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ihnen mit Gewaltanwendung als ältester Deputirter auf den Sitz des Präsidenten beförderte Bessarabier Sakaloff von den übrigen Mitgliedern der Versammlung ebenfalls mit Gewalt wieder von jener Stelle entfernt und durch den keiner prononcirten Parteirichtung angehörigen Moldauer Beldiman ersetzt wurde. Dagegen besetzten die Rothen unter fortwährendem Tumult drei von den vier Secretairstellen der Kammer mit Leuten ihrer Farbe. Bei allen Zuschauern war der Eindruck vor herrschend, daß cs sich hier bald um noch größere Kämpfe gegen das revolutionaire Element handeln werde, und in der That ist anzu- nehmen, daß in der nächsten Woche entweder die täglich wachsende Dreistigkeit der Rothen mit Energie gebändigt oder der Sturz des Ministeriums erfolgt sein wird. Das Land ist von den Radikalen sehr unterwühlt, aber dennoch ist die Hoffnung nicht aufzugcbcn, daß die nicht kleine Partei der konservativen sich zu thatkrästigerer Unterstützung der jetzigen Regierung ermannen und derselben den Sieg sichern werde über Bratiano und seinen Anhang. Türket. Konstantinopel, 24. Juni. Das Hilss-Ccntral-Comite sür die Abgebrannten ist unermüdlich thätig. Den weniger Bedräng ten soll vorerst noch einen Monat lang Unterhalt gewährt und sodann irgendwelche Arbeit und Gelegenheit zu eigenem Fortkommen verschafft werden. Das wird freilich eine nicht leichte Aufgabe sein, da man die Anzahl der Abgebrannten auf ca. 60,000 schätzt. Die Zahl der beim Brande Umgekommenen allein soll sich auf nahezu 2000 belaufen. Der Vicekönig von Egypten hat einen großen Dampfer mit Lebens mitteln und Effecten aller Art für die Verunglückten geschickt nebst einer Summe von 5000 Psd. als Beitrag für die im Finanzministerium er öffnete Subscription. Dieser großmüthige Act des Vicckönigs hat hier einen sehr guten Eindruck gemacht und den Sultan veranlaßt, dem Geber durch Aali Pascha seinen besonderen Dank aussprechen zu lassen. Die Festlichkeiten der Beschneidung haben am 20. d. begonnen und werden die ganze Woche dauern, bis sic mit dem Jahresfest der Thronbesteigung ihren Abschluß finden. Die sür die letztere Festlichkeit bestimmten Summen sind zu Gunsten der Abgebrannten angewiesen worden, und so wird sich diese nur aus einen feierlichen Empfang des diplomatischen Corps, der Minister und Würdenträger des Reichs beim Sultan beschränken. — In Angelegenheit der türkisch-montenegrinischen Grenzstreitigkeiten ist vor wenigen Tagen von der gemischten Commission zur Prüfung jener Frage eine Depesche an die Pforte und an die Repräsentanten der Großmächte gerichtet worden, in welcher erklärt ist, daß die Commission die Hoheitsrechte der Pforte auf die Districte von Veli und Malo Brdo anerkenne, und Vorschläge, die Pforte möge den Montenegrinern für den Verzicht auf ihr Weidcrecht auf jenen Territorien eine Entschädigung von 100,000 Gulden aus folgen. Die officicllen türkischen Kreise scheinen mit diesem Arrange ment nicht sonderlich zufrieden, da sie die vorgeschlagenc Entschädigung für übermäßig hoch Haltey, und keinenfalls wird cs ohne Reclamationen gegen diese Lösunb der Streitfrage abgehen. Um indessen auch den letzten Anschein einer beabsichtigten Pression auf Montenegro zu be seitigen, soll demnächst auch das in der Suttorina etablirte türkische Truppenlager aufgelöst werden. Amerika. Aus Philadelphia wird über den ungünstigen Ausgang der Verhandlungen mit den Indianern Folgendes geschrieben: Die „rothe Wolke" hat die Verhandlungen in Washington geschlossen, den Verkehr mit den Behörden abgebrochen und verläßt die Stadt ergrimmt, möglicher Weise in der Absicht, den Krieg mit den Weißen von Neuem zu beginnen. Dieser berühmte Häuptling hat sich als ein überlegener Geist erwiesen, der durch die abgenutzten Cajolirungsmittcl der Regierung nicht hinters Licht geführt werden konnte und dessen diplomatische Gewandtheit den Künsten der Beamten, die mit ihm zu verhandeln hatten, weit überlegen war. Seine Kühnheit, Verschlagenheit und Energie haben das Land mit Bewunderung erfüllt. Als seine Forder ungen zurückgewiesen wurden, lehnte er die Annahme von Geschenken ab und verlangte stracks nach Hause geschickt zu werden. Seit Jahren hat kein so begabter Wilder Washington besucht und seine Verachtung oder sein Mißtrauen gegen die Regierung und ihre Beamten so offen dargethan. Bericht über die Sitzung der Stadtverordneten am 30. Juni 1870. Die RathSdrcrcte, die Vertauschung eines Communpserdes, — die Ab schreibung eines Almosenbeitrags, — die nachträgliche Genehmigung einer Ueberschreitung der Lumme für Lehrmittelzwecke für 1869, — die Ver nehmung der Landständischcn Bank hicrsclbst, bei der Gcmeindeanlage, — die Abschreibung verschiedener Sportelreste, — die Entschädigung des Naths- wirthschastsvoigts für Entziehung der Düngernutzung. — eine Beihülfe von 100 Thlr. zur Deckung des bei der hiesigen GewerbcauSstcllung sich etwa ergebenden Dcficits aus städtischen Mitteln betreffend, wurden angenommen. — Das Rathsdecret, die Verlängerung des Pachtvertrags bcz. der Fischerei in der Spree aus dem Tractc zwischen dem sog. Schafsteigc und dem Wehre an den drei Linden betreffend, wurde mit Lem Wunsche, daß cs bei dem bisherigen Verfahren der Licitation verbleiben möge, gegen fünf Stimmen, und das Rathsdecret, die Ausführung einer Rampcnanlagc am Theater be treffend, einstimmig abgclehnt und dafür dem Separatvotum des Herrn Bürgermeister Löhr beigetreten, nach welchem statt der Rampenanlage die Zahl der Treppenstufen vermehrt werden soll. — Nachdem hierauf das Rathsdecret, die Vermiethung von Zimmern in der alten Bürgerschule an di« Garnisonverwaltung betreffend, unter der Voraussetzung, daß monat- liche Kündigung Vorbehalten werde, genehmigt worden, wurde von der Ver ordnung der königl. Kreisdirection, die Bestätigung des Advocat Herrn Constantin als Stadtrath auf Zeit betreffend, von dem Dankschreiben des Lehrers Herrn Schumann-Leclcrq, von dem Monatsberichte für die Sparcasse und Leihanstalt auf Monat Mai 1870 Kenntniß genommen und sodann Len Gutachten der betreffenden NcchnungSscctionen über die Prüfung der Rechnungen über die Kämmereicasse auf 1865 — 1867, die Schäffcr'schen Stiftungen auf 1869, die Stadtkrankenhausanstalt auf 1868, die Franke'sche Stiftung auf 1869, den Substantialfond auf 1869, die Mättig'sche Stiftung ans 1869, die Bürgerschützencasse und die Schulze-Marche'schc Stiftung auf 1869 allenthalben beigetreten und bez. deren Juflification ausgesprochen. — Schlüßlich wurden noch die Anträge, bei dem Stadtrath anzufragen, aus welchem Grunde die früher beschlossenen Cassenrcvisioncn seit Jahren nicht mehr stattgesunden, — den Stadtrath zu ersuchen, das Regulativ über FriedcnScinguartierung baldigst zur Erledigung zu bringen, vom Collegium zu den seinigen gemacht. Seehaußcn, Vorsteher. Vermischtes. — Aus Wien vom I.Juli wird der „Presse" noch über eine zweite Fälschung berichtet: „Zu dem gefälschten Haupttreffer der Braun schweiger Loose hat sich nun auch ein gefälschter Vortccffer gefunden. In eben so künstlicher Weise wie das Loos für den Haupttreffer wurde auch ein LooS für einen Ncbcntrcffer von 6000 Thlrn. gefälscht, indem die Serien und Nummern desselben mittels äußerst seiner und fast unkennt- licher Radirung nach der Ziehung corrigirt wurden. Die Uebereinstimmung der Fälschung weist auf einen gemeinschaftlichen Fälscher. Da aber das Loos durch eine andere Person als den angeblichen Franz Scholz zur Aus zahlung präsentirt wurde, so muß man wohl annehmen, daß hier eine Fälscherbande ihr die Sicherheit des Eigcnthums höchst gefährdendes Spiel treibt. Die heute erst zur Anzeige gelangte neue Fälschung des Neben- trcffers ging der des Haupttreffers voran. Sie war offenbar ein Fühler der Bande, ob sie cs mit einem großen Posten wagen dürfe, und nachdem der erste Versuch in der That vollständig gelungen war, kam dann der große Coup zur Ausführung. Am 19. v. M., I42 Uhr Mittags, kam nämlich ein ganz unansehnlicher Mann, der sich Joseph Richter nannte, Geldhändler aus Wiener-Neustadt zu sein vorgab und als seine Adresse Nr. 365 vio-ä-vis der dortigen Stadtkirche bezeichnete, in die Wechselstube des Bernhard Pcchkranz, Lcopoldstadt, und präsentirte dort ein braun- schweig-lüncburgischeS Loos vom Jahre 1869, das in der letzten Ziehung mit dem Treffer von 6000 Thlrn. gezogen worden ist, zur Escomptirung. Das LooS glich vollständig einem echten und wurde mit 10440 Fl. bezahlt." — Bern, 28. Juni. Wieder ist eine der bis dahin unnahbaren Höhen der Schweizer Alpen bestiegen worden. Zwei Mitglieder des Schwei zerischen Alpenclubs: Emil Ober aus Interlaken und Ferdinand Springer aus Berlin, haben am >8. Juni in Begleitung zweier Führer von der Oeschinen-Alp aus den bis dahin noch von keinem Fuß betretenen, beinahe senkrecht ausstcigenden, gegen 10,000 Fuß hohen Bl ü m l iSalpsto ck er klommen. Die Genannten mußten ihr weiteres Vorhaben, über die Jung- srau das Mönchsjoch zu ersteigen, aufgcben, da bei dem Ueberschrciten des AletgletscherS leider einer ihrer Führer, ein Walliser, in einen tiefen Eis-