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md Tageblatt. ^S174. Amtsblatt für die königlichen and Wüschen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur J«N>» Bran» in Freiberg. Erscheint jeden W-chentag Abend» 6 Uhr für dm andern Tag. Prei» vierteljährlich 2 Mart 2Ü Pf., zweimonatlich 1 M. b0 Pf. u. einmonatl. 7b Pf. 38. Jahr»«,. —- Donnerstag, den 29. Juli. Inserate werden bi» Vormittag» 11 Uhr angenom- mm und beträgt der Prei» für die gespaltene Zeile »der deren Raum 1b Pfennige. 1880. Wetter-Prognose für Donnerstag, den 2S. Jali: Veränderlich, Temperatur abnehmend, zeitweise Niederschläge «nd gewitterhaft. Nachbestellungen UNf de» ^NL«lAer iintt für die Monate August «nd September Werden vo« sümmtlichm Postaustalten wie von der »nterzetchvete« Expedition und de« bekannte« A«S- gabestellm ia Freiberg, Brand, Langena«, Halsbrücke ««d LavghevnerSdorf znm Preise von 1 Mk. 50 Pf. ««genommen. Lxpsllilion ttvs „ffvidergsr ^nrsigers unä lagsdiatt". Vie deutschen Leamten i» der Türkei. Nicht nur die politische Stille der jetzigen Sommerzeit, auch daS Ueberraschende, mit dem die ganze Maßregel der Berufung deutscher Beamten nach der Türkei tn'S Werk gesetzt wurde, hat dazu beigetragen, daß der Mission Wetten- dors'S eine große Bedeutung beigrlegt wird. Eine solche urplötzlich in die Stille der Hundstage hineingeschneite Nachricht konnte gar nicht verfehlen, das größte Aufsehen zu erregen. Und je schweigsamer sich in den ersten Tagen die Offiziösen verhielten, um so dankbarer und ergiebiger erwies sich das Geschäft, zu jener kurzen lakonischen Nach richt phantasievolle und tiefsinnige Kommentare zu liefern. So haben wir denn allerlei Muthmaßungen, Behaup tungen, Prophezeiungen über die Aufgabe der deutschen Beamten in der Türkei lesen können. Wer aber all' das, was darüber im Verlauf der wenigen Tage an's Licht be fördert worden ist, mit gläubigem Gemüth vernommen, der wird danach wahrscheinlich noch eben so klug sein, wie zu vor. Denn keine Zeitung, und wäre sie noch so gut unterrichtet, bringt etwas Anderes als bloße Muth- maßungen. Auf all' solche Prophezeihungen und Ver muthungen ist kein großes Gewicht zu legen. Diejenigen, welche Aufklärungen zu geben vermöchten, wollen davon nichts sagen und schweigen sich zur Zeit noch auS; von allen anderen, die über solche Dinge schreiben, ist eine gerade so klug wie die andere. Wenn wir an dieser Stelle ebenfalls des Aufsehen er regenden Ereignisses gedenken, maßen wir uns daher keines wegs an, irgend welche Aufklärung geben zu wollen. Wir stehen hier vor einem Räthsel, zu besten vielleicht ganz in teressanter Lösung uns der Schlüffe! fehlt. Aber einige Fingerzeige mögen uns wenigstens gestattet sein, welche allzu große Jrrthümer bei Betrachtung jener Frage vermeiden lasten. Am häufigsten begegnet man der Auffassung, die deutsche Regierung habe durch Entsendung der deutschen Beamten nach der Türkei ihr Interesse für die Erhaltung des OSmaneureicheS in Europa dokumentirt. Das scheint uns irrig zu sein. Wenn Fürst Bismarck wirklich sein Interesse an der Erhaltung der türkischen Herrschaft in Europa be kunden wollte, so hätte er es sicher in viel wirksamerer Weise gethan als durch Entsendung einiger Verwaltungs beamten nach dem in den letzten Zügen liegenden Rüche, welches durch die Kunst eines solchen Häufleins deutscher Beamten doch nicht am Leben zu erhalten ist. Die Pforte mag ja wohl geglaubt haben, einen äußerst schlauen Schach- zug zu thun, als sie deutsche Beamte in's Land rief, da die Vermuthung für sie nahe lag, Fürst Bismarck werde seine deutschen Landsleute nicht im Stich lassen; wenn er einmal deutsche Beamte nach der Türkei entsende, werde er auch mit seinem gewaltigen Einflüsse ihnen schützend zur Seite stehen. Aber darin könnte sich die Pforte doch gründlich geirrt haben. Liegt es in den Plänen Bismarcks, sich zum Anwalt der Türkei aufzuwerfen, so darf man sicher sein, daß er ganz andere, durchgreifendere Mittel wählt, als die Entsendung von ein paar RegierungSräthen. Da aber andererseits die Mission Wettendors'S ohne die Billigung Bismarcks ganz unmöglich war, so entsteht sogleich die weitere Frage: WaS hat denn nun der deutsche Reichskanzler eigentlich gewollt, als er seine Zustimmung gab? Sieht man die Dinge unbefangen an, so kommt man bei Betrachtung der orientalischen Angelegenheit unbedingt zu dem Resultate, daß auf der Balkan-Halbinsel eine Kulturmission Europa'S zu erfüllen ist. Die orientalische Frage ist eine Kulturfragt und nur in diesem Sinne darf sie gelöst werden. ES handelt sich hierbei nicht um die Interessen Englands oder Rußlands, sondern um die Er weckung und Pflege europäischer Zivilisation auf der Balkan-Halbinsel. An diesem Standpunkte, daß die orienta lische Frage nicht ein einzelne- Reich, sondern ganz Europa interessire, hielt bis jetzt immer nur Deutschland fest. Allen Jntriguen der einzelnen Mächte gegenüber kam die deutsche Regierung stets darauf zurück: bei der Regelung der orienta lischen Angelegenheit hat ganz Europa mitzusprechen. Auf dieser Linie hält sich offenbar die Betheiligung deutscher Beamten an dem Reformwerke in der Türkei. Ob das OSmanenreich nun erhalten bleibt oder nicht, ein Anfang mußte endlich in der Anbahnung geordneter Zustände daselbst gemacht werden, sollte die Balkan-Halbinsel allmälig in eine bessere Existenz htnübergeleitet werden. Dazu aber empfiehlt es sich natürlich, diejenige Nation in Anspruch zu nehmen, welche direkt am wenigsten bei all' den Verwicklungen daselbst betheiligt ist und die für sich dort gar nichts erreichen will — die deutsche. Angehörige verschiedener Nationen haben beim Heer und bei der Ver waltung in der Türkei bis jetzt Verwendung gefunden, alle aber hatten mehr oder weniger nur nationale Interessen im Auge. Wenn jetzt Deutsche sich an die Aufgabe heran wagen, so liegt darin vielleicht die beste Gewähr, daß es diesmal nicht auf diplomatische Jntriguen, sondern auf eine Mission im Dienste ganz Europa'S abgesehen ist. Wie der deutschen Regierung in den letzten Jahren gerade um ihrer Interesselosigkeit willen eine leitende Rolle in der orientalischen Frage zusiel und wie später Deutsch land die Führung der Mächte übernahm, so hat dasselbe jetzt auch bei der positiven Arbeit des N-uaufbaues auf der Balkan-Halbinsel eine wichtige Rolle übernommen Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet erscheint die Sen dung Wettendorf's nur als ein Glied in der großen Kette der deutschen Orientpolitik; sie verliertalles Epochemachende und Jmprovifirte und ergiebt sich mit innerer Nothwendig keit aus der Haltung, die Deutschland in dieser Sache unter Zustimmung der europäischen Mächte seit Jahren eingenommen hat- Ja, man kann hiernach wohl auch an nehmen, daß diese Sendung deutscher Beamten nach der Türkei keineswegs der letzte Schritt in dieser Richtung ist, sondern im Gezrntheil erst die Einleitung zu einer großen Kulturarbeit, deren Löwenantheil dem deutschen Volke zu- fallen dürfte. Eine gewaltige Perspektive eröffnet sich, wenn man von solchem Standpunkte aus die Dinge betrachtet. Die Frage, ob Griechenland oder Montenegro ein Stück chen mehr oder weniger Land bei der Theilung der Türkei bekommen, erscheint dem gegenüber kleinlich. Noch einen besonderen Vortheil hat die solcher Weise betriebene Betheiligung deutscher Kräfte an der Reform arbeit im Orient: sie verpflichtet Deutschland zu nichts! Amtlich hat die deutsche Regierung — und sie wird gewiß nicht säumen, dies den fremden Mächten gegenüber zu betonen — mit der Mission Wettendorf'- gar nichts zu thun. Wenn es sich etwa erweisen sollte, daß es im jetzigen Augenblicke noch zu früh zum Beginn der Kulturarbeit ist, so haben wir keine Übeln Folgen zn tragen Die deutschen Beamten gehen auf ihre eigene Gefahr nach der Türkei, die Reichsregierung ist bei ihrem Beschluß nicht betheiligt und übernimmt keinerlei Garantie. Es ist ein Schritt, bet welchem Europa vielleicht gewinnen, Deutschland aber keineswegs verlieren kann. Tagesschau. Freiberg, 28. Juli. Am heutigen Mittwoch treten in Koburg die deutschem Finanzminister zusammen. WaS sie beschäftigen wird, ist allgemein bekannt -. die Fortführung der Finanz-Reform. Auf welchem Wege dieselbe erstrebt werden soll, entzieht sich freilich zur Zeit noch der Beurtheilung; es ist nicht unmöglich, daß mau schließlich doch noch den Versuch macht, da- Tabak-monopol einzuführen. Daß die Einnahmen, welche dem deutschen Reicht ans den neuen Zöllen erwachsen, nicht hinreichen, um daS vom Reichskanzler in seiner be kannten Rede vom 23. Juni 1879 skizzirte Steuer-Pro« gramm durchzuführen, und daß eine so gewaltige Umwandelung, jetzt nicht halb vollendet liegen bleiben darf, ist zweifellos. Wenn man sich also über die Art der zu erschließende« neuen Einnahmequellen auch noch das Urtheil Vorbehalten muß, so wird man doch den Wunsch theilen, daß das Re formwerk zu Stande kommen möge. Der Gedanke, welcher dem Reichskanzler vorschwebt: daß das Reich die Steuern vom deutschen Volke nach einheitlich festgestellten Prinzipien erheben und seine Überschüsse an die Einzelstaaten abführen möge, so daß diese wenig oder gar keine Steuern zu erheben brauchen und in ihrer Finanzwirthschaft wesentlich auf das Reich angewiesen sind — dieser Gedanke ist zu bedeutungs voll, als daß wir nicht seine vollständige Durchführung wünschen sollten. Aber bei aller Sympathie für das End ziel, welches dem Reichskanzler vorschwsbt, muß man doch daran zweifeln, daß die jetzige Reise der Herren Finanz minister nach Koburg ein besonders glänzendes Resultat haben wird. Wenn die Herren wirklich unter sich einig werden sollten, auf welche Weise die unbedingt zur Reform nothwendigen Einnahmen beschafft werden sollen, so wäre es doch noch sehr fraglich, ob sie im Reichstage mit ihren Vorschlägen Gegenliebe fänden. Die Situation ist in dieser Hinsicht so verfahren wie nur möglich, und der Fehler, welchen der Reichskanzler gemacht, als er Weihnacht 1878 nicht die National-Liberalen mit der Durchführung seiner Finanzpläne betraute, rächt sich jetzt bitter. Die Finanz- Reform wird jetzt von einer Mehrheit abhängig gemacht, welche noch gar nicht zu berechnen ist. Nachdem man die National-Liberalen glücklich „an die Wand gedrückt hat", bleibt nur das konservativ-klerikale Bündniß übrig, um da- Steuerschtsflrin durch die parlamentarischen Klippen hindurch zu bringen. Von diesem Bündniß aber find wir noch weit entfernt, denn Regierung und Zentrum sind noch lange nicht darüber einig, was sie gegenseitig fordern oder zu« gestehen sollen. Die Aussichten auf Erfolg der Minister sind also, möge nun in Koburg beschlossen werden was da wolle, keine günstigen. Wenn der Reichskanzler ungeduldig werden und die Herren Finanzminister, namentlich Bitter und Staatssekretär Scholz nicht gerade freundlichen Auges ansehen sollte, so würde uns das nicht wundern; denn die Herren haben den Stenerwagen noch nicht von der Stelle- gebracht, und dazu waren sie doch seiner Zett berufen. Wenn die national-liberale Partei jetzt die in letzter Zeil so sehr vermißte Einigkeit besäße und einheitlich geleitel würde, so könnte sie hier mit einem Schlage wieder ihre frühere ausschlaggebende Bedeutung erlangen. Denn da sie der Steuer-Reform gegenüber keine absolut ablehnende Stellung einnimmt, sondern die Prüfung im Einzelnen sich Vorbehalten hat, so wäre es vielleicht der Reichsregierung mit ihrer Hilfe noch am leichtesten möglich, das Werk endlich seiner Vollendung entgegen zu führen. Einen Vor behalt freilich müßten wir uns von vornherein machen und