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AufsHerr erregt hatten. Er Ecu: der Sohn eines bekannten Brausreibefitzers, schwer reich und ebenso unverstanden. Er hatte in der Tiergartenstraße eine elegante Gar?onwohnung Md beschäftigte sich mit der Pflege seiner schönen Seele. „Sind Sie in Stimmung, uns einiges vorzutragen?" Frsdsric Freudeborn ergriff das gelbe Buch, drückte es an seine pfaublaue Brust und sah sich im Kreise um. Ein xascheS Flüstern, Stühleschieben und Kleiderrauschen, dann erwartungsvolle Stille . . . Er begann zu lesen, mit verschleierter, gepreßter Stimme, zuerst eine Elegie in so wiegendem Rhythmus, daß die Zuhörer auf ihren Stühlen mitwippten, dann Bruch stücke einer größeren Schöpfung. Er las von tieffchwarzen Abgründen violetter Seelenreflexe, von verschlossenen perl, grauen Toren, an denen Tränen hingen wie schimmernde Regentropfen, von dumpfem Atem rätselhafter Gefühle, lichtblauer, schwarzgrüner und hagelwetterfabener Ge- tühle... Es war wunderschön, aber gänzlich unver ständlich. Ich lehnte an der Türe und freute mich über die An dacht der Zuhörer. Ein paar Damen nickten sich verständ nisinnig zu, andere waren mit ihren Ringen oder den Falten ihrer Schleppen beschäftigt. Die meisten Herren stützten mit würdiger Haltung die gobelinbespannten Wände. Alfred saß gähnend neben einem jungen Mädchen, dem die ganze Sache entschieden Spatz machte und das be ständig Mühe hatte, sein Lachen zu unterdrücken. Fr6d6ric Freudeborn klappte das Buch zusammen und betrachtete den Einband seines Werkes. „Leuchtendes Gelb ist die Erlösung, die Offenbarung... ich habe lange diese Gedanken und Gefühle in mir herum ge tragen und konnte mich nicht entschließen, sie nieder- zuschreiben. Ties ist mein letztes Werk, ich habe es „Vio lette Opfer meiner Seele" genannt. Kein Mensch versteht, was es heißt, sein Höchstes, die Gefühle der Seele von sich zu geben, versteht die Größe dieses Opfers! Wer versteht die Weichen Schwingungen solcher Reflexe, diese unzähligen Nuancen jeder Empfindung? Aber das ist das Große, das Befreiende, das einzige Wahre, das Geben des schaffenden Genius, ohne Kleinlichkeit, ohne Berechnung! Der Dichter schafft, um die Menschheit zu erheben, zu befreien — er will beschenken, beglücken: er gibt alles was er hat, er gibt aus Freude am Leben und verlangt nichts dafür. Wer Seele hat. muß seine Seele opfern... und das ist das Große, das Erhabene, das Geben ohne etwas zurückzuverlangen!" Fräd6ric Freudeborn hatte sich ganz warm geredet. „Wie herrlich er sprach! Wie edel seine Auffassung, wie selbstlos! Die Damen umringten ihn, hingerissen und be geistert. Das junge Mädchen neben Alfred drehte sich nach mir um, sab mich mit lachenden Augen an und fragte dann ernsthaft: „Haben Sie die violetten Opfer dieser Seele ver standen?" Nun mußte ich auch lachen. „Nein, ich nüchterner Erdenwurm kann diesem farben freudigen Höhenflug nicht folgen!" „Hast du denn etwas von diesem Ouatsch kapiert, Nini?" fragte Alfred, froh, endlich etwas sagen zu können. „Gott bewahre," lachte Nini. „verstehen braucht man so etwas doch auch nicht, es klingt wunderschön und man freut sich eben, daß cs Seelen gibt, die so etwas Hervorbringen. Aber dieses Genie sicht verblüffend wenig nach einem Wohl täter der Menschheit aus!" Ich freute mich über ihr natürliches Wesen und wir sprachen noch weiter von dem pfaublaubewesteten Pro pheten, der jetzt ganz erniattct in einem Sessel lag und sich anhimmeln ließ. Endlich löste sich die Gesellschaft auf. Man sprach von unvergeßlichen Stunden, von Seelengenuß usw. „Unvergleichlich schön und erbebend, meine Liebe," sagte eine etwas echauffierte Dame mit fabelhaft großem Hut zur Gräfin, „ich steige mit einem Schatz göttlicher Gefühle wieder in den Alltag hinab! Aber bitte, vergessen Sie nicht, mir niorgen das Rezept Ihres französischen Kuchens zu tele phonieren!" — Ich hätte die steigen sehen mögen. Fr6däric Freudeborn war noch geblieben und trug sich in Las Album der Gräfin ein. Nini und Alfred kicherten in einer Ecke. Endlich verabschiedete sich der Dichter; die Grä fin dankte ihm in beweglichen Worten für diese so genuß reiche Stunde und wandte sich dann zu mir mit dem Auf träge, Herrn Freudeborn hinaus zu geleiten. Michael stand unten an der Treppe mit dem kostbaren Pelz des Dichters. Dieser schlüpfte behutsam hinein, fuhr mit zwei Fingern in die Tasche, drückte Michael ein Mark stück in die Hand, nickte mir gönnerhaft zu und sprach dann zu Michael die erhabenen Worte: „Geben Sie mir fünfzig Pfennige heraus!" . . . Tableau! . . . Ich hätte es in meinem Leben nicht für möglich ge halten, daß der Michael so ein dummes Gesicht machen könnte! Und meines wird auch nicht viel geistreicher gewesen sein! Von oben ertönte ein unterdrücktes Prusten und über dem Treppengeländer erblickte ich Nini und Alfred mit roten Köpfen, die Taschentücher im Mund. Auch das noch! Michael fuhr rasch gefaßt mit beiden Händen in seine Hosentaschen und zählte fünf einzelne Groschen Herrn Jreudcborn auf den taubengrauen Glacs. Kopfschüttelnd half er ihm dann in seinen hell ausgeschlagenen Mercedes wagen. Als das Portal zufiel, fand ich meine Fassung wieder. Nini und Alfred saßen auf der Treppe und wanden sich in Lachkrämpfen, daß das ganze Treppenhaus zitterte: Michael stand daneben, das Geldstück noch in der Hand und sagte bloß immerzu: „Nee. so eener!" „Das ist das Große, das Erhabene, das Geben, ohne etwas zurückzuverlangenl" Des Dichters Worte fielen mir wieder ein und da packte mich auch der Lachteufel, ich mußte mich auf die Treppen stufen setzen und lachte, daß mir die Tränen hcrunterliesin und mir alles wehe tat. So fand uns die Gräfin, als sie aus dem Salon kam. Zwei Tage später war ich entlassen. Die Gräfin meinte, ich hätte „doch zu wenig Verständnis für meine Aufgabe als Erzieher"! „Ja, für fünfzig Pfennige zu wenig!" Vor dem Schlafengehen Bete, eh' die Nacht die Glieder Dir zu neuem Schaffen pflegt: Selbst des Waldes Reh kniet nieder, LH' es sich zur Ruhe legt! I. Bergmann. Interessantes vom Stereoskop Von Georg Korf, Hamburg Nachdruck verboten. Wenn wir aus einigen Metern Entfernung auf eine Wand blicken und halten etwa 20—30 Zentimeter von unserm Gefickt entfernt einen Bleistift vertikal, dann sehen wir ihn doppelt. Und wenn wir nun abwechselnd das linke und das rechte Auge schließen, dann sehen wir den Bleistift por dem Tapetenmuster um einen bestimmten Betrag bin- und herwandern. Ties kommt daher, daß wir uns mit unfern zwei Augen an zwei verschiedenen Standpunkten befinden; der eben erwähnte Augenwechsel ist praktisch dasselbe, als wenn wir — mit einem Auge sehend — unfern Standort um den Betrag des Augenabltandes ver legt hätten. Diese Duplizität des Standortes, gewissermaßen die durck den Augenabsiand hervorgerufeuen zwei Sjand- punkte. von denen aus man die Welt sieht, ist die Ursache zum räumlichen Sehen. Tie Blickrichtung des Auges nennt