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Sine Erzählung von Bruno Giersche Auf einer Wanderfahrt durch unsere deutschen Gaue kam ich einst in eine stille Waldecke des Oberlandes. Un vergeßlich bleiben mir diese sommerlichen Tage, die ich aus verschwiegenen Waldwegen und in der klingenden Stille des goldschweren Erntelandes erlebte. — Auf dieser Wanderung geschah es. daß ein rasch aufziehende« Un- Wetter mich ans das nächste Gehöft trieb, das ich am Wege antraf. Es war dies der stattliche Bruchhof, der auf einem breiten Wiesenplan in einer flachen Senke lag. Der Bruchbauer nötigte mich ohne viel Umstände an seinen großen Tisch in der Wohnstube, um den sich die große Familie des Bauern gerade zum Vesperbrot nieder gelassen hatte. „Viel ist bei uns nicht zu findens" meinte der Bauer zu mir in seiner offenherzigen Art, „aber was wir haben, das teilen wir gern mit jedem Gastei" Während er noch sprach, hatte ihm die Bäuerin einen bedeutsamen Blick zugeworfen „Matthes!" sagte sie mahnend, „dies ist unser letztes Brot; wir müssen morgen backen!" Der Bauer nickte ihr ernst zu. Dann erhob er sich feierlich und alle Tischgenossen mit ihm. Derweil er seine großen Hände ineinanderlegte, sprach er mit nachdenklicher Stimme dieses alte Gebet: „Du Herre Gon, wir danken dir für dieses heilig' Brot! Du bist der starke Herre Golt in aller bösen Not! Bescher' du uns auch fürderhin was unserm Leibe frommt Das Herze mach' uns hart und stark, bis es zu dir etnii kommt!" Schweigsam nahmen dann alle wieder Platz und ver zehrten still ihr Vesperbrot. Der Bruchbauer, der mir eine leise Verwunderung ob dieses Brauches angemerkt hatte, begann nach einer Weile: „Gelt, das haben Sie hier noch nirgends erlebt. , ich meine diese Sitte beim An schneiden des letzten Brotes?" Da ich beipflichtend nickte, fuhr er fort: „Sehen Sie, als ich noch ein Junge war, wurde dieser Brauch hier überall geübt. Aber die Alten sind mittlerweile weg gestorben. und die Jugend schien ihn allgemach zu ver gessen!" „Um auf diesen Brauch zurückzukommen", fuhr der Bauer fort, „so ist das eigentlich eine lange und sonder liche Geschichte. Wenn Sie sie ganz hören wollen, dann würde ich Ihnen raten, für diese Nacht unser Gast zu bleiben Der Regen hört sowieso vor Abend nicht auf!" Mil Dank nahm ich die Einladung an, zumal ich bis zum nächsten Dorfe noch zwei Wegstunden vor mir Hane Rach dem Abendbrot setzten wir un« im offenen Vor bau des Hauses auf die Bank. Der Regen hatte aukgehört. Das letzte Gewölk stand fern am Horizont wie eine schwarze Wand, aus der ab und zu da« bläuliche Licht der Blitze zuckte. Der Abend war gärend und schwül. Unaufhörlich plärrten rings in den Brüchen die Frösche; in den Baumkronen zirpten die Grillen. Da begann der Bruchbauer seine Erzählung: „Das war damals eine schlimme Zeit — Anno 1806 und >807, als die Franzosen das ganze Preußenland überrannten! Keine Menschenseele hätte damals geglaubt, daß die welschen Kriegsvölker auch hierher den Weg fin den würden. Aber eines frühen Wintertages, da kehrten denn so 'ne drei Dutzend von diesen ungeladenen Gästen auch auf dem Bruchhof ein. Ungelegener als damals hätten sie nimmer kommen können Denn derzeiten, als unser Ahn Hermann Hellwig hier auf dem Hofe saß, war weit im Land herum große Not. Die letzte Ernte war auf dem Felde verfault, so daß man im Herbst nicht einmal das genügende Saatkorn gehabt hatte Unter dem halb verhungerten Vieh war eine böse Seuche ausgebrochen, der alle Tiere bis auf zwei Milchkühe zum Opfer fielen. Aber was kümmerte das die Franzleute! Der Ahn mußte heranschafsen, wonach ihre Laune Begehr trug. Auf das drohende Geheiß des französischen Korporals hin mußte der Ahn sogar die beiden letzten Stücke Vieh hergeben Und als dann die Blutsauger nach drei Wochen weiter zogen, da grinste die leere Not in Küche und Kammer!" Der Bruchbauer hielt inne, derweil er sich seine Pfeife anzündete Dann fuhr er fort: „Als damals die Franz- leuie abzogen, saßen hier auf dem Bruchhof zwölf hung- rige Mäuler und sahen den Fremden mit nassen Augen nach „Kinder!" hatte damals die Bruchbäuerin gesagt, die krank im Bett lag, „für heut' ist un« noch geholfen. Und fürs Künftige, da habt halt Vertrauen zum Herre Gott!" Damit hatte sie sich mühsam hochgerichtet und unter ihrem Kopfkissen ein Brot hervorgeholt, das sie da so lange ver steckt gehalten. Wir Himmelskost hat eS uns gemundet, schrieb der Ahn später über dieses Brot in unser Hofbuch, das ich Ihnen morgen zeigen werde. Ja, und am andern Tag, da hat sich die ganze Familie aufgemacht, um unten auf den Bruchwiesen nach eßbaren Wurzeln zu graben! Aber viel haben die Bruch- Hofleute dort nicht gefunden; denn es lag daS Jahr viel Schnee, und die Erde war tief gefroren. Da hat sich denn der Ahn allein ausgemacht und ist über daS große Moor gegangen, um sich im Walde nach genießbarem Wurzel- zeug umznseben. — Und wie er da an der tiefen Schlucht vorbeigelommen ist, da hat er unten ein umgeftürzte« Fahrzeug erblickt. Es war ein Franzosenwagen, voll be packt mit Proviant! Er mochte dem Kriegsvolk an dieser schmalen Enge in die Tiefe gestürzt sein. Und da daS fremde Volk es ja gut verstand, den Bauern das Letzt« auszuspannen, so hatte eS sich erst gar nicht die Umstände gemacht, die abgestürzte Beute umzuladen!" Nun fuhr der Bruchbauer rascher fort: „Und dies war nun derzeiten für den Bruchhof das reinste Gottesgeschenk; denn die halbe Wagenladung bestand aus weißem Mehl. Das langte hin. um die schlimmste Notzeit zu überstehen. Die Bruchhofleute konnten derzeiten noch der Nachbar schaft mit mancher Metze bristehen. Und jenes Brot, da« damals auf so wunderbare Art auf den Tisch kam, nannte die Ahne „das Himmelsbrot"! Und ehe der erste Laib an- aefchnitten wurde, sprach unser Ahn Hermann Hellwig lenes alte Gebet, das Sie heute an unserem Tisch gehört haben. Was ich Ihnen soeben erzählt habe, schrieb der Ahn später in unser Hofbuch, und hintenan ist sein Wunsch und Wille zu lesen: ,Da der Herre Gott auf so wundersame Weise die Bruchhofleute vor Not und Tod errettet, so soll fürderhin jeder Bruchhofbauer, wenn er das letzte Brot für die Seinen bricht, da« gleiche Bittgebet sprechen, das Anno I8Ü6 ich — der Bruchhofbauer Hermann Hellwig — als erster gesprochen!'" Der Bruchbauer schwieg. Still und sternenhell war die Nacht geworden. Wie ein schützender Friede spannte sich der blaue Nachthimmel über dem schlafenden Sommer lande aus. — „Dies war die Geschichte von dem letzten Brot!" schloß der Bauer. „Nun wissen Sie, waS es mit dem Brauch auf sich hat, den Sie heute bei unS erlebt haben. Von unserm Ahn ging derzeiten die Sitte auch auf die Rachbarhöfe über. Aber heute ist sie da vergessen. Hier auf dem Bruch hof aber wird sie bleiben, solange immer ein rechtmäßiger Hoferbe den andern ablost! Und nun: Gute Nacht! Sie haben morgen einen weiten Weg vor sich. Da müssen Sie heute tüchtig aus- schlasen. — Gute Rächt!" Damit begaben wir uns zur Ruhe. ES war ihm immer, als sei die Zeit stehengeblieben, wenn er jedes zweite oder dritte Jahr seine Vaterstadt besuchte, um an den Hügeln der Eltern und des im La zarett früh verstorbenen Bruders zu weilen. Da sollte naös unruhigen Weltleben auch seinem Leib einmal die Stätte bereitet werden. Jetzt fand er an dieser Stelle die Einkehr zur inneren Lebensbilanz. die in solchem Hauch der Ewig keit, im Widerschein verflossener Kinder- und Heimatjahre wichtiger war als die äußere seiner Geschäfte Da blieb freilich stets ein Minus, ein Zuwenig an Liebe und Güte gegen leine entschlafenen Nächsten und ließ sich für st« selbst nicht mehr nachholen. Rach der Beichte vor dem aus Herzensgründen tau chenden Bild« von Vater und Mutter und des einzigen Bruder- kehrte er bet dem einen oder anderen Jugendbe kannten auf Stunden ein und bezeugte nicht nur oberfläch- liche Teilnahme für Schicksale, die mit dem eigenen manche Frühstrecke geteilt hatten Denn bloß« Neugier verlor vor dem rückschauenden Auge ihren Kurs, vor dem nahen Gesichtskreis des Gottesackers, der Mahnung an dir eigene Vergänglichkeit und vor geschnittenem Korngefild, über da« erste« Herbstein strich. Magdalene Scholl sei auch wieder daheim, tat man ihm diesmal mit manch anderem kund. Sechs Jahre also nur hatte ihr Ehestand gewährt, von dem er ebenso durch Hörensagen wußte, mit einem bald schwer Leidenden, zu letzt fast Erblindetem Jahrzehnte mußte er zurückgreifen, in seine Schülerzeit, als die Eltern freundschaftlich mit dem Amtsgenoffen vom nächsten Dorf verkehrten. Dort wuchs im Lehrerhaus eine ganze Jungenschar heran und zuletzt die Magdalene, von ihren Brüdern wetteifernd be hütet und beschirmt wie eine kleine Prinzessin. Mit ihnen tollte er durch Garten und Feld und kommandiert« st«; aber gegen die Magdalene dampfte sich seine Kraft stets zu ernsthafter Artigkeit, daß die beiderseitigen Eltern scherzten, daraus könnte einmal eine Musterehe werden. Schwere Jahre — lange, weite Entfernung hatten harm lose Heimatträume zugedeckt Es frommte schwerlich, an ko Tiefbegrabenes, Entrückte« näher zu rühren. Aber dann war er doch auf den Weg dahin geraten, wo jetzt Magdalene einem Bruder, dem Nachfolger ihre« Vaters, Haus hielt. Die Apfelbäume an der Straße nick ten ihm zu wie alte Bekannte, obschon auch sie mit den Jahren größer und dichter zueinander gewachsen waren al« gehöre es sich nicht anders Da war auch der abkür- zende Fußpfad durch die Forst gar nicht zu verfehlen, und nur im Dorf selbst einiges verändert durch ein Fabrik anwesen der neueren Zeit, daß er irre wurde und fragen mußte. An der Pforte schon traf er mit ihr zusammen, als hätte sie ihn erwartet, nur daß das Obstkörbchen die nüch terne Wirklichkeit bekundete. Es konnte ja niemand an deres sein, wenn auch in dieser großen, kräftigen Frau daS zierliche kleine Mädchen sich kaum erkennen ließ. Mit gelassener Freundlichkeit, die beinah enttäuschte und doch durchaus am Platze war. sah er sich empfangen; über daS Kinder-Du waren hier wohl allzu viele Jahre und auch Leidniffe gebreitet. Sie rief dem Bruder, der noch im Garten geblieben war, und zwischen den Männern, einstigen Kameraden, fand sich schneller der alte Ton; bald ließ die Frau sie in ihrem Austausch Doch al« dann der Gast zum einbre chenden Abend Abschied nehmen wollte, stand Magdalene wie gerufen vor ihm gleich einer Schranke. „Da- Abendbrot müssen Sie heut« mit unS teilen, Herr Max. Denn damals durften Ihre lieben Eltern mit Ihnen nie vorher gehen — das weiß ich noch ganz genau." Beim Glase Obstwein, am Tisch der alten Gastfreund schaft taute Entfremdung noch mehr, und dem Jugend- gefährten wurde warm und wehe, als habe er eiwa« Lebenswichtiges versäumt, aber noch zurückzugewinnen — etwas, wonach ihn unbewußte Sehnsucht in da« heimat liche Weichbild immer wieder zurücktrieb. DaS volle Haupthaar schimmert« auch ihr an d«n Seiten schon ein wenig hell, und nicht auf der klaren Stirn, doch um den Mund hatten sich Spuren bitteren Erlebens entfaltet; die Gefahr kindischer Verwöhnung für die einzige Tochter und Schwester, die Jüngste war schmerzlich beschworen. Ließ diesem Menschen sich wenigstens vergüten, was er an* deren schuldig geblieben war, al« der Nächsten au« ur sprünglicher Gemeinschaft? Die drei fühlten, wie ste sich über fremdersüllte Zei ten näherrückten: die schlagende Uhr erinnerte, daß all da« leichtfüßig sich nicht üversprtngen ließ, mahnte zum schicklichen Abschied. D«r Lehrer gab dem Jugendfreund durch da« nachtstille Dorf daS Geleit bi« zur alten Eich«, wo der Waldpfad wieder auf die Straß« stieß. ,Zch fr«ne mich sehr, Max", sagte er gegen End«, „daß dtt in unserem schlichten Heim so schnell wieder war« (Zeichnung: Grunwald — M.j / Von Siegfried Brase geworden bist, wo dich doch ganz andere Maße und Vor- tellungen bewegen — daß alte Kameradschaft meisten« eiter Stich hält als manche spätere " „Den Grund will ich dir sagen. Herben. ES ist, wei! rlle klügelnde Zweckberechnung und angewöhnte Streberei ite draußen bis an Tafelrunden reicht, hier nichts zu sagen hat. Denn wo man sich im Knabenkittel kannte ist jede Maskerade unsinnig Und in diesem scharfen Frühlicht, dem unverfälschten Spiegel unseres Wesens iehen wir erst deutlich, waS überhaupt an und in un« ist; aber was wir wurden und gewannen, wird wesenlos Darum ist es mir in der Heimat wie zwischen Toten sonntag und Osternacht, zwischen Versinken und besin- aendem Erstehen Doch dieser Abend wird mich bewe- zen, im nächsten Jahr nicht erst zu kommen, wenn die Tage kurz werden, sondern in da« vollentsprossene Land -^rf ich euch zu Pfingsten wieder besuchen?" „Natürlich gern, lieber Max. Aber bedenke dein ochgestimmtes Versprechen in Ruhe; beim Wort halte ch dich noch nicht." Zch glaube kaum, daß sich das ändert — und darum, lein Lieber — auf frohes Wiedersehen — und grüße ein« Schwester herzlich." Sinfonie -er Pflanzen Schräg über Grobstadtmauern fällt der letzte Schein »er Sonne die sich dem Untergang entgegenneigt. Roch immer wühlt die Hitze in den Straßen, fängt sich im Lärm und dunstet an den Häuserfronten auf, die den Ausblick »um Abendhimmel rings versperren. Die Bäume selbst sind so wie arme Vögel, die man ist Käfigen zu halten pflegt, mit einem Gitter eingezäunt und strecken aus der Umfriedung kahler, kalter Steine ihre Arme wie hilfe suchend «ach dem Himmel hin Indessen breitet sich dasselbe milde Licht, in dem der Friede der Feierstunde liegt. Uber die Landschaft aus Am Abhang einer ausgedehnten Wiese neigen sich die Gräser vertraulich zueinander, die in dem Abendstrahl der Lonnc leuchteu Der Wind streicht über sie mit seiner ieyiei' Wärme, ihm beugen ste sich gern indem ste ihre Halm unter seinem sanften Anhauch neiflen Es steigt ein leicb' »ewegteS Flüstern aus, da« bei dem feinen Zittergrase a» ängt. um dann sich steigernd zum Akkorde anznschwellen »er nun hinüber zu den Büschen greift in deren welchem attem Grün die bunten Beeren funkeln Der Rhmbmu< lutei weiter strömt zu den alten weisen Bäumen hin di. viel gesehen Haden und von manchem Tod der eigenen Genossen noch berichten können Sie wissen um die schauer- vollen Klänge, wenn der schlanke hohe Schaft zu taumeln an fängt und die Krone im Sturze niedersausend mit einem letzten Wehelaut von ihrer Höh herab zur Erde muß Auch jenen kurzen Blitztod kennen ste. der. wie die Menschen sagen, nur die Lieblinge der Götter treffen soll Sie alle aber, deren Wipfel noch voll und dich, dem Lichte zugetan sind und es al« erste trinken dürfen bevor e« in die Waldverschwiegenheit vinabsteig«. dehnen di, auSgespannten Aeste bei jenen Klängen die aus den Halmen Blumenglocken zu ihren fernen stolzen Häuptern steigen. Sie atmen eine Weile unbeweglich bi« dann aus einmal ihr, breiten Kronen im Rbvtbmus hingerissen werden und ihre orgelartigen Stimmen mit in die Abend- andach, einstimmen müssen. Die volle Sinfonie ist nun erwacht Aber der Mensch, ist er noch rein geblieben und ver- traut den Weisen, die au« der Tiefe des Unbewußten stet- gen? Diese sind die Kräfte, mit denen er sein Leben bauen und es formen muß Wenn er die Sprache der Bekannten au« Feld und Wald nicht mehr verstehen kann, so ist di, Unrast sriner Herr geworden er flieh, di» Heimat di, Verwandtschaft de« Lebendigen, da- noch in anderer Form verharren muß und wird entkräftet aus den Bahnen seiner Aspbaltwege al« ein der Heimat Ueberdrvsstger zu sammenbrechen. LS singen Nacht für Nach« die Bäume den Eboral Wer ihn vernimmt, der gibt sich seiner Allmacht bin er findet sich zurück und fühlt sich elngeschlossen in daS Ewig- Ganze. Adelheid Mannstaedt. Der Artigste Vater: „Nun sagt mir mal, Kinder, wer in der letzten Woche am artigsten war und alle« getan hat, was Mutti wollte?" Antwortet Nols: „Da« warst du, Papi!" (Jugend.»