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BeMArM md TagMall. " Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Bmnd. Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. — „ - . Z8, Jahrgang. >— . . nz» ö Erscheint jeden Wochentag Abends7 Uhr sür den Inserate werden bis Bormittag 11 Uhr angenom- 91. Mittwoch, de« 32. April. 1885. Der Verzicht aus Pendjeh. In der vergangenen Woche war allseitig die Meinung verbreitet, England werde ganz ruhig darein willigen, daß der Emir von Afghanistan das Gebiet um Pendjeh an Rußland abtrete. Die Versicherung des englischen Premier ministers Gladstone, die Ueberlassung von Pendjeh an die Russen sei noch keineswegs beschlossene Sache, wurde nur , als ein diplomatischer Winkelzug angesehen und angenommen, daß England bereits in allen streitigen Punkten nachgegebeu habe. Offenbar in der Absicht, die konservativen Gegner Gladstone's aufzustacheln, behauptete der „Standard" sogar, die neue Grenzlinie werde genau so weit südlich gezogen werden, als die russische Regierung ursprünglich verlangt hatte. Nur der Ort Zulfikar, welcher die westlich gelegene, längs des Herirud führende Straße nach Herat beherrsche, werde afgha nisch bleiben. Die radikalen Organe fanden dabei nicht das geringste Demüthigende und meinten, wenn der Emir Ab durrahman selbst keinen Werth auf Pendjeh lege, dagegen Bedenken trage, englische Truppen durch sein Land marschiren zu lassen, habe England wahrlich kein Recht mehr, den An greifer zu machen. Die Behauptung, daß auch der Vize könig von Indien, Lord Dufferin, und der Oberbefehlshaber der englisch-indischen Armee, Sir Donald Stewart, die Er klärung abgegeben hätten, daß der Besitz von Pendjeh keinen Krieg wcrth sei, wird von unterrichteter Seite stark an gezweifelt. Wahrscheinlich ist Dufferin's Bericht in London noch gar nicht eingegangen und dürfte derselbe weit eher der Ueberzeuguna Ausdruck geben, daß der Kampf zwischen England und Rußland um den Mitbesitz der indischen Meeresküste wohl aufgeschoben aber nicht ganz vermieden werden kann. Diese Ueberzeugung hat sich in den letzten Tagen in London wieder so sehr Geltung verschafft, daß dort seit Sonnabend die Friedensaussichten als weit ver mindert angesehen werden. An diesem Tage fand in der englischen Hauptstadt ein politisches Zweckessen statt, bei welchem der als erbitterter Gegner Gladstone's bekannte Lord Churchill in höchst ge wandter und überzeugender Weise nachwies, wie die eng lische Herrschaft in Indien einen tödtlichen Schlag erhalten würde, wenn die gegenwärtigen Verhandlungen mit Rußland nicht zu einem für England ehrenvollen Resultate führten. Wenn wirklich Gladstone und Granville die Absicht gehabt haben, Rußland in der afghanischen Grenzfrage weit gehende Zugeständnisse zu machen, so sind sie durch die gereizte Stimmung, welche jetzt nicht nur in den konservativen, sondern auch in den gemäßigt-liberalen Kreisen Englands herrscht, bewogen worden, ihre Ansicht über die Bedingungen des Ausgleichs zu ändern. Es ist bezeichnend, daß das spezielle Organ des Ministers Gladstone „Daily-News" am Montag ausdrücklich erklärte, die Gerüchte von der im Prinzip voll zogenen Abtretung Pendjehs seien vollständig erfunden und daß dieses Blatt die Fortsetzung der Rüstungen als dringend nöthig bezeichnete. Auch der „Standard" bekundete euren vollständigen Umschlag der Stimmung, den er dem Umstand zuschrieb, daß Rußland neuerdings seine Forderungen noch höher schraube. An der Friedensliebe der leitenden Staats männer Englands ist kaum zu zweifeln; dieselben waren noch vor wenigen Tagen bereit, in der Hauptsache nach zugeben und suchten nur einige Zugeständnisse im Interesse des englischen Ansehens in Indien herauszuschlagcn. Es hätte nur, wie die russenfreundliche radikale „Pall-Mall- Gazette" sich ausdrückt, des Schattens von einem Zuge- ftändniß bedurft, um das englische Kabinet zu befriedigen, dem es nur um etwas Zucker für die Pille zu thun war, welche es der öffentlichen Meinung Englands zu reichen sich gezwungen sehe. Wie es scheint, lehnte aber Rußland jede Konzession ab und verlangte eine seinen Interessen voll entsprechende Grenzregulirung in Afghanistan. Das Petersburger Blatt „Wjedomosti" drückt ganz offenherzig den Wunsch aus, daß England die bittere Pille von Pendjeh vor den Augen seiner Vasallen wie Europas hinunterwürge und räth der russischen Regierung, den Engländern mit der Besetzung von Herat zuvorzukommen. Man schreibt es wohl nicht ohne Grund dem fried liebenden russischen Kaiser zu, daß bis jetzt noch ein offener Bruch mit England vermieden wurde. Nach der „Times" soll der Zar erst vor wenige» Tagen in einem Telegramm, welches einem augenblicklich in Paris verweilenden russischen Großfürsten zuging, die bestimmte Hoffnung susgedrückt haben, den Frieden zwischen England und Rußland erhalten zu sehen. Die von dem Staatsrath Katkoff geleitete „Moskauer Zeitung" bestreitet die angeblichen russischen Rüstungen und sucht die Friedensliebe Rußlands daraus zu beweisen, daß General Komaroff jeden weitern Vorstoß gegen Herat unterließ, trotzdem ihm seit der Besetzung von Pendjeh der Weg dorthin offen stand. Statt einen russi schen Administrator in Pendjeh einzusetzen, hat Komaroff dort eine aus Eingeborenen bestehende provisorische Ver waltung eingerichtet. Daß der Emir von Afghanistan trotzdem Herat für ernstlich gefährdet hält, geht daraus hervor, daß er bei seiner Durchreise durch Tamrud erklärte, er habe bereits von Kandahar aus Verstärkungen nach Herat beordert. Das in Lemberg erscheinende polnische Blatt „Przeglvnd" behauptet, der russische Staatsrath Katkoff habe trotz des erwähnten friedlichen Artikels alles Ernstes den Vor schlag gemacht, das linke Weichselufer Polens mit Warschau an Deutschland abzutreten und dafür durch Einbeziehung Persiens in die russische Jnteressen-Sphäre Rußland einen Weg zum indischen Meere zu bahnen. Bis dahin hat es wohl noch gute Wege, aber Rußland kann jetzt bequem warten, weil es in Zentralasien bei Pendjeh mit seinen Truppen eine brillante Stellung einnimmt. Mit schönen Redensarten von dem sandigen Landstreifen, um deswillen England doch keinen Krieg mit Rußland an fangen würde, ist es nicht weit her, da in der That dieser Landstreifen nicht mehr oder weniger als die strategische Beherrschung des nordwestlichen Afghanistans bedeutet. Es ist dabei vollkommen gleichgiltiq, ob Rußland sich hier eine Operationsbasis für weiteres Vordringen in der Richtung auf Indien oder nach dem persischen Meerbusen über Belud- schistan schaffen will. Für beides ist das Festsetzen in der Linie Zulfikar-Pendjeh eine vortreffliche Etappe, und des halb zeigt auch Rußland gar keine Neigung, diese Linie wieder auszugeben. Vom Zulfikar-Paß, der am unteren Herirud, nahe an der persischen Grenze liegt, und wo der rechte Flügel derRussen steht, bis nachHerat, sind nur 170Kilo- meter Entfernung. Von Pendjeh aus, welches der linke Flügel der Russen besetzt hält, sind bis Herat 190 Kilometer, so daß 6—7 Tagemärsche genügen, um russische Truppen bis an diesen Schlüsselpunkt des westlichen Afghanistan zu bringen. Die Russen haben bei einem solchen Vormarsche für ihren rechten Flügel gar nichts zu befürchten, da ihnen hier Persien die Flanke deckt und für die Hauptmacht, welcher mehrere Straßen längs des Kuschk-Flusses zu Gebote stehen, giebt es bis Herat keine nennenswerthen Hindernisse mehr. Ob England gewillt oder im Stande ist, die russischen Ansprüche mit den Waffen in der Hand zurückzuweisen, bleibt dabei eine Sache für sich. Behält aber Rußland die neue Grenze, so giebt es nur eine Möglichkeit für England, ihm ein Paroli zu bieten, und das besteht in der Besetzung Herats mit englischen Truppen. Kommt es dann zu einem Kriege zwischen England und Rußland, so wird derselbe sich wahrlich nicht auf Zentral asien beschränken. Eine erfolgreiche Landung englischer Truppen an der Ostseeküstc hält man in Rußland für vollständig unmöglich, da besonders die Küstenvertheidigung Esthlands schon seit längerer Zeit trefflich organisirt worden ist. In Rußland war der Kaiser stets friedlich gesinnt, aber der Krieasminister und die Generalität immer der Ansicht, daß der Krieg früher oder später unvermeidlich sei, da Ruß land sein Gebiet in Asien nicht so leicht auf dem Papier vermessen könne, wie man dies mit dem Kongo-Staat auf der Berliner Konferenz gethan hat. Die Frage: „Wo ist Rußland verwundbar" beantwortet die Londoner „St. James Gazette" mit dem Hinweis auf die mangelhaft beschützte Ost-Küste des asiatischen Rußlands. Wladiwostok sei der einzige russische Hafen am stillen Ozean, der das ganze Jahr hindurch offen stehe und dessen Verlust die russi schen Kreuzer ohne einen Absahrtshafen lassen würde. China dürfte nur zu gern wieder in den Besitz des 1860 verlorenen Gebiets gelangen, selbst zu dem Preise, Wladi- wostock in den Händen Englands zu lassen. Eine kleine Flotte in jenem Hafen würde keine Schwierigkeit haben, Ochotsk und Petropaulowsk in den Sommermonaten zu blockiren. Wie verlautet, beabsichtigt die englische Regie rung in den bedeutenderen Häfen, in denen im Falle eines Krieges britische Kaufinannsgüter Gefahren ausgesetzt sein würden, schnellsegelnde Kreuzer zu stationiren. Zu diesem Zwecke sollen weitere Fahrzeuge gemiethet und armirt werden, so daß die Gesammtzahl der Kreuzer auf 15 ge bracht wird. Die Stimmung in England wird durch solche Vorbereitungen natürlich eine noch kampflustigere. Tagesschau. Freiberg, den 21. April. Der Abschluß eines neuen Schutzvertrages des deutsche« Reiches mit dem Häuptling eines ostafrikanischen Gebiete- wurde mehrseitig in Abrede gestellt. Der „Elberfelder Zeitung" wird jetzt jedoch von gutunterrichteter Seile bestätigt, daß seit Wochen die deutsche Flagge auch in Ostafrika weht. Diesem Blatt schrieb man über das betreffende Unternehmen der Kaiserlichen Korvette „Gneisenau" Folgendes: „Eine Dampf- pinasse und vier bewaffnete Boote gingen ans Land. Die Truppe kommandirte ein Kapi'än-Lieutenant, dem noch zwei Offiziere beigegeben waren. Etwa die Hälfte der einige sechzig Köpfe zählenden Mannschaft wurde an der Küste zurückgelassen, die andere begab sich etwa 10 Meilen weit ins Land zu dem Sitze des Vali, welcher über das Gebiet die Herrschaft ausübt. Vali ist ein etwa Vizekönig bedeutender Titel, den der ost afrikanische Häuptling noch aus der Zeit besitzt, wo der Imam von Maskar Oberherrscher über die ganze Küste war. Der Vali nahm die Deutschen sehr entgegenkommend auf; sieblieben eine Nacht dort, Geschenke wurden gewechselt. Am andern Tage wurde zwischen dem Vali und dem ersten Offizier ein Schutzvertrag abgeschlossen, in welchem den Deutschen voll ständige Handelsfreiheit und die Freiheit der Niederlassung gewährt wird. Andererseits erhielt der Häuptling in verbriefter Form den Schutz des Deutschen Reichs zugesagt. Das Gebiet desselben liegt wenige deutsche Meilen nördlich von der Grenze des Sultanats von Zanzibar, welches nach der im Austrage des auswärtigen Amtes gearbeiteten Kongokarte bei Port Dansord am Wabuschki endigt. Es ist gewiß von großer Wichtigkeit, daß Deutschland an der Ostküste einen freien Zu gang ins Innere besitzt. In der ersten Meldung hat da- Wort „Somal" zu Mißverständnissen geführt. Das vorzugs weise so genannte Somaliland füllt auf der Karte die Spitze südlich vom Golf von Aden bis etwa zum vierten Grad nörd licher Breite aus. Dieses große Ländergebiet war nicht gemeint. ' Der Ort, wo die Korvette „Gneisenau" Boote ausgesetzt hat, ist zwischen Port Danford und dem Aequator zu suchen." lleber die Zustände in dem westafrikanischen deutschen Kamerun gebiet wird dem „Hamburger Korrespondent" geschrieben: „Hier in Kamerun naht der volle Friede; die Bell-Leute sind mit den Hickory-Leuten versöhnt, und wird Abo demnächst auch wieder aufgeschlossen; ebenso soll in einigen Tagen der Verkauf von gewöhnlichen Waffen und Pulver wieder erlaubt werden. Der Häuptling „Elami-Joss" kommt mit der Bitte um Verzeihung zum Admiral Knorr und in kurzer Zeck dürfte auch diese Angelegenheit erledigt sein." Bei der gestern im deutschen Reichstage fortgesetzten zweiten Lesung der Zollnovelle beantragte Abg. Fr ege die Position „Thonwaaren" wegen der zahlreich eingegangenen Petitionen an die Kommission zu überweisen. Abg. Richter erklärte darauf, er sei im Interesse der baldigen Erledigung der Geschäfte gegen den Antrag; es werde unmöglich sein, über Pfingsten hinaus ein beschlußfähiges Haus zusammenzuhalten. Er Müsse sich überhaupt jeder weiteren Verschiebung der Tagesordnung widersetzen, da eine solche nur dazu dienen könne, die Gegner der Zölle niederzustimmen. Vor der Ab stimmung über den Antrag des Abg. Frege bezweifelte Abg. Grillenberger die Beschlußfähigkeit des Hauses;'der hierauf erfolgte Namensaufruf ergab 200 Anwesende. DaS Haus war also beschlußfähig und wurde von demselben der Antrag Frege angenommen. Es folgte hierauf die Berathung der Viehzölle, und zwar zunächst die Position „Pferde, Maul- thiere und Esel". Abg. Wilbrand sprach gegen die Vor lage, und betonte, der Zoll werde der Landwirthschaft nur Schaden bringen. Abg. v. Schalscha erwiederte, der vor geschlagene Zoll sei so unbedeutend, daß er gegenüber dem Werthe der importirten Pferde gar nicht in Betracht komme; höchstens werde dadurch die Einfuhr von werthlosem Material verhindert, was lein Schade sei. Abg. Dirichlet bemerkte, die Einfuhr minderwerthiger Pferde sei ein Beweis dafür, daß von kleinen Grundbesitzern diese billigen Pferde gebraucht würden, da jene nicht die Mittel hätten, sich werthvolle Pferde anzuschaffen; gerade für diese würde ein solcher Zoll drückend sein. Abg Staudy sprach für die Viehzölle. Schließlich wurde der Antrag der freien Vereinigung mit 126 gegen 94 Stimmen angenommen; nach diesem Antrag ist für Pferde ein Zoll von 20 Mark pro Stück genehmigt, Maulthiere und Esel aber sind zollfrei. Nunmehr folgte die Berathung der Position „Stiere, Kühe, Ochsen, Jungvieh und Kälber." Abg. Graf zu Stolberg-Wernigerode befürwortete dieselbe und erklärte, es handle sich um einen Schutz für die Vater