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Freiberger Anzeiger rmd Tageblatt. Seite L» — 16. August. 18b» «richte vor. Cavaignac erklärt, er erachte sich mit den Richtern ides Kriegsgerichts von 1894, welche das Land und das Heer "gegen einen Akt des Verraths zu schützen hatten, mitverant wortlich. Seine Ueberzeugung von der Schuld des Dreyfus beruhe m erster Linie auf den Geständnissen des Dreyfus gegen über Lebrun-Renault; es seien aber auch noch andere Gründe vorhanden. Der Vorsitzende: Was halten Sie von der Fälschung Henrys bezüglich ver Thatsachen, die uns beschäftigen? Cavaignac führt aus, daß die Fälschung Henrys erst zur Revision geltend gemacht, vom Kassationshof jedoch unbe rücksichtigt gelassen wurde. Die Fälschung habe also mit den heutigen Verhandlungen nichts zu thun. Cavaignac verliest sodann ein zweites Schriftstück und schließt daraus, daß das Bordereau in den Händen eines Militärattaches war und daß es von dort in das Nachrichtenbureau gelangte. Demange bemerkt, gewisse Zeugen würfen sich als An- lläger auf, die Vertheidigung müsse antworten. Er fragt, warum Cavaignac, der sich begnüge, die Schuld des Dreyfus zu beweisen, dieses Schriftstück nicht in der Kammer verlesen hatte. Cavaignac erklärt, er hatte die Wahl dazu, er sei jr- doch überzeugt, einer Politik des Lichtes und der Staatsraison genügt zu haben. Demange macht darauf aufmerksam, daß Cavaignac behauptete, General Boisdeffrc sei am 6. November von Paris abwvsend gewesen, während Mercier erklärte, daß General Boisvesfre dort war. Cavaignac erwidert, die Abwesenheit des Generals an diesem Tage ist sicher, man wird diesen Punkt aufklären. Auf Befragen des Vorsitzenden erklärt Dreyfus : Ich bin erstaunt, daß der Mann, welcher auf der Kammertribüne die Fälschung Henrys vorbrachte, hier die Ueberzeugung von meiner Schuld aussprechen kann, indem er sich auf Treibereien stützt, welche der Kassationshof bereits erkannt hat. (Anhaltende Bewegung.) Es folgt die Aussage Zurlindens, welcher darlegt, daß die Mächte, welche Spionage betreiben lassen, die Verpflich tung haben, alles aufzubieten, um diejenigen, *deren sie sich be dienen, zu retten. Zurlinden glaubt, daß durch Dreyfus das Bordereau mitgetheilt wurde, welches er für ein entschei dendes Stück hält. Zurlinden legt dann Thatsachen dar, welche seine Ueberzeugung stützen. Er hält es für unmöglich, daß der Verräther anderswo als in den drei Bureaux des Ge neralstabes zu finden sei. Dort habe man ihn auch gesucht. Die Geständnisse Esterhazys hätten seine Ueberzeugung nicht erschüttert. Es scheine ihm unmöglich, daß einer der unterrich- tetsten Offiziere eines fremden Generalstabes sich an Esterhazy gewendet haben sollte, um die in Frage stehenden Mittheilungen zu erlangen. Zurlinden sagt schließlich: Ich glaube bestimmt, daß Dreyfus das Bordereau geschrieben hat. (Lebhafte Be wegung.) Sein System wird im Bureau des Generalstabs stuoirt. Zurlinden schließt seine Aussage mit der Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten. Auf eine Anfrage Demanges antwortet Zurlinden: Um die volle Wahrheit über das Bordereau zu wissen, müsse man die vier in demselben erwähnten Noten haben. Man müsse sie sich verschaffen. Dreyfus erklärt: Ich schließe mich diesen Worten an, auch ich will die volle Wahrheit. (Bewegung.) General Chano ine folgt sodann mit kurzen Mitthei lungen, welche in die Ueberzeugung von der Schuld des Drey fus ausklingen. Auf eine Frage des Demange erklärt Cha- noine, daß nach seinem Dafürhalten nicht die im Bordereau aufgeführten Schriftstücke selbst, sondern nur die Noten über dieselben ausgeliefert worden seien. Hanotaux sagt aus, er habe seinen Erklärungen vor dem Kassationshofe nichts hinzuzufügen. Er habe weder als Minister des Auswärtigen noch als Privatmann Kenntniß von irgend einein Dossier gehabt. Die politische Lage zur Zeit des Dreyfußprozesses sei ernst gewesen. Zeuge theüt mit, wie er durchÄtercier von der Affaire Kenntniß erhalten habe. Die von Mercier ausgesprochene Befürchtung, als er von der Affaire sprach, sei berechtigt gewesen. Mercier sei gegenüber seinen Einwendungen unerschütterlich geblieben und habe die Affaire ihren Lauf nehmen lassen. Der Vorsitzende fragt bezüglich der Erklärungen, die Ha - ,notaux gegenüber Gabriel Monod gegeben habe. Hano- taux erklärt, er habe sich niemals Monod gegenüber über die Frage der Schuld des Dreyfus ausgesprochen, er sei erstaunt, wie dieser sein Schweigen gedeutet habe. Ueber die Unterhal tung sei in drei verschiedenen Darstellungen berichtet worden, das beweise, daß die Erinnerung Monod's unsicher sei. Hierauf bittet der Regierungs - Kommissar das Kriegsge richt, Casimir Parier, Mercier und Hanotaux zu beurlauben. Die Sitzung wird sodann ohne Zwischenfall geschlossen. Nächste Sitzung Mittwoch 61H Uhr. Politisch« Umschau. Freiberg, den 15. August. . Gestern Mittag traf der Deutsche Kaiser in Arolsen zur Enthüllung des Landesdenkmals für Kaiser Wilhelm I. ein. Er wurde von der gejammten Einwohnerschaft festlich empfangen. In der Ansprache, welche der Fürst von Waldeck bei der Denkmalsenthüllung an den Kaiser richtete, dankte er demselben in seinem Namen und in dem seines Volkes. Deutscher Sinn und deutsche Treue seien stets waldeckische Art gewesen und schon sein Vater habe Deutschlands Einheit unter Preußens Führung gewollt. Er gelobe auf's Neue: „Wir Waldecker wollen treu stehen zu Kaiser und Reich. Se. Majestät der Kaiser lebe hoch!" Der Kaiser antwortete, indem er an die Rampe des Kaiserzeltes trat, er sage dem Fürsten und Volke herzlichen Dank und in der Ueberzeugung, daß die Gesinnungen des Vaters des Fürsten noch bestehen und weiter gepflegt werden, rufe er: „Der Fürst und sein Haus Hurrah!" Hieraus legten die Herrschaften Kränze am Denkmal nieder. Im Reichsschatzamt haben die Verhandlungen über die für den Reichshaushaltsetat auf 1900 angemeldeten Einzelsordernngen begonnen. Ueber einen Posten sind Erörterungen überhaupt nicht nöthig; er steht von vornherein fest und braucht nur mit der Summe eingesetzt zu werden, welche sich aus dem Rechnungsabschlusse der Hauptkasse crgiebt; es sind dies die Ueberschüsse aus früheren Jahren. In seiner Höhe wird dieser Posten jedesnial durch den Rechnungsabschluß des vorletzten Jahres bestimmt und ist auch diesmal in dem soeben veröffentlichten Finalabschluß der Reichshauptkasse festgestellt worden. Es ist möglich, daß er bei einer nochmaligen Revision eine kleine Ver änderung erfährt, bedeutend kann sie aber nicht sein, und so kann man denn sicher sein, daß sich im Reichshaushaltsetat für 1900 Äeser Poften in Höhe von 30*/, Millionen Mk. vorstellen wird. In dieser Höhe ist der Posten tvährend der neunziger Jahre noch nicht erschienen. In den ersten neunziger Jahren war er wegen ungünstiger Abschlüsse überhaupt nicht in den Etats erschienen, dann machte er einige Millionen auS. So belief er sich 1893/94 auf 14,4 Millionen, fiel 1894/95 auf 1,z Millionen, stieg 1895/96 auf 14,4 Millionen und fiel 1896/97 wieder auf 7,4 Millionen. Von da an wies er wieder eine steigende Tendenz auf, um sich in den letzten Jahrek überhaupt auf einer größeren Höhe zu halten. 1897^98 konnte er auf 12,, Millionen, 1898 auf 28„ Millionen, 1899 auf 23 Millionen nvrmirt werden. Jetzt wird er, wie gesagt, für 1899 die höchste Stufe im letzten Dezennium aufweisen. In einer solchen Höhe, wie für den nächstjährigen Etat, konnte diese Position überhaupt selten eingestellt werden. Eine beanstandete deutsche Waffensendung nach Transvaal. Eine Nachricht, tue nicht wenig Aussehen und Entrüstung Hervorrufen wird, kommt aus London: Aus der Delagoabai ist die Nachricht eingetrosfen, daß der Dampfer „Reichstag" mit Kriegsbedarf für Transvaal, worunter sich 15000 Gewehre befanden, am Sonnabend angekommen ist. Die Ladung wurde aber auf Befehl der portugiesischen Behörden sestgehalten. Ter deutsche Konsul hat vorläufig Einspruch er hoben und sich um Instruktionen nach Berlin gewandt, worüber beträchtliche Aufregung entstanden ist. — Die „Tgl. Rundschau" bemerkt dazu: Das ist ein ganz völkerrechtswidriger Eingriff der portugiesischen Behörden, denn Transvaal befindet sich nicht im Kriegszustand mit irgend einem Reiche. Reine Kriegsbefürch tungen geben den portugiesischen Behörden um so weniger einen Vorwand, Waffenlieferungen zu beanstanden, als das portu giesische Ostafrikagebiet nicht mit England in einem staatsrecht lichen Verband steht. Englische Waffenfabriken haben zuweilen den eignen Feind mit Waffen versehen. Was sollte deutsche Waffenfabriken hindern, einem Land, das zwar Gefahren aus gesetzt ist, ober den Krieg noch nicht gekommen sieht, Kriegsbedarf zu liefern? Diesen« rechtswidrigen Schritt der portugiesischen Behörden muß die Umkehr und die Sühne auf dem Fuß nach folgen. Oesterreich. Die diesjährige Hauptversammlung des nationalen Schutzvereins der Südmark findet am 10. September in Cilli statt als Antwort auf die letzte czechische Herausforderung. Die „Neue Freie Presse" erfährt, daß soeben in Wien ein hoher Staatsbeamter wegenSpionageverhaftet wurde. Es ist dies August von Mosetig, der Oberrevident der Staatsbahnen im Eisenbahnministerium. Er entwendete die aus die Mobilcsirung bezüglichen, im Eisenbahnministerium liegenden Akten, die er an Ritter von Prziboworski verkaufte. Dieser ist seit Februar flüchtig und ließ sich seine Pension bis Juni nach Brüssel bringen. Verwickelt in die Angelegenheit ist auch ein gewisser Przibitzer, der ebenfalls verhaftet wurde. Die Akten wurden an die französische, wahrscheinlich auch au die russische Regierung verkauft. Frankreich. Vor dem Lyceum wurde gestern in Rennes nach Schluß der Sitzung des Kriegsgerichts der Sekretär des algerischen Deputirten Morimaud, Masson, verhaftet. Unab hängig von dieser Verhaftung erfolgte aus Weisung von Paris Vormittag die Verhaftung des zur imperialistischen Partei ge hörigen Lorien. Gestern Montag Nachmittag 4 Uhr erschien in Paris die Polizei in Begleitung einer Compagnie Saris rspudlieaiuv und zwei Compagnien des 74. Regiments vor der Wohnung Gu 6 rins. Der Präfekt benachrichtigte Guörin, daß, wenn er sich bis 5 Uhr nicht ergeben habe, das Haus gestürmt werde. Gu6rin lehnte ab. Die Aussagen des Generals Mercier haben, darin stimmen aste Meldungen von Rennes und Paris überein, den Nationalisten und Antisemiten eine schwere Enttäuschung bereitet. Dieser Eindruck wächst, je genauer die Zeugenaussagen bekannt werden. Den Gipfel der Lächerlichkeit erreichte der General mit seiner Behauptung, daß Kaiser Wilhelm II. sich persönlich mit der Spionage beschäftige und in gewissen Ausnahmefällen die Leiter der Spionage in Paris, Straßburg und Brüssel direkt und persönlich mit dem Kaiser Briefwechsel Pflegen, was aus einem Briefe des geheimen Dossiers hervorgehe, den Schwartz- koppens Vorgänger an den Kaiser geschrieben habe. Für deutsche Leser bedarf es nicht der Versicherung, daß eine solche Vor stellung, wenn Mercier ernstlich an das, was er sagt, glaubt, allenfalls ein Zeichen von Gehirnerweichung ist! General Mercier hat sich auch ans den Advokaten de Mull oder Müller berufen, der im Schlafzimmer des Herrschers die „Libre Parole" mit dessen eigenhändiger Aufschrift „Dreyfus ist gefangen" ent deckt habe. Es wäre sehr interessant gewesen, diesen Ehrenmann vor Gericht auftreten zu sehen. Aber er zieht es, ebenso wie Esterhazy und du Paty de Clam, vor, von Rennes fern zu bleiben. Weit davon ist gut Vorm Schuß. Der Draht meldet aus Rennes, daß Herr „de Müller" aus Lille dem Obersten Jouaust mitgetheilt habe, er werde einer gerichtlichen Zeugen vorladung nicht Folge leisten. Giebt es denn in Frankreich keinen Zeugnißzwang? Kläglich sind Merciers Auslassungen über die entsetzliche Gefahr, worin Frankreich bei den Verhand lungen mit dem Grafen Münster geschwebt habe. Der französische Kriegsminister sah sich „zwei Finger breit vom Kriege". Und Frankreich war nicht fertig. Die Beschwichtigungen der Diplo matie erschienen Mercier unglaubwürdig; denn sie waren nur „von der Stnatsraison diktirt". Die diplomatische Lage Frank reichs war zweifelhaft: „Wir wußten nicht, ob Nikolaus II. die Militärkonventionen genehmigen, ob Rußland marschiren würde." Also ohne Rußland war Frankreich völlig außer Stande, einen Krieg zu führen. Das sind die „niederschmetternden Enthüllungen" des kühnen Degens. Was man wohl zu diesen Vorgängen in Rußland sagen wird? Man begreift jetzt, daß die französische Negierung in Voraussicht solcher „Enthüllungen" das Bedürsniß empfunden hat, Herrn Delcasss schnell nach Petersburg zu schicken. Aber man begreift jetzt auch, daß sie an ein neues Komplott zum Umsturz der Verfassung glaubt. Neber den Mordanschlag auf Labori bringt der Draht noch nachstehende ausführliche Meldung aus Rennes, 14. August: Die Kugel ist Labori in die Weichtheile des Schulterblattes ge drungen. Nach dem Bekanntwerden des Attentats eilten zahl reiche Journalisten, Advokaten, Polizisten und Gensdarmen her bei. Auf Wunsch Laboris wurde der Arzt vr. Reclus sowie ein Wagen herbeigeholt, in welchem Labori sofort nach seiner Wohnung geschafft wurde. Obgleich er matt war, bestieg Labori den Wagen mit Hilfe seiner beiden Sekretäre. Der Thäter floh in der Richtung des einen Kanalarmes. Wäscherinnen, welche den Fliehenden sahen, gaben den ihn verfolgenden Polizisten eine ungefähre Beschreibung. Danach ist der! Mörder von mittlerer Größe, trägt schmutzige, zerlumpte Kleider und eine Tuchmütze. Etwa 20 Polizisten folgten dem Mörder in der angegebenen Richtung. Bisher blieben die Nachforschungen erfolglos. Der Polizeipräsident und der Präfekt, welche von dem Attentat im Sitzungssaale deS Kriegs gerichts hörten, begaben sich sofort zu dem Verwundeten. Labori war im Augenblicke des Attentats nicht allein, sondern befand sich in Begleitung des Oberstleutnants Picquart und Gast's, in deren Arme er fiel. Beide verfolgten, nachdem sie den Ver wundeten auf die Erde gelegt hatten, sofort den Mörder und machten die am Kanal beschäftigten Arveiter unter den Rufen „Mörder" auf den Flüchtigen aufmerksam. Einer der Arbeiter versuchte ihn aufzuhalten. Der Mörder trat ihm mit erhobenem Revolver entgegen und rief: „Lassen Sie mich, ich habe soeben Dreyfus getödtet". Der Arbeiter ließ den Mörder fliehen, welcher jedoch immer noch von den Freunden Laboris verfolgt wurde. Ein Radfahrer berichtete, daß der Mörder sich auf dem Felde auf dem Wege nach dem Schlosse Diron verborgen habe und von Picquart und Gast verfolgt werde. 20 beritteneUGensdarmen machten sich zur Verfolgung des Mörders auf. — Nachdem Labori zu Boden gestürzt war, wurden ihm von einer bisher unbe kannten Person — zweifellos einem Mitschuldigen des Attentäters mehrere Briefe aus der Rocktasche gestohlen; darunter befindet sich ein Brief Clömenceau's an Jaures und ein Brief Reinachs an Labori. Es heißt, die Briefe seien ohne Bedeutung. Die Polizei ist überzeugt, daß Labori einem regelrechten Komplott zum Opfer fiel. Portugal. In Oporto sind bisher 33 Pest-Erkrank ungen vorgekommen, von denen 9 einen tödtlichen Ausgang nahmen. In letzter Zeit ist kein neuerlicher Fall zu verzeichnen. Der Generalsekretär der evangelisch-sozialen Kongregation in Berlin, Dr. Paul Rohrbach, beendet in der Tägl. Rundschau seine Reiseschilderungen aus Armenien. Ueber die fürchter- lichenMetzeleien im vorigen Jahr schreibt er aus Palu vom 8. September 1898: „In Palu ist unter den Arme niern fürchterlich gemordet worden; überhaupt sieht das ganze Land aus, als ob die Kriegsfurie darüber hingejagt wäre. Das Gebirgsland zwischen Surp-Karapet und Goiga ist fast nur von Kurden bewohnt, soweit es nicht überhaupt menschenleer ist, aber vier Stunden vor Palu fängt verhältnißmäßig ebenes Terrain an, und dies Gebiet ist bis zu den Metzeleien dicht be wohnt und gut angebaut gewesen. Jetzt reitet man durch lauter Ruinen, und es war vergebliche Mühe, als einer unserer Saptiehs unaufgefordert bemerkte, dre Dörfer schienen nur des halb so verlassen, weil die Leute auf der Feldarbeit seien. Man sah an Allem, daß die halbzerstörten Gehöfte seit lange unbe wohnt dagestanden. Hin und her ein paar zerlumpte Menschen unter eingestürzten Dächern — und das in einer Gegend, wo nach Bewässerung, Fruchtbarkeit und Klima zweihundert Seelen auf dem Geviertkilometer existiren könnten! Ist es denn wirk lich denkbar, daß man in Konstantinopel bei gesunden Sinnen dieses wahnsinnige Abschlachten und Ausrauben der eigenen Unterthanen befohlen hat? Wenn wir wirklich des Sultans beste Freunde sind, wie ich hier wieder von dem prächtigen Weiß bart, der Kaimakam von Palu ist, unzählige Male höre, so müßten unsere Diplomaten in Stambul wirklich ein Wort der Aufklärung über das Geschehene und die unausbleiblichen Fol gen wagen. Ich habe einen edlen und gebildeten Türken kennen gelernt, der nnt trauriger Miene bestätigte, daß Alles auf direk ten Befehl von oben geschehen sei: „Es ist ein Unglück, ein großes Unglück für das Land! Gott wird solche Grausamkeit strafen — hier in der Stadt haben sie einen reichen Armenier ge schlachtet, am Metzgerhaken aufgehängt und das Fleisch pfund weise als Hundefutter verkauft!" — Vom Euphrat, lO.Septbr., berichtet der Reisende: „Gestern Mittag verließen wir Palu. Das Armenierelend dauert ununterbrochen fort. Beim Ab reiten aus Palu wollte uns ein Haufen armenischer Wittwen zurllckhalten. Sie streckten uns ihre halbverhungerten Kinder entgegen: „Nehmt sie mit, nehmt sie mit, der Winter kommt und wir haben kein Brod! Bringt sie doch nach Charput ins Waisenhaus!" Was helfen da ^n paar Silbermünzen! Ob wohl Jemand daheim bei uns, der meine Zeilen liest, eine Re gung des Erbarmens spürt? Ich habe den Frauen versprochen, von ihnen nach Deutschland zu schreiben und wenn ich wieder in meiner Heimath bin, von ihrem Elend zu erzählen. Gestern Abend gelangten wir in ein Armenierdorf, eine halbe Stunde vor der Euphratfähre. Es war natürlich völlig ausgeplündert. Im abendlichen Dämmerlicht besahen wir uns die verwüstete Kirche: die armen Leute machen sich jetzt eben daran, sie wieder für den Gottesdienst herzurichten. Der Dorfpriester und der Hauswirth tranken mit uns auf dem Dache unseren Thee; her nach bat der Pfarrer sich einige Stückchen Zucker aus. Seit dem Massacre sind die Leute hier so verarmt, daß sie keinen Zucker mehr gesehen haben." Durch die von den gesetzgebenden Körperschaften der Ver einigten Staaten angenommene Armee-Bill wird der Stand der Infanterie um vier Compagnien pro Regiment, jener der Artillerie um 14 Batterien erhöht, die Kavallerie bleibt un verändert. Die reguläre Armee wird demnach aus 25 Infan terie-, 10 Kavallerie- und 7 Artillerie-Regimentern, dem Genie-, dem technischen Artillerie-, dem Signal- und dem Kadetten corps bestehen. Die bisher in zwei Bataillone gegliederten Infanterie-Regimenter zählen nunmehr je 3 Bataillone zu je 4 Compagnien mit einem Stande der letzteren von 1 Haupt mann, 2 Leutnants, 12 Unteroffizieren und 53 Mann. Jede- der Kavallerie-Regimenter formirt 3 Escadrons zu je 4 Zügen, von denen jeder emen Stand von 1 Rittmeister, 2 Leutnants, 14 Unteroffizieren, 51 Gemeinen hat. Die Escadrons werden durch Stabsoffiziere befehligt, denen je 1 Offizier als Adjutant zugewiesen ist. Die Artillerie wird zu 7 Reg. zu je 4 Batt, mit je 6 Geschützen gebildet werden. Der Stand der Batterien ist verschieden, je nachdem sie zur Feld- oder Festungsartillerie ge hören. Sie zählen 1 Hauptmann, 2 bis 3 Leutnants, 18 bis 20 Unteroffiziere und das dazu erforderliche Mannschaftspek- sonal. Küstenbatterien führen überdies je einen Elektrotech niker im Stande. Die Bill sieht die Anstellung von 3 General majors und 6 Brigadegeneralen vor. Als Kriegsminister fungirt der jeweilige Staatssekretär des Krieges. Der Präsident wird durch die Bill ermächtigt, während der Feindseligkeiten die reguläre Armee auf 65000 Mann als Höchstbestand zu brin gen und zur Aushülfe noch 35000 Freiwillige einzuberufen, welche in 27 Infanterie- und 3 Kavallerie-Regimenter zu or- ganisiren sind. Der durch die Bill angeordnete höhere Stand darf jedoch nur bis 1. Juli 1901 eingehalten werden, worauf die reguläre Armee auf 38000 Mann vermindert werden muß, sodaß die Gesammt-Landstreitmacht der Vereinigten Staaten dann nur etwa 10000 Mann stärker sein wird als vor Ausbruch des Krieges mit Spanien. Um die Aufstellung vonFreiwilligen- formationen im Bedarfsfälle zu erleichtern, hat die Armee-Bill den Regimentsstäben eine Anzahl von Offizieren aller Grade zugetheilt, so bei jedem Infanterie-Regiment außer 1 Oberst, 1 Oberstleutnant und 3 Majors 14 Hauptleute und 28 Leut nants, bei der Kavallerie außer den Stabsoffizieren 14 Ritt meister und 28 Leutnants, bei der Artillerie außer den Stabs offizieren 16 Hauptleute und 30 Leutnants.