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Oerllicht und sächsische Nachrichten. — Eibenstock, 16. Dezember. Der beim hiesigen Amtsgericht angestellle Schreiber Walther Horbach ist vom 1. Januar 1914 ab als Remunerat an» Kgl. AmrSge- richt Plauen versetzt. — Eibenstock, 16. Dezember. Von unbekannter Seite wurden dem .Amts- und Anzeigeblatt' Mk. 2.— über mittelt mit der schriftlich beigefügten Bitte, den Betrag einem WohltätigkeitSzweck zuzuweisen. Wir haben da» Geld daraufhin dem hiesigen Frauenverein übermittelt. — Dresden, 15 Dezember. LandtagSabg«- ordneter Riem, der am Dienstag erkrankt war, ist am Sonnabend abend im Johannstädter Krankenhaus im Alter von 46 Jahren gestorben. Riem, der Redakteur der »Dresdner Volkszeitung' und Mitglied der Gesetzgebungsde putation im Landtage war, vertrat seit 1909 den 2. ländlichen Wahlkreis Groß-Schönau-NeugerSdorf in der 2. Kammer deS Landtages. Riem war seinerzeit in der Stichwahl gegen den Nationalliberalen gewählt worden. — Chemnitz, 15. Dezember. Die Stadt Chemnitz läßt im oberen Lautenbachtal eine Talsperre errichten. Die Arbeiten werden bereits im Januar in Angriff genommen. — Schwarzenberg, 15. Dez. Tödlich verun glückt ist hier der bei dem Obererzgeb. Elektrizitätswerk an gestellt gewesene Zählerkontrolleur Hr. WolterS. Er stürzte die zu seiner Wohnung führende Treppe herab und zog sich so schwere Verletzungen zu, daß er nach einigen Tagen starb. Der Verunglückte war vom Dienstag abend bi» zu seinem am Freitag erfolgten Tode besinnungslos. — Neustädtel, 15. Dezember. Der hiesige Turn verein (D. T). brachte gestern Sonntag da» neueste Hei- m atf e st s p t e l deS al» Verfasser verschiedener erzgebirgtscher Volksstücke rühmlichst bekannten Herrn Schuldirektor Uhlig in Lauter, genannt »Daheim und draußen', zur Urauffüh rung. Inhalt und Darstellung fanden große Anerkennung und reichen Beifall. — Bekämpfung des Ramscherunwesens in der Stickerei- und Spitzenindustrie. Nach einem der Handelskammer Plauen zugegangenen Bescheid hat sich das Ministerium des Innern bei der Reichsregierung Zwecks Maßnahmen zur Bekämpfung de» Ramscherunwesen» m der Stickerei- und Spitzemndustne für eine entsprechende Arnderung der W 34 bezw. 35 der Gewerbeordnung ausge sprochen. Amtliche MNtteiluugen aus den Sitzungen des Stadtrates zu Eibenstock. 41. Sitzung vom 27. November 1913. Anwesend: S RatSmitglieder. Den Borsitz führt Herr Bürger meister Hesse, Ritter pp. — Ohne Gewähr für daraus abgeleitete Rechte. — I) Der SchulauSschuß hat zu den Beschlüssen über die Neugestaltung des Schulwesens noch verschiedene Ausführungsvorschläge abgegeben. Diese werden vom Rate bedingt genehmigt. 2) Eine Anzahl der am Kreuzeiwege neu angepflanzten Straßenbäum chen sind angeschnitten und abgebrochen worden. Für die Er mittelung des Täters wird eine Belohnung von 30 Mk. ausgesetzt. 3) lieber die Ergänzungswahlen zur Bezirksversammlung erfolgt kurze Aussprache, wobei bekannt gegeben wird, daß Herr Kommerzienrat Wilhelm Dörffel eine Wiederwahl als städt. Vertreter auS Gesund heitsrücksichten nicht annchmen wird. Die Wahl ist demnächst in gemeinschaftlicher Sitzung zu vollziehen. 41 Eme Eingabe von Viehbesitzern erstrebt erneut die Bildung einer freien Vereinigung zum Zwecke der Bullenhaltung. Der Stadtrat ist an seine ablehnende Stellung gebunden und beschließt Bericht erstattung an die Königliche Kreishauptmannschaft. 5) ES wird Kenntnis genommen a. vom befriedigenden Ergebnisse der Prüfung der Bierstruer- rechnung auf das Jahr 1912; b. vom Dank des Herrn Ehrenbürgers Justizrat Landrock in Plauen für stadträtliche Beglückwünschung zur Silberhochzeit; o. von den Berichten über das Ergebnis der Nahrungsmittel untersuchungen auf da« Jahr 1912 6) Das sogenannte Forenser-Verzeichnis wird sestgelegt. Weitere Beschlüsse wurden ferner gefaßt in 6 Steuersachen und 10 verschiedenen anderen Angelegenheiten. 42. Sitzung vom 2. Dezember 1913. Anwesend: 4 Ratsmitglieder. Den Vorsitz führt Herr Bürger- meister Hesse, Ritter pp. — Ohne Gewähr sür daraus abgeleitete Rechte. — l) Verschiedene Vorschläge des Bauausschusses über die Bauarbeiten in den VolkSschulgebanden und über die Einrichtung der Dampf heizung im alten Schulgebäude werden im allgemeinen angenommen. Es wird zunächst die Veranschlagung der beantragten Arbeiten beschlossen. 2) Die Zimmerarbeiten für den weiteren Ausbau des städtischen Frei- badeS werden nach den Vorschlägen deS Bauausschusses an 2 Unter nehmer vergeben. 3) Die verändert« Ausnutzung des Grundstück» Bachstraße Nr. l be dingt Abänderungen an der Dampfheizung. Ueber die Verände rungsarbeiten sollen Anschläge von 2 Firmen beigezogen werden. 4) Nach Vorschlägen des Haushaltplan- und RechnungüauSschusseS werde» ». die künftige Form der Rechnungsprüfungen, ü. verschiedene Personalangelegenheiten geregelt. 5) In den RatSauSschuß zur Erledigung von Steuer- und Schulgeld resten beruft man Herrn Stadtrat Maennel. 6) Die Zinsen der Karl Gottfried Dörffel-Stiftung sollen in diesem Jahre wieder dem Stamme zugeschlagen werden. 7) Es wird Kenntnis genommen a. von einer Echiedsgerichtsvrdnung deS deutschen Betonvereins, d. von einer Abrechnung über die Wiederinstandsetzung der Brücke im Zuge des Weges am Graben, o. von einer Verordnung, ortsgesetzliche Vorschriften über Er leichterungen beim Bauen von Ein- und Zweifamilien häusern hetr., ,1. von einem ausführlichen Berichte des Herrn Gärtnereibesitzers Bernhard Fritzsche über die Unterhaltung der öffentlichen An lagen im Jahre 1913. Beschlüsse wurden ferner gefaßt in 8 Bau-, 3 Straf- und 10 ver schiedenen anderen Angelegenheiten. Sächsischer Landtag. ' Dresden, 15. Dezember. 2. Kammer. Am RegierungS tische Finanzminister v. Seydewitz. Vor Eintritt in die Tagesordnung widmet Präsident Dr. Vogel dem am Sonnabend abend verstorbenen sozialdemokratischen Abg. Riem einen ehrenden Nachruf. Die Anwesenden Haden sich von den Plätzen erhoben. Finanzmintster v. Seydewitz machte dem Hause zunächst Mitteilung von dem in der letz ten Nacht ftattgrhabten schweren Eisenbahnunfall« bet Braunsdorf. (Diese Mitteilungen finden unsere Leser bei den übrigen Nachrichten über da» Unglück). Da rauf wird in die Tagesordnung eingetreten. Nach einigen kleinen Vorlagen folgt die allgemein» Vorberatung über da» Kgl. Dekret Nr. 18, mehrere Eisenbahnangelegenheiten brtr. Finanzmintster von Seydewitz führt da« Dekret mit eini gen erläuternden Bemerkungen «in. E» handele sich bei den al» dringend empfohlenen Bauten um Verbesserungen der Betriebssicherheit und Regelung der VerkehrSverhältniffe. Die beantragten Bauten erforderten 5 Millionen Mk.; außerdem seien noch 1 800 000 Mk. für die Einführung staatlicher Automobtlltnien eingestellt. Adg. Gleisberg (Natl.) richtet an den Minister die Frage, wie e» mit der Einfüh rung des elektrischen Betriebes stehe und beantragt schließlich, das Dekret an die Finanzdeputation 8 zu überweisen. Ft- nanzminister v. Seydewitz: Die Frage der Elektrisierung der Staaisbahnen sei noch nicht endgültig gelöst. Vorarbei ten seien bekanntlich auf der Linie Pirna—Meißen im Gange. Im Sommer 1914 werde die elektrisch betriebene Strecke Klingenthal—Untersachsenberg eröffnet. Da könne man einige Erfahrungen sammeln. In der weiteren Debatte wird eine Reihe von Bahnprojekten und Automobillinien zur AuSfüh- rung empfohlen und Wünsche lokaler Natur vorgebracht. Nächste Sitzung morgen nachmittag 1 Uhr: Verschiedene Etatkapitel Aus der Zeit der Besreiungslriege. 17. Dezember 1813. In Frankreich ereignete sich jetzt das, was zu Beginn des Jahres sich in Preuße^ ereignet hatte, als es sich um die Volksbewaffnung handelte. An diesem Tage verfügte eine Verordnung Napoleons die Einberufung der Nationalgarden und die Bildung von Kohorten zum Schutze der Festungen. Es wurden zwar 175000 Mann zusammen gebracht, aber ganze Scharen waren ohne militärische Bekleidung und ohne Waffen, andere hatten schlechte Jagdgewehre, die man im Reich zusammengelescn hatte. Das alles wäre ebensowenig schlimm gewesen, wie in Preußen; aber in Frankreich fehlte jene Begeisterung sür den Krieg, wie sie sich zu Beginn des Befreiungs kampfes in Preußen geäußert hatte. — Am genannten Tage begab sich Schwarzenberg zum Hauptquar tier am Oberrhein; Lörrach wurde zunächst sein Stand quartier. Stille Nacht. Auch eine Weihnachtsgeschichte. Von A. Andersen. ' — NuLvrua v i boieu. Hansemanns hatten mich so herzlich eingeladen, den Weihnachtsabend ganz still im Kreise ihrer Fa milie zu verleben, daß ich nicht nein sagen konnte. Angenehm war mir die Aussicht freilich nicht. Ich hatte einige Augst, daß mein sonst wohlgeordnetes Junggesellengemüt durch den Einblick in anderer Leute Familienfreuden doch wieder gewisse Regunge« von Neid und Sehnsucht verspüren könnte. Frau Anna war ohnehin so hübsch und gesund, nach ihr Mann verdiente so viel Geld, daß sie sich mit gutem Gewissen den Luxus von sechs sehr lebendigen Kin dern leisten konnten und von dieser Lebenshöhe mit einigem Mitleid auf andere Sterbliche herunterzu- blicken Pflegten. Da mir aber nichts anderes übrig blieb, als die freundlich gemeinte Einladung anzu nehmen, beschloß ich, mich jm voraus mit möglichst viel Gleichmut und einigen feingefüllten Bonbon nieren zu versehen und den Dingqn ihren Lauf zu lassen. Punkt sechs Uhr würde beschert, schärfte mir Frau Anna noch einmal ausdrücklich am Telefon ein. Sie bewillkommnete mich schön auf dem Flur. „Nett, daß Sie da sind, lieber Doktor. Sie müssen mir helfen, die Kinder zu unterhalten- Heinz ist natürlich wieder nicht fertig mit dem Aufbauen, und die Kleinen schon so müde von aller Vorfreude." „Nein, du mußt mir helfen," sagte Heinz Hanse- manu, der eben aus der Tür des Salons trat. „Die verfluchten Engel wollen sich nämlich nicht drehen — so eine alberne Erfindung ist mir noch gar nicht vorge kommen! Laß du die Kinder nur ruhig weiter Weih nachtslieder singen, Anna, bis ich die Sache i» Ord nung gebracht habe und klingeln werde." In dem großen Weihnachtszimmer stand in der Mitte der hohe, dunkle Tannenbaum, rundum a" den Wänden war auf weiß gedeckten Tischen allerlei Buntes, Lustiges aufgcbaut, und über alledem lag es wie ein Duft von Kerzen, Küche» und Ki»dheitser- innerungcn- Aber Heinz Hansema-in ließ mir keine Zeit, sentimental zu werden, Ich müßte ihm die Tritt leiter halten und meine ganze Aufmerksamkeit dem „Engürcigen" widmen. Zarte Gebilde, aus rosa Wachs geformt, hingen diese Engel, mit bunten Sei denschärpen nur spärlich bekleidet, an silbernen Ket ten von einem Goldreif herab, der ziemlich schief aus der Spitze des Baumes befestigt war. Heinz erklärte mir eifrig den Mechanismus. „Die Sache ist sehr einfach. Der Reif muß uur ganz genau im rechten Winkel zur Tanneübaumspitze befestigt werden, dann dreht er sich infolge der von den Lichtern aussteigenden Wärme, und die Engel schweben rund um den Weihnachtsbaum herum. Es ist eine Ueberraschung für Anna und die Kinder — findest du die Idee nicht reizend? Aber vorerst hangen die verflixten Dinger anhaltend schief u denke» nicht da ran, sich vernünftig zu drehen " Ich beteiligte mich mit Rat und Tat eifrig bei der Lösung des Problems und klettere sogar oben auf die Leiter, obgleich ich an Schwindelanfällen leide und mir der Hausarzt alles Steigen untersagt hatte. „Jetzt hängen sie noch bedeutend schiefer als vor her," sagte Heinz. „Ich muß die Sache mal ganz allein in Ruhe deichseln. Bitte, geh du zu meiner Frau und hilf ihr, die Kinder in Ordnung halten — da schreit ja wohl wieder eins. Mit den Engeln will ich schon allein fertig werden." Ich tzing also in das Eßzi-mmer, wo Frau Anna und ihre sechs Kinder sich seit längerer Zett in der Ge duld übten. Das Kleinste saß artig auf Mutters Schoß und sang Weihnachtslieder »ach eigene» Melo dien Aber die sechsjährigen Zwillinge Hans und Heinz , hatten erklärt, sie möchten keine Wcihnachtsf- lieber mehr hören und könnten wirklich nicht länger artig sein. So vertrieben sie sich die Zeit mit einer regelrechten Rauferei. Der Sextaner Fritz hatte sich ein Buch geholt und hielt sich die Ohren zu, um unge stört lesen zu können, und dir beiden Aeltestqn, d^r angehende Backfisch Hilde und der Tertianer Sieg fried, räkelten sich auf dem Sofa. Einige Dienstmäd chens und Fräuleins hielten sich im Hintergründe auf und vervollständigten das anmutige FamittenbUd. Frau Anna begrüßte mein Kommen als eine Hilfe in der Not. Ich tat, was ich konnte, um die Stimmung zu retten. Ich sang sehr laut und sehr falsch allerlei Weihnachtslieder und erzählte eine uralte Geschichte nach der anderen. Aber meine Bemühungen hatte», wenig Erfolg- Tie Situation wurde immer kritischer. Da, gerade als auch das Kleinste! anfing, unliebens würdig zu werden, klingelte es dreimal, und Heinz Hansemann schob die Flügeltür auf. Gott sei Dank, die Engel drehten sich! In rasendem Galopp sausten sie um die Spitze des Tannenbaumes herum! Es war wirklich sehr hübsch, als nun die Kinder ins Weihnachts-Zimmer drängten und mit strahlende» Augen unter dem Lichtürbaume standen Und jetzt setzte sich Frau Anna ans Klavier und stimmte an: „Stille Nacht, heilige Nacht", und cül die Hellen Stimmen fielen ein. Es wurde mir dabei gerade so recht weihnachtlich gut und weich ums Herz — als ruf einmal irgend etwas Heißes, Brennendes auf meine», Schädel niedcrfiel, just dahin, wo er sich keiner starken Behaarung mehr erfreut. Und jetzt schrie die Kleine auf und zeigte auf einen Tropfen rosa Wachs, der eben heiß auf ihr Händchen gefallen war, und nwn regnete es Wachsflecke aus der Höhe hernieder. „Die Engel — wahrhaftig, es, sind die infamen Engel," rief Heinz Hansemann. „Sie schmelze» bei der Hitze, und infolge der Zentrifugalkraft bekommen wir die Talgflecke. Auslöschen - sofort alle Lichter auslöschen." Mit dem Gesang und der Feierlichkeit war's gründ lich vorbei. Alles rannte, sprang, pustete und löschte die Wachskerzen aus. Es dauerte aber noch eine gute Weile, ehe die Engel sich zu einem gemäßigteren Tem po verstanden und das Tröpfeln einstellten. Als sie dann müde und aufgeweicht da oben baumelten, zeig ten sie so seltsame und verwegene Körperformen, daß Frau Anna in ei» herzhaftes Lachen ausbrach unol uns alle damit ansteckte. Nur Heinz Hanseman» blieb verstimmt und zeigte sich persönlich gekränkt. Er hatte die meisten Talgflecke davongetragen und wollte den Erfinder des Engelroigens auf Schadenersatz ver klagen. „Kommen Sie, lieber Doktor," sagte Frau Anna, „jetzt will ich Ihnen zeigen, was wir den Kindex» be schert haben. Ich gebe mir viel Mühe, jedes wirklich nach seiner Eigenart zu beschenken. Das ist gar nicht so einfach — unsere Kinder sind so verschieden ver anlagt! Unser Aeltester ist der geborene Techniker. Sie sehen hier auf seinem Tische nur DarnPfmaschinen und Eisenbahnen Und unsere Tochter ist eiü ganz modernes Mädel Sport und Lektüre sind da die Haupoache. (Schluß folgt.) Oie I^iebe ist blincl. Novelle von Albert Fresquet. (Nachdruck verboten.) Doktor Mart Herbert trat in fein Arbeitszimmer, wo ihn sein Lieblingsschüler und .Hilfsarzt Jules Flersaul erwartete. »Guten Tag, Herr Doktor!" begann dieser. »Guten Tag, Flersaul." Wenig gelaunt, eine Unterhaltung anzuknüvfen, setzte sich der Chefarzt sofort an seinen Schreibtisch. Er war an diesem Tage zn unzähligen Konsultationen gerufen worden und hatte deshalb den gewohnten Besuch in seiner Privatklinik fast um eine Stunde hinausschieben müssen. Herbert zählte vierzig Jahre. Seine Haltung war nachlässig, sein Körperbau unproportioniert. Auch sein Gesicht besaß nichts Anziehendes. Seine Augen waren auffallend klein, seine Züge seltsani, unsymmetrisch. Seine ganze Erscheinung machte «inen geradezu abstoßenden Eindruck. Nach Balzac, welcher eine Übereinstimmung geistiger und körperlicher Vorzüge oder Fehler nachzuweisen sucht, mußte man Herbert soweit als möglich aus dem Wege gehen, und doch war er der beste, opferwilligste Mensch, dem man begegnen konnte. Nicht nur seine ungewöhnliche ärztliche Begabung hatte ihn zu einem Wohltäter der Menschheit gemacht, auch sonst war er der großmütigste Freund seiner Schüler und Patienten. - Obgleich noch ver hältnismäßig jung, galt er schon jetzt als Arzt und Ge lehrter für eine Autorität in Paris. Es hieß, er hätte die Möglichkeit entdeckt, Fälle bisher unheilbar geltender Blindheit burch Einwirkung elektrischer Ströme zu be seitigen, und er glaubte in der Tat, bereits abgestorbene Sehnerven auf diese Weise wieder aufnahmefähig machen zu können. Nach vorangegangener sorgsamer Behandlung wollte er das bereits an den Einfluß der Elektrizität gewöhnte Auge plötzlich einem außerordentlich starken Strome aussetzen, der dann fast in einem Augenblick über Erfolg oder Nichterfolg seines Verfahrens ent scheiden sollte. Er hütete sich jedoch, mit seiner Erfindung an die Öffentlichkeit zu treten, ehe er unanfechtbare Beweise für ihren Wert liefern konnte. Doch hoffte er, daß ihm me in seiner Klinik gelingen werde. Flersaul reichte Herbert seine Notizen über den letzten Besuch tn der Klinik. »Ich habe nichts über Fräulein Raymond erwähnt, da ich dachte, Sie würden sich selbst überzeugen wollen', . fügte er erklärend hinzu. -Nach meinem Dafürhalten könnten wir übrigens schon jetzt das Experiment ver suchen — und, Herr Doktor, diesmal garantiere ich, daß wir keinen Grund haben werden, einer Veröffentlichung unserer Erfahrungen auszuweichen." .Nein, nein, keine Reklamel" erwiderte Herbert ärger lich. .Sie missen, daß ich daS nicht liebe, auch glaube ich, wir warten bester noch mit der Entscheidung." »Aber ich versichere Ihnen, Herr Doktor, ein Auf schub ist nicht nötig ..." — »Tut, ich werde sehen", unterbrach ihn der Arzt aufstehend. Fast heftig ließ er die Tür hinter sich in» Schloß fallen. Flersaul sah ihm verblüfft nach. Die ungewohnt« Schroffheit seine» so gütigen Vorgesetzten überraschte ihn, doch schien er plötzlich zu begreifen. Prüfend erhob er den Blick zu Herbert» Porträt. Der Künstler batte ver-