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BergerM^get und Tageblatt A M- Erscheint jeden Wochentag NachmM. Uhr für den Ui) I »HLH andern Tag. Preis vierteljährlich r Mark Lb Pf., L W » zweimonatlich 1 M. SO Pf. und «iumanatlich 7b Pf. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg Md Braud. Verantwortlicher Redakteur: Iuliu« Braun in Freiberg 40 Jahrgang. Mittwoch, de» 2». Juli. Inserat« «erden di» Bormtttag 11 Ubr angenam- « oO men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeil« I «HUH F « »der deren Raum lb Pf. Das belgische Rekrutirungs-Gesetz. Die klerikale Partei in Belgien jubelt über einen par lamentarischen Erfolg, der sich vielleicht noch als ein Pyrrhus-Sieg erweisen wird. Bei der Berathung des von dem Grafen d'Oultremont eingebrachten und von dem Kriegsminister Pontus befürworteten neuen Re- krutirungs -Gesetzes wurde der Grundsatz der all gemeinen Wehrpflicht von der Mehrheit der belgischen Re präsentantenkammer verworfen, trotzdem die Lage des Landes die Erfüllung dieser fast allgemein anerkannten Forderung der Neuzeit dringend erheischt, trotzdem der bel gische Vertreter in London einen so unerfreulichen Bericht über die angeblichen internationalen Bürgschaften für die Neutralität Belgiens erstattet hat, daß eme gründliche Heeresreform jedem Patrioten unabweisbar erscheinen mußte. Es gab aber noch einen anderen Grund, welcher die An nahme der allgemeinen Wehrpflicht erwarten ließ; das war das eifrige Eintreten des Königs Leopold II. für die von ihm für Vie Sicherheit und Wohlfahrt Belgiens nöthig ge haltene Vorlage. Der belgische Monarch, welcher mit Recht das bisher m seinem Lande Geltung habende Stellver tretungswesen als nicht mehr zeitgemäß ansah, trat für die allgemeine Wehrpflicht ein, soweit dies mit seiner Stellung als verfassungsmäßiger Herrscher vereinbar war. Da er die von den Jesuitenfreunden Jakobs und Woeste beherrschte ultramontane Kammermehrheit seinen Anschauungen nicht geneigt zu machen vermochte und seinen mit dieser Mehr heit engbefreundeten Ministern Beernaert und Thönissen nicht den festen Willen zutrautc, die Regierungsvorlage energisch gegen die klerikalen Bedenken zu Vertheidigen, wandte er sich an den Papst, um von diesem eine Ein wirkung auf die belgische Geistlichkeit zu Gunsten der Ein führung der allgemeinen Wehrpflicht zu erbitten. Zu diesem Zwecke ließ König Leopold II. den Erzbischof von Mecheln zu sich bescheiden und begehrte von der römischen Kurie einen ähnlichen Beistand, wie dieselbe zu Gunsten des Septennats in Deutschland ausgeübt hat. Die Antwort des Vatikans lautete aber in diesem Falle ablehnend; die Kurie erklärte, bei der Bewilligung des Septennats in Deutschland habe es sich um die Erhaltung des euro päischen Friedens gehandelt, während die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Belgien nur zu den inneren An gelegenheiten eines einzelnen Staates gehöre, in die sich Ser Papst nicht mischen könne. Mit diesem Bescheide soll der neue Kardinal-Staatssekretär Rampolla nicht einver standen gewesen sein und es wenigstens durchgesetzt haben, daß der von London nach Rom zurückkehrende Nuntius Ruffo Scilla bei der Durchreise durch Brüssel der dortigen Geistlichkeit den Wunsch des Papstes mittheilte, daß das von dem König der Belgier so warm befürwortete Rekru- tirungs-Gesetz Annahme finden möchte. Eine solche zarte Andeutung genügte aber nicht, die selbstbewußte ultramon tane Mehrheit der belgischen Repräsentantenkammer so ge fügig zu machen wie das deutsche Zentrum. Dieser Starrsinn des Anhangs der ultramontanen Parlamentarier Jakobs und Woeste erklärt sich unschwer aus der schwächlichen Haltung der jetzigen belgischen Minister, die der von d'Oultremont auf Anregung des Monarchen ein gebrachten Vorlage innerlich abgeneigt waren und ebenso- wenig wie Jene wünschten, daß durch die allgemeine Wehr pflicht die Bildung in die breitesten Volksschichten dringe und für die Aufklärung reif mache. Bei einer Vorlage, für welche der König der Belgier wiederholt in hervorragender Weise selbst eingetreten war, erklärten seine ersten Rath geber der Volksvertretung gegenüber, die Sache sei nicht wichtig genug, um deshalb die Kabinetsfrage zu stellen; das Ministerium werde bei Ablehnung des Rekrutirungs- Gesetzes ruhig auf seinem Posten bleiben. Der Kriegs minister Pontus vertrat zwar die Vorlage, aber der Minister präsident Beernaert zeigte bei seiner kühlen Vertheidi- gung der Vorlage ganz deutlich, daß ihm mehr an der Erhaltung der Freundschaft mit der Kammermehrheit als an dem Vertrauen seines Monarchen liege, denn er brachte ebensoviel Gründe gegen die allgemeine Wehrpflicht als für dieselbe vor. Beernaert sagte, er hege für die allgemeine Dienstpflicht Sympathien, aber er halte sie in Belgien nicht für durchführbar; er bezeichnete das Stellvertretungswesen als unmoralisch, vertheidigte aber trotzdem dieses System mit Gründen der Religion, die freilich an Klarheit Vieles zu wünschen übrig ließen. Klar war nur, daß die Mehr heit der belgischen Kammer von der allgemeinen Dienst- PfMt eine Aufklärung der Bevölkerung fürchtet, und daß das Ministerium Beernaert es mit der Kammermehrheit nicht verderben will, daß es ferner die Unterstützung der selben für wirksam genug erachtet, um mit derselben es auf die Unzufriedenheit des Monarchen, aller militärischen Autoritäten des Landes und der liberalen Minderheit der belgischen Kammer ruhig ankommen lassen zu können. Hätte das Kabinet Beernaert den Willen gehabt, die von d'Oultremont auf Wunsch des Königs Leopold II. ein gebrachte Vorlage unverändert durchzusühren, so genügte die einfache Erklärung, daß es im Falle der Ablehnung zurücktreten werde. Die ultramontane Kammermehrheit würde sich dann Wohl gehütet Haben, das ihm so werthvolle, geradezu unersetzliche klerikale Ministerium Beernaert im Stiche zu lassen. Lehnte es dann die allgemeine Dienst pflicht ab, so wäre der Abstimmung die Auflösung der Kammer auf dem Fuße gefolgt und hätte die liberale Partei vielleicht wieder Oberwasser bekommen. Die belgischen Klerikalen erwarten selbst nicht, daß sich bei Neuwahlen ihnen zu Liebe und zum Vortheil nochmals die Liberalen so unter einander bekämpfen werden, wie st: es bei den letzten Wahlen gethan haben. In die Verlegenheit, zur Erhaltung des jetzigen Kabinets der ihnen widerwärtigen Regierungsvorlage zustimmen zu müssen, rst die ultramontane Kammermehrheit aber gar nicht gekommen, weil das Mi- nisterium aus Gefälligkeit für sie die doch gewiß hochwichtige Sache zu einer nebensächlichen stempelte und vor der Ab stimmung die merkwürdige Erklärung abgab, daß eine Kabinetskrisis nicht zu gewärtigen sei, möge die Abstimmung ausfallen wie sie wolle. Das Resultat dieser nicht gerade von monarchischer Gesinnung zeugenden ministeriellen Hand lungsweise ist bekannt. Die durch den Willen des Königs Leopold II. unterstützte militärische Forderung wurde ab geschlagen, aber das Ministenum Beernaert steht uner- erschüttert. Ein Wunder ist das nicht in einem Lande, wo dieses Kabinet zwei gefährliche Arbeiter-Empörungen über- dauerte, ohne durch die dabei klargelegten gräulichen Miß stände zu schleunigen und gründlichen sozialen Reformen veranlaßt zu werden, ohne der herrschenden Noth und dem Mangel an Arbeitsgelegenheit durch Verwendung der längst verfügbaren Mittel zu öffentlichen Bauten sofort nach Möglichkeit abzuhelfen. Die Nachbarschaft des fran zösischen Freistaats, welche die wachsende radikale Bewegung in Belgien beständig nährt, bietet für dieses Land Gefahren, für welche die dort herrschende klerikale Partei blind zu sein scheint. Dieselbe verwendet nach wie vor die par lamentarischen Grundsätze nur dazu, sich am Ruder zu er halten, werde daraus was wolle, und die Mitglieder der gemäßigt-liberalen Parteien haben dort seltsamer Weise allen Grund zu wünschen, daß ihr Monarch geringeren Werth auf das parlamentarische Regiment legen und es einmal versuchen möchte, wider den Willen der Kammer mehrheit zu regieren und damit sein Land vor ernsten Ge fahren zu schützen, welche die klerikale Partei weit unterschätzt. Tagesschau Freiberg, den 19. Juli. Ueber den Besuch, welchen das württembergische Königs paar dem deutschen Kaiser auf der Insel Mainau ab- ftattete, schreibt der „Staats-Anzeiger für Württemberg": „Nach dem Empfang und der herzlichsten Begrüßung zwischen Sr. Majestät dem Kaiser und den württembergischen Majestäten sand ein Familiendiner statt, an welchem die sämmtlichen in Mainau anwesenden höchsten Herrschaften thrilnahmen. Die Abfahrt des württembergischen Königspaares erfolgte um 5 Uhr Nachmittags." Gestern Nachmittag 3^ Uhr traf der deutsche Kaiser in Bregenz ein, wo ihn der Prinz-Regent Luitpold von Baiern erwartete. Der Letztere begab sich auf das Dampfboot und begrüßte den Kaiser herzlichst, mit welchem er längere Zeit allein im Gespräch verweilte. Dann begab sich Se. Majestät, geleitet von dem Prinz-Regenten, von dem Großherzog und der Großherzogin von Baden zum Waggon, wo die Letzteren sich verabschiedeten. Auf dem Landungsplatz« hatte sich eine äußerst zahlreiche Menschenmenge cingefunden, welche den greisen Monarchen begeistert begrüßte. Die Weiterreise wurde am 4 Uhr 25 Minuten angetreten und er folgte dieselbe zunächst bis nach Innsbruck, wo der Kaiser gestern Abend um 9 Uhr anlangte und mit den Herren seines Gefolges im „Tiroler Hof" übernachtete. Auch die Bevöl kerung Innsbrucks empfing den deutschen Kaiser in herzlichster Weise. — In mehreren preußischen Zeitungen wurde in letzter Zeit das Gerücht, wonach der nationailiberalc Oberbürgermeister von Frankfurt am Main Or. Miquel das preußische Handels ¬ ministerium erhalten sollt«, sehr ernsthaft besprochen. Jetzt ergreift die offiziöse „Nordd. Allg. Ztg." in dieser Angelegen heit das Wort und erklärt Folgende-: „Wir können unS den deutschen Handel nicht mehr als getrennt, in der Form eiaeS preußischen, sächsischen, bairischen und mecklenburgischen Handels, und seine Pflege als konkurrirende Aufgabe der Einzelstaaten vorstellen: unser Handel ist ein natio naler und ein deutscher. Der Umstand allein, daß die preußische Gesetzgebung dem ministeriellen Reffort, welches unter dem Namen Handelsministerium sortbesteht, eine Anzahl von Funktionen beilegt, für welche nur durch Aenderung der Gesetzgebung ein Ersatz geschaffen werden könnte, war dir Veranlassung zur formalen Beibehaltung de« NamenS und des ReffortS, ohne ein selbständiges Gehalt für den Titular desselben aus zuwerfen. Die Geschäfte wurden dem Reichsstaatssekretär des Innern übertragen und von ihm unentgeltlich versehen. Die Pflege und Beaufsichtigung des deutschen, einschließlich deS preußischen Handels, blieb aber in der Hauptsache da, wo sie nach Errichtung des deutschen Reiches hingehört, das heißt bei dem Reichsamt de» Innern, und unter genereller Ver antwortlichkeit des Reichskanzlers. Die Kumulirung deS preu ßischen Handelsministeriums mit dem Reichsamt deS Innern hatte zur Zeit des Staatsmtnisters Hofmann zu Divergenzen zwischen der Handelspolitik deS Reiches und der des preu ßischen betreffenden Ministeriums geführt, und um diese ab- zuschneidrn und ihre Wiederkehr zu verhindern, übernahm der Reichskanzler persönlich daS preußische Handelsministerium, und damit sowohl den preußischen wie den Reichstitel zur Leitung der gemeinsamen Handelspolitik. Letztere gehört im Reichsdienste zum Reffort deS ReichSamteS des Innern, und entspricht cs formal der Reichsverfaffung und sachlich den preußischen Handelsinteresien, wenn die reichsgesetzliche Ver tretung des Reichskanzlers im Bereiche des Reichsamtes des Innern durch eine kollegiale Vertretung des StaatsministerS v. Bötticher im preußischen Handelsministerium vervollständigt und dadurch eine einheitliche Behandlung der politischen Aus gaben ermöglicht wird. Wenn die Formen fjeder Zeit dem sachlichen Bcdürfniß entsprächen, so würde das preußische Handelsministerium mit dem Reichsamt des Innern auch formell überhaupt längst verschmolzen worden sein." Immer hin liegt in diesen Worten das Zageständniß, daß eine Aen derung in dem bisherigen Verhältniß des Handelsministerium- nicht zu den Unmöglichkeiten gehört. — Die Angriffe gegen die russischen Papiere werden noch immer von angesehenen preußischen Blättern fortgesetzt. Bei dieser Gelegenheit thut sich die „Neue Preuß. Ztg." besonders hervor, ein Blatt, da» vicle Jahre hindurch begeistert sür das deutsch-russische Bünd- niß eintrat. Dis „Neue Preuß. Ztg." stellte in einer ihrer letzten Nummern die bestimmte Behauptung auf, daß in Berlin bereits für 80 Millionen russische Papiere verkauft worden seien und daß am Sonnabend dort für etwa 20 Millionen Verkaufsaufträge Vorlagen. Dasselbe Blatt giebt zu, daß noch bedeutende Mengen von diesen Papieren im Privatbesitze seien, behauptet aber, daß Banken und Bankiers davon viele in ihren Schränken hüten. Es wisse, daß angeblich die nach dem Auslande gegangenm Papiere in russischen Besitz zu rückgekehrt seien. Das russische Finanzministerium, den ganzen Umfang der ihm drohenden Gefahr ermeßend, wehrte ohne Säumen dm ersten Stoß auf seine Kreditwürdig keit ab, indem es, hauptsächlich über London und Amsterdam, so ziemlich die ganze oben bezifferte Summe an sich brachte. Zur Widerlegung der von den börsenfreundlichen Blättern ge machten Ausstellungen bemerkt die „Neue Preuß. Ztg." unter Anderem Folgendes: „Noch Andere bezeichneten die Angriffe auf den russischen Staatskredit als ein Manöver, Rußland zu einer Erneuerung des Drei-Kaiser-BLndniffes zu bewegen. Wir hingegen glauben ganz genau zu wissen, daß ein Bedürfniß zu dieser Erneuerung auf deutscher Seite durchaus nicht mehr vorhanden ist." — Wie die „National-Zeitung" versichert, hat die in Berlin erfolgte Verhaftung des sozialistischen Zentral- komitss in den Kreisen der Berliner Sozialdemokraten große Bestürzung hervorgerufen. Wie bekannt, nahm dort die Polizei in der Nacht zum Sonnabend sieben Verhaftungen vor; eine achte erfolgte am Sonnabend früh, so daß das ganze sozia listische Zentralkomit« verhaftet ist; dasselbe toll nicht aus sieben, sondern aus acht Personen bestanden haben. In dieses Könnt« entsendeten der I., II, HI. und V. Wahlkreis je einen Delegirtcn, dec IV. und VI. Wahlkreis dagegen, als die beiden ausgedehntesten, je zwei. Die Verhaftungen geschahen, wie der „Nat.-Ztg." berichtet wird, in dem Augenblick, als die Dele- girten die Wohnung eines Parteigenossen in der Schönhauser Vorstadt verließen. Zahlreiche Polizeibeamte waren auf der Straße postirt und spielte sich der ganze Vorgang ungemein