht und mit jener Demokratie Fühlung erlangt zu haben, welche von den reactionairen Parteien stets als gewaltthätig und auf Umsturz sinnend dargestellt wurde. Gambetta wendete sich nun der Bedeutung der Wahlen zu, aus der sich ja die republtcanische Partei ihr Programm ableiten könne: „Durch jenes einstimmige Votum, welches den Republikanern die Majorität gesichert hat, wollte das französische Volk in erster Linie dem republicanischen Geiste zustimmen und den ClericalismuS im Innern wie nach Außen unterdrücken. (Beifall.) Die fünf Jahre hindurch war Frankreich Zeuge der Thaten einer „namenlosen Partei der monarchischen Restauration", welche jedoch noch viel Böseres im Schilde führte, denn der wahre Führer dieser Partei war der clericale Geist. Die Petition der Bischöfe zu Gunsten des Papstes, das Wiedererwachen einer Art Liga nach Muster des sechszehnten Jahr hunderts Behufs Veranstaltung von Wallfahrten, Jnscenesetzung von Wundern, Bildung von Arbeiter-Vereinen, Bekämpfung der Civil- Begräbnisse u. s. w. waren lauter Ausflüsse dieses Geistes. Die bürgerlichen Freiheiten wurden überall unerbittlich bekämpft, und darum hat sich Frankreich erhoben gegen den theokcatischen Geist, welcher es zu ersticken drohte. Die Eroberungen, welche dieser Geist in Frankreich gemacht hat, haben bereits die Besorgnisse Europas, das sich von einer ultramontanen auswärtigen Politik bedroht sah, wach gerufen. Die französische Republik muß als eine Republik des Friedens angesehen werden. Man wird erkennen müssen, daß diese Republik bestehen kann, ohne den Grenzmächten Besorgnisse einzu flößen. Wir haben oft gesündigt aus einem Hang zu auSschreitender Propaganda. Thun wir, was nöthig ist, daheim; verbinden wir unsere eigenen Wunden und überlassen wir es der übrigen Welt, frei für ihre Bedürfnisse zu sorgen, ohne unsere Mitwirkung. Uebrigens, seit Langem schon haben wir den anderen Völkern nichts zu bringen, sondern im Gegenthetle von ihnen zu entlehnen: von England die Freiheit der Presse und das Versammlungsrecht; von unserm jüngsten Gegner seine militairische Organisation, seine wirklich für Alle ver bindliche Dienstpflicht. Unter diesen Bedingungen dürfen wir uns deS Beistandes und der Sympathieen der Nationen versichert halten. Den Proselytismus müssen wir zurückweisen. Wir müssen auch jene schic- lende Politik deS Kaiserreiches von uns abthun, die an der unteren Donau sich geltend machte, über das Meer sich sortpflanzte, unS die mexikanische Expedition eintrug, Dänemark verrieth, das Kaiserthum Oesterreich zu Boden warf — jene Politik, die auf der Welt nur Trümmer säete und unter unseren Füßen einen Abgrund aushöhlte, in dem wir beinahe verschwunden wären. Diese Politik der Natio nalitäten müssen wir verwerfen. WaS wir wollen, ist der Friede, der Friede allerwärts. (Bravos.) ... Der Mann, welcher an der Spitze des StaateS steht, der Präsident der Republik, kann sich versichert halten, daß es nicht die Republicaner sein werden, welche seine Ge walten in Frage stellen. Wir können sogar sagen, daß, was auch unsere Haltung am 24. Mai gewesen, eS nicht von uns abgehangen hat, daß der Name des Staatsoberhauptes nicht über die Partäen gestellt worden ist." Gambetta entwickelt nun ebenfalls mit Mäßig ung sein Programm für die innere Politik. Zum Schlüsse fordert er seine Freunde auf, eine Politik der Einigkeit zu befolgen. Die Veteranen der Demokratie mögen den Neubekehrten die Arme öffnen und, was schwerer ist, als Unglück zu ertragen, das Glück zu ertragen wissen. Nach der anti-cleriealen Politik, welche die Wahlen angedeutet hätten, müsse eine Politik der Freiheit, -er Versöhnung und -er Einigkeit aller Gruppen der frqnzöstschen Demokratie platzgreifen. (Beifall.) „Die neue Ma jorität", sagt Gambetta, „welche in 'Versailles brrathe» wird, ist eine' Majorität der Ordnung, des friedlichen Fortschrittes und insbesondere ergeben den Eroberungen deS modernen Geistes. Mit dieser Majo ¬ rität find unS vier Jahre vollkommenen Frieden« sicher, und wenn eS uns während dieser Zeit gelungen sein wird, die düsteren Prophe- zeihungen der Klageweiber Lügen gestraft zu haben, wenn wir Europa gezeigt haben werden, worin unsere Weisheit besteht, dann wird die französische Republik nicht nur begründet, sondern sich einen unverrück baren Platz in den Sympathieen der Welt erworben haben." (Bei fall.) Die Versammlung trennt sich hierauf unter den Rufen: „ES lebe Gambetta! Es lebe die Republik!" — Die vorbesprochene Programmrede Gambetta s in Lyon erregt im Lager der Intransigenten (der äußersten Linken) ungetheiltes Mißvergnügen. „Etwas Widerstand gegen die Uebergriffe deS CleruS, ein wenig communale Freiheit, bestehend in der Berechtigung der kleinen Gemeinden, ihre Bürgermeister selbst zu wählen, die längst er wartete Aufhebung des Belagerungszustandes und vor Allem die Ein führung eines republicanischen Personals in die Verwaltungsstellen, das ist Alles, was Gambetta verspricht!" rufen die intransigenten Blätter verächtlich auS. „Wo bleibt aber das Recht der freien Ver einigung, wo das Recht der freien Presse, wo die anderen Ideen, für die der Radikalismus kämpft?" „Gambetta ist so wenig mehr ein Radicaler, wie Casimir Perier", erklären die Ultras. Blätter der ge mäßigten Linken bemerken, daß das Programm Gambetta's voll ständig mit demjenigen übereinstimmt, welches von den Thieristen aufgestellt wird. Gambetta sungirt also als öffentlicher Vertreter der von Thiers gutgeheißenen Politik. Nur die anti-clericale Seite hat er zu stark betont, stärker als seine Freunde vom linken Centrum eS thun würden. Die conservativen Kreise berührt er empfindlich. Daß die clericalen Blätter gegen ihn losziehen, läßt sich denken. „Gambetta", heißt es u. A., „verträgt sich vortrefflich mit Herrn von Bismarck, er macht die Geschäfte Preußens" rc. — Heute fand auf dem Montmartre die Einweihung der provi- sorischen Capelle der Sacrä-Coeur-Kirche durch den Cardinal- Erzbischof von Paris statt. Die Führer der clericalen Partei, u. A. Senatoren, Deputirte und mehrere Generale, wohnten der Feier bei. Cardinal Guibert sagte: „Die Kirche nehme jede Regierungs form an, doch könne die Republik nur bestehen, wenn sie christlich sein werde." Großbritannien London, 3. März. Der „Morning Post" zufolge hat die hiesige katholische Geistlichkeit beschlossen, Don CarloS gegenüber den Standpunkt der Anerkennung deS Königs Alfons einzunehmen. — Der amerikanische Gesandte Schenck ist heute nach Washington abgereist. — Eine'Deputation unter Führung deS Earl of Shastesbury stellte heute an Lord Derby das Ersuchen, zu Gunsten der von der Türkei mißhandelten und vertragswidrig ins Militair eingestellten syrischen Christen einzuschreiten. Der Minister erklärte, der Bot schafter Sir H. Elliot habe die bisherigen Conscriptionen dem türkischen Rechte gemäß gefunden. Die von der Deputation angeführten neuen Fälle indessen seien beim ersten Anschein durchaus glaublich und Elliot werde deßhalb angewiesen werden, sie sofort zu prüfen. — Die „Times" enthält eine Zuschrift von Herrn CH. A. v. Lesseps, Vice-P. äsidenten des Verwaltungsrathes der Suezcanal- Gesellschaft, in welcher er die Entlassung Sir D. Lange's (vrgl. Nr. 53 d. Bl.) erklärt. Nach dem Schreiben war Sir D. Lange weder Mitglied deS Rathes der Directoren, noch hatte er englische Interessen zu vertreten; er wär vielmehr einfacher Agent der Gesell schaft in London. In dieser Eigenschaft nun, in der er lediglich die Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen hatte, ist er nach den Mit- theilungen des Herrn CH. A. v. Lesseps im Jahre 1871, ohne die Direktion davon zu benachrichtigen, in Briefwechsel mit der englischen Regierung getreten, hat mit derselben persönliche Verhandlungen ein geleitet und dabei unter Mißbrauch des Namens Ferdinand v. Leffeps falsche Thatsachen angeführt. Dieser Briefwechsel, dem Herr CH. A. v. Lesseps den größten Scheil der Mißverständnisse, die sich zwischen der englischen Regierung und der Gesellschaft seit jener Jett erhoben haben, zuschreiben zu können glaubt, ist nun durch die jüngsten amt lichen Veröffentlichungen zur Kenntniß der Gesellschaft gekommen, und darauf die Entlassung Sir D. Lange's von seiner Stellung als Agent der Gesellschaft erfolgt. „ES wird", so schließt daS Schreiben „für einen jeden anständigen Menschen genügen, die Briefe Sir D. Lange's zu lesen, um die Unvermeidlichkeit der Entlassung dieses Agenten einzusehen."