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Zweiundsiebzigster Jahrgang. »KL« es l - Inhalt: Der stumme Tee. — Die Puppe. — Weihnachten 1870 im Felde. — Humoristisches. — Rätsel-Erke. Meiner Sehnsucht Lee kenn keine Lieder, Dumps und tonlos schlummern rings die Weiten — Nur die Ltille summt — Und langsam gleiten Weiße Schwäne traumhaft aus und nieder . . E. K. L. Nur im Innern brennen bunte Farben, Die des Mondes lautes Lilber scheuen. Die sich tief im schweren Schwarzlicht freuen Ob der Träume, die am Morgen starben. Weihnachten 1870 im Felde. Persönliche Erinnerungen von Ernst L u njd. (Nachdruck verboten.) All die Hunderttausende sturmerprobter Soldaten des deutschen Heeres, die fern der Heimat auf Frankreichs Boden standen, wurden weich, wenn sie des Festes gedach ten — sie sehnten es herbei wie eine nach wildem streite die üb- Er war zehn Jahre alt gewesen, und sie mochte sieben zählen. — Er war der Lohn des berittenen Steuerauf sehers, und sie das Mädelchen von dem Gutsbesitzer. Aber jeden Mittag, wenn der Kantor die muffige Lchulstube ab geschlossen hatte, und der warme Kaffee verdampft war, kam die flachsblonde Grete den Hang hinab, um nach dem Spielgefährten Ausschau zu halten, und jeden Mittag um dieselbe Zeit jagte er den Hang hinauf, und wenn sie dann, meist in der Mitte des Weges zusammentrafen, schlugen sic sich in das Unterholz, das den Ucbergang von den grü nen Triften zum dichten Walde bildete. Dann berichtete er, was der Kantor ihnen beigebracht hatte, und sie be klagte sich „über Fräulein", das sic „so sckiarf" anfaßte und sie „egal mit Vokabeln quälte". Und wenn sie dann gegenseitig ihre Herzen von der Last des Tages befreit hatten, drückten sie sich in den schat ten einer stämmigen Eiche, und er erzählte ihr von Theo dor Körner, wie der gegen die Franzosen geritten und in der schlacht gestorben war, oder von dem alten Fritz, der sich gegen die ganze Welt behauptet und Panduren und Franzosen zu Paaren getrieben hatte. Und sie klagte ihm dann ihr Leid, daß die Puppe Lisbeth so unartig gewesen sei und nicht gehorchen wollte-, abends war das Kind nicht ins und morgens nicht aus dem Bett zu bringen. — Von drüben, über die Aehren, sah der breite Turm des Guts- l iitzes zu ihnen herüber, und von drunten, aus dem Dors grund, schlug die alte Kirchenuhr die halben und die gan zen stunden zu ihnen empor. In der Ferne aber, aus dem Blauen heraus, lockte eine feine Linie: das waren, wie er, auf sein Wißen stolz, berichtete, die Berge, hinter denen große Städte lagen und breite Flüße gingen-, hinter denen der Kaiser und die Kaiserin wohnte- hinter denen das Leben begann, in das sie auch einmal hinein müßten — sic und er. Tenn das konnten sie sich nicht anders aus denken, als daß sic sväter einmal Mann und Frau werden müßten. Und ort, wenn die Zickzacklinie ganz besonders deutlich aus dem Blauen lockte, saßen sic wohl in stummer Andacht da, hatten die kleinen Köpfchen in die kleinen Fäustchen gepreßt und harrten dem Morgen, das da kom men sollre, mit fiebernden Pulsen entgegen. Dann wieder packte sie der Uebermut, und sie tollten I durch den Wald, jagten über die Diesen undDeiden, pflück- Unterhaltungs -Beilage »« Sächsischen Dorfzettung «i» Elbgaupresse. zupacken, Kisten zu wälzen und das Unterste zu oberst zu kehren. j j Aber was er haben wollte, entdeckte er nicht. Ob er auch schachtel um Schachtel bis auf den Grund durch forschte und Fach um Fach auskramte. Da hinten in der Ecke das Kistchen — brrr — der Staub, der von ihm auf flog, benahm einem ja schier den Atem! — vielleicht, daß sich in ihm fand, was ihn auf „die Fahrt nach der alten Urkunde" getrieben hatte —? Er hatte alle Mühe, den Deckel zu lösen, und erst, als er eine Art Stemmeisen angesetzt hatte, wichen die rostigen Nägel von ihrem Platz. Krach, zersplitterte das Holz — und Krach, brach da eine Faser und dort eine Leiste ab. — Endlich —! Und der Professor sah mit großen Augen in die schier leere Kiste, aus der es wie ein feiner Moderge ruch aufstieg von getrockneten Blättern und Blüten — und seine Hand zitterte merklich, als er auf den Grund des Holzes griff und eine häßliche, schmutzige Puppe an das Kerzenlicht beförderte — einen rechten Wechsclbalg —! Zu erst starrte er auf das kleine Ungetüm, entsetzt, verblüfft: wie kam so etwas an diese Stätte? Aber plötzlich löste sich > seine Starre, und seine Blicke gingen über die Puppe hin weg und aus dem Zimmer hinaus, weit, weit in das Land hinein, da eine warme Frühlingssonne einer seligen Kin- derzeit lachte. ten haufenweise die dicken Kuhblumen ab und banden sie zu Kränzen zusammen. Und also geschmückt, zogen sie« Lieder singend, dahin. Er mit einer schnell gebrochenen Rute, an deren Spitze ein Strauß prangte, sie, das Kind, die Lisbeth, im Arm. Bis er dann eines Tages mit der Botschaft zu ihr kam, daß sein Vater versetzt sei und sie nun in das Land zögen, das hinter jenen Bergen läge, und von dessekl Wun dern ihre junge Sehnsucht so oft geträumt hätte. Gespro chen hatten sie an diesem Nachmittag nicht viel, dafür aber um fo neugieriger und trauriger zu der Zickzacklinie hin- übergefehen, die ihr Kinderparadies trennen füllte. Zum Abschied dann hatten sie sich einen Kuß ge geben und „Lebewohl" gesagt — und ihre Zähren waren gefloßen. — Dann war das eine abwärts und das andere aufwärts gegangen, und das eine hatte sich oft nach dem anderen umgesehen und gewinkt, mit müder Hand, bis sie auf einmal gehalten und ihn zurückgcrufen hatte. Da war er den Hang hinaufgehastet, wie in all den Wochen und Monden zuvor, mit einer fröhlichen Unbekümmertheit. „Ta", hatte sie zu ihm gesagt und ihm ihrePuppe entgegen gestreckt, „da: nimm das Kind mit, aber verwahre es gut. Ich schenke cs dir —! Später komm ich zu dir — dann spielen wir wieder zusammen mit ihm —." Ein kurzer, aber weher Abschied zwischen der Kleinen und der Puppe, und er hielt die Lisbeth wie cineSiegestrophäc in der Rech ten. — Und nahm sie mit in die Wunder, die hinter jenen Bergen lagen und am Ende gar keine Wunder waren; mit in die späteren Knaben- und die ersten Iünglingsjahre; und wie ein Talisman schirmte und schützte ihn das strup pige Ungetüm vor Fährnissen da und Fallen dort. Ueber der Puppe lachte ihm die flachsblonde Grete entgegen, und mit der flachsblonden Grete grüßte ihn seine erste Jugend. Bis die Not des Lebens kam und der Kampf um Sein oder Nichtsein. — Da vergaß er der Puppe und ver gaß der blonden Grete — höchstens, daß ihm nachts im Traum die eine oder die andere einmal wie eine erdferne Vision erschienen war. Die Kerze war fast bis auf den Stumpf herabge brannt; aber der alte Mann saß noch immer unbeweglich vor der geöffneten Kiste und hielt die schmutzige, struppige Puppe im Arm, die einmal seine Jugend begrüßt hatte. In seinen Augen stand ein Leuchten, und seine Lippen lächel ten leis, und „Grete, Grete" flüsterte er dem Wechselbalg zu . . Zsschcht, zschschscht. Tie Kerze war erloschen. — Nun stöberte der blanke Mond mit aufdringlicher Neugier durch die Kammer, und in seinem Lichte fand sich der Profeßor nach und nach wieder in die Wirklichkeit zurück. An das Manuskript dachte er mit keinem Gedanken mehr. Mit einem tiefen Seufzer, der weit, weit her kam, erhob er sich und verließ die Stube. — In der Küche prallte er wider eine Haushälterin. Die fuhr entsetzt zusammen. Um Kotteswillen —! Ter Herr Profeßor! Wo kam denn der nur her —?! Staubig war sein Anzug, und Spinngewebe hingen ihm im Rücken und — und — die Puppe?! „Verzeihen der Herr Profeßor, daß ich ohne Ent schuldigung —". Aber der nickte nur lächelnd und sagte wie aus einem langen Traum heraus: „Ja, ja — es gar gut so — war sehr gut so — " Dann verschwand er in seinem Zimmer. — Als Haushälterin später zum Eßen rief, fand sie ihn, wie lich, vor feinen Papieren; aber er arbeitete nicht, starrte nur diese Puppe an, diese eklige, häßliche, schmutzige Puppe. Ter Profeßor war doch nicht am Ende —? Die Frau mochte den Gedanken nicht ausdenken. Aber auch die Studenten, die gelegentlich zu ihrem Lehrer in die Wohnung kamen, wunderten sich nicht wenig, daß auf einem Tischchen in der Ecke eine eklige, häßliche, schmutzige Puppe lag, die sich mit einer gewißen Selbstver ständlichkeit zwischen allerhand philosophischen Systemen und metaphysischen Problemen spreizte — just, als gehörte sie dahin. Die jungen Leute schüttelten dann Wohl den Kops und sahen sich fragend zuerst, aber dann gleich ant wortgebend an: Mit dem Alten —? Hm — ja, ja, die Jahre — die Jahre — die verwüsteten selbst die besten Gehirne Ter Professor aber, dem das Starren und Staunen der anderen nicht verborgen blieb, lachte nur leise in sich hinein — weil er über ein Leben hinüber den Weg in das Glück seines Kinderlandes zurückgefunden hatte, sollte er kindisch geworden sein? Daß ihm seine Studien nicht und nicht seine wissenschaftlichen Erfolge dauernd hatten besche ren können, eine stille Zufriedenheit, die mit einer weh mütigen Gelassenheit das Leben hinauf und das Leben hin unter sieht, die dankte er jener Puppe dort, einer ekligen, häßlichen, schmutzigen Puppe — und seine Blicke grüßten liebkosend das kleine Ungetüm — und „Grete, Grete!" flüsterte er ihm entgegen — „Grete, Grete!" Dir Puppe. Eine Skizze von Iose 1 Bu ch.h o r n. (Nachdruck verboten.) Der Profeßor ließ von feiner Arbeit ab, erhob sich langsam und griff nach der Klingel. Jawohl, oben in dem ! Söllerzimmer, wo er alte Abhandlungen und Manuskripte aufbewahrte, mußte sich auch der Aufsatz finden, auf dessen Material er sich jetzt bequem stützen konnte. Ein paar Nachträge noch, und die Arbeit seiner Jugend fügte sich lückenlos in das schaffen des Alters ein. — Er zog noch einmal an dem Glockenzug. Gar denn seine Haushälterin ausgvgangen? Ohne ihn zu unterrichten? Ja, ja, man hatte seine Plage mit dem Personal. Ta war keine Liebe, keine Freude, wie bei verheirateten Kollegen. —-Ter Pro fessor lächelte: — wie bei verheirateten Kollegen? Die hatten auch nicht darben müßen, als es galt: emporzu klettern, sich durchzusetzen; hatten über ihrer Wissenschaft nicht das Leben vergeßen und mit der Frau ihren Wohl stand verdoppelt. Er aber —? Als er in den Jahren gewesen war, wo man um ein Weib freite, stand die Not vor seiner Türe, und der Wille, den er an sein Leben und an seine Arbeit gesetzt hatte, zwang auch seine Wünsche. Er öffnete die Türe seines Schreibzimmers und horchte auf den Gang hinaus. Kein Tritt war zu ver nehmen. So tastete er sich gemächlich nach der Küche hin und machte Licht. Er war tatsächlich allein im Hause. — Aber sein Manuskript durfte nicht warten. Hm, wenn er nur in seiner eigenen Wohnung besser Bescheid gewußt hätte? Da — das Wandbrett; Schlüssel zum Keller, zum Trockertfpeicher — zum Söller —! Umständlich zündete er eine Kerze an und kletterte dann die Treppen zum Speicher empor. Nach vielem hin und her fand er end lich auch das Zimmer, das seine Schätze bewahrte. Er stellte die Kerze achtsam beiseite, so daß sie in dieser Fülle von Papier- und Buchwerk kein Unheil anrichten konnte und begann zu suchen; Schachteln aufzuschnüren und aus Der stumme See. Meiner Sehnsucht Tee kennt keine Lieder, schwarz umflort von Pinien und Zypreßen - Am Gestade hockt schwerdunkel das Vergeßen Wie ein Weib, vom Lied des Lebens trunken . .