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Grossenhainer Anterhaltungs- und Anzeigeblatt. Mit Hoher Concession gedruckt, verlegt und redigirt von Herrmann Starke. 7. Sonnabend, den 23. Januar 1847. Aus dem Kaukasus. Man spricht in der Ferne viel vom Kriege und vom Volke der Tscherkessen, das so lange den russischen Waffen einen gewaltigen Widerstand geboten, und wir erstaunten, im Kaukasus an- gekommcn, keine Tscherkessen da zu finden, wo der' allgemeine Ruf sie hingepflanzt. Nur ein sehr kleiner Völkerstamm, lief im Gebirge, führt diesen Namen, den man in der Ferne auf eine Menge anderer, viel wichtigerer Völkcrstämme übertragen will, welche, mit den ersteren ver bunden, den russischen Waffen gegenüberstehcn. Die größeren Völkerschaften, die sich über einen Raum verbreiten, der viel größer als Deutsch land und gebirgiger als die Schweiz sein dürfte, sind die Tschetschenzen, Andizen, Kumiken, Schamhanzen, Atmanhanzen, Nogaer, Leshier, Karabulaten, Kurinzen, Tawliner, Grusiner, Jmereten, Kabardinzen, Schatzsuchen, Gigorzen, Ossetaner und andere. An der Gränze der streit- führenden Mächte leben bisweilen Feinde und Freunde in heimlicher Eintrackt oder bekriegen sich gegenseitig, wie die Deutschen zur Zeit des gepriesenen Mittelalters, ohne daß die Feldherren, die Officiere der Schlachtlinien, etwas davon wissen. Hier z. B. eine Kriegsepisode, welche dem fernen Europäer einen Blick in die hiesi gen Verhältnisse und Charaktere gestatten mag. Ein junger Kosak, Alexei mit Namen, der ein Haus, einen Hof an der Gränze und eine schöne junge Frau hatte, empfing Wochen und Monate lang Besuche eines jungen tscherkessischen Fürsten, Selim. Die tscherkessischen Fürsten sind, wohl verstanden, nicht viel mehr als deutsche Bauern. Selim beschenkte seinen russischen Freund ge wöhnlich sehr reich, unter Anderm verehrte er ihm ein Pferd der Landesrace, so schnell, daß es im Schritte stündlich 16 Werste, d. h. bei nahe zwei deutsche Meilen, machte. Eines Mor gens kehrte Alexei von einem Zuge heim und fand zu seinem Schrecken seine Hütte verbrannt, ein paar Dienstleute ermordet, seine Frau aber entführt. Er bat seine Vorgesetzten um Hilfe, damit er seine Feinde verfolgen könne, da er aber allenthalben abschlägige Antwort erhielt, machte er sich selbst, stark bewaffnet und auf seinem raschen Pferde sitzend, aus und fand nach einigem Suchen die Wegspuren der Feinde und nach 24 Stunden endlich ihr Nachtquartier im Walde. Um die Hütte Alexei's zu überfallen und sich nach ihrer Beraubung zu flüchten, hatten die Feinde innerhalb 24 Stunden 20 deutsche Meilen machen müssen. Nach solcher Anstren gung schlief Alles im kleinen Lager, das etwa 20 Krieger umfassen mochte. Die Burka (der rauhe Filzmantel), über Flinten und Aeste auf gespannt, verrieth das Lager eines Häuptlings. Alexei schleicht nun heran und findet Selim, den befreundeten Tscherkcssenfürsten, tief schlafend und an seiner Seite die geraubte Frau wachen. Alexei tritt schweigend zu ihr, ergreift sie bei der Hand und führt sie aus dem Zelte, aus dem Lager auf sein Pferd. Sie folgt lautlos und blaß. Auf dem pfeilschnellen Tscherkessen- rosse fliehen sie einen halben Tag lang und sind bereits am Kuban, an der freundlichen Gränze, als Alexei von einer Anhöhe die verfolgenden Feinde erblickt. Selim, der Tscherkesse, ist ihm am nächsten, hinter demselben seine Begleiter je nach der Schnelle und Ausdauer ihrer.Rosse. Da Alexei nicht mehr fliehen kann, erwartet er seinen Feind, vom Pferde springend. Beide schießen jetzt ihre Pistolen ab; beide fehlen, wo rauf der Kampf mit Säbel und Uatagan (die Hiebwaffe der Tscherkessen) beginnt; beide Waf fen zerbrechen im hitzigen Streite, worauf das Ringen, der Kampf mit dem Dolche beginnt. Beide Streiter stürzen zur Erde. Alexei, wel cher oben zu liegen kommt, der aber, von den Armen des Feindes umstrickt, keine Möglichkeit sicht, seinen Dolch zu gebrauchen, und die An kunft der Anderen befürchten muß, ruft seine Frau um Beistand an, allein diese rührt sich nicht und antwortet: „Ihr langweilt mich beide, cs mir ganz gleichgültig, wer von euch beiden stirbt." Jetzt giebt Wuth und Eifersucht dem Manne neue Kräfte, er ringt einen Arm frei und erdolcht den Feind glücklich, nimmt ihm hierauf Flinte und Waffenschmuck ab und ge langt zu Roß mit seiner neueroberten Frau heim wärts. Seine Freunde und Gefährten schießen alsbald für den Tapfern zusammen, bauen ihm eine neue Hütte und gründen ihm einen neuen Haushalt. Beim Einweihungsfeste wirft Alexei die Frage auf: was in einem ähnlichen Falle