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und Tageblatt Amtsblatt für die kömglichen und städtischen Behörden zn Freiberg nnd Braud. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. 38. Jahrgang. - ' Donnerstag, den 30. Juli. Erscheint jeden Wochentag Abend- ^,7 Uhr für den Ug I andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf., : zweimonatlich 1 M. SO Pf. und cinmonatlich 7b Pf. Inserate werden bis Vormittag 11 Uhr angenom- O O men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile H oder derm Raum 1b Pf. »w v NachbefteMmgen ans -ie Monate August und September Verde« zum Preise von 1 Mk. 5V Pf. von allen kaiserlichen Postanstalten sowie von den be kannten Ansgabestellen und der unterzeichneten Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Die Benutzung -er Eisenbahn- Retourbillets. Im Widerspruch mit den beiden ersten Instanzen, die in der Veräußerung von Eisenbahn-Retourbillets den That- bestand des Betruges gefunden hatten, erkannte vor Kurzem das Kammcrgericht zu Berlin auf Freisprechung, weil solche Billets den Charakter von Papieren auf Inhaber trügen, deren Verkauf Jedem freistehe. In demfelben Sinne sprach sich der berühmte Rechtsgelehrte Professor R. v. Jhering aus, indem er in einer kürzlich veröffentlichten Schrift über „Rechtsverletzungen" deduzirte: „die Forderung des Käufers eines Tagcsbillcls an die Bahnverwaltuna, daß sic, falls er persönlich an der Benutzung des Netourbillets verhindert ' ist, an seiner Stelle einen Andern dafür fahren lasse, ist eine in keiner Weise für dieselbe beschwerende; er verlange von ihr nichts weiter als eine von ihr zugesagte Leistung, und sei es gleichgiltig, wen sie dafür befördere." Zunächst i sand dieser Standpunkt in der Presse eine fast einstimmige Billigung, aber in den letzten Tagen haben sich auch Stimmen erhoben, welche theils aus praktischen, theils aus juristischen Gründen entgegengesetzter Meinung sind. Beurtheilt man die Benutzung der Eisenbahn-Retour billets vom einfach praktischen Standpunkt aus, so findet l man, daß dieselbe auch für das große Publikum zwei Seiten ihat, da der Fall der Verhinderung an der persönlichen IBmutzung eines Netourbillets nur selten vorkommt und Imit dem Vortheil der Preisermäßigung für Tagesbillets I keinen Vergleich aushält. Blieb es aber bei der Entscheidung Ides Kammergerichts, so könnte diese Ermäßigung sehr leicht Iganz in Wegfall kommen, da die Bahnverwaltungen dieselbe Inur eintreten ließen, um den Personenverkehr zu heben, und .keinen Grund haben, dadurch freiwillige finanzielle Verluste Izu erleiden, daß sie es Fahrgästen, die von vornherein laicht zurückfahren wollen, ermöglichen, Tagesbillets zu er mäßigten Preisen zu lösen und am Bestimmungsort ange llangt, das Retourbillet an regelmäßige Passanten zu ver- »äußem. Bis das Verbot des Verkaufs solcher Netourbillets Irinaeschärft wurde, soll auf einzelnen Bahnhöfen ein gewerbs- unäßiger Handel mit solchen Billets stattgefunden haben Md haben die Bahnverwaltungen schon deshalb Grund, »solchem Unwesen zu steuern, weil daffelbe schließlich sogar .die Integrität der Eisenbahnschaffner gefährden würde. Trotz der Autorität des Berliner Kammergerichts und Ides berühmten Nechtslehrers v. Jhering fcheint die Zu- pässigkeit der Uebertragbarkeit der Netourbillets von junsti- Ischem Standpunkte noch keineswegs festzustehen, da in der fiNational-Zeitung" Zuschriften von Juristen veröffentlicht werden, welche die Angelegenheit in völlig widersprechender Weise beurtheilen. In dem einen Schreiben heißt es: „Trotz aller Bestimmungen der Eisenbahnreglements über die Unveräußerlichkeit der Netourbillets dürfte unbestreitbar Nein, daß am Schalter zwischen dem Käufer eines Billets mnd der Bahnvcrwaltung ein Vertrag über die Beförderung Wer bestimmten Person nicht geschlossen wird. Ob per Käufer eines Billets dasselbe für sich oder für einen Hinderen kauft, bleibt am Schalter unerörtert. Auch dann, wenn es gar nicht zweifelhaft ist, daß der Käufer des Billets dasselbe nicht für sich haben will, wird eine Werson, welche aus dem Billet berechtigt sein soll, nicht lestgestcllt. Die Absicht der Kontrahenten geht auch dicht etwa dahin, daß die Person aus dem Billete berechtigt sein soll, welche entweder selbst am Schalter vekauft hat oder die Rechte des Käufers von demselben als Auftraggeber, Zessionar oder sonst durch Vertrag erworben bat. Denn wäre dies die Absicht der Kontrahenten, so würde die Bahnverwaltung von 'dem Inhaber des Billets den Nachweis fordern können, daß er der Käufer sei oder daß die Rechte des Käufers durch Vertrag auf ihn über tragen seien; mindestens müßte die Bahnverwaltung durch den Nachweis, daß ein solcher Rechtserwerb nicht stattge funden habe, den Inhaber de^ Billets von der Benutzung desselben ausschließen dürfen. Zweifellos ist aber auch Der jenige, welcher ein vom Käufer, etwa weil dieser die beab sichtigte Reise aufgegeben hat, weggeworfenes Billet sich aneignet, zur Benutzung desselben berechtigt, und kann doch in diesem Falle von einer Uebertragung der Rechte des Käufers auf den jetzigen Inhaber nicht die Rede sein. Der Inhalt des am Schalter geschlossenen Vertrages geht also lediglich dahin, daß der Inhaber des Billets be rechtigt sein solle, die auf dem Billet bezeichnete Bahnstrecke innerhalb der bezeichneten Zeit zu durchfahren. Diesem Inhalte des Vertrages entspricht die Form der Urkunde (des Billets), welche den aus derselben Berechtigten nicht nennt. Reglementarische oder beim Verkauf ausvedungene Unübertragbarkeit ist für den späteren Inhaber des Billets selbst dann ohne Wirkung, wenn das Billet den Vermerk dieser Unübertragbarkeit trägt. Dieser Vermerk würde sich darstellen als eine Vertrags klausel, nach welcher die Urkunde von der Zeit ihrer ersten Benutzung ab die Eigenschaft eines Jnhaberpapiers verlieren soll. Wenn die beregte Klausel in dem Retourbillet über haupt eine rechtliche Wirkung zu äußern vermag, so kann es nur die sein, daß die Eisenbahnverwaltung berechtigt sein will, das ausgegebene Billet nach Beginn der Benutzung aus einem Jnhaberpapier in ein Namenpapier zu ver wandeln, d. h. das Billet d«ch Aufschrift des betreffenden Namens so zu verändern, daß die aus dem bisherigen Jn haberpapier fortan allein berechtigte Person aus dem Billet zu erkennen ist. So lange solche Veränderung mit dem Billet nicht vorgenommen ist, wird ohne Furcht vor dem Strafrichter das Retourbillet beliebig veräußert, erworben und benutzt werden können. Ucbrigens würde ein Straf verfahren auch schon durch die Thatsache ausgeschlossen werden, daß der Erwerber des Netourbillets sich trotz des entgegenstehenden Vermerks auf dem Billete zur Benutzung desselben berechtigt gehalten hat." Diesem den Jhering'schen Standpunkt einnehmenden Juristen steht aber ein anderer schroff entgegen, welcher der „National-Zeitung" Folgendes schreibt: „Freilich ist das ge wöhnliche Eisenbahnbillct nicht, wie die Rundreisebillcts, ausdrüällich auf Namen geschrieben; aber ebensowenig enthält es irgend einen Vermerk, der auf seine Uebertrag barkeit durch einfache Weiterbegebung hindeutete. Ob man daher die eine oder die andere rechtliche Eigenschaft in ihm findet, dafür wird, glaube ich, allein der Inhalt des Fracht- oder Transportvertrags maßgebend sein, wie er zwischen Eisenbahnverwaltung und Neisenden am Eisenbahnschalter geschlossen wird. Gehört es zu den er kennbaren, beiden Theilen bewußten, Vertragsbedingungen, daß die Bahn dem Käufer des Netourbillets die Rückfahrt zu ermäßigtem Preise ausschließlich für seine Person ge währen will, dann ist das Retourbillet zweifellos kein Jn haberpapier, sondern eine Vertragsbeurkundunq über das zwischen zwei bestimmten Personen abgeschlossene Fracht geschäft, die Transportbeförderung nur einer bestimmten Person betreffend. Weshalb aber für die Vertrags auslegung nicht die Reglements, Instruktionen und Ver fügungen der Bahnverwaltung mit in Betracht kommen sollen, dafür möchte ein Grund schwer findbar sein. Der Strafrichter wird jedenfalls immer zu prüfen haben, welche Befugnisse hat die Bahn durch Annahme des Fahrpreises und Aushändigung deS Netourbillets vertragsmäßig an den Reisenden übertragen wollen, und inwieweit hat der Reisende in die ihm bekannten Vertragsbedingungen ge willigt? In letzterer Beziehung wird freilich dem Reisen den und dem zweiten Erwerber des Netourbillets jeder that- sächliche Jrrthum über den Inhalt des Vertragsverhältnisses, und auch die doua ticke Ucberzeugung von dem Besitz eines auf den Inhaber lautenden Billets subjektiv zu Statten kommen. Steht aber einmal fest, daß die Bahn den er mäßigten Fahrpreis nur Demjenigen vertragsmäßig gewährt hat, welcher persönlich innerhalb bestimmter Frist die Bahn strecke hin und her benutzt, war dem Käufer des Netour- biüets und seinem zweiten Abnehmer diese Bedingung be kannt, dann wüßte ich in der That nicht, weshalb eine geflissentliche Täuschung der Bahnverwaltung über die Er- Mung der fraglichen Jdentitätsbedingung weniger zum Betrüge zugerechnet werden dürfte, als etwa eine Täuschung über die Beobachtung der für die Giltigkeit des Netourbillets entscheidenden Zeitsrist." Mehr vom praktischen Gesichtspunkte aus beurtheilt diese Frage der Absender der folgenden Zu schrift : „Die von den Eisenbahnen getroffene Einschränkung gebt dabin, daß ein Retourbillet von keiner anderen Person I benutzt werden dürfe, als derjenigen, welche die Reise auf das Billet begonnen hat. Es ist also Voraussetzung dieser Vorschrift, daß es stets — objektiv — feststeht, welche Per son die Reise auf das Billet begonnen hat. Es läßt sich aber an folgenden Beispielen erweisen, daß diese Voraus setzung irrig ist. Auf die Nachricht einer Erkrankung reisten zwei Schwestern des Kranken mit dem Entschlusse zu ihm, daß die eine zur Pflege längere Zeit verbleiben, die andere am nächsten Tage zurückkehren solle. Wer die Pflegerin sein wird, darüber soll der Kranke erst selbst entscheiden. Deshalb lösen die Schwestern ein einfaches und ein Netour- billet, das letztere soll die am nächsten Tage Zurückkchrende benutzen. In gleicher Art können zwei Socien eine Geschäfts reise machen, die den einen alsbald, den anderen später zurückkehren läßt. Oder: Ein Fabrikbesitzer läßt sich aus einer anderen Stadt 100 Arbeiter auf zweitägige Probe arbeit in der Absicht kommen, die 30 brauchbarsten Arbeiter dauernd zu behalten; es werden in Folge dessen 30 ein fache und 70 Netourbillets gelöst. Stellt man nun in diesen Fällen die Frage: wer hat mit dem Retourbillet die Fahrt begonnen? so muß man offenbar antworten: überhaupt keine bestimmte Person. Daraus eraiebt sich aber, daß es im Wesen der Eisenbahnretourbillets nicht minder wie der Eisenbahnbillets überhaupt liegt, daß cs nicht nothwendig eine bestimmbare Person sein muß, welche die Reise mit einem bestimmten Billet beginnt. Folgt dies aber aus dem Wesen des Billets, so ist es einflußlos, daß die Fälle, in denen diese Art der Benutzung stattfindct, die Ausnahme bilden. Eine Vorschrift, welche die Person des ersten Benutzers entscheidend sein lassen will, für die künf tige Benutzung, setzt sich mit dem Wesen des Eisenbahn billets allgemein in Widerspruch, weil es zu diesem Wesen gehört, daß es eine bestimmbare Person des ersten Benutzers überhaupt nicht zu geben braucht. Deshalb kann die Vor schrift überhaupt nicht zur Anwendung gelangen." Bei so entgegengesetzten Meinungen ist cs sicher Beruf der Gesetzgebung, diese Angelegenheit definitiv zu regeln, welche für das Publikum zu sehr unangenehmen Konse quenzen führen kann. Ob der Handel mit Netourbillets als Betrug anzusehen ist oder nicht, steht trotz der Ent scheidung des Berliner Kammergerichts noch nicht fest, sondem wird durch das Reichsgericht entschieden werden müssen. So lange diese letzte Instanz keine prinzipielle Entscheidung gefällt hat, dürfte es jedoch sehr rathsam sein, jeden Handel mit Netourbillets zu unterlassen. Tagesschau. Freiberg, den 29. Juli. Der deutsche Kaiser unternahm vorgestern Abend in Gastein eine Spazierfahrt und wohnte dann einer Soiree bei der Gräfin Lehndorff bei. Gestern nahm der greise Monarch das siebente Bad und machte darauf einen Spazier gang auf dem Kaiserweg. — Die deutsche Kaiserin ist Montag Abend in Homburg emgetroffen und auf dem Bahnhofe von der zur Kur in Homburg weilenden Fürstin Bismarck em pfangen worden. Ihre Majestät begab sich durch die reich geschmückten Straßen unrer der enthusiastischen Begrüßung einer zahlreichen Volksmenge nach dem Schloß. In Rüdersdorf bei Berlin wurde am Sonnabend Abend das dort alljährlich gefeierte Bergfest begonnen. Gegen 1000 Bergleute versammelten sich in Paradetracht auf dem dortigen Turnplatz. Zunächst hielt der Obersteiger Dietrich eine Ansprache an die Knappschaft und wünschte allen Theil nehmern vergnügte Feiertage. Dann ging der Zug unter Vorantritt der Bergkapelle nach dem Jnfpektionsgebäude, vor welchem der Obersteiger ein Hoch auf die Bergverwaltung und speziell den Bergrath v. d. Decken ausbrachte. Der Letztere dankte den Bergleuten, prics das glücklich verlaufene Jahr und brachte ein Hoch auf den obersten Bcrgherrn, den Kaiser aus. Darauf bewegte sich der Zug unter Vorantritt des Bergraths und der Ehrengäste, darunter der Vertreter der Oberbergmannschaft in Halle, der Geheime Oberbergrath Kramer und eine Deputation des Berliner Magistrats, nach der mit Laubgewindcn, Büsten und Fahnen geschmückten Fest halle, wo das erste offizielle Tänzchen stattfand, au welchem auch die Ehrengäste sich betheiligten und das um neun Uhr jein Ende fand. Sonntag früh um halb zehn Uhr versammelten sich die Bergleute von Neuem im Heimtzbruch und zogen zum Gottesdienst nach dem aus Rüdcrsdorfer Kalkstein erbauten, 1873 vollendeten Kirchlein, in dessen Mittelschiff die Bergleute, auf den Emporen die Gemeinde und vor dem Altar die Ehren gäste Platz nahmen. Prediger Wagner hielt die Festpredigt. Nach dem Gottesdienst ging es in geschlossenem Zuge nach der