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Schönburger Tageblatt 1905 Sonnabend, den 28 Januar Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Senn- und Festtagen. Annahme von Inserats« für die nächster- sHeinend« Nummer bis Vormittag» '/-H Uhr. D« AbonuemeutSpreiS beträgt vierteljähr- Uch 1 Mk. SV P». Einzelne Nrn. 10 Pf. WUterangdbertcht, aufgenommen am 27. Januar, Nachm. 3 Uhr. A«ro«»terstaa- 775 mm reduziert aus den Meeresspiegel. Lherm»«eterftaad -s- 0 6. sMorgenS 8 Uhr — 4,, 6. Tiefste Nachttemperatur — 5 0.) Feuchtigkeit-» jvhukt der ^ift »ach Lambrechts Polymeter 54'/». Tuupimk! — 9" 0. Windrichtung: Nordwest. Niederschlagsmenge in den letzten 24 Stunden bis früh 7 Uhr: 0,o mm Taher Witterungsanssichten für den 28. Januar Halb bi« ganz heiter. Filialen: in Altstadtwaldenburg bei Herr- Otto Förster; in Callenberg bei Hrn. Strumpf wirker Fr. Herm. Richter; in Kaufungen bei Herrn Fr. Janaschek; in LangenchurSdors bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Herm Ml- helm Dahler; in Rochsburg bei Herrn PM Zehl; in Wolkenburg bei Herrn Herm. WÄ«- Ham; in Ziegelheim bei Herr» Eduard Kirst« »Speeche, ^77. Amtsblatt für das Königliche Amtsgericht und den Stadtrat zu Waldenburg. Zugleich weit verbreitet in den Stödten Penig, Lunzenau, Lichtenftein-Calluberg und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Ettstadt-Waldenburg, DräunSdorf, Callenberg, St. Egidien, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langmleuba-Nitderhaiu, 8a«gm leuba-Oberhain, Niederwiera, Oberwiera, Oberwiukel, OelSnitz i. E., Reichenbach, Remse, Rochsburg, Schlagwitz, Schwaben, Wolkenburg und Ziegelheim. nnH Walienbmger Anzeiger Furchtbares Schneetreiben in Nordamerika. "Waldenburg, 27. Januar 190L. Der Sturm, der sich in Petersburg, wer weiß aus wie lange, auSgetobt Hal, braust weiter durch das russische Reich. Ueberall finden Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen und dergleichen statt; eS mehrt sich die Zahl der Städte, deren Vertretungen in mehr oder minder entschiedener Form da» Verlangen nach einer Verfassung an den Zaren und di» Regierung richten. Dabei kommt eS ganz naturgemäß täg. lich zu Konflikten und Reibungen mit der Polizei, ost auch mit dem Militär. Bisher hat jedoch die bewaffnete Macht überall den Sieg davongetragen. Man darf darüber aber nicht vergessen, daß sich die Bewegung erst in ihrem LnfangS- stadium befindet, daß revolutionäre Elemente des In- und Auslandes die Massen fortgesetzt anstacheln, nicht eher zu ruhen, als bis die angestrrbten Freiheiten erreicht sind. Wie weiten Boden der Freiheitsgedanke gefaßt, und wie tief» Wurzeln er geschlagen hat, beweist der Umstand, daß sich dir intellektuellen Kreise Rußlands, Gelehrte und Künstler, Professoren und Studenten der allgemeinen Bewegung an- geschloffen und mit den Bestrebungen drr Arbeiter solidarisch erklärt haben. Die Minister sind dem neuen Generalgouverneur Trepow gegenüber machtlos. Fürst Swiatopolk-MirSki wagte nicht einmal, einer Deputation von Vertretern der Petersburger Presse das Versprechen zu geben, er werde ihre Bitte, über die jüngsten Vorgänge freimütig und wahrheitsgemäß be richten zu dürfen, dem Zaren vortragen. Trepow drückt jeden, der ihm nicht bedingungslos folgt, mit eiserner Knute nieder. Da die wenigen Zeitungen, die wieder erscheinen, die Wahrheit nicht sagen dürfen, die amtlichen Mitteilungen alles Wichtige verschweigen, und die auf Hörensagen be- ruhenden Berichte ausländischer Zeitungskorrespondenten von Urbertrcibungen strotzen, so ist es unmöglich, ein klares Bild über die einzelnen Vorgänge zu gewinnen. Pariser Telegramm» teilen den Inhalt eines Petersburger Brieses mit, nach welchem der Zar, der sür seine Person geneigt war, die Arbeiter anzuhören, einen heftigen Streit mit den Großfürsten hatte, die ihm mit einer Palastrevolution drohten, wenn er sich mit der Zarin und den kaiserlichen Kindern ins Ausland begeben sollte. Tas Gerücht ist ebenso unwahrscheinlich, wie sich das bezüglich einer schweren Erkrankung des jungen Kronprinzen Alexis als unbegründet »rwiesen hat. Unwahrscheinlich ist es auch, daß sich die Minister und Swiatopolk-Mirski öffentlich gegen die jüngsten Vorkommnisse ausgesprochen und erklärt haben sollten, sie srien ein schwerer politischer Fehler, ja ein Verbrechen ge wesen. Ein Minister, der so etwas unter der Diktatur Trepows sagte, könnte schnell Gelegenheit erhalten, in Sibirien über die Folgen einer unüberlegten Aeußerung nachzudcnken. Tatsache ist dagegen, daß der Petersburger Stadtrat anerkennenswerten Mut an den Tag legte, indem er sich aufs höchste empört erklärte über den militärischen Angriff auf wehrlose Arbeiter, die eins Bittschrift überreichen wollten, und indem er gleichzeitig beschloß, die durch das Blutbad Geschädigten zu unterstützen und 25,000 Rubel für die Verwundeten und die Angehörigen der Toten herzugeben. Auf Befehl des Zaren wurde in den Straßen Peters burg» eine Bekanntmachung des Generalgouvernrurs Trepow angeschlagen, worin die Arbeiter aufgesordert werden, zu ihrer Beschäftigung zurückzukehren. Erschütternde Szenen sollen sich Petersburger Privatdepeschrn zufolge bei dem Be- gräbnis der Opfer dcS blutigen Sonntags abgespielt haben. Um Mitternacht vom Mittwoch zum Donnerstag wurden unter starker polizeilicher und militärischer Kontrole die Leichen von 54 Opfern nach einem 14 Kilometer von Petersburg entfernten Ort Obukow gebracht und auf dem dortigen Kirchhofe in eine gemeinsame Grube eingescharrt. Eine Menge von mehreren tausend Arbeitern soll später versucht haben, die Särge wieder auSzugraben, um den Toten eine würdige Leichenfeier zu teil werden zu lassen. An diesem Vorhaben sollen sie jedoch von Truppen gehindert worden sein. Ueber Maxim Gorkis Schicksal herrscht noch immer Ungewißheit. Die Nachricht von seiner in Peters burg auf Befehl Trepows erfolgten Verhaftung wurde dementiert. Jetzt heißt es, er sei in Riga verhaftet worden. Der Arbeiterstreik soll sich einer Petersburger Meldung d»r „Berl. Ztg." zufolge sogar bis in das Lager Kuropalkins erstreckt haben. Tie russischen wie die chinesischen Eisen» bahnarbeiter in der Umgebung von Tharbin sollen wegen allzuknopper Lieferung von Brennholz sowie von Holz sür Eisenbahnschwellen die Arbeit niedergelegt und sie erst nach voller Bewilligung ihrer Forderungen wieder aufgenommen haben. Ter „blutige Sonntag" hat nach der von den Peters burger Zeitungen ausgestellten Verlustlisten 4600 Tote und Verwundete gefordert. Ter amtliche RegierungSbericht hatte die Zahl der Toten aus 96, die der Verwundeten auf 333 beziffert, die Privatmeldungen hatten von 3000 Toten und 10,000 Verwundeten gesprochen. Tie Verleger der Peters burger Zeitungen machten von ihrer Feststellung dem Minister d»s Innern Fürsten Swiatopolk-MirSki Mitteilung und fügten hinzu, sie wünschten, daß die tieferen Ursachen der Bewegung beseitigt würden, denn mit dem Uebertünchen der die Kugelspurrn tragenden Hausmauern würden weder die Erinnerung an das Vergangene noch die leitenden Ideen getilgt. Nur eine freie Presse könne für die Arbeitersür- sorge eintreten. Fürst Swiatopolk entgegnete, wie aus all» Gesuche und Adressen der jüngsten Tage, man überschätze seinen Einfluß. Auch Witte, der früher so mächtige Minister, äußerte sich ausweichend. Wie dem „B. T." gemeldet wird, liegt der Priester Gapon schwer verwundet in einem Hospital darnieder. Nach seiner G»nesung wird er vor ein Kriegsgericht und wahrscheinlich wegen Aufreizung gegen die Staatsgewalt zum Tod» ver urteilt werden. Temselb»n Blatte wird ferner gemeldet, der Herzog von Leuchtenberg habe sich nach ZarSkoje Selo begeben und dem Zaren einen vertraulichen und wahrheits getreuen Bericht über die Petersburger Vorgänge erstattet. Der Zar soll völlig fassungslos gewesen sein und die Frei lassung mehrerer Verhafteter angeordnet haben. Ter Petersburger Berichterstatter eines Londoner Blatte« entwirft laut „Voss. Ztg." folgende» Bild von der Lage in Petersburg: Tas akute Stadium der KrisiS scheint vorüber zu sein, was lediglich der Tatsache zuzuschreiben ist, daß di« überwältigende Macht auserlesener Truppen, aus denen die Petersburger Garnison zusammengesetzt ist, durchaus ver läßlich ist und, winn sie Befehl zum Schießen erhält, dies auch tut. Trepows Autorität ist unbegrenzt. Tie ungeheure Abneigung, welche alle oberen Klassen gegen die Ernennung dieses militärischen Tyrannen kundgeben, ist eine sehr be achtenswerte Erscheinung. In Moskau hat eS nur ganz wenig Tote und Verwun dete gegeben, dort haben die Kosaken mit der Knute die Demonstranten zur Ruhe gebracht. Allerdings find auch hier die öffentlichen Gebäude und Anlagen unter starken militärischen Schutz gestellt. Tas gleiche ist bezüglich zahl reicher andrer Orte der Fall. Es herrscht augenblicklich der bewaffnete Fr ede, ob und wie lange er ausrecht erhalt»» w»rden kann, beibt abzuwarten. Tie Gärung besteht fort und daher wird es auch an Explosionen nicht fehlen. Politische R«ndscha»t. Deutsches Reich. Ter heutige Geburtstag des Kaisers wird infolge der Erkrankung des Prinzen Eitel-Frisdrich in beschränktem Um fange gefeiert. Während die großen Tafeln im Berliner königSschloffe und die Galaoper ausfallen, findet der Gottes dienst in der Schloßkapelle und die GratulationScour im Weißen Saale statt. Ter Tag wird mit einem Wecken durch di« Spielleute der 2. Garde-Jnfanteriebrigade eingelritet. Während der Beglückwünschung seitens des Reichskanzler», der Präsidien des Reichstags und des Landtags, der Diplo maten, Minister, Generalität usw. wird im Lustgarten ein Salut von 101 Schuß abgefeuert. Mittags gibt der Kaiser im Zeughause die Parole aus. Am Donnerstag besuchte der Kaiser den Reichskanzler, Abends empfing er den Prin zen Karl von Bourbon, Jnfant von Spanien. Tie Lungenentzündung des Prinzen Eitel-Friedrich, deS zweiten Sohnes des Kaisers, hat bisher einen normalen Verlauf genommen. Tie Atemnot ist nicht hochgradig, der Puls ist ziemlich kräftig, das Bewußtsein klar. Naturgemäß besteht Seitenstechen und Hustenreiz, Schlaf und Nahrungs- aufnahme haben sich gebessert, die Temperatur schwankt noch, zeigt aber Neigung zum Fallen. Die Kaiserin begab sich sofort von Berlin nach Potsdam an das Krankenlager ihre» Sohnes, um ihn persönlich zu pflegen. Ter Prinz liegt im Kabinettshause, dessen Wohnräume er mit seinem ältesten Bruder teilt. Tie Umgegend des HauscS ist für den Wagen- verkehr gesperrt worden. UebrigcnS ist auch Kronprinz Wilhelm in den letzten Tagen nicht ganz auf dem Posten gewesen. Er hatte sich leicht erkältet und mußte das Zimmer hüten. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen vollzog eine umfangreiche Amnestie aus Anlaß seiner bevorstehenden Wiedervermählung. Ter Erlaß zeugt sür das warme Herz des Großherzogs. In dem Dessauer Nufruhrprozeß hat der Kaiser die Gnadengesuche der zu je 1^, Jahren Gesängnis verurteilten Soldaten Günther und Vogt einer Magdeburger Meldung zufolge abgelehnt. Eine neue Schrift des Grafen Pückler ist erschienen. Er erklärt in ihr, nicht sechs Monate Gesängnis, sondern den Orden pour le wärst« mit Diamanten und Schwertern hätte er verdient. Ter Bergarbeiterstreik zeitigt bereits schlimme Folgen für die Gruben selbst. Das Wasser ist in ihnen nach Privat meldungen stark gestiegen, besonders die Zeche Bruchstraße soll gelitten haben. Tie Belegschaften der staatlichen Gruben bei Gladbeck beschlossen di» Wiederaufnahme der Arbeit. Die Wittener Bäcker versehen die Familien der Streikenden mit Frei brot. Lie englischen Bergleute entschieden sich für die finan- zielle Unterstützung der Ausständigen und wollen keine lieber- stunden machen, damit nicht zuviel Kohlen nach Deutschland ausgesührt werden können. Tie Sozialdemokraten werde» im Reichstage die reichSgesetzliche Regelung der Forderungen der Arbeiter beantragen. Minister Möller erwartet, so wird von einer Seite versichert, die zugleich die Nachricht von seinem bevorstehenden Rücktritt als Erfindung bezeichnet, die Abschaffung des WngennullenS und das Einberechnen der Seilfahrt in die Arbeitszeit. Ter Bergdauoercin erklärt wiederholt, daß er Aufklärung darüber wünscht, ob Mißstände bestehen, die zu dem Ausstande Veranlassung geben konnten. Er bittet um schleunigste Einsetzung einer Untersuchungs kommission und ist bereit, die etwa nachgewiesenen Mißständ» sofort zu beseitigen. Von maßgebend»! Stelle wird mitgeteilt, daß die preußische Eisenbahnbehörde keine Krieg-Vorräte an gegriffen habe, vielmehr noch Kohlen für länger als vier Wochen besitze. Tie preußische Regierung beabsichtigt, dem Landtage dem- nächst einen daS Berggesetz abändernden Gesetzentwurf vor- zulgen. Tie Abänderungen betreffen voraussichtlich I. di» gesetzliche Regelung der ArbritSzrit, einschließlich der Eiil- fahrt, 2. die Regelung des Ueber- und Nebenschichtwesen», 3. die obligatorisch» Einführung von Arbeiterausschüssen, 4. daS Verbot des NullenS, 5. die Abgrenzung der Höhe der Strafen sür einen bestimmten Zeitraum. Tie Budgetkommission des Reichstags beriet da- ihr überwiesene Kapitel des Postetat-, in dem für 10,700 Unterbeamte in gehobenen Stellen 1200—1800 Mk., sür 37,175 Unterbeamte 900-1500 Mk. und für 64 Post- schaffner beim Postzeitungsamte 1000—1500 Mk. gefordert