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,8V Freiberger Anzeiger nnb Tageblatt. Seite 2.-5. August. 18S» bestehenden Rahmens zu rechnen war. Wäre nachzuweisen, daß der Hudrang zu der Offizierslaufbahn im Nachlassen be griffen wäre, so müßte man hieraus allerdings Bedenken ab leiten. Dies ist aber nicht der Fall. Denn der Zudrang zur Annahme als Offiziersaspirant ist im Gegensatz zur Zahl der erfolgten Aufnahmen in einer rasch und bedeutend steigenden Bewegung begriffen. Invaliden- und Altersrente. Mit großer Geschwindig keit nimmt, wie der neueste vom Reichsversicherungsamte aufge stellte AuSweiS über die am 1. Juli d. I. laufenden Jnvaliden- and Altersrenten zeigt, der Ueberschuß der ersteren über die letzteren zu. Noch im vorigen Jahre überwog die Zahl der laufenden Altersrenten die der Invalidenrenten, und jetzt ist das umgekehrte Verhältniß fast schon in dem Maße eingetreten, daß die letzteren zu den ersteren wie 3 : 2 stehen. Es wird nicht lange dauern, dann wird die Zahl der Invalidenrenten die der Altersrenten um das Doppelte übersteigen, was um so wahr scheinlicher ist, als die Zahl der laufenden Altersrenten immer noch einen Rückgang gegen frühere Termine zu verzeichnen hat. Bei einer solchen Sachlage bedarf es wohl keiner weiteren Rechtfertigung, wenn das neue, am 1. Januar 1900 in seinem ganzen Umfange in Kraft tretende, diese Rentenzahlungen ver bürgende Gesetz den Namen Jnvalidenversicherungsgcsetz erhalten hat, während daS jetzt noch in Geltung befindliche, aus dem Jahre 1889 stammende Gesetz die Bezeichnung Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz führt. Die Invalidenversicherung wird bei diesem Bersicherungszweige eben bald so überwiegen, daß sie die Altersversicherung vollständig in den Schatten stellt. Es darf schließlich noch auf den interessanten Umstand hingewiesen werden, daß in der Mitte des laufenden Jahres die erste halbe Million I derjenigen Personen, welche auf Grund des Jnvaliditäts- und jMtersversicherungsgesetzes Renten erhalten, nahezu erreicht war, demnach jetzt wohl schon überschritten ist. Noch überwiegt die Zahl der auf Grund der Unfallversicherungsgesetze Entschädigungen erhaltenden Personen, es dürfte aber nicht lange mehr dauern, biS auch dieses Verhältniß sich geändert haben wird. In Preußen läßt daS Ministerium deS Innern während der nächsten großen Truppenübungen Erhebungen darüber vornehmen, ob in der That ein Mißverhältniß zwischen denLeist- nngen der Quartiergeber und der durch die Militär verwaltung gewährten Entschädigung und in welchem Umfange dasselbe besteht. Veranlassung hierzu dürfte u. A. ein Bittgesuch der mittleren und kleineren Städte Badens gegeben haben, welches durch die badischen Kammern dem dortigen Ministerium befür wortend zum Zwecke entsprechender Antragstellung beim Bundes- rath überwiesen wurde. Ueber die Richtung der deutschen Auswanderung- Der größte Theil der deutschen Auswanderer hat sich in den letzten Jahrzehnten stets den Vereinigten Staaten zugewandt, z. B. 206189 im Jahre 1881 und 19030 im Jahre 1897. Neben den Bereinigten Staaten kommt für einen allerdings erheblich kleineren Theil der Auswanderer Brasilien in Betracht, ferner daS übrige Amerika, neuerdings auch in steigendem Maße Afrika. Die Auswanderung nach Asien ist sehr gering, nach Australien war sie Anfang der 80er Jahre etwas größer. Die Aus wanderung nach Brasilien hatte in den Jahren 1890/91 ihren Höhepunkt erreicht. Im Jahre 1897 betrug sie nur 899. Ein neuer Aufschwung winkt ihr durch die Begründung der beiden Kolonisations-Gesellschaften für Südbrasilien, welche erhebliche Landstriche erworben haben und eine planmäßige Besiedelung für Südbrasilien inS Leben zu rufen im Begriff sind. Der einen Gesellschaft ist bereits auf Grund des neuen Auswanderungs gesetzes die Konzession von jährlich maximal 4000 Auswanderern durch den Reichskanzler ertheilt. Nach Australien hatten sich nur 1883 mehr als 2000 Deutsche gewandt; nach Afrika im Jahre 1883 772, sonst war die Zahl bis zum Jahre 1891 stets unter 500 geblieben, ist seither aber gestiegen und belief sich im Jahre 1897 auf 1103. Die Auswanderung nach Asien hat noch nie die Zahl 300 erreicht. Bon der Gründung der Vereinigten Staaten bis Mitte 1898 betrug die Einwanderung 18^ Millionen. Sie erreichte ihren Höhepunkt im Jahre 1882 mit 788992 Ein wanderern. Von 1881 bis 1890 stellten die Bereinigten König reiche von Großbritannien und Irland — namentlich in Folge der außerordentlich starken Abwanderung auS Irland — von diesen Amerikafahrern 1466426; es folgt Deutschland unmittel bar mit 1452592. Von den 62 622250 Einwohnern der Ber einigten Staaten waren im Jahre 1890 Deutsche 2784894, die unter allen Fremdgeborenen an der Spitze standen. Es folgten Irländer mit 1871509, Engländer mit 909092, Schweden mit 478041 rc. Die Stadtverwaltung von Metz hat an einer Reihe von Straßenecken neben den bisher allein vorhandenen deutschen Straßenschildern französische anbringen lassen. Die „Tägl. Rdsch." bemerkt dazu: Dreißig Jahre ist es ohne französische Schilder gegangen und nun müssen auf einmal französische Schilder her. Hat die Gemeindeverwaltung vergessen, daß am 18. August der Kaiser zu einer besonderen Feier nach Metz kommt? Soll das die Begrüßung sein? Und wird die vorgesetzte Behörde diesen Beschluß des Gemeinderaths nicht umstoßen? Es liegt alle Ver anlassung dazn vor. Die Bevölkerung kennt die deutschen Be zeichnungen, es ist kein Grund vorhanden, sie nun auf einmal durch französische zu ersetzen. Der Schrift st eller Wedekind wurde gestern wegen Majestätsbeleidiguug im „Simplicissimus" von der Strafkammer des Landgerichts Leipzig zu 7 Monaten Gefängniß unter An rechnung von einem Monat Untersuchungshaft verurtheilt. Es handelt sich hierbei um die Veröffentlichung zweier die Palästina fahrt des Kaisers behandelnder Gedichte, deren Verfasser Wedekind ist. Sie wurden im Oktober 1898 in Nr. 31 und 32 der illustrirten Wochenschrift „Simplicissimus" unter den Titeln „Im heiligen Lande" und „Eine Palästinafahrt" veröffentlicht. Der Vorstand des Arbeitgeberbundes für daS Bau gewerbe von ganz Deutschland war am Mittwoch in Berlin versammelt. Die Versammelten faßten folgende Beschlüsse: Im Anschluß an die örtlichen Bauarbeitgebervereinigungen sind in ganz Deutschland obligatorische Arbeitsnachweise auf unparitätischer Grundlage zu errichten. Einheitliche Entlassungsscheine, deren Wortlaut vom Vorstand festgesetzt ist, werden in Anschluß an die Arbeitsnachweise eingeführt. — An den Bundesrath wie an Ministerien sämmtlicher Bundesstaaten, ferner an die Mitglieder der konservativen Fraktion und des Centrums wird ein Protest gegen Errichtung paritätischer Arbeitsnachweise gesandt. — Die Arbeitgeberverbände von ganz Deutschland sind zu veranlassen, Resolutionen zu Gunsten des Gesetzentwurfes zum Schutz des gewerblichen Arbeitsverhältnisses zu fassen und diese dem Reichs tag, dem Bnndesrath und dem Reichsamt des Innern zu über senden. — Die fertiggestellten statistischen Ermittelungen über die Lohn- und Arbeitsverhältnisse im Baugewerbe von ganz Deutsch land werden den örtlichen Verbänden zugeschickt. Im rheinisch-westfälischen Kohlenrevier finden zahlreiche Ausweisungen lästiger Ausländer statt. Der Landrath des Kreises Dortmund wies aus einer Gemeinde die gesammte Familie eines österreichischen (polnischen) Bergmanns aus. Alle Aus länder, die sich beim letzten Ausstande lästig erwiesen oder sich agitatorisch hervorgethan haben, werden ausgewiesen. Aus Kiel wird der „Schles. Ztg." geschrieben: Geheimrath krupp wird für die auf seiner Werft beschäftigten Arbeiter eine große Arbeiterkolonie anlegen. Er hat bereits ein großes Terrain für 335000 Mk. angekaust, mit dessen Bebauung bald iegonnen werden soll. Die Kolonie soll 700 Doppelhäuser um assen, also Wohnungen für 1400 Arbeiter bieten. Es sollen in- lessen nur verheirathete Arbeiter dort zugelassen werden. Da die Werft nach beendetem Ausbau im Ganzen 7000 Personen be- chäftigen soll, werden */, derselben in Kiel und Gaarden Wohnung rehmen müssen. Die Arbeiterkolonie wird etwa 15 Minuten von der Werft entfernt liegen. Oesterreich-Ungarn. In Reichenberg fanden an mehreren Tagen Straßenkundgebungen gegen die lÄhöhung der Zucker teuer statt. Die Gensdarmerie ging mit gefälltem Bajonett vor, ein junger Mann wurde durch einen Bajonetstich verwundet, mehrere Verhaftungen wurden vorgenommen. Ucbereinstimmende Wiener, Prager und Budweiser Meldungen kündigen die unmittelbar bevorstehende Ernennung des Budweiser Bischofs vr. Rziha, eines czechischen Fanatikers, zu« Erzbischof von Prag an. Die Besetzung des Prager Erz stuhls hat auch für das deutsche Reich Interesse, denn unter de» Prager Diözesanen befinden sich 166000 preußische Staatsbürger, die Katholiken der Grafschaft Glatz. Unbekümmert um diese, unbekümmert um die 700000 deutschen Katholiken, die zu der Prager Erzdiözese gehören, hat Graf Thun, wenn jene Meld ungen den Thatsachen entsprechen, einen Mann zu ihrem Ober hirten ernannt, der als ein leidenschaftlicher und zäher Gegner ihrer nationalen Interessen seit Jahren bekannt ist und sich ihrem dringenden Verlangen nach deutschen Pfarrern und Kaplänen noch weniger zugänglich erweisen wird als seine letzten Vorgänger, die Kardinäle Graf Schönborn und Fürst Schwarzenberg. Als Bischof von Budweis hat vr. Rziha als eifriger Czechisirer ge wirkt, überall in Südböhmen fand ihn das Deutschthum unter seinen Bedrängern, wenn er es auch mit echter Slavenschlauheit möglichst vermied, mit seiner Person hervorzutreten. Er wird in Prag kein anderer sein, als er in Budweis gewesen. Die Erhebung dieses Mannes auf den Erzstuhl von Prag ist ein Streich gegen da? Deutschthum, der deutlich erkennen läßt, daß Graf Thun mit vollen Segeln im czechischen Fahrwasser steuert. Der Los von Rom-Bewegung wird die Ernennung vr. RzihaS neue Kraft zusühreu. Je eindringlicher den Deutschen ins Be wußtsein gebracht wird, daß die Machtmittel der römischen Kirche andauernd in den Dienst ihrer nationalen Tod feinde, der Slaven, gestellt werden sollen, in um so größerer Zahl werden sie sich von der Kirche abwenden. Es sollte nicht Wunder nehmen, wenn die amtliche Verkündigung der Er nennung des Bischofs Rziha zum Erzbischof von Prag mit Massenaustritten katholischer Deutschböhmen aus der römischen Kirche beantwortet würde. Zur Prager Erzdiözese gehören die rein-deutschen Vikariate Eger (54 852 Seelen), Falkenau (53 667), Graslitz (67 752), Joachimsthal (41 236), Lichtenstadt (79 990), Luditz (29 024), Mies (34 801), Plan (29 272), Thrusing (33 739) sowie das nahezu rein-deutsche Tepl (28 241), zusammen 479 732 Seelen, wozu noch die Deutschen des Pilsener Vikariats und die 166 059 Seelen der preußischen Grafschaft Glatz kommen. Wahrscheinlich wird eine weitere Folge der Ernennung eines czechischen Erzbischofs das verstärkte Wiederauftreten der alten Forderung sein, die obengenannten deutschen Vikariate in Böhmen von der Prager Erzdiözese abzulösen und zu einem eigenen deutschen Bisthum zu gestalten, dessen Sitz Eger sein könnte. Dieses Bisthum mit seinen rund 480 000 Seelen wäre immer noch größer als das ganze Erzbisthum Salzburg mit 243 450 Seelen oder die ErzbiSthümer Görz und Zara mit 219 288 und Steffie's Herrath. Roman von Heinrich Lee. (14. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Komm!" sagte er wieder — „wir bleiben ganz zurück." Auch Steffie war in Gedanken gegangen. Manchmal, inmitten ihres Glücks, schlich ein Gefühl über sie — ein Gefühl, vor dem sie sich entsetzte, weil es überhaupt möglich war, daß es in ihr Raum gewinnen konnte — das Gefühl, daß er sie nicht liebte. Niemand, weder Kurt, noch Leonie, am wenigsten Max selbst durfte auch nur die leiseste Ahnung davon haben. Sie wäre vor Scham vergangen — vor Scham darüber, daß sie im Stande war, ihm eine solche Lüge zuzutranen, vor Scham, daß sie eine solche Thörin sein konnte. Denn wenn er sie nicht liebte, so hätte er sie ja nicht zu seiner Frau begehrt. Schnell, wie das häßliche entsetzliche Gefühl in ihr gekommen, so verschwand es vor dieser Vorstellung dann auch immer wieder und wolkenlos, wie jetzt der blaue Himmel über ihr, strahlte sie das Glück, die Zukunft von Neuem wieder an. Sie fragte sich dann nur noch, ob andere Männer gegen ihre Braut wohl zärtlicher waren. Wenn er sie beim Kommen und zum Abschied küßte, ost nicht einmal auf den Mund, sondern nur auf die Stirn, auf die Wange oder gar auf die Hand, so schauerte sie zusammen — noch ganz so, wie damals, als sie zum ersten Male sein Mund berührte. Aber sesn Kuß, das spürte sie, war nicht wie der ihre, bei dem ihre Lippen brannten, zitterten. Wenn er mit ihr sprach, geschah es ruhig und freundlich und nur über Dinge, über die sie auch mit Leonie zu reden pflegte; nicht einmal den scherzhaften Ton, den er, bevor sie seine Brant g-worden war, so oft ihr gegenüber angeschlagen hatte, fand er iv c^er. Es war, als ob er matt und müde wäre. Angstvoll stieg dann auch die Frage vor ihr «uf, ob er vielleicht einen geheimen Kummer bekommen hätte, den er vor ihr verbarg. Aber als sie einmal wagte, ihn selbst darum zu fragen, lächelte er darüber und wollte von ihr wissen, wie sie auf einen solchen Gedanken käme. Ein schwerer Stein fiel ihr vom Herzen. Sie bangte sich um Dinge, die nur in ihrer Phantasie vorhanden waren. Und mochte es auch so sein, daß er sie weniger liebte, als sie ihn — verstand sich das nicht ganz von selbst? War eS nicht schon wunderbar genug, daß er sie überhaupt ein wenig lieb hatte? Uebertraf das nicht die kühnsten Träume, die sie jemals gehegt hatte? Wenn sie noch mehr von ihm verlangte — war das nicht eine schnöde Undankbarkeit von ihr? Was er ihr von Liebe gespendet, das war ihr wie ein Geschenk vom Himmel zugefallen. Statt sich aber ihres theuren Schatzes zu freuen, wollte sie nun daran mäkeln. Sie war, wie sie sich dann vorwarf, ein schwärmerisches Mädchen und für einen Mann, wie er es war, hätten sich solche dumme Schwärmereien nicht einmal gepaßt. Manchmal überfiel sie auch ein sonderbarer Wahn. Als wäre ihr Glück gar nicht Wirklichkeit, als wäre Alles nur ein Traum, der plötzlich wieder zerrinnen mußte. Dann hätte aber ja das ganze Leben nur ein Traum sein müssen. Nein, sie wollte nicht mehr grübeln, an ihrem Glücke sich nicht mehr versündigen. „Bist Du glücklich, kleine Maus ?" fragte sie der Onkel einmal in seiner guten Laune. „Steffie, bist Du glücklich?" fragte sie zärtlich, als sie wieder allein zusammen waren, Curt. „Bist Du jetzt glücklich?" fragte sie Leonie mit einem so befriedigten Lächeln, als handle es sich dabei um ihr eigenes Glück. Und „Ja" hatte sie dreimal strahlend erwidert und es sollte keine Lüge gewesen sein. Ja, sie war es — glücklich! Seite an Seite gingen sie jetzt — ganz allein. An der Brust trug sie seinen Strauß, um den er sich für sie gebückt hatte. Weil sie stehen geblieben waren, waren die Anderen ihnen ein Theil Vorans. Wenn er sie jetzt, wo Niemand sich um sie kümmerte, an sich zog und sie küßte, Niemand hätte es gesehen. „Komm," hatte er gesagt — „wir bleiben ganz zurück." Es war ihm also nicht lieb, daß er so mit ihr allein war. Ein leises Wchgefühl stieg in ihr ans. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Fürchtest Du Dich so davor?" fragte sie schüchtern. Im nächsten Augenblick bereute sie ihre Worte schon. Er sah sie nüt einem merkwürdigen Blick an. „Was Du sprichst," erwiderte er und seine Stimme klang fast ungehalten. Der kleine Verweis schien ihm aber gleich wieder- leid zn thun und in einem gezwungen scherzhaften Tone fügte er hinzu: „Leonie wird noch glauben, daß wir Geheimnisse mit einander zn verhandeln haben." In Stesfies Augen drängte sich etwas Bitteres, eine auf- steigende Thräne, aber tapfer kämpfte sie das verrätherische Naß zurück. Ein Geheimniß! Nein, ein Geheimniß hatten sie nicht. „Das ist wahr," sagte sie so heiter, daß er nicht merken konnte, was in ihr vorging - „wir wollen schneller gehen." Er fühlte, daß er sie in feiner Unvorsichtigkeit verletzt haben mußte und dennoch ließ sie sich vor ihm nichts davon wahrnehmen und zeigte ihm noch ein frohes Gesicht. Es wäre ihm jetzt lieber ge wesen, wenn sie geschmollt hätte. Zeigte sie ihm dies frohe Ge sicht aber nicht immer? Verdiente er es denn von ihr? Mußte sie, so eifrig er auch sonst alle Pflichten eines aufmerk samen Bräutigams gegen sie zn erfüllen sich bemühte, weil das der Schein von ihm nun einmal verlangte — mußte sie nicht, wenn er mit seiner Küble ihr ihre schüchterne Zärtlichkeit vergalt, in einem Winkel ihres Innern endlich spüren, daß er es nur ge zwungen that. Zum ersten Male fiel ihm an ihr etwas aus, etwas Neues — in diesem Augenblicke. Sie heuchelte vor ihm und ans einem guten nud zarten Gefühl. Von dieser Seite hatte er sie bisher nicht gekannt. Was war das? Ein dummes Gänschen, das fein Schicksal geworden, war sie sür ihn gewesen. Hatte er sich etwa in ihr geirrt? War sie nicht ganz so dumm? Dann hatte er sich nicht nur soeben, sondern überhaupt von der ersten Stunde seines Brautstandes an sehr ungeschickt be nommen — ja, noch viel mehr als das. Wenn sie nicht das dumme Gänschen war, in aller Welt, wie hatte er ihr diese ganze Komödie bisher glaubhaft zu machen versucht? Blitzschnell schoß ihm das Alles durch den Kopf. Thorheit! Es mußte Thorheit sein. Als widerspräche dem, was er sich da über sie zurecht lege, nicht ihr ganzes übriges Wesen. Und doch — er war gegen sie zn hart gewesen. „So brauchen wir nicht zu eilen", sagte er, als sie anfing, ihre Schritte zu beschleunigen — „vielleicht willst Du mir auch wirklich etwas sagen ?" Seine Stimme klang freundlicher, so wie früher, als sie noch nicht Braut und Bräutigam geworden waren. Steffie schüttelte, ohne zu ihm aufzusehen, den Kopf. „Nein", flüsterte sie leise. Wieder spürte er ein Mitleid mit ihr, wie damals, in dem Augenblicke, als sie ihm gegenüber zitternd an der Thür stand, nm seine Werbung anzunehmen. „Du bist mir gewiß böse!" Steffie schüttelte abermals den Kopf, nur noch heftiger. „Sieh mich doch einmal an." Als sie nicht Folge leisten wollte, blieb er stehen, nahm ihren Kopf in ihre Hände und hob ihn, wie sehr sie sich auch sträubte, zu sich empor. In ihren Augen standen zwei dicke Thränen. „Stesfie, Du weinst!" sagte er betroffen. Die Tropfen rannen ihr jetzt über die Wangen herab, aber sie gab sich noch Mühe, dabei zu lächeln. „Steffie!" Er entsetzte sich. Wenn Leonie, wenn der Oberst, wenn Curt etwas bemerkte. Er sah den Vorauswandelnden nach und athmcte auf. Der Waldsaum nahm eine Wendung, soeben waren sie dahinter verschwunden. Was sollte er mit ihr thun? Es war eine heillose Ver legenheit, in die sie ihn jetzt brachte. „So hör doch auf," flüsterte er ihr zu — „wenn man nachher Deine Augen sieht! Was sollen denn die Andern denken! Stesfie, ich bitte Dich darum!" Sie holte ihr Taschentuch hervor, trocknete sich das Gesicht, bückte sich dann zu dem Bachrand hinunter, tauchte das Tuch ins Wasser und fuhr sich mit dem feuchten Zipfel noch einmal über die Augen. „Nun sieht man nichts mehr!" sprach sie wieder heiter, wie ihm zum Trotz. Er blieb noch immer mit ihr stehen. „Steffie," begann er — „jetzt sage mir, warum hast Du geweint?" „Ich weiß es nicht!" antwortete sie. „Du wirst doch aber einen Grund gehabt haben." Er sah, wie sie es in seine Arme trieb, ohne daß sie eS aber wagte, ihrem Verlangen nachzugeben und einer Regung gehorchend und seine Arme um ihre Gestalt legend, zog er sie an sich. „Nun?" fragte er noch einmal. „Weil Du so gut zu mir bist!" flüsterte sie. Ein Gefühl herzlicher Rührung überkam ihn. „Du bist ja ein kleiner Skarr," sagte er. Sie wollte sich nicht von ihm lösen. Sie hing fest an seiner Brust, als wäre das ihr sicherster Hort, von dem sie keine Macht der Erde mehr vertreiben konnte. Nur um der Scene, weil sie doch nicht ewig dauern konnte, ein Ende zu machen, entzog er sich jetzt ihr. Er sah ihren Mund; zum ersten Male gewahrte er, wie hübsch und fein er war, und ohne zn wissen, wie es geschah, fanden sich auf ihm seine Lippen. Sie schloß bei seinem Kusse die Augen. Endlich machte er sich von ihr los. „Nun wolle» wir gehen," sprach er. (Forts, folgt.)