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der Belagerung Wiens, rauben jetzt die Eroaten trotz aller Vorsicht und Gegenordre. In den Theatern jauchzt das Volk Stücken, welche die gute alte Zeit beloben, Beifall zu; es ist dieß dasselbe Volk, welches noch vor Kurzem jeden mit Hängen oder zum Wenigsten mit Mißhandlungen und Katzenmusiken bedrohte, welcher dasselbe zu thun gewagt hätte. Nur mit der gänzlich verwahr losten politischen Bildung der Oesterreicher ist solch ein characterloser Principienwechsel zu entschuldigen. Das Volk hat sich nie dafür interessirt, hat sich nicht dafür interessiren können, da es streng von der Regierung verboten war, sich öffentlich mit Politik zu beschäftigen. Als die Freiheit im Früh jahr erwachte, wurde die dargebotene Gelegenheit mit Heißhunger ergriffen und es fanden sich bald Volksredner und Volksführer im Ueberfluß ein, da jeder, welcher eine gute Lunge mit etwas Redner talent zu haben glaubte, sich berufen fühlte, die Regierung des Volkes in seinen Kreisen zu über nehmen und so eine wichtige Rolle zu spielen. Hätten nun diese Volksredncr dahin gewirkt, das Volk, die Arbeiter w. über Politik wirklich zu be lehren und ihnen den strenggesetzlichen Sinn und die Achtung der Gesetze beizubringen, wie sie z. B. in Nordamerika, England rc. herrschen, und die ersten Bedingungen eines gebildeten Volkes sind, so würde es jetzt schon in Deutschland viel besser stehen, aber sie haben nur das Volk, welches ohne alle politische Bildung leicht bestochen ward, sie als Propheten der wahren Freiheit anzusehen, zu ihren Gunsten mit leeren Redensarten abgespeist und schon mehr als einmal sind in der letzten Zeit aus den wüthendsten Freihcitspredigern die zahmsten Regierungsmänner geworden, wenn sie ihren Zweck, eine gute und profitable irdische Stellung auf eine oder die andere Art erreicht hatten. Die Anhäng lichkeit Oesterreichs an Deutschland ist ziemlich ganz verschwunden; es will ohne Deutschland seinem Schicksal entgegen gehen. Die ofsicielle Meldung dieses Entschlusses wird baldigst in Frankfurt er wartet. Das Standrecht ist nun in Wien auf gehoben und das gewöhnliche kriegsrechtliche Ver fahren angeordnet/ Die letzten Opfer waren zwei Schriftsteller Becher und Jellinek, die wegen auf rührerischer Aufsätze erschossen worden sind. Vier Stunden nach diesen Hinricktungen paradirten die Truppen vor dem russischen Fürsten Lieven, der die Orden dem Windischgrätz und Jellachich vom Czar überbracht hat. Die Freundschaft mit Ruß land wird überhaupt wieder sehr innig. In Folge der Sperrung Ungarns werden die Lebensmittel täglich theurer, und die Noth und das Elend der entwaffneten Arbeiter und der geringeren Volks classen wird dadurch noch vermehrt. Der Verkehr stockt fast gänzlich; die Börse ist geschäftslos. Der Verlust des Militärs bei der Einnahme Wiens be tragt an Tobten 175 Mann, l4 Officiere und 57 Pferde, an Verwundeten 42 Officiere, 774 Mann und l l Pferde. Der Kaiser schreibt sich wieder „von Gottes Gnaden" und hat den Titel „con- stitutioncller Kaiser" abgelegt. — Die Ungarn scheinen bei Windischgrätz in die Schule gegangen zu sein. Wer ihnen verdächtig ist, wird ohne Um stände standrechtlich behandelt. Außerdem fallen der Pöbelherrschast und dem Privathasse fast täglich Opfer. Der Zustand Preußens und Berlins ist noch derselbe. Die versuchte Wiedereröffnung der Natio nalversammlung, in Brandenburg fand Len 27. Nov. statt. Es war nicht die beschlußfähige Anzahl der Abgeordneten vorhanden. Die Verhandlungen waren dem Ministerium nicht sehr günstig, doch ohne weiteres Interesse. Auch in Berlin tritt die gleiche Gesinnungslosigkeit zu Tage, wie in Wien. Ge neral Wrangel wird oft von Vivats auf den Stra ßen empfangen von demselben Volke, welches noch vor Kurzem mit der Nationalversammlung zu siegen oder zu fallen schwur. Große Schuld daran tragen freilich die demokratischen Volksbeglücker mit ihrem arbeitsscheuen Anhang, deren Herrschaft die noch etwas zu verlieren habenden Bürger weit mehr fürchten, als die Militärherrschaft, bei der sie doch wenigstens ihres Lebens und Eigenlhums sicher sind. Die in Berlin zurückgebliebenen National vertreter haben den 27. Novbr. wieder 100 Mann stark eine Sitzung gehalten, wurden jedoch aufs Neue vom Militär auseinander getrieben. Eine Vereinigung mit dem König ist bis jetzt entschieden mißglückt. Selbst die Frankfurter Deputirten, dar unter Präsident v. Gagern scheinen keinen günstigen Erfolg herbeiführen zu können. In der Druckerei der Nationalversammlung zu Berlin sind alle Druck sachen vom Militär weggenommen worden. Bei einer Versammlung von Bürgerwehrmännern spra chen sich zwei Drittheile gegen die beabsichtigte Wiedererrichtung der Bürgerwchr aus. So ändern sich die Zeiten. Den 28. Novbr. hielt die Branden burger Nationalversammlung eine zweite Versamm lung, war aber wieder nicht beschlußfähig, da nur 159 Abgeordnete zugegen waren. Einer der Ber liner Hauptvolksführer und Freiheitskämpfer Held setzt jetzt die Gerichte, welche einen Eid von ihm röthig haben, dadurch sehr in Verlegenheit, daß er behauptet, an keinen Gott zu glauben, also auch nicht bei seinem Namen schwören zu können. In den Provinzen sind an mehreren Orten Tu multe ausgcbrochen. Die Demokraten oder viel- irehr diejenigen Subjecte, welche die Revolution gom fortdauernd machen möchten, da sie durch sic al<ein zu gewinnen hoffen und von einem geordne ter Leben nie Freunde gewesen sind, haben den Sieuervcrweigcrungsbcschluß der Nationalversamm- lurg mit großer Freude ergriffen, um ein Willkür- un> Schreckenssystem in der ganzen Monarchie zu venreiten und allen Handel und Gewerbsverkehr volends zu Grunde zu richten. So war dieß der Fal in Merseburg, Eöln, Düsseldorf, Trier, Bres lau Bonn, Eoblenz; es ist jedoch theils durck das Militär, theils durch die Bürgcrwehren diesem