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15 Fortsetzung Zur Linden blieb äußerlich gelassen, obwohl in ihm der Zorn kochte: „Du vergißt dich. Im übrigen, wenn die junge Dame dir zugetan wäre, hätte sie dir wohl ein« Annäherung gestattet. Und jetzt geh ' „Geh', wiederholte er heftig, als Frank keine Miene machte, daS Zimmer zu verlassen. Frank ballte die Fäuste, tat einen Schritt auf den Vater zu. Aber plötzlich sank er in sich zusammen, das Gesicht entfärbte sich, das Kinn siel schlaff auf die Brust. Langsam wandte er sich und ging mit knickenden Schritte«. Zur Linden wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es ist Zeit, daß Annemarie von hier fortkommt, dachte er sich. Hernach werde ich mir den Burschen vor knöpfen. * Es war zehn Tage später, als bei zur Linden eine Besuchskarte abgegeben wurde: Professor Dr. Peter Bruck Chefarzt des Sanatoriums Haldenhof, Badenweiler ,^Jch lasse bitten." Zur Linden ging dem Gast einige Schritte entgegen, beide Männer musterten sich einen Augenblick lang mit kühler Ueberlegung. Der Hausherr winkte mit der Hand, bot Zigarette« und Feuer: „Wollen Sie sich nicht setzens Rauchen Siek Hier, bitte." „Ich nehme mit Dank an." Bruck bediente sich, beide Männer bliesen ein paar kunstvolle Ringe, blickten dem Rauch besinnlich nach; die ablenkende Beschäftigung erleichterte die Lage wesentlich. Zur Linden wartete schweigend. Endlich begann der Gast: „Ich will meine Karten offen aufdecken. Ihre Gatlin hat mir das ehrenvolle Vertrauen geschenkt, mit Ihnen über eine Scheidung zu verhandeln. Frau zur Linden ist nicht mehr gewillt, die Ehe, wie sie fetzt besteht, oder vielmehr nicht mehr besteht, noch Wetter fortzuführen." Bruck blickte sein Gegenüber gerade an. Warte nur, ich krieg dich klein, wenn du Schwierigkeiten machen solltest, dachte er und beobachtete gespannt Mienenspiel und Haltung des anderen. Aber etwas ganz anderes geschah. Zur Lindens eben noch verärgertes, finsteres Gesicht erhellte sich ganz plötzlich. Keines der gefürchteten Wider- Worte fiel. „Maria will sich scheiden lassen? DaS kommt meinen eigenen Wünschen entgegen." „Ihre Gattin appelliert an Ihre Ritterlichkeit und bittet in Anbetracht der langen, glücklichen Ehejahre, die Sie verbunden haben, um loyale, schnelle Durchführung der Angelegenheit ohne die üblichen gehässigen Beigaben." „Was meiner Auffassung entspricht." „Man würde am besten einen Anwalt fragen, der über den schnellsten und sichersten Scheidungsgrund zu verlässig beraten kann. Die Sache mit der gegenseitigen Abneigung ist zu langwierig und ungewiß." „Einverstanden. Ich werde mich in Düsseldorf infor mieren. Und — darf ich Nachricht an Sie gelangen lassen, da Sie mir gegenüber ja der Vertreter meiner Frau sind?'' „Bitte." „Noch eins, Herr Professor. Die Frage soll keine Indiskretion sein —" zur Linden lachte, er konnte ge winnend lachen, wenn er wollte, und hier wollte er ge winnen — „ich gebe Ihnen die Versicherung, daß die Beantwortung der Frage meiner Frau nicht schaden Wird — will meine Frau etwa heiraten?" Bruck zögerte. Aber zur Linden, dem dies Zöger« nicht entging, erklärte verbindlich: „Die Frage ist wirklich keine Falle, sie entspringt lediglich dem Interesse an meiner langjährigen Lebens gefährtin. Glauben Sie mir, es wäre mir eine gewisse Beruhigung, eine große Beruhigung sogar, um ganz offen zu sein, wenn ich wüßte, daß Marta sich nicht grämt, daß sie glücklich ist in einer neuen Bindung." Dennoch blieb Bruck vorsichtig: „Ich rate Ihnen, ganz einfach Ihrer Gattin zu schreiben, sie kann Ihnen die Antwort besser geben als ich. Hier ist übrigens der Brief an Sie, den sie mir mttaab, ich weiß nicht, ob sie da schon von ihren Plänen geschrieben yvt." fd Vom Ich zum Du. Die Irrungen und Wirrungen, die sich in die Ge schicke der Aelteren so sinnbetörend heretngeschlichen hatten, schienen sich zu planvoller Neuordnung der Ding« gestalten zu wollen. Die drei Menschen, die jenseits der Jugend standen und ihre Lebenswunden schon davon- aetragen hatten, glaubten, ihr Glück in festen Händen zu halten. Unter den Jungen aber, den Unfertigen, die noch gläubig alles vom Leben erwarteten, Optimisten, herrschte in der gleichen Zett Zweifel und Hader. Als Sibylle, von Wimbledon zurückkommend, i« Mülheim erwartungsvoll auS dem Zugfenster spähte, war Klaus nicht zu sehen. Beunruhigt stieg sie auS, schalt juh aber gleich selbst: „Natürlich ist er da, selbstverständ lich", suchte den Bahnsteig auf und ab. vergeben?. Er wird die Karte haben sparen wollen, schoß es ihr Herz- erleichternd in de« Sinn; st« lief zur Sperre, aber auch da stand KlauS nicht. Er wird auf dem Badenweiler Bahnhof warte«, die Fahrt mit der Lokalbahn war ihm sicherlich zu teuer, so wird eS sei«. Aber auch da war KlauS nicht. Gepeinigt von böser Unruhe, gekränkt und zornerfüllt fuhr sie nach Hause. Unglaublich, wie der Wagen schlich. Bruck hatte eS eingerichtet, daß er die Tochter wenig sten- hie, am HauSetngang empfangen konnte. Er sah in ihre Augen, die den Aufruhr ihrer Gefühle hüllenlos spiegelten, begriff sofort, hals ihr ritterlich beim Ablegen, schickte daS Mädchen weg, und führte die Tochter, den Arm schützend um sie legend, inS Wohnzimmer. ,Ha, Bille, ein böser Empfang. Dein Verlobter ist fort." „Fort?" ,Za. Er hat mir einen Brief geschrieben, hier, d« darfst ihn lesen. Er hat seinen Entschluß, zu gehen, logisch und ganz plausibel begründet. Man kann nicht viel da gegen etnwenden. Für dich ist auch einer da, der ähnliche- enthalten wird." „Wo — bitte. Gib schnell." Sie riß de« Umschlag auf, la- hastig, ihre Hanh zitterte. „Bitte." Sie gab ihn dem Vater. Sie saß nun sehr gerade da — sie wollte Haltung zeigen, nicht weinen: „Merkwürdige Auffassung, Vater." ,Hch kann ihm so unrecht nicht geben. Er behauptet, eure Verlobung sei bet der Unsicherheit seiner wirtschaft lichen Verhältnisse ein unüberlegter Schritt gewesen. Er könne dir, die du verwöhnt bist, Rot nie kennengelernt hast, nicht zumuten, sein ungewisses Los zu teilen — oder einen jahrelangen Brautstand auf dich nehmen. Ja, mein liebes Mädel, das sind die Bedenken, die mir gleich zu Ansang eurer Verlobung auch gekommen sind. Ihr hättet klüger getan, das vorher zu überlegen." „Es ist ja albern", unterbrach sie ihn heftig. „Du bist doch da und ich habe Mutters Netnes Vermögen, er weiß das ganz genau." „Ja, das weiß er, er erwähnt es doch aüch in dem Brief an mich." „Du nimmst ihn wohl in Schutz. Ein Mann hält natürlich immer zum Mann. Aber ich habe gedacht", nun kamen die mühsam zurückaehaltenen Tränen doch, „du würdest zu mir halten, der Vater zur Tochter." „Ville. Ich begreife, daß ein junger tatkräftiger Mensch wie Klaus sich nicht von Frau und Schwieger vater ernähren lassen mag. Du mußt versuchen, auch im Schmerz gerecht zu bleiben." Ihr junges Gesicht versteinte, zeigte ihre ganze ver störte Hilflosigkeit: „Aber ich hab ihn doch lieb, Vater. Was soll ich denn nur tun?" „Das mußt du selber finden, da kann kein Mensch dir raten." „Soll ich hinfahren, ihn bitten, wiederzukommen?" „Das wird zwecklos sein, Bille, KlauS ist ein Mann, der genau weiß, waS er will." Ihr Gesicht wurde ganz klein, die Tränen liefen nu« über die Wangen. Sie schmiegte sich a» den Vater, weinte den ersten Schmerz ihres Lebens an seiner Brust aus. Bruck strich ihr zärtlich über das Haar: ,Zch wüßte schon eine Lösung, Btllektnd. Aber ich mag sie dir nicht sagen." „Warum nicht? Hilf mir doch." „Weil sie doch nur Zweck hat, wenn du sie allein findest." „Ich bin so dumm und ungeschickt, Vater. Ich komme gewiß nicht darauf." „Es hat mit Klugheit und Geschicklichkeit nicht da- geringste zu tun, eS kommt nur darauf an, ob du da- Herz aus dem rechten Fleck hast." „Du hast mir daS Herz ja immer abgesprochen." „Hab ich. Aber seit neulich glaube ich doch, daß eS auch bei dir in der richtigen Jungmädelwetse funktioniert." Bruck erhob sich, gab die Tochter frei: „So, nun wasch dir die Tränen auS dem Gesicht und denk ein bißchen nach. Du hast eine Schlacht verloren, das entscheidet noch keinen Feldzug. Ein guter Soldat geht danach mit um so größerem Schneid in die nächste." Er küßte sie auf di« Stirn, sah ihr lächelnd in di« Augen: „Du mußt nur selber wissen, wa- du willst, dann ist nicht- verloren. Dein KlauS ist ein prachtvoller Jung«, und er liebt dich." „Er hat heimlich Schluß gemacht, ohne mich anzu hören.' „ES gibt ein alteS Wort: Alle- verstehen, heißt alles verzeihen. Und jetzt, Mädel, muß ich wieder zu meine» Patienten. Also denk mal hübsch nach." Bruck kam nicht wieder aus diese Unterredung zurück. Wenn Sibylle davon anfangea wollte, wehrte «r bestimmt und unnachstchtlich ab: „Du mußt allein deinen Weg finden. Entschlüsse, die «tnem von anderer Seit« beigebracht werden, hab«» Seinen Wert." Niemand war da, der helfen konnte. Warum wa Mutter toti Eine Mutter, ja, die hätte wohl mttsühlr und raten können. Und Frau zur Linden war fort. Sie hatte schon etu mal sreundltch guten Rat gewußt. Warum war si. nicht da? Oben in Meersburg war sie. auf des Vaters Wein gut. Jeden Morgen lag ein Brief von ihr auf dem Früh stückStisch, hastig pflegte der Vater nach ihm zu greifen, aber niemals las er ihn in Gegenwart der Tochter. WaS bedeutete daS? Warum malte Frau zur Linde« nicht ihre angesangenen Bilder hier zu Ende? Sibylle begriff die Angelegenheit nicht ganz, di« beiden waren doch offensichtlich gern beieinander gewesen, und die täglichen Briese deuteten daraus hin, daß dies« Gesinnung sich in keiner Weise geändert habe. Warum i« aller Welt aber war Frau zur Linden dann abgeretst? Aber ganz gleich, mochte da nun vorliegen, was wollte. Sie, Bille, mußte Fra« zur Linde« sprechen. Unbedingt. St« sagte eS dem Vater: „Du, ich nehme morgen früh den Wagen, ich will nach Meersburg. Du hast doch nicht- dagegen?" Bruck sah sein Mädel nachdenklich an: „Du willst zu Frau zur Linden?" ,Za, Vater." Sehr zögernd kam die Antwort. „Findel sich mein kleines, dumme- Mädel, da- dock sonst ganz Helle ist, gar nicht allein zurecht?" Sie schüttelte den Kopf: ,^JHr Männer, ihr macht e- un- so schwer, und dann verlangt ihr, daß wir in allem Bescheid wissen. — Je wenn Mutter noch lebte," stieß st« hervor, „die würd: mich verstehen und mir helfen können." Nachdenklicher Ernst ging über de- Manne- Gesich' verdrängte Schalk und Spott aus den Augen. Mit rasche: Bewegung zog er seine Tochter an sich: „Fahr nur. mein Kind, und vertrau dich Frau zur Linden an. Du hast da wirklich einen guten Gedanken gehabt." Am nächsten Morgen sah Sibylle von ihrem Balkon auS, wie der Vater Rosen schnitt. Der Vater selbst, der vielbeschäftigte Leiter deS HaldenhofeS, der zu solcher gärtnerischen Beschäftigung sonst niemals Zett hatte' Diese Rosen gab er ihr bet der Abfahrt zusammen mit einem Brief. „Bring sie Frau zur Linden, mein Kind." Sibylle krauste die Stirn, sann während der langen, brausenden Fahrt über die Tatsache, daß der Vater Blumen schnitt und täglich Briefe von einer fremden Frau bekam, eindringlichst nach. Der Vater, der bis >etzt zwanzig Jahre lang noch immer in leidenschas'! icher Trauer an die Mutter gedacht hatte, in dem eine grau nur Anteilnahme erweckte, wenn sie krank war. — Uatz diese Frau hier war verheiratet, hatte Kinder. : Wie ein Mühlrad gingen schwere, harte Frage« «wo- lässig in Sibyllens Kopf herum; aber sie zwei , sich schließlich zur Ruhe, Vater wußte, WaS er tat. UM Kale, tat, war immer recht und gerade. Sie kam in guter Morgenstunde schon nach Konstanz, bewährte wieder einmal ihr Gefühl für die OrtSverhält- nifle einer fremden Stadt, fuhr am Hafen, Konzilgebäud« vorbei über die Rhetnbrücke, sah flüchtig, trotzdem genau, alles, raste die villenbesetzte Seestratze entlang auf Allmannsdorf zu. Die Fähre war gerade abgefahren. Seufzend parkte Sibylle den Wagen, lachte dann doch stillvergnügt in sich hinein; sie spürte Hunger. Plötz- lich war er da. Diese Atempause von einer halben Stund« war gerade daS richtige. Sie setzte sich in den Vorgarten eine- kleinen Gast- hauseS und ließ sich das Frühstück mit dem gesegneten Appetit ihrer gesunden Jugend schmecken. Nein, so wett war sie noch nicht, auS unglücklicher Liebe keinen Hunger zu haben. Drüben, immer mehr sich verschleiernd im Glast der höher steigenden Sonne, lag also Meersburg. Der See funkelte, seine weite Fläche war mit grellen Stlberlichten überstreut. Jetzt rauschte die Fähre heran, entlud ihre Fahrgäste und Automobile. Sibylle steuert« ihr«n Wagen auf da- Schiff. Sie stand an der Reling, hatte ihre Freude un den Möwen, die beutegierig daS Schiff umkreiste«, elegante, silberweiße, langbeschwtngte Vögel. Aber ihr Helles Entzücke« wa«delte sich bald i« «ach- denNichen Ernst. Bon einem Ufer zum anderen fahr« ich, dachte sie. Nicht nur hier auf dem Bodensee, auch das mit KlauS ist so. von meinem Ufer, von meinem sorglosen, Hellen, unbeschwerten Leben, von meinen Erfolgen muß ich hin über in sein karges Dasein, muß die Enge mit ihm tragen Sonst verliere ich ihn, eS gibt keinen anderen Weg. Die Fähre legte an. Sibylle fuhr eng«, winNtge. «ltertümltch« Gassen steil bergan, passierte daS obere Lor. gewann die Weinberge. Da war da» HauS. Eine hochgewachsene, schmal: Frau ging langsam zwischen de« Wetnstöcken, hob den Kops, alS sie die Hup« hört«, kam mit eilige« Schritten zur Gartenpforte. -