Volltext Seite (XML)
MibergerAitzeigee WSY j 1«96 Sie belehrende Feuilletons — das beruhigt die Nerven und schafft Schlaf." „O diese abscheuliche Politik der MLnner," flötete eine stark antiquirte Damenstimme, „wie langweilig und gemüthlos. Das Inserate werden biS Bormiitag U Uhr angenommen. Preil für die Spaltzeile Pfg- Außerhalb del Landgerichtsbezirks 15 Pfg- ,... »««^"»^ordnetensitznag »mcht der Haushaltplanb^ick^^.»*r 1»96 Ab S'l r»>« dt, WM«, Scherz von Herm. Ehrich, und Tageblatt Amtsblatt für die königliche« und Wüsche« Behörden zu Freiberg und Braud. Gemeinde-Sparkaffe zu Erbisdorf ist jeden Montag Nachmittags von 2 bis 6 Uhr geöffnet, verzinst Sparemlagen zu s /, lo rnw »r^G.-Vorstand. and?«? 2g" P^A Abends -/,7 Uhr für den zweimonatig 2 Mk. 2b Pfg. — 50 Pfg, einmonatlich 7b Pig. 6 uhr. ist jeden Montag Nachmittags , Äerg' am"? u. Deputation über dre Rechnungen: Stadtkrankenhaus, gewährt Darlehen auf Grundstücke . „„ , . „ , „t". Schränken Sie Politik ein und geben Sie mehr Unterhaltungs- stoff, mehr Geschichten." „Zum Teufel mit dem Politik- und Romanschwindel," quietschte ein feistes Speckorgan. „Mehr Vermischtes, mehr Lustiges, mehr Witze! Das ist dre Hauptsache." „Nein, nein, nein! Mehr Lokalnachrichten, mehr Vereinsnachrichten," schrien gleichzeitig einige Dutzend Stimmen durcheinander. Und nun erhob sich ein Tohuwabohu von entsetzlicher Gewalt. Die Einen wollten dieses, die Anderen Jenes. Dem Einen paßte dieses, dem Anderen jenes nicht. Die Einen zeterten über die Länge, die Anderen über die Kürze der Nachrichten. Jeder hatte etwas auszusetzen. Der Gesangverein „Heiserkeit" grollte, weil das Konzert des Vereins „Taube Kehle" besser besprochen war, als das seinige; der Tenorist Fistelfritze wetterte, weil Fräulein Tastenhauer mehr gelobt war, als er; der Gastwirth Tiefschlund fand, daß sein Lokal nicht genügend heraus gestrichen; der Theaterdirektor Hennefrau verlangte mehr Weih rauch für seine „Novitäten," ein Chorus von Schauspielern schalt den Redakteur einen Ignoranten, der keinen Schimmer von Kunst- verständniß habe und erklärte demselben zehn Mal hintereinander, daß sie seinen Kritiken nicht den geringsten Werth beilegten; ein alter Gaudieb, der wieder einmal gelangfingert, wollte seinen Namen richtig gedruckt lesen; ein erbittertes Hökerweib schwor, dem Redakteur alle Fenster einzuwersen, wenn er ihre mindergewichtige Butter nicht in Ruhe lasse; ein beleidigter Kalkulator schrie nach dem Staatsanwalt, weil in der Zeitung gestanden, er hätte den Verdienstorden, während er in Wirklichkeit das Verdienst kreuz erhalten hatte; ein Fuhrmann drohte mit gewaltsamem Knochen- zerbruch bei lebendigem Leibe, wenn noch einmal etwas über Pferdeschinderei in das Blatt käme u. s. w. Dem geängstigten Tintenfinger wurde es schwarz vor den Augen. Auf der Stirn stand ihm der belle Schweiß. Er kam sich vor wie ein Geächteter, ein zum Tove Verurtheilter. Sein Stolz, sein Selbstbewußtsein waren dahin. „Barbar, Barbar! wo haben Sie meine süßen Frühlings lieder?" wehklagte plötzlich eine weiche Jünglingsstimme und entfesselte damit einen neuen Sturm der Einpörung. „Meine Elegien über die Verderbtheit der Männer in den Abgrund des Papierkorbes," jammerte eine altjüngferliche Sappho, „es ist himmelschreiend." „Und meine Verse über die Segnungen des Tuberkulin." „Meine Novelle: „Des Kindes erster Zahn". „Meine Lösung der sozialen Frage", „Meine glückliche und end- giltige Erfindung des Perpetuum mobile!" so schwirrte und lärmte es durcheinander. Ein Schauer des Entsetzens überlief Tintenfinger bei der Erinnerung an diese längst vergessenen Sünden seiner Mitbürger. Dann aber schüttelte er den Bann, der ihn so lange gefangen gehalten, energisch von sich und sprang empor. Bleich, aber ge faßt begann er: Hochgeehrte Herrschaften! Ich bitte einen Augenblick um Gehör. Erst jetzt ist mir klar geworden, wie sehr ich meinen Beruf verfehlt habe. Sie haben vollkommen Recht. Ich bin ein Stümper, ein Ignorant. Ich verstehe vom Zeitungsmetier nichs, rein garnichts. Zwar habe ich einige Zeit hindurch glauben dürfen, meinen Posten mit Ehren zu versehen. Wenigstens war ich bemüht, das Gute zu fördern, so weit meine bescheidenen Kräfte reichten, die Wünsche meiner Leser zu er füllen, so weit sie verständig waren und das Interesse meiner Zeitung es vertrug. Sie aber haben mir die Augen geöffnet. > Ich sehe, daß ich mich getäuscht habe. In tiefster Zerknirschung trete ich von meinem Amte zurück. Geben Sie mir einen Nachfolger aus Ihrer erlauchten Mitte, ich bin überzeugt, Jever von Ihnen macht es besser als ich. Bei der Vor- ' tresflichkeit Ihrer Ansichten, bei der vollendeten Harmonie Ihrer - Meinungen und der geradezu rührenden Uebereinstimmung Ihrer Wünsche wird es dem Erwählten zweifellos ein Leichtes ' sein, das große, bisher unerreichte Kunststück fertig zu bringen: es Allen recht zu machen. Kaum hatte Tinteufiuger geendet, so brach das Unwetter über > ihn los. „Das ist Verhöhnung, er will uns verspotten, er will ' uns zum Besten halten, nieder mit ihm", ertönte es von allen wesen und nicht geschlafen hat. Was willst Du?" herrschte erde« Setzerjungen an, der erwartungsvoll vor rhm stand. „Manuskript, Herr Doktor, für die Vellage der «Lchste« Nummer. Die Setzer warten schon eine Welle. Politisch« «mscha». Freiberg, den 12. März. Der deutsche Reichstag wird bereits am 24. März in die Oster» ferien gehen, die bis zum 15. April dauern sollen. ES erscheint sehr zweifelhaft, ob der Etat rechtzeitig ferttggestellt werden kann. Der Reichstag beendigte gestern die zweite Lesung der Novelle zur Gewerbeordnung. Artikel 9, der nur eme redakti^ nelle Aenderung des § 44» der Gewerbeordnung betnfft, wird angenommen. Ebenso Artikel 10, welcher sich auf die Gestattung der Wiederaufnahme eines vorher untersagten Gewerbebetnev« bezieht. Artikel 11 handelt von den Beschränkungen für daS Feilbieten von Waaren im Umherziehen. Zu den durch die Ge werbeordnung schon jetzt vom Feilbieten oder Ankauf nnllmyer- ziehen ausgeschloffenen Gegenständen fügt die Vorlage m zwei neuen Punkten 10 und 11 des 8 56 der Gewerbeordnung hinzu: Bäume aller Art, Sträucher, Sämereien und Blumenzwiebeln, Schnitt- und Wurzel-Reben und Futtermittel, Schmucksachen, Bijouterien, Brillen und optische Instrumente. Ferner solUn 12. vom Feilbieten und Aufsuchen von Bestellungen ausgeschlossen sein Druckschriften und Bildwerke, wenn sie in sittlicher oder religiöser Beziehung Aergerniß zu geben geeignet find oder Mit tels Zusicherung von Prämien oder Gewinnen vertrieben werden oder in Lieferungen erscheinen, wenn nicht die Zahl der Lieferungen des Werkes nnd dessen GesammtpreiS auf jeder einzelnen Lie ferung an einer in die Augen fallenden Stelle bestimmt ver zeichnet ist. Abg. Hitze (Ctr.) beantragt, statt der Worte die Zahl der Lieferungen des Werkes und dessen GesammtpreiS zu setzen: „der GesammtpreiS". Abg. v. Strombeck (Ctr.) beantragt, die Punkte 10 und 11 der Vorlage mit Rücksicht auf die Hau- sirer des Eichsfeldes zu streichen, und fragt, ob etwa auch poli tische Schriften von dem Verbot des Feilbietens im Umherziehen getroffen werden sollen. Staatsminister v. Bötticher erwidert, daß politische Schriften nur dann unter diesen Paragraphen fallen, wenn sie in sittlicher und religiöser Hinsicht Aergerniß errege«. Abg. Galler (südd. Volksp.) beantragt, Sämereien und Blumen zwiebeln von dem Verbot des Feilbietens im Umherziehen aus zunehmen, weil in Süddeutschland der Handel damit in großem Umfange betrieben werde. Geh. Rath Conrad bittet, eS bei der Vorlage zu belassen, die die Interessen der Allgemeinheit und nicht bloß diejenigen einzelner Gegenden berücksichtige. Abg. Weiß (frs. Volksp.) will Brillen und optische Instrumente, Abg. Hahn (b. k. F.) Topfpflanzen von dem Verbote des Feilbietens im Umherziehen ausnehmen. Der Direktor -im Reichsamt des Innern v. Woedtke wendet sich gegen die Abänderungsanträge, die er nicht für zweckmäßig hält. Abg. Munckel (frs. Volksp.) beantragt, den Passus bezüglich der Druckschriften aus der Vor lage zu streichen. Durch diese Bestimmung würde der Vertrieb schlechter Bücher nicht gehindert werden, weil ihre Verbreiter immer Wege zum Verkauf solcher Schriften finden würden; da gegen würde die Verbreitung guter Bücher, wie der Konversations lexika, erschwert werden. Die Abgg. v. Wolszlegier (Pole) und Dietz (sozd.) befürworten den Antrag Munckel; Letzterer betont insbesondere, daß die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs bezüg lich anstößiger Schriften vollkommen ausreichten. Abg. Payer (südd. Volksp.) empfiehlt die Ausnahme von Sämereien vom Ver bot des Haustrhandels, wogegen der badische Bundesrathsbevoll- mächtigte v. Jagemann im Interesse der Landwirthe für die Be schränkung des Haustrhandels mit Sämereien eintritt. Abg. Schädler (Centr.) tritt für die Regierungsvorlage ein, Abg. Schneider (freis. Volkspartei) spricht sich gegen dieselbe aus. Da rauf werden sämmtliche Abänderungsanträge abgelehnt bis auf den Antrag Hitze, und der Artikel 11 der Vorlage, wie er sich durch den Antrag Hitze gestaltet hat, wird angenommen. Die Abgg. Gröber und Hitze (Ctr.) beantragen, in die Vorlage einen 8 11» einzufügen, nach welchem Abzahlungsgeschäfte mit derBer- fallsklausel beim Wandergewerbe untersagt werden sollen. Der Antrag wird angenommen. Nach Artikel 12 kann durch die Landesregierungen das Umherziehen mit Zuchthengsten zur Deck ung von Stuten, sowie auf bestimmte Dauer der Handel mit Schweinen, Ziegen oder Geflügel im Umherziehen untersagt oder Beschränkungen unterworfen werden. Der Artikel wird ange nommen mit der Maßgabe, daß, wie der Abg. Schädler (Ctr.) beantragt, auch der Handel mit Rindvieh in die Bestimmung ausgenommen wird. Ferner wird ein Antrag Gröber angenom men, nach welchem ein Artikel 12» einzuschalten ist, welcher Aus nahmen von dem Verbot des Ausspielens und Versteigerns von Waaren beim Wandergewerbe seitens der zuständigen Behörde zuläßt, hinsichtlich der Wanderversteigerungen jedoch nur bei Waaren, die dem raschen Verderben ausgesetzt sind. Artikel 13, welcher bestimmt, daß der Wandergewerbeschein zu versagen ist, wenn der Nachsuchende wegen Land- oder Hausfriedensbruchs oder wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Frei heitsstrafe von mindestens drei Monaten verurtheilt ist und drei Seiten. Verzweifelt griff Tintcnfiuger nach der Papierscheere. Aber da hatte man ihn schon gefaßt. Sein Widerstand war vergeblich. Wie von eisernen Klammern wnrde er gehalten, ans seiner Brust lagerte ein Alp und eine große dürre Hand — er glaubte die des Politikers zu spüren — legte sich um seinen Hals. Er fühlte einen entsetzlichen Druck, vor seinen Augen kreisten Flammen — da erwachte er. „Alle Wetter," murmelte Arnold Tintenfinger und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, „war das ein verrückter Traum. Das kommt davon, wenn man die Nacht über auf dem Balle ge Arnold Tintenfinger war eine^ achdruck verboten.) ganze Blatt ist wieder voll davon und die schöne Erzählung ein erfahrener, intelligenter m^benswürdigsten Menschen, kommt dabei wie immer zu kurz. Kaum hat man angefangen, Abt Äedakteur zu werden h°tte das Unglück dann heißt's schon wieder: „Fortsetzung folgt". W Eins der beklaaenswerc'be^ ^ was ein Redakteur doch die Politik ein und geben Sie mehr U n ^Mensch, der mehrer " die Interessen aller Welt ru d-» für sich selbst denkt, der seine Rase wie ein brave? PolUeima^" ""An, der nebenbei mld schließlich doch nur der Mes stecken muß großen Weisheit Kes ei^elnm feine^ L^ °der wenigen erfüllte die Wichtm^nes "solchen^ geworden und keit. Er redigirte in ein-m „ " ""t Fleiß und Gewissenhaftig- de» Lokalmoniteur, der täglich herauskam^^^ Landstädtchen Publikum mit den neuesten Welt? Nr!!. das wißbegierige Arn bekannt machte ' und Stadtangelegen- chMWWLLZ auf ^eaenseitiak^t ^r»?-^d^n. diese Empfindungen aber wL ick dak i^ "h uicht zu sagen. Gestehen jemals von einem Redakteur gehört habe, daß seine Leser ihn besonders geliebt oder verehrt hätten 9mT°"a?wÄ^n geschah etwas Absonderliches. Arnold hatte u Gewerk vollendet und, was nicht häufig passirte auf seinem gr°ße Aufräumung gehalten. Der Redaktionsdiener Setzerjungen schleppte soeben den über- hinaus. Arnold lehnte sich auf seinem Seffel, der ihm häufig genug ein Sorgenstuhl war, gemächlich zuruck, brannte eine Havanna an und blickte traumerisch deu fern auf blauer Himmelsflur dahinziehenden Wolkenschäfchen nach. ° Da war s ihm, als stände der fortgeschaffte Papierkorb, über- wie er gewesen, wieder in seinem Zimmer und, was eben das Merkwürdige war, derselbe wurde lebendig. Es rührte und regte sich darin, die zerknitterten Manuskripte reckten und streckten sich und stiegen, seltsame Erscheinungen bildend, langsam aus der Tiefe des Korbes herauf. Arnold traute seinen Augen nicht. Wollte ihn ein Spuk necken? Die Gebilde nahmen mehr und mehr menschliche Formen an und rückten dem bestürzten Redakteur näher und näher. Er wollte aufspringen, aber die geheimniß vollen Wesen umringten ihn und ein geisterhaftes „Hierbleiben" schlug an sein Ohr. „Was soll das?" stieß er hervor. „Das werden Sie erfahren, verehrter Herr Redakteur," ertönte eine strenge, anscheinend weib liche Stimme. „Wir die Geister des Papierkorbes wollen Rechen schaft. Rechenschaft für Ihre Frevelthaten, für die unerfüllten Wünsche Ihrer Leser, für den Aerger, welchen Sie den Leuten bisher bereitet, Rechenschaft für die Unterschlagung der zartsinnig sten Geistesprodukte aus Ihrem Leserkreise, die Ihnen hoffnungs voll anvertraut worden, Rechenschaft für Ihre gesammte Thä- tigkeit." „Das ist zu bunt, da hört doch Verschiedenes auf," fuhr Tin tenfinger jetzt aber in die Höhe, „Rechenschaft schulde ich allein dem Gesetz und vielleicht noch der Gesammtheit meiner Leser, aber nicht einem Einzelnen und noch weniger einem Karneval verrückt gewordener Manuskripte. Hinaus mit dem Hexensabbath!" Eine lebhafte Bewegung des Unwillens entstand in der Ver sammlung der dem Papierkorb Entstiegenen. Ein grollendes „Hört! Hört!" ging durch die Reihen „Ruhe!" gebot die Stimme von vorhin: „Regen Sie sich nicht auf, Herr Doktor. Ausflüchte helfen Ihnen nicht. Sie werden vernehmen, wessen man Sce be schuldigt. Tretet vor Ihr mißhandelter-, meuchlings dem Pa pierkorbe überantworteten Muscukinder, ^hr Geister begründeter Beschwerden, liebevoll gegebener und schnöde Erkannter An regungen. Erhebet Eure Anklagen gegen diesen verstockten Sünder, E?rauschte^un? raunte durch das ZiEr und der wunder lichen Erscheinungen Menge drängte gegen den Redakteur vor, der hulflos in seinem Sessel mehr lag als saß und mit weit geöffneten und" PMiker sein? Und dabei bringen Sie so jammervoll 7°°^d WS KL mchl «E-i dünne, uervose St,« Ihre Gegner zu überzeugen I-M- P-i-M-m! Verantwortliche Leitung: Georg Burkhardt. -II—— 48. Jahrgang. - << I Freitag, den 1S. März.