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md Tageblatt. ' Amtsblatt für die königlichen nnd städttschcn Behörden zu Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redattem: Juli«» Braun in Freiberg. LrfcheintjedenWochentagNuLmw. '/,sUbr für den «0 I I 4 . andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mart 2d Pf., zweimonatlich 1 M. 50 Pf. und einTnonatli» 7ü Pf. 40 Jahrgang. Dienstag, de« 24. Mat. Jnjerate »erden bis Bormittag 11 Ubr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeil« »der deren Raum IL Pf 1887. Nachbestellungen M»«» Monat Juni werde« zum Preise von 75 Pfennig von alle« ratierlichen Postanstalten sowie von de« be katmte« Ausgabestelle« n«d der unterzeichnete« Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Die Bahn zur Diktatur. Alles, was seit dem Sturze des Kabinets Goblet in den letzten Tagen in Frankreich vorgegangen ist, lieferte den Beweis, daß die Koalition, welche die Ministerkrisis herbei führte, in erster Linie die Beseitigung deS Kriegsministers Boulanger zum Ziel hatte. Dieser von den Chauvinisten vergötterte General nahm in der letzten Zeit in dem Kabinet eine vollständig dominirende Stellung ein; er bereitete gegen den WAm seiner Kollegen mit Aufwendung unermeßlicher Summen Alles zu einem Kriege mit Deutschland vor; er lich durch die radikalen und chauvinistischen Blätter seine eigene Person in einer Weise verherrlichen, die allen ernst haften Republikanern bedenklich erscheinen mußte. Die- jemgen Mitglieder der Deputirtenkammer, welche einen neuen Kampf mit Deutschland vermieden sehen und Frank reichs Finanzen vor dem Ruin bewahren wollten, mußten auf Mittel sinnen, ein Kabinet zu beseitigen, indem der Kriegs- oiuiifter weit mehr Einfluß besaß als der nominelle Vor sitzende des Ministerrathes, der Konseilpräsident Goblet. Der opportunistische Parteiführer Freycinet, welcher einen Augenblick schwankte, ob er nicht aus Schonung für die Chauvinisten die Bildung eines neuen Kabinets mit Bou langer versuchen solle, wurde von Ferry und anderen her- vorragenden Parteigenossen überzeugt, daß von Boulanger lewe Unterordung zu erwarten sei und daß dessen Beibe haltung den ganzen Zweck der Aktion gegen das Kabinet Goblet als verfehlt erscheinen lassen wurde. Daraufhin begab sich Freycinet in den Elisäe-Palast und zeigte dem Präsidenten Grsvy an, daß er nach Prüfung der Lage nicht glaube, ein Kabinet bilden zu können, welches ge nügende Aussichten für seine Dauerhaftigkeit biete, und daß er m Folge dessen sich für verpflichtet halte, den ihm von GrSvy ertheilten Auftrag zur Kabinetsbildung abzulehnen. Bei diesem Entschluß Freycinets war auch die Haltung des Führers der gemäßigten Radikalen Clemenceau maßgebend. Derselbe erklärte auf die Anfrage, ob er ein Koalttions- Ministerium unterstützen würde, die Zeit der gemischten Kabinette fei vorüber. Das neue Ministerium müsse jetzt entweder ganz opportunistisch oder ganz radikal sein, in welchem letzteren Falle er es unterstützen wolle. An dieser Weigerung ist keineswegs eine Vorliebe für dm bisherigen Knegsminister schuld, denn des letzteren Eigenwilligkeit und auf die Diktatur zustrebender Ehrgeiz veranlaßten Clemenceau längst, sich von seinem früheren Herzensfreund Boulanger loszusagen. Als alter politischer Gegner Freycinets erschwert er diesem die Bildung eines Kabinets, hütet sich aber wohl, sich selbst zur Uebernahme eines Portefeuilles bereit zu erklären, da er viel zu viel Selbstgefühl besitzt, um sich fortwährend dem Willen Bou langers zu beugen. Dem Letzteren hängt jetzt der größte Theil des früheren radikalen Anhangs Clömenceaus so innig an, daß dieser das Häuflein seiner Getreuen sehr ge schmolzen sieht und seinem eigenen Einfluß zu mißtrauen beginnt. Auch unter den Opportunisten herrscht geringe Neigung, sich an die Spitze des neuen Kabinets zu stellen. Devos schlug das Angebot entschieden aus, worauf Grsvy ja der Erwägung, daß das Kabinet in Folge der Budget stage zurückgetreten sei, den Präsidenten der Kommission, Rouvier, ersuchte, innerhalb der Kommission Elemente zum neuen Kabinet zu suchen. Während der greise Präsident Gravy derart mühselig nach einem einflußreichen Staatsmanne sucht, der den Posten eines Konseilpräsidenten neben Boulanger als Kriegs- NMster übernehmen möchte, oder den Muth besitzen würde, nut lauter neuen Ministern in leitender Stelle den Wuth ausbrüchen der zahlreichen Anhänger Boulangers zu trotzen, 'ordern die chauvinistischen und radikalen Blätter Frank- kichs die Beibehaltung des bisherigen Kriegsministers unter allen Umständen. Der als Besitzer des „Jntransigeant" und der „Lanterne" ziemlich einflußreiche Rochefort nennt die friedlich und sparsam gesinnten Opportunisten „Genossen Bismarcks" und droht mit einer Empörung, falls es diesen eigen und käuflichen Menschen gelingen sollte, den muthigen ind uneigennützigen General Boulanger zu verdrängen. Im „Jntransigeant" heißt es: „Nicht nur in Paris, sondern überall auf französischem Landesgebiet wird die Beibehaltung )es Generals Boulanger mit lautem Geschrei gefordert. Die Unfähigkeiten, die uns regieren, thäten wohl daran, sich zu erinnern, daß die Entlassung Neckers das Vorspiel der Revolution war. Man lege uns Zwangsanleihen auf, man beraube uns und plündere uns aus! Das mag hingehen. Wir sind schon seit neun Jahrhunderten daran gewöhnt. Aber, daß man die Schlüssel unserer Grenzen dem Feinde hinreicht, welcher offen die Absicht gesteht, unser Land zu zerstückeln, nein, das werden wir nicht dulden. Denn wir wollen nicht gezwungen sein, in unsern alten Tagen deutsch zu sprechen." Wie bereits in voriger Nummer unter Depeschen mit- getheilt wurde, richteten mehrere städtische Behörden Frank reichs, die Munizipalräthe von Lyon, Rennes, Montpellier, Puy u. A. m., an den Präsidenten Gröch das dringende Gesuch, Boulanger einen Platz in dem neuen Kabinet zu gönnen. Bei der jetzigen Sachlage muß man auch noch weit zahlreichere und stürmischere Kundgebungen der Ultra radikalen zu Gunsten des Generals erwarten, dessen leiden- schaftliche Vielgeschäftigkeit und grenzenlose Ruhmredigkeit zahlreichen Franzosen ein wahrhaft unbegreifliches Ver trauen einflößen. Seit einigen Tagen empfängt Bou langer zahlreiche Deputattonen, Adressen und Zustimmungs- Telegramme aus Paris und der Provinz, und mehrere Pariser Blätter berichten, daß die Sympathie-Kundgebungen für denselben noch in steter Zunahme begriffen sind. Je länger die augenblicklich stillstehende Krise andauert, desto mehr erhitzt sich die Meinung für und gegen Boulanger. Die Republikaner klammern sich an Freycinet an. es ist es begreiflich, daß der Präsident Grvvy wünscht und hofft, Freycinet möge sich doch noch zur Bil dung eines Ministeriums verstehen, in dem Boulanger sein bisheriges Portefeuille behält. Es scheint dies schon deshalb fast unvermeidlich, weil andernfalls das neue Ministerium nicht auf die Armee zählen könnte, bei der sich der Knegsminister ebenfalls eine starke Partei geschaffen hat. An der Spitze der Pariser Truppen steht zwar der entschlossene Republikaner General Saussier als Gouver neur von Paris, aber Boulanger hat ihm ans kluger Vor sicht vor einiger Zeit den ihm unbedingt ergebenen bekannten General Thibaudin als eine Art von Platzkommandanten zur Seite gestellt und dadurch Saussiers Thätigkeit gelähmt. Die Pariser Zeitungen enthalten eine Mitlhei- lung des Kriegsministeriums, m welcher es als unwahr bezeichnet wird, daß von Seiten irgend eines Deputirten bei dem Knegsminister Boulanger Schritte wegen Zurück ziehung des Gesetzentwurfs über Mobilisirung eines Armee korps geschehen seien. Rücksichten auf das Ausland stehen dem Wiedereintritt Boulangers kaum entgegen, den sogar der konservative Londoner „Standard" bei den obwaltenden Verhältnissen und grundsätzlich deshalb empfiehlt, weil er in dem fran zösischen Knegsminister nur einen militärischen Fachmann erblickt, der seine Schuldigkeit etwas eifrig gethan habe. Die deutsche Reichsreaierung wird sich hüten, ihren Einfluß in entgegengesetzter Richtung geltend zu machen und damit Boulangers Volksthümlichkeit in Frankreich zu steigern und seinem etwaigen Nachfolger im Amte im Voraus zu schaden. Boulanger ist eine größere Gefahr für Frankreich als für Deutschland. Diejenigen Franzosen, die es ehrlich mit der republikanischen Staatsform meinen, müßten froh sein, einen Kriegsminister los zu werden, dessen unsinnige Vergötterung Frankreich der Gefahr einer Revolution und einer darnach unvermeidlichen Militärdiktatur aussetzt. Die gemäßigten Republikaner sehen dies wohl auch ein und halten Boulanger für um so entbehrlicher als der französische Botschafter in Berlin, Jules Herbette, bei seiner letzten Anwesenheit in Paris überall versicherte, daß ein Ueberfall von Seiten Deutschlands keineswegs zu befürchten stehe. Damit ist aber den Radikalen in Frankreich, unter welchen Boulanger die begeistertsten Anhänger zählt, keineswegs gedient; sie halten sich allein für echte Demokraten, sie die wahren Vertreter der Grundsätze der Revolution von 1789, aber das hindert sie nicht, in der rohesten Weise gegen Deutsch ¬ land zu zetern und den Rachekrieg zu verlangen. Ihr Ge bühren zeigt so recht, wie weit es mit der angeblichen poli tischen Friedensmission der Demokratie her ist. Wenn sich Frankreich nicht von der Herrschaft dieser Elemente befreit, muß die Republik rasch die schiefe Ebene zum entschiedensten Radikalismus hinabgleiten, der doch keine andere Folge haben kann als die Diktatur eines ehrgeizigen Soldaten, den die Geschichte Frankreichs hinreichend belehrt hat, „wie man Präsident wird". Tagesschau. Freiberg, den 23 Mai Der von der deutsch?« Reichsregierung erlassene neue Gesetzentwurf für die Reichslande betrifft die Ernennung und Besoldung der Bürgermeister und Beigeordneten in Elsaß- Lothringen und hebt die Bestimmung auf, nach welcher die Bürgermeister und Beigeordneten dem Gemeinderathe zu entnehmen find. Ebenso entfällt die bisherige Bestimmung nach welcher dieselben vor ihrer Ernennung in der Wähler-' liste oder in der Rolle der vier direkten Steuern eingetragen sein muffen. Das Ministerium kann anordnen, daß die Stellen des Bürgermeisters und der Beigeordneten mit Besoldung und Repräsentations-Kosten auSgestattet werden, deren Höhe der Bezirks-Präsident festsetzt. — In neuester Zett wird be sonders in Preuße» mit großem Eifer den anarchistischen Um trieben nach gespürt und auch gegen die Sozialdemokratie große Wachsamkeit geübt. Durch einen Erlaß deS preußischen StaatS- ministeriums ist der kleine Belagerungszustand über Sprem- berg auf ein Jahr verlängert worden. Dem „Deutschen Montagsblatt" ging von gutunterrichteter Seite die Mittheilung zu, daß die gerichtliche Untersuchung wegen der Ermordung des Polizeiraths Rumpff, welche wohl niemals ganz geruht hat, neuerdings wieder auf's Eifrigste betrieben wird. Die Be hörde zu Frankfurt a. M. hat bereits zahlreiche Beweise in Händen, daß die seit Kurzem im dortigen Gefängniß unter gebrachten drei Anarchisten Mitschuldige des Schustergesellen Lieske sind. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, daß ein zweiter sensationeller Prozeß wegen der Ermordung Rumpffs demnächst die Gerichte beschäftigen wird. — Die Branntwein steuer-Kommission des deutschen Reichstages beschloß, hinter dem § 38 der Vorlage einen neuen § 38 a einzufügen, demzufolge landwirthschaftliche Brennereien, welche mehr als 10000, jedoch nicht über 20000 Liter Bottichraum täglich einmaischen, von dem hergestellten Branntwein, soweit derselbe der Verbrauchsabgabe unterliegt, einen Zuschlag zu dieser Ab gabe, welche 2 Pf. für den Liter reinen Alkohols beträgt, entrichten sollen. Für diejenigen Brennereien derselben Kate gorie, welche über 20 000 Liter Bottichraum täglich ein maischen, wird der Zuschlag aus 4 Pf. per Liter reinen Alko hols festgesetzt. In H 39 wurde die Fabrikatsteuer für ge werbliche Brennereien mit Ausnahme der Preßhefe, von 20 aus 16 Pf. pro Liter festgesetzt. 8 40 wurde unverändert, und Z 41 mit folgender Fassung angenommen: „Von dem aus dem Zoll-Auslande eingehenden Branntwein wird vom ... ab Zoll erhoben: a) von Branntwein in Fässern, mit Ausnahme von Liqueuren, soweit der Gehalt 10 pCt. nicht übersteigt, 120 M. von 100 Kilo; bei höherem Gehalt wird ein entsprechender Zuschlag erhoben; d) für alle Liqueure, sowie Branntwein in Flaschen 180 M. pro 100 Kiko. — An der am Sonnabend in Freiburg in Baden stattge habten feierlichen Eröffnung der Höllenthal-Eisenbahn nahmen der Großherzog von Baden, die Prinzen Ludwig Wilhelm Karl und Wilhelm, sowie die Minister und viele hohe Staats beamte Theil. Am Abend fand in der reichbcflaggten Stadt Freiburg eine Festtasel statt. Am österreichische« Kaiserhofe wird der in Wien ver weilende Prinz-Regent von Baiern mit großer Auszeichnung behandelt. Der Prinz-Regent empfing Sonnabend Nachmittag den Besuch des Erzherzogs Wilhelm und besichtigte alsdann mit der Herzogin von Modena die Pferdeausstellung. Um 4'/, Uhr begab sich der Prinz-Regent mit der Herzogin und den beiden Flügeladjutanten zum Diner in die Wiener Hof burg. — Der Kaiser Franz Josef stattete vorgestern der zum Besuche der Herzogin von Cumberland in Penzing aufhältlichen Königin von Dänemark einen längeren Besuch ab. — Im österreichischen Abgeordnetenhause hat sich der Handelsminister Marquis v. Bacquehem über die schwebenden Verhandlungen mit Rumänien geäußert; wie wenig er auch sagte, so hatte man doch den Eindruck, daß auch er der weiteren Entwickelung dieser Verhandlungen mit geringem Vertrauen entgegensieht. Bei der am Sonnabend fortgesetzten Berathung über das Budget deS Handelsministeriums nahm Abgeordneter