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Tagesordnung steht u. a. die Beratung und Beschlußfassung über den Befähigungsnachweis nach den vorgclegten Gesetz entwürfen. Die Bremer Bürgerschaft ersucht den Senat, die Schul deputation mit einem Bericht darüber zu beauftragen, wie der Religionsunterricht in den Volksschulen durch einen rein religionsgeschichtlichen Unterricht und Sittenunrer- richt zu ersetzen sei, der die edelsten Schätze der Weltlitteratur und der beiden Testamente umfasse. Uebertriebene Meldungen über einen Marineunfall sind aus Kiel verbreitet worden. Das Torpedoboot „8 124" sollte bei einer Turchbruchsübung von dem Linienschiff .Wörth" überrannt und vollständig durchschnitten worden sein; drei Heizer sollten durch Verbrühen den Tod gesunden haben. Wie sich herausgestellt hat, ist das Torpedoboot von dem Panzer zwar gerannt, aber nicht erheblich beschädigt worden. Die drei Heizer kamen nach einer Angabe mit leichten Brandverletzungen davon; nach einer anderen Mit teilung ist einer gestorben, während sich zwei außer Lebens gefahr befinden. Infolge der Weigerung zweier Zimmerleute, zu der neuen Kaffe für Arbeitslose beizusteuern, ist es in Halberstadt zu einem Streit zwischen den Arbeiigebern und den Arbeil- nehmern gekommen. Er endete damit, daß die Zimmer leute in allen Betrieben entlassen wurden. Ter Streik in der bayerischen Metallindustrie ist beigelegt worden. Die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer haben sich auf eine 58stündige Arbeitszeit in der Woche mit entsprechendem Lohnausgleich geeinigt. Tie Wiedereinstellung der nach Tausenden zählenden ausgesperrlen Arbeiter erfolgt im Verhäitnis zur Wiederaufnahme des Betriebs; Maß- regelungen finden nicht statt. Ein Lohntarifvertrag und die Einsetzung einer ständigen Arbeiterkommission sind nicht zu gestanden worden, wohl aber wollen die Arbeitgeber mit den Arbeitern selbst oder mit den Arbeiterausschüffcn in künftigen Beschwerdefällen verhandeln. Bebel wollte am Sonntag in Paris sprechen, er tritt an diesem Tage in Konstanz als Redner auf. Sollte da ein Verbot der französischen Regierung vorliegen? Zur Marokkofrage wird aus Paris gemeldet, daß die endgültige Besprechung zwischen dem Ministerpräsidenten Rouvier und dem deutschen Botschafter Fürsten Radolin wiederum um einen Tag aufgeschoben wurde. lieber die Angelegenheit wird der Ministerpräsident nicht schon in der Kammersitzung vom heutigen Freitag, sondern erst in der nächsten Woche eine Erklärung abgeben, da inzwischen noch Formfragen zwischen Paris einerseits und London und Madrid andrerseits zu erledigen sind. Tie Sache geht langsam, wird aber gut endigen. Seit Sonntag weilen 20 französische Landwirte unter der Führung des Senators Henri Ricard in Deutschland, um die landwirtschaftlichen Einrichtungen des Reiches kennen zu lernen und gleichzeitig den vorjährigen Besuch deutscher Landwirte in Frankreich zu erwidern. Zuerst wurde München besucht, von dort ging's nach Dresden und nach Halle a. S., am heutigen Freitag verlaffen die französischen Herren Halle, um den Salzbergwerken Staßfurts einen Besuch abzustatten, Vom 10. bis 13. Juli werden die Herren Gäste Berlins sein, die landwirtschaftliche Hochschule und sonstige Ein richtungen besichtigen. Es folgen Hamburg, Celle, Hannover. In Köln findet die offizielle Besuchsreise ihren Abschluß. Mankreich. In Frankreich gewinnt die Bewegung, die einer Ver- ständigung mit Deutschland zustrebt, immer mehr an Boden. Seitdem der Widersacher jedes Annäherungsver- suches, seitdem der ewige Minister des Auswärtigen Telcaffs, aus seinem Amte entfernt worden ist, mehrt sich die Zahl derer, die für die Aufnahme normaler Beziehungen zu Deutschland eintreten. Was dieser Bewegung besonderen Wert verleiht, ist die Tatsache, daß die in ihr stehenden Personen Träger der klangvollsten Namen der Republik sind. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die gegenwärtige Regierung Frankreichs die deutschfreundlichen Bestrebungen die jetzt Tag für Tag in die Erscheinung treten, unterstützt. Bemerkens wert ist auch die von verschiedenen einflußreichen Stellen der Republik ergangene Warnung vor allzugroßer Intimität mit England. Jedenfalls müsse die Gefolgschaft England überall da versagt bleiben, wo dieses zum Unfrieden und und Streit zwischen Deutschland und Frankreich anstachele. Rußland. Ler Geist des Aufruhrs und der Empörung ergreift in der russischen Marine immer weitere Kreise. Die Besatzungen sämtlicher Kriegsschiffe der Schwarzen Meer- Flotte sind rebellisch. Man hatte gehofft, daß die Mann- schäften einiger Schiffe, die sich bis dahin nicht offen für die Rebellion erklärt hatten, ihren Befehlshabern Gehorsam leisten würden. In dieser Erwartung war der Vizeadmiral Krieger mit einigen von ihm für treu gehaltenen Kriegs- fchiffen noch einmal von Sebastopol ausgezogen, um dem schlimmen „Potemkin" das Handwerk zu legen. Es stellte sich aber heraus, daß auch auf diesen Schiffen Meuterei ^ausgebrochen wäre, hätte Krieger den Befehl zum Schießen auf die Meuterer gegeben. Deswegen sah sich der bedauerns werte Admiral genötigt, zum zweiten Male unverrichteter Dinge nach Sebastopol zurückzukehren. Der „Potemkin" aber fühlt sich nicht mit Unrecht als der Herr auf dem Schwarzen Meere. Um dem Einschreiten fremder Mächte vorzubeugen, teilte er den Regierungen dieser eine Prokla mation mit, wonach das Meuterer-Schiff lediglich gegen Rußland Krieg führe, Leben und Eigentum von Ausländern aber nicht verletzen werde. In dem russischen Hafen an der Ostküste der Krim hat der „Potemkin" die verlangten Kohlen, Lebensmittel und einen Arzt erhalten. Nach einer anderen Lesart konnten Kohlen nicht geliefert werden, da die Stadt solche nicht besitzt. Kann er den Kohlenmangel nicht beseitigen, dann hat der „Potemkin" aufgehört, Ruß land gefährlich zu werden. In Li bau sollen unter den Matrosen zweier russischer Panzerschiffe neue Meutereien ausgebrochen sein. Im Kaukasus droht der Ausbruch eines allgemeinen bewaffneten Ausstandes. In Riga kam es zu blutigen Reservisten-Unruhen. Unter dem Rufe: „Nieder mit dem Kriege, wir wollen uns nicht abschlachlen lassen!" zwangen die Reservisten alle Offiziere, den Zug zu verlassen, und nötigten den Maschinisten, ohne die Offiziere nach Riga weiterzufahren. Dort angekommen plünderten die Leute das Bahnhofsgebäude. Telefonisch requiriertes Militär richtete nichts aus. Erst herbeigeeilten Kosaken gelang es, die Ruhe wiederherzustellen. 150 Personen wurden verwundet, die Rädelsführer unter den Reservisten wurden verhaftet. Der „Potemkin" hat die russische Hafenstadt Feodossia (Theodosia), die ihm Proviant und frisches Wasser geliefert hatte, bombardiert, weil ihre Einwohnerschaft die Auf forderung zum Anschluß an die Revolution ablehnten. Aus Anordnung der Behörden haben die Einwohner die Stadt verlassen. Nur die Truppen und die Beamtenschaft blieben zurück. Da die Schwarze Meer-Flotte aus den bekannten Gründen außer Stande ist, den „Potemkin" unschädlich zu machen, so befinden sich sämtliche Küstenstaaten des Schwarzen Meeres auf der Wacht gegen den gefähr lichen Gesellen. In rumänischen Häfen darf sich der „Potemkin" nicht mehr blicken lassen. Die bulgarische Regierung wies die Hafenbehörden an, alle etwa einlaufen den russischen Meuterer-Schiffe sofort zu entwaffnen oder zum unverzüglichen Verlassen des Hafens aufzufordern. Auch die Türkei hat Vorkehrungen treffen wollen; dabei stellte sich jedoch heraus, daß die wichtigen Verteidigungsanlagen am Bosporus sämtlich ohne Verteidigungsmiltel waren. Sie wurden in aller Eile mit Waffen und Munition versehen. Eine Einfahrt der Meuterer in den Bosporus soll nun mit Waffengewalt verhindert werden. Große Sorge herrscht in Konstantinopel, die unzufriedenen Elemente der Türkei könn ten mit den russischen Aufrührern gemeinschaftliche Sache machen. Die Unzufriedenheit im Reiche des Sultans steigert sich bedenklich, weil wieder einmal die Zahlung der Gehälter ausbleibt. Der russische Dampfer „Imperator Nikolai" befand sich in Konstantinopel, als seine Besatzung meuterte. Letztere will sich mit dem „Potemkin" vereinigen, nach Odessa gehen und sich der Revolution anschließen. Auf dem Dampfer der russischen Donaugescllschaft „Nikolajew" brach gleichfalls Meuterei aus. Unter den Arbeitern des südrussischen Bezirks Jekaterinas- law ist gleichfalls die Revolution ausgebrochen. Zu ihrer Unterdrückung wurde Militär aus Odessa requiriert. Ganz Rußland gleicht zur Zeit einem riesigen Pulverfaß. Türkei. Die Willkürherrschaft der türkischen Polizei hat einen neuen Streitfall zwischen der Türkei und Nordamerika hcraufbeschworen. Das Mitglied der amerikanischen Gesandt schaft in Konstantinopel Gargiulo wurde nach einer Mel dung des „Berl. Lok.-Anz." auf offener Straße von Agen ten Felim Paschas, des berüchtigten Chefs der Geheimpolizei, verhaftet, unter polizeilicher Bedeckung ins Polizeiministerium gebracht und zwei Stunden lang festgehalten. Dann gab der Polizeiminister selbst ihn frei. Die Verhaftung soll er folgt sein, weil G. aus einer österreichischen Waffenhandlung heraustrat, von der Felim Pascha angeblich seit langer Zeit erfolglos einen Bakschisch von 2000 Pfd. verlangt. Der Sultan ist der Willkür Felim Paschas gegenüber machtlos, da dieser mit dem ersten Sekretär des Sultans, Toschin Pascha, gemeinsame Sache machen soll. Felim und Taschm versuchten die Angelegenheit beizulegen, Gargiulo aber lehnte jede Verhandlung ab, da die Regelung nur zwischen der türkischen und amerikanischen Regierung erfolgen könne. Der amerikanische Gesandte verlangt die Beseitigung einer geheimen, über der verantwortlichen Polizei stehenden Macht. An der Bosporus-Einfahrt feuerten die Türken auf das Nachts heimkehrende Schiff des russischen Botschafters einen blinden Schuß ab. Der Botschafter durste seine Fahrt nur in einer Barkasse fortsetzen. Die Türken fürchten die russischen Meuterer. Aus dem Muldeutale. "Waldenburg, 7. Juli. In einer gestern Abend in Schönburger Hof stattgehabten Sitzung des Gewerbevereins ausschusses wurde die von der Gewerbckammer Chemnitz angeregte Veranstaltung eines Meisterkursus in unserer Stadt mit allseitiger Zustimmung begrüßt und beschlossen, in dieser Beziehung mit der genannten Kammer wegen der finanziellen Unterstützung des Unternehmens in weitere Verhandlungen zu treten und bei befriedigendem Verlaufe eine öffentliche Unterhaltungsteil. Aus gutem Hause. Novelle von C. Zöller-Lionheart. 8) (Fortsetzung.) Was nützt es uns jetzt im Herbst unseres Lebens, diese Rätsel noch lösen zu wollen? >anz zufällig durch ein un erwartetes Begegnen mit einem alten guten Bekannten aus jener schönen — und ach so traurig endenden — Zeit, Staatsanwalt von Gröben, ist die Erinnerung an all die vergangenen Dinge herausbeschworen und dadurch der Wunsch in mir rege geworden, Ihnen noch einmal ins liebe Auge zn sehen, und Ihnen, der Allverehrten, meine einzige Tochter zuzusühren. Vielleicht, daß ich mein liebes Kind Ihrem Schutz anvertraue, während ich meine europäische Tournee mache. Ich möchte meine Tochter so gern, ehe wir zurück- gehen, deutsches Familienleben und die schöne Gemütswelt einer echten deutschen Fran kennen lehren. Und wo könnte das besser geschehen als bei Ihnen, die Sie mein Jugend ideal gewesen? Wenn wir Ihnen willkommen sind, bedarf es nur einer Zeile, und wir sprechen zuerst bei Ihnen vor. — Ich freue mich schon im voraus auf ein Wiedersehen mit Ihnen und bin Ihr treuergebener Freund und Verehrer Kraft, Baron von Schwarzenort, z. Zeit: Hamburg, Hotel zum Kronprinzen." „Famos stilisiert, die alte Schachtel wird reinfallen," lachte Herr von Schwarzenort dröhnend und schlug sich burschikos dabei aufs Knie. „Papa, Du kannst die Kalifornier-Gewohnheiten noch immer nicht wieder los werden, es ist wenig ßsntlsoasnMs," tadelte die wohlerzogene Tochter und betrachtete selbstzu frieden ihr schönes Ebenbild im schmalen Spiegel. „Will mich bessern, Herzchen; aber die gute Carry wird schwerlich Talmi von echtem Adelsgold unterscheiden können," lachte er gut gelaunt. „Nun vielleicht um so mehr die Schwägerin, die im Hause leben soll, und der feine Sohn. Papa, Tu mußt Dich unbedingt mehr im Zaum halten und Tir bessere Manieren angewöhnen, wenn Du Deine Rollen als aller Edelmann wieder aufnehmen willst. Ter Umgang mit den Bankers und Zufallsgefährten im Goldlande hat sie total verdorben." „Dam it! Man wird das schwer wieder los! Will mich ja zusammennehmen. Erinnere mich nur immer, Töchterchen, und erzieh' Deinen alten verkommenen Papa. Bin ich nicht schon wieder viel salonfähiger, seitdem ich mit Dir zusammen bin, wie?" fragte er unterwürfig. „Sollst Lu fluchen?" sagte sie strenge. „Nennst Du das salonfähig sein? Siehst Tu, das machte mir den Ben so unleidlich, der sonst ein ganz hübscher Mensch war." „Laß den Ben ein für allemal ruhen," rief er fast zornig. Wie eine Art Grauen und Entsetzen lag's dabei in seinen scheu ausweichenden Augen. „Meinetwegen, er stört mich ja nicht mehr," gab sie gleichmütig zurück. „Was meinst Tu. Papa, wenn wir den Abend auf irgend eine billige Weise hinzubringen suchten. Hier in der Hotelstube ist's doch gar zu trostlos." „O, ganz einverstanden. Ich werde Theaterbillets be stellen." „Nein," sagte sie herrisch, „das langweilt mich, die monotone klassische Oper Fidelio oder die hochtrabende Jung frau. Ich will was Lustiges; ich möchte die großartigen Brillanten von ver Operettendiva sehen, von der sie bei Tische schwärmten." „Gut, mein Täubchen, das ist auch mein Gusto. Fehlte in jungen Jahren bei keiner Offenbach-Aufsührung im Friedrich- Wilhelmstädtischen. Na, wollen uns mal ansehen, wie sich die schöne Helena hier in der steisledernen Hansastadt aus- nimmt. Ich wüßt' mir eine Helena!" Er küßte ausdrucks voll die Fingerspitzen. „Na, das andere ist dauerhafter und gefällt mir darum besser. Mach' Dich ein bißchen zu recht, Tochter, und dann auf nach Valencia!" Er selbst steckte eine Busennadel mit einem großen Simili in den auffälligen Sportshlips mit Pserdehufenmuster. Wenn der hochgeborene Freiherr je einen vornehmen Geschmack be sessen, war er ihm in der zweifelhaften Gesellschaft der Gold gräber in den letzten zwanzig Jahren abhanden gekommen. Verstohlen schob er sogar ein Stückchen Kautabak in die rechte Wange, während Buena die letzte Hand an ihre Toilette legte, einen weißen Reismehlhauch über das Gesicht puderte, die kühngezogenen Brauen und langen Doppel- Wimpern ungeniert in Gegenwart des beifällig nickenden Papas mit feinem Pinselstrich noch ein wenig nachdunkelte, wodurch der Kontrast mit dem silberblonden Wellenhaar nur um so pikanter wurde. Um den milchweißen Hals legte sie ein schmales, rotes Sammetbändchen und gab so der englischen, vorzüglich ge schnittenen grauen Reisetoilette ein wenig Abwechslung. Als sie das schwarze, barettartige Hütchen mit schwarzen Federn aufs lichte Haar drückte und ihre amerikanisch schlanke, feingliedrige Gestalt in den Ulster schlüpfte, hätte man sich kaum etwas Schöneres und gleichzeitig mehr Chiles in vornehm einfacher Eleganz vorstellen können. „Papa, Du siehst parvenümäßig geputzt aus, fort mit den unechten Steinen und dem für Theaterzwecke unangemessenen Sportshlips. So, jetzt kannst Du Dich sehen lassen," und mit angeborenem Takt hat sie ein solides Halstuch aus dem Koffer genommen und cs dem gehorsamen Papa um den Hals gelegt. Auf der Treppe schloß sie den letzten Knopf ihrer langen, frischen Handschuhe, sah prüfend aus die schmale Fußspitze im zierlichen Knopfstiefel herunter und gab knapp und be stimmt dem höflich entgegeneilenden Oberkellner unten im Flur ihre Anordnungen. „Ein anderes Zimmer mit zwei Kabinetten im ersten Stockwerk. Keines der eleganten, verstehen Sie?" Damit war sie mit kaum merklichem Kopfneigen an dem servil ge beugten Manne vorübergegangen, als wäre er im übrigen Luft für sie, und sie eine kleine, unumschränkt gebietende Majestät. (Fortsetzung folgt.)