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Von dem Verdachte zu reinigen, daß er seines Bruders i Mörder sei — es war eine gräßliche Nacht. — Ich bin mit Artur befreundet: wir waren zusammen in Harrow und Oxford, und ich glaubte keinen Augenblick, daß er ein ! solches Verbrechen begangen haben könne: doch konnte ich als Anwalt nicht umhin, einzusehen, daß alle Umstände gegen ihn zeugten. Als der Morgen dämmerte, wachte Lord Edam auf und fühlte sich so gestärkt, daß er es für unnötig hielt, die beab sichtigte Aenderung der Dokumente vorzunehmen: er sei dem Tode nicht näher als wir und könne uns noch alle überleben. Unter anderen Verhältnissen würde uns die Besserung seines Zustandes sehr beglückt haben, allein der Tod seines ältesten Sohnes und der Verdacht, der auf Artur lastete, kamen uns keinen Augenblick aus dem Sinn. So lange Inspektor Lyle das Haus nicht verließ, sollte ich nach dem Willen meines Vaters als Rechtsbeistand der Familie auch dableiben, aber es gab für keinen von un« viel zu tun. Artur kam nicht zurück, und erst im Laufe des Vormittags erhielt Lyle die Nachricht, daß der russische Diener verhaftet worden sei. Er fuhr sogleich nach dem Polizeiburean, um ihn ins Verhör zu nehmen, kam aber schon nach einer Stunde zurück. Ter Diener hatte über die Ereignisse des gestrigen Abends jede Aussage verweigert: weder über sich selbst noch über die Prinzessin Zichy wollte er Näheres mitteilen, ja nicht einmal ihre Adresse angeben. Er ist in der schrecklichsten Angst, sagte Lyle; trotz meiner Versicherung, daß er nicht des Verbrechens ver dächtig sei, beharrte er bei seinem Schweigen. Um zwei Uhr nachmittags kam endlich die Nachricht, daß Artur gefunden worden sei und sich auf der Unfall station im Georgshospital befinde. Lyle und ich fuhren sofort hin und fanden ihn mit verbundenem Kopf im Bett liegen. Er war am Abend zuvor durch einen Droschken kutscher, der ihn im Nebel überfahren hatte, bewußtlos ins Hospital gebracht worden. Da Artur nichts bei sich trug, woraus sich erkennen ließ, wer er sei, hatte der Vorstand des Hospitals seine Angehörigen erst von dem Unfall in Kenntnis setzen können, als er am Nachmittag wieder zu sich kam. Lyle kündigte ihm gleich an, daß er verhaftet sei und ermahnte ihn zur Vorsicht in seinen Aeußerungen, während ich, als sein Anwalt, ihn im Gegenteil aufforderte, ! frei herauszusprechen und uns alles mitzuteilen, was er über die Ereignisse des gestrigen Abends wisse. Offenbar ging ihm der Tod seines Bruders weit mehr zu Herzen als der Umstand, daß man ihn für seinen Mörder hielt. Diese Beschuldigung, sagte Artur verächtlich, ist nicht ? nur roh und widernatürlich — sie ist der reinste Blödsinn. Als wir uns trennten, waren wir bessere Freunde wie seit Jahren. Ich will euch erzähle», wie sich alles zngetragen hat — nicht um mich zu rechtfertigen, sondern um euch zu helfen, daß ihr der Wahrheit auf die Spur kommt. Was er berichtete, war folgendes: Ganz mit der ^ Pflege seines Vaters beschäftigt, hatte er die Zeitungen ^ nicht gelesen: erst gegen abend brachte ihm der Diener ! eins der Blätter, aus dem er ersah, daß sein Bruder noch am Leben war und im Barth-Hotel abgestiegcn sei. Er - fuhr dort sogleich vor, allein sein Bruder war gegen acht Uhr ausgegangen, ohne anzugeben wohin. Da Lord Ehet- ! ney nicht zuerst seinen Vater ausgesucht hatte, mußte Ar tur annehmcn, daß er ihm noch zürne. Dabei erinnerte er sich natürlich an die Ursache ihres Streites und beschloß zu sehen, ob er Chctney nicht bei der Prinzessin Zichy finden würde. i Zwar war er nie in ihrem Hause gewesen, doch wußte er genau, in welcher Gegend es lag, da man es ihm gezeigt hatte und er oft daran vorbeigegangen war. Er fuhr durch ^ den Nebel, soweit der Kutscher den Weg finden konnte, ging dann zu Fuß weiter und erreichte das Haus gegen nenn , Uhr. Auf sein Läuten öffnete ihm der russische Diener i und nahm seine Visitenkarte ins Wohnzimmer mit. Sein j Bruder kam gleich zu ihm heran-.- und begrüßte ihn aufs " herzlichste, auch die Prinzessin Zichy, die ihin folgte, bewill- kommnete Artur sehr freundlich. Ihr beiden Brüder werdet einander viel zu erzählen haben, sagte sie. Ich gehe ins Speisezimmer, wenn ihr euch ausgesprochen habt, laßt es mich wissen. Sobald sie allein waren, teilte Artur seinem Bruder mit, daß ihr Vater kaum die Nacht übekleben würde und er ungesäumt zu ihm eilen müsse. Vergiß jetzt den Streit, sagte er. Du bist nur gerade noch rechtzeitig von den Toten zurückgekehrt, um dich mit dem Vater auszusöhnen. Tu mißverstehst mich gänzlich, Artur, entgegnete Chetney in großer Gemütsbewegung. Von Vaters Krank- heit wußte ich nichts, sonst wäre ich bei meiner Rückkunft schleunigst zu ihm geeilt. Ich unterließ das überhaupt nur, weil ich glaubte, er habe mir noch nicht vergeben. Jetzt folge ich dir sogleich: ich will nur noch Abschied von der Prinzessin nehmen. Wir scheiden auf immer: heute abend sehe ich sie zum letzten Male. Ist das dein Ernst? rief Artur. Verlaß dich darauf, erwiderte Chetney: es lag durck)- aus nicht in meiner Absicht, sie wieder aufzusuchen, nur infolge eines Mißverständnisses bin ich hier. Er teilte nun Artur mit, daß er sich bereits vor seiner Abreise nach Zentralafrika von der Prinzessin getrennt habe und überdies in Kairo auf dem Wege nach dem Süden Dinge über ihr dortiges Leben im letzten Jahre erfahren habe, die ihn völlig von dem Wunsche heilen mußten, sie jemals wieder zu sehen. Sie waren für immer geschiedene Leute. Sic hat mich grausam betrogen, sagte er, grausamer als Worte es aussprechen können. Zwei Jahre lang, während ich alles versuchte, um meines Vaters Einwilli gung zu der Heirat zu erlangen, hat sie ein Liebesverhält nis mit einem russischen Diplomaten gehabt, der sie heim lich hier in London besuchte. Der Ausflug nach Kairo war nur ein Vorwand, um ihn dort zu treffen. Und trotzdem bist du heute abend hier, warf Artur ein, kaum ein paar Stunden nach deiner Rückkehr? Das ist rasch erklärt, sagte Chetney. Ich hatte gerade im Hotel gespeist, als ich ein Billett mit dieser Adresse von ihr erhielt. Sie schrieb, sie habe soeben erfahren, daß ich hciingekehrt sei und bat mich, sie ungesäumt aufzusuchen, da sie sich augenblicklich in großer Not befände. Sie leide an einer unheilbaren Kraukbeit und habe weder Freunde noch Geld; um alter Zeiten willen solle ich barmherzig sein und ihr zu Hilfe kommen. Während der zwei Jahre, die ich im Dschungel verlebt habe, ist mein Gefühl für die Prin zessin Zichy völlig erkaltet, aber die flehende Bitte dieses Briefes hätte niemand abweisen können. So kam ich hier her, fand sie im besten Wohlsein, ebenso schön wie früher — du hast sie ja gesehen — und nach der Einrichtung deS Hauses zu urteilen, mit reichlichen Geldmitteln. Als ich sie fragte, wie sie dazu käme mir zu schreiben, sie läge in einer Dachkammer und sei im Sterben, lachte sie und ver setzte, sie hätte geglaubt, ich würde zu ihr kommen, wenn ich dächte, daß sie Hilfe brauche. Soweit waren wir, als du ankamst. Jetzt will ich Abschied von ihr nehmen, und du tust wohl am besten, rasch nach Hause zu gehen. Verlaß dich darauf, ich folge dir auf dem Fuße. Sie hat jetzt keine Macht mehr über mich: doch glaube ich. daß sie trotz allem, was sie nur angetan, mich noch auf ihre Weise lieb hat. Erfährt sie. daß dies ein Abschied für immer ist, so könnte es einen schlimmen Auftritt geben, bei dem du besser nicht zugegen bist. Also gehe nur heim und sage dem Vater, daß ich in zehn Minuten Nachkomme. So trennten wir uns, berichtete Artur weiter. Wir waren im besten Einvernehmen. Ich freute mich, daß er noch am Leben war, daß er rechtzeitig heimkehrte, um sich noch mit dem Vater auszusöhneu und daß er sich endlich von jenem Weibe befreit hatte. Noch nie war ich so glücklich über ibn gewesen. Und gerade diesen Augenblick sollte ich