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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000912023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900091202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900091202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-12
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
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Die Morgen-Au-gabe erscheint nm '/,? Uhr, dir Abend-Slusgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaclion un- ErpedMo«: IohauntSgasse 8. Di»Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. V. Klemm'» Lnrti». Unsyersitütsstraße 3 (PavlinuMt, Lnni« Lösch», kachandmM. In, »«t. und Lönigsplatz D Bezugs PrekS der Hauptexpedition oder den km Kknht» ßrzirk und den Vororten errichteten Aus- »»bestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, ein zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Tirecte tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.50. "lk5. Abeud-Ausgabe. Unpligcr TagMall Anzeiger. ÄmtsvMLt -es Löttigtichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aatyes un- Volizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Sieclameu unter demRedactiousstrich (4g» spalten) 50^, vor den Familieanachrichren (6gespalten) 40/^. 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Tie Negierung der Vereinigten Staaten hat, wie uns auS Washington Lcpeschirt wird, das Edict, durch dasLi-Hung- Tschang ermächtigt wird, FriedeiiSverhandlunge» zu führen, beantwortet und bemerkt, sie fühle sich nicht ver anlagt, irgendwie ihre Meinung über die Vollmacht Li-Hung- Tschang's zu äußern, sie hoffe aber, diese werde sick als aus reichend erweisen, nicht nur für die Zwecke der Untcrband- lungen, sondern auch insofern, als sie ihn in den Stand setze, sofort Garantien dafür zu leisten, daß Leben und Cigentbum der Amerikaner hinfort im ganzen chinesischen Reiche Achtung genießen würden. lieber das Eintreffen des Prinzen Tsching in Peking ist in Berlin noch keine bestätigende Mitiheilung eingelaufen. Wenn weiter gemeldet wurde, daß er eine Friedensmission babe, so wird Alles darauf ankommen, von wem er dazu Vollmachten erkalten hat. Prinz Tsching ist als dasjenige Mitglied des Kaiserhauses bekannt, das am meisten einer Verständigung mit den Mächten geneigt ist, und ohne Zweifel würden Verhandlungen zweckmäßiger mit ihm ein geleitet werden, als mit Li-Hung-Tschang. Anscheinend sollen Tsching und Li derselben Friedenscommission angeboren, aus der dann nur diefremdenseindlichen Mitglieder eliminirtwerden müßten. Wenn übrigens dem deutschen Kaiser wieder von einem englischen Blatte nachgesagt wird, daß er sich auf keine Friedensunterhandlungen cinlassen werde, ehe nicht Graf Waldersee an Ort und Stelle einzetrofsen sei, so ist dies, wie der „Magdb. Ztq." aus Berlin geschrieben wird, eine reine Vermulhung. Zn dasselbe Gebiet der irreführenden Täuschungen gekört es auch, wenn ebenfalls von englischer Seite gemeldet wird, daß Deutschland eine große Operation im Jangtse-Thals vorbereite. Deutschland bat dort etwa 500 Manu gelandet, wäbrend 3000 Engländer daselbst stehen; mit viel größerem Rechte könnte man also behaupten, daß England etwas Besonderes am Jangtse im Schilde führe. Nach den in Berlin vorliegenden Nachrichten muß damit gerechnet werden, daß Frankreich und Amerika dem Vorschlag» NutzlanSS zu st im in en werden, immer aber unter der Voraussetzung, daß Rußland mit der Räumung Pekings vorangeht und unter Berücksichtigung der localen Verhältnisse und der Zustimmung der commandirendeu Osficiere. Ob eS daher zu einer Räumung Pekuigökommt,inuß abgewartet werden,zumalva es den Anschein hat, als ob auch Rußland nicht mehr das gleiche Gewicht wie früher auf diesen Schritt lege. England und Deutschland mit den Dreibundmächten werden unter allen Umständen ihre Eontingente in Peking belassen, und ebenso rechnet man damit, daß von dem japanischen Landungscorps etwa eine Brigade in Peking verbleibt. Neue kriegerische Tpcralionc». * Taku, 6. September. (Reuter's Bureau.) Eine Expedition geht morgen nach Paotingfu ab. Sie besteht aus Engländern, zwei Regimentern Cavallerie, einer Batterie Artillerie, 300 Man» Infanterie, ferner 1000 Italienern, 300 Japanern und möglicher Weise 500 Russen. Auch Amerikaner nehmen Theil. (Wiederholt.) * Shanghai, 6. September. Tie Forts von Pei«tang sind noch unbehelligt. Die Engländer klären in der Umgegend das Terrain auf. Die Russen sollen einen Angriff ans die Forts beabsichtigen, haben aber nicht genügend Artillerie. Eine russische Schützen-Abtheilung wurde von einer cxplodirenden Mine in der Nähe des einen Forts in die Lust gesprengt, wobei mehrere Soldaten getödtet wurden. * Shanghai, 10. September. (Telegramm des „Reuter'jchen Bureaus".) Nach den letzten Nachrichten aus Peking herrscht unter den Ofsicieren der Verbündeten die größte Harmonie. Die Soldaten aller Nationalitäten leben mit einander, als ob sie einer einzigen Armee angehörten. Erstürmung -cS Ticntfincr Arsenals. » lieber die Kämpfe des Juni, sowohl um den Entsatz Tientsins, als um die Rettung der Abtheilung des Admi rals Seymour, ist bereits ausführlich berichtet worden; jetzt bringt der „Ostasiat. Lloyd" einen Bericht über die Erstürmung desÄrsenals in 2 ientsin , die sich unmittelbar an die Rücklehr der Seymour'schen Abtheilung anschloß; es heißt in demselben: Am 26. Juli Morgens in aller Frühe fand der Einzug der „entsetzten Entsatzcolonne" Admiral Seymour's und ihrer Be freier unter General Stöffel in Tientsin statt — ein buntes, wechselvolles Bild, dieses kleine, kosmopolitische Heer, das von den zurückgebliebenen Kameraden mit begeisterten Hurrahs, von den Bewohnern Tientsins, die sich vom Schrecken noch immer nicht erholt hatten, mit dankbarem, stummen Staunen, von den chinesischen Forts mit ohnmächtigem Donnergegrolle empfangen wurde. Aufs Aeußerste erschöpft und mit knurrendem Magen zogen die Deutschen in ihre Quartiere ein, wo ihrer eine freudige Ueberraschung harrte. Leutnant Cretius hatte, um dem siey durch fortdauerndes Ausbleiben des aus Tongku erwarteten Proviants sehr empfindlich machenden Mangel zu steuern, eine Requirirungstour nach dem immer noch stark beschoffenen Bahn hof unternommen, und so gab es denn wirklich etwas zu essen und, was nicht minder geschätzt wurde, einen guten Tropfen dazu. Leutnant Cretius hatte nämlich auf dem Bahnhofe einige Kisten guten Weines entdeckt. Nachdem schon am Abend zuvor ein 12-Centimeter-Geschütz, das von dem englischen Schiff „Terrible" gelandet worden war, das Tientsiner Arsenal mit Lydit beschaffen hatte, begann am 27. Juni, Morgens um 7 Uhr, das Bombardement von Neuem. Das englische Lyditgcschütz, das übrigens bei der Belagerung von Ladysmith bereits ein Wörtchen mitgesprochen hatte, be durfte jedoch sehr kräftiger Unterstützung durch andere englische Geschütze und die russischen Batterien. Nachdem diese den An griff durch Infanterie genügend vorbereitet hatten, wurde um 9 Uhr 30 Minuten der Sturm auf das Arsenal mit sämmt- lichen verfügbaren Truppen von Tientsin beschlossen. Um 11 Uhr 30 Min. Morgens begannen die Deutschen und Ruffen, der Impuls von der Compagnie von Knobelsdorfs aus gehend, ihre Schützenlinien auf wirksame Entfernung (etwa 500 bis 600 Meter) vorzuschieben. Auch die anderen Truppen rückten in einem sich schnell verengenden Halbkreise gegen das Arsenal vor und überschütteten dessen Vertheidiger mit einem so vernichtenden Feuer, daß schon um 12 Uhr 30 Min. das Zeichen zum Sturm gegeben werden konnte. Da, kaum noch 350 Meter von den Wällen entfernt, be merkte Hauptmann von Knobelsdorfs chinesische Soldaten, die im Begriffe waren, eine Mine zu entzünden. Gelang das, so waren schwere Verluste unausbleiblich. Aber rascher als die chinesischen Teufel handelten auf einen Wink des Hauptmanns die deutschen Scharfschützen, die ihm zunächst standen. Die Hand, die die Lunte führte, sank blutübergossen, um sich nimmer zu erheben, die anderen chinesischen Unholde stürzten zu Tode getroffen über der Mine zusammen, die das Grab so vieler braver deutscher Soldaten hätte werden können. Schon vorher hatten die Batterien der Verbündeten einige Gebäude des Arsenals in Brand geschossen, und die Helle Lohe wetteiferte mit dem grellen Schein der Sommersonne im Zenith. Jetzt flog mit Donnergepolter, daß der Boden wie im Erdbeben zitterte, ein Magazin nach dem anderen in die Luft. Ungeheure Pulvervorräthe mußten hier liegen, denn noch als die Verbündeten bereits siegreich auf den Wällen standen, folgte Explosion auf Explosion, mächtige Feuergarben in die vom Schlachtendampf geschwängerte Luft schleudernd. Die chinesischen Vertheidiger waren längst nach allen Windrichtungen auseinander gestoben, ehe die Deutschen, und mit ihnen die Russen, die Wälle erstiegen hatten. Da gab es trotz der Zerstörung immer noch gute Beute, hauptsächlich für die Russen. Aber auch die Deutschen nahmen zwei Geschütze modernster Construction, die während des Ge fechts ihr Feuer auf sie gespieen hatten, als Beutestück in An spruch. Leutnant Cretius, der übrigens das Gefecht mit dem Gewehr in der Hand in den Reihen der Russen mitgemacht hatte, da die Pflichten des Quartiermeisters ihn die eigenen Truppen nicht zu rechter Zeit hatten erreichen lassen, hatte das Glück, zwei ganz besonders wünschenswerthe Beutestücke zu entdecken. Er fand nämlich, sorgsam in der Wohnung des chinesischen llnterbcfehlshabers verborgen, zwei große bunte Drachenbanner. Ein Theil Her Russen blieb als Besatzung zurück, während die übrigen Truppen ins Biwack abzogen. So war denn Abends um 7 Uhr die Stunde gekommen, da das 3. Seebataillon und Capitän Usedom's Marinetruppen, die in der Universität Quartr-r zu beziehen hatten, von den russischen Kameraden scheiden mußten. Das Scheiden that diesmai wirklich weh! Das hatte der russische General Stössel bereits Herrn Major Christ mit warmem Händedruck im vertraulichen Gespräche versichert, das klang aus den schwermüthigen Weisen, die jetzt die russische Capelle den Scheidenden zum Abschied auf spielte, das stand auf den wettergebräunten Gesichtern der tapferen Deutschen, die da, den Tornister geschnürt, zum Ab marsch klar gemacht hatten. Noch einmal trat General Stössel vor die Front. Mit be wegter Stimme bot er den deutschen Kameraden im Namen der Russen den Abschiedsgruß. Schweren Herzens sehe er sie, die in diesen heißen Tagen KriegSnoth und Waffenglück in brüder licher Gemeinschaft mit den Seinigen getheilt hatten, ziehen. Hoffentlich sei es ihnen vergönnt, ein anderes Mal wieder Schulter an Schulter zu kämpfen. Major Christ's Erwiderung war nicht minder herzlich. Und nun nahmen unter den begeisterten Hurrahs der Leute und den alle Herzen mächtig bewegenden Klängen der Musik die Officiere persönlich Abschied von einander. Leibliche Brüder hätten nicht zärtlicher sein können, als diese einander bis noch vor Kurzem so fremden, im Feuer gehärteten Männer! Der Lrieg in Südafrika. -p. Als sehr auffallend muß die Thatsache bezeichnet werden, daß Feldmarschall Roberts sein Hauptquartier von Belfast nach Pretoria zurückoerlegt hat. Ist Buller seiner Sache und des Sieges über Botha so gewiß, daß er diesen allein weiteroperiren lassen kann, oder darf man aus der Nachricht schließen, daß auch dieser Vorstoß gegen den Osten Transvaals als vergeblich aufgegeben ist, oder aber zwingen die Ereignisse im Oranjestaat — die Aufgabe einer ganzen Reihe wichtiger Plätze durch die Engländer — Roberts, seine Zelte wieder näher dem Vaalflusse aufzuschlagen? Nach Lage der Sache scheint vorläufig nur die letzte Annahme die Wahrscheinlichkeit für sich zu haben; vielleicht aber bringen die nächsten Meldungen Buller's für die britische Sache noch unangenehme Ueber- raschungen. Dabei dürfen die höchst unangenehmen Zwischenfälle au den Bahnlinien im Oranjestaat und in Natal nicht außer Acht gelassen werden. Dort wurde in den letzten Tagen an zwei Stellen die Verbindung nach den großen Zufuhrhäfen der Südküste unterbrochen, während am 9. September südlich vom Kliprioer (Natal, nahe bei Ladysmith) die Wegnahme eines Eisenbahnzuges gemeldet wurde, — also auch Vie Verbindung mit Durban ist eine sehr fragwürdige. Tie beide» Prästdentc». „Daily Mail" berichtet aus Lourenqo Marques unter dem 11. September: Präsident Krüger besuchte Komatipoort und kehrte nach Nelspruit zurück. Präsident Steijn beabsichtigt, in den Freistaat zurückzukehren. Von einer Flucht der Beiden über Louren^o Marques, von der englische Blätter wissen wollten — eine Meldung, die überall stark bezweifelt wurde —, kann also keine Rede sein- Wahrscheinlich ist die Falschmeldung durch ttrüger's Reise nachKomatipoort (an der Grenze des portugiesi schen Gebietes) veranlaßt worden. Wie KlerkSdorp sich de» Bocrcn übergebe» mußte. Der bekannte Kriegscorrespondent der „Daily News", Mr. Pearse, schreibt unter dem 4. August von Pretoria, daß die Stadt Klerksdorp, welche seiner Zeit ein wichtiges Transport Depot der Engländer an der Eisenbahnlinie nach Johannesburg war, nach der damaligen Einnahme durch die Boeren ganze drei Wochen in den Händen der letzteren war, bevor die Engländer sich des Ortes wieder bemächtigen konnten. Ueber die Einnahme selbst berichtet der genannte Herr Folgenves: „Eoininanvant Lubenberg tauchte plötzlich mit 1300 Mann in der Nachbarschaft des Ortes auf, während die ganze englische Besatzung einschließlich ver Kaffern-Polizei nur 120 Leute zählte, die unter dem Befehle des Bezirkscommandanten, Kapitän Lambart, standen. Die Kopjes in der Umgebung der Stadt wurden eine Zeit lang sehr sorgfältig durch unsere Vor posten bewacht, abor im entscheidenden Moment war diese ver nünftige Anordnung leider nicht mehr in Kraft. Als dann die Boeren den Ort umzingelten, fand nur ein kurzes Gefecht statt, das ausschließlich von den schwarzen Polizisten gegen große feindliche Uebermacht tapfer ausgefochten wurde, und dieses Fac tum ist jcvenfalls das für unsere betheiliglen Truppen be I schämendste Detail in dieser traurigen Affaire. Am 25. Juli Feurlletsn. 3j Ein Opfer. Novelle von A. Bartels. Nachdruck verbetm. Die Mutter, welche den Wechsel ihres Mienenspiels in ver zehrender Angst beobachtet hatte, zuckte zusammen. Die Schmerzenslinie um ihren Mund vertiefte sich, während sie tonlos sagte: „Ich suche nichts für mich. Gern wollte ich Alles opfern, wenn Ihr nur glücklich wäret. Aber wer von Euch ist denn glücklich? Du nicht und Ludwig auch nicht." Lilli machte eine Bewegung des Schreckens. — Ludwig nicht glücklich? Sollte er selber? — „Hat er Dich beauftragt?" fragte sie athemlos. Die Mutter schüttelte den Kopf. „Nein, Lilli, er weist den Gedanken an eine Scheidung weit von sich." „Und dennoch wagst Du Und dann soll ich glauben, daß Du nicht um Deinetwillen " halb im Zorn, halb in Angst und Unsicherheit stieß sie die Worte hervor und stürzte plötzlich hinaus, bevor die Mutter noch wußte, was sie beabsichtigte. Die Äugen mit dem Ausdruck starrer Verzweiflung auf die Thür geheftet, durch welche Lilli verschwunden war, verharrte sie regungslos, bis Thronen ihren Blick verdunkelten. Die letzte Hoffnung war erloschen und Ludwig's Schicksal besiegelt. Fried los, glücklos mußte er fortan durch das Leben gehen, in Banden, die nur der Tod von ihm nehmen konnte. Wie ein Krampf schüttelte es sie, und sie fühlte sich von Eiseskälte durchschauert, als sie dachte, daß sie mit all' ihrer heißen, opferwilligen Liebe machtlos war, ihn zu retten, daß kein Opfer, und wäre es auch das Opfer ihres eigenen Lebens, ihm noch Hilfe bringen konnte, daß er elend untergehen mußte in selbstgeschmiedeten Ketten. Sie rang die Hände in stummer Qual, und Thräne auf Thräne rann über ihre bleichen Wangen. Da vernahm sie das Geräusch nahender Schritte und trocknete ihre Augen, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend. Ueber die Schwelle traten Arm in Arm ihre Kinder. Lilli hatte sich eng an den Gatten geschmiegt; ihr Antlitz leuchtete in triumphirender Freude, in die sich Hohn mischte, als ihr Blick den der Mutter traf, während Ludwig's Züge das Gepräge tiefer Bewegung, schmerzlichen Ernstes trugen. „Hier kommen zwei böse Kinder, die sich immer zanken, obgleich sie sich lieb haben und wissen, daß sie nicht ohne einander leben können , sagte er mit erzwungenem Lächeln. „Sie schämen sich sehr, daß sie Dir so viel Kummer bereitet haben, und wollen sich bessern, damit Du wieder an ihr Glück glauben und in ihrem Glück selber glücklich sein kannst." Dabei streckte er ihr mit bittender Gebcrde eine Hand ent gegen, und als sie dieselbe ergriff und mit thränenerstickter Stimme flüsterte: „Gott gebe es!" zog er sie an seine Brust und küßte sie. Lilli war zurückgetreten, ihre Stirn furchte sich, und sie preßte die Lippen trotzig zusammen; doch auf seinen flehenden! Blick schloß auch sie die Weinende in die Arme und berührte ihren Mund mit flüchtigem Kuß. Die Mutter trat bald den Heimweg an. Die übermiithige Fröhlichkeit ihrer Schwiegertochter that ihr weh und trieb sie hinweg. Wäre sie ernst und still gewesen — ja, dann hätte sic vielleicht noch hoffen können, daß der Eindruck dieser Stunde, welche sie aus ihrem gedankenlosen Dahinleben in selbstsüchtigem Eigenwillen aufgeschreckt hatte, ein dauernder sein würde. Aber diese kindische Ausgelassenheit machte ihr das Herz nur immer schwerer, und mißtönig klang das Helle Lachen ihr noch in den Ohren, als sie schon lange einsam in ihrem Zimmer saß, und verfolgte sie die ganze Nacht, während sie schlaflos der Zukunft gedachte, welche Sohn und Enkel bedrohte. — Am andern Morgen kam Ludwig. Sie dankte es ihm im Herzen und mit den Lippen; denn sie hatte selbst eine Aus sprache mit ihm ersehnt und sah bei dem ersten Blick in seine Augen, daß er ihr nicht zürnte. „Wie sollte ich, Mutter?" sagte er herzlich. „Weiß ich doch sehr wohl, daß alle Deine Handlungen nur der Liebe zu mir entspringen. Aber diesmal greift Deine Liebe fehl, und ich muß heute die Bitte wiederholen, nie wieder von Scheidung zu sprechen." Er hatte neben ihr im Svpha Platz genommen und ergriff bei diesen Worten ihre Hand, die sie ihm ließ, während sie das Haupt abwandte, um ihm das schmerzliche Zucken ihrer Lippen zu verbergen. „Sieh, Mutter, es kann ja nicht sein", fuhr er fort. „Um unseres Kindes Willen schon nicht, wenn denn sonst nichts uns mehr hielte. Soll Hans den Vater oder die Mutter entbehren, ehe der Tod sie ihm raubt? Soll er zwischen uns stehen in bitterstem Zwiespalt, nicht wissend, wem er seine Liebe schenken harf, ohne dem Änderen Unrecht zu thun, verkümmern in seinen besten, heiligsten Empfindungen? Kannst Du die» wünschen, Du, eine Mutter, die in das Herz ihres Sohne» als köstlichstes Kleinod die Liebe zu seinen Eltern gepflanzt hat?" Sie sah zu ihm auf und sagte traurig: „Ludwig, fühlst Du denn nicht, daß dies sein Loo» sein muß, auch wenn Ihr vereint bleibt, und er Zeuge des Unfriedens zwischen Euch ist? Dann mehr noch, als wenn Ihr Euch trennt und er bleibt in Deiner Obhut allein?" „Das kann er nicht, wird er nicht! Lilli hat nichts gethan, was mir ein Recht gäbe, ihr ihren Sohn vorzucnthalten, nichts auch, was nur eine Scheidung rechtfertigte. Daß sie mich und mein Streben nicht versteht? — Mutter, habe ich es denn nicht selbst gewußt, als ich mich mit ihr verlobte, und ist nicht mein die Schuld, daß ich mich getäuscht habe über die Folgen? Mein auch die Schuld, wenn ich jetzt nicht geduldig diese Folgen zu tragen vermag, wenn ich darunter leide und die poetische Schaffenskraft mir versagt? Und darum sollte ich ihr die Treue brechen, die ich ihr vor dem Altar gelobt habe, einen Bund lösen, der mir geheiligt bleiben wird, so lange ich lebe? Lösen gegen Lilli's Willen? Das aber müßte ich; denn sie willigt in keine Scheidung ein, so wenig, wie ich es thue!" Er sprang auf und trat an ein Fenster. Lange stand er dort, und die Mutter sah, wie er in schwerem Kampfe mit sich rang. Endlich wandte er sich um und sprach heiser vor Be wegung: „Ich kann nicht von Lilli lassen. Nicht Hans allein bindet mich an sie. Noch immer liebe ich sie mit derselben Liebe, wie einst, und ich ertrüge den Gedanken nicht, daß sie je einem Anderen angehörte." Erschüttert senkte sie das Haupt, und ein Beben durchlief ihre Gestalt. Eine Weile schwiegen Beide. Dann trat sic zu ihm, legte ihre Hand in seine und sagte: „Vergieb mir! Ich schweige fortan und werde nur noch für Euer Glück beten." Sie hielt Wort, so schwer es ihr ward; denn nicht lange währte der Frieden, welcher damals unter guten Vorsätzen geschlossen war. Mit blutendem Herzen mußte sie nur zu bald das alte Leben wieder beginnen sehen, und mehr als einmal war es schon geschehen, daß ihr kleiner Enkel sich verschüchtert zu ihr flüchtete, weil die Heftigkeit seiner Eltern, die im Streite seiner vergaßen, ihm Furcht einflößte. Dann war wohl Ludwig erbleichend verstummt und hinausgegangen; aber als Lilli ein mal dem vorwurfsvollen Blick ihrer Schwicgermutteer begegnete, hatte sie den Knaben aus ihren Armen gerissen und außer sich vor Zorn geschrieen: „Versuchst Du jetzt Deine Künste an Hans, weil sein Vater sich nicht zum gefügigen Werkzeug Deiner Pläne machen will?" Die Mutter hatte nicht» erwidert und auch Ludwig mit einem Blick Schweigen geboten; aber die Bitterkeit in ihrem Herzen wuchs und mit ihr Angst und Sorge und das glühende Verlangen, zu helfen um jeden Preis. Es war am Abend der ersten Aufführung von Ludwig Zieglrr's Tragödie: „Fesseln". Aber nicht wieder in Berlin, wie die früheren Werke des Dichters, sondern in dem Theater seiner Vaterstadt ward es aufgeführt. Ludwig hatte gewußt, daß er mit erlahmender Kraft geschrieben hatte, daß seine „Fesseln" nur selten die künstlerische Höhe, den Schwung der Sprache, die Schärfe der Charakteristik seiner beiden Erstlings werke erreichten; dennoch war es ihm eine herbe Enttäuschung gewesen, daß alle guten Berliner Bühnen sein Werk, wenn auch in höflichster Form, zurückgewiesen batten, und am liebsten würde er in einer Aufwallung völliger Muthlosigkeit das Manuskript den Flammen überwiesen haben, wenn Lilli es geduldet hätte. Aber sie wollte sich „ihr Stück", wie sie es nannte, nicht nehmen lassen, und hatte ihn zu einem letzten Versuch bei dem ihm befreundeten Theaterdirector seiner Vaterstadt gedrängt. Und der Erfolg hatte ihr Recht gegeben: Das Drama war zur Aufführung angenommen worden. Ob die Speculation auf den Localpatriotismus, wie ihr Gatte fürchtete, oder der künstlerische Werth des Werkes, wie sie ohne Weiteres meinte, für dieses Resultat maßgebend gewesen war, kümmerte sie nicht. Sie saß festlich geschmückt, voll froher Erwartung in ihrer Loge, scherzte und lachte llbermüthig mit Graf Brenning und beachtete es gar nicht, daß ihre Schwiegermutter neben ihr von Minute zu Minute bleicher ward. Endlich ging der Vorhang in die Höhe, und Scene auf Scene zog vor den Augen der Zuschauer vorüber. Mit Un geduld erwartete Lilli das Ende des ersten Aufzuges, und ein triumphirendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als nach dem Fallen des Vorhanges lebhaftes Beifallklatschen und Hervorruf; des Verfassers laut wurden. Ihre Wangen glühten, ihre blauen Augen strahlten in erhöhtem Glanze, und Graf Brenning, dessen Blicke die anmuthige, elfenhafte Gestalt fast verschlangen, nagte unmuthig an der Unterlippe, weil sie, die ihm heute liebreizender als je erschien, ihm in ihrem Jubel nicht die geringste Beachtung mehr schenkte. Ihre Blicke suchten Ludwig im Foyer. Sie hatte gehofft, daß der Erfolg ihn aus seiner dunklen Loge hervorlocken würde, und ihr war es, als müßte sie ihm, un bekümmert um alle Zuschauer, in die Arme fliegen, wenn er jetzt käme. Aber er kam nicht, der närrische Mensch, und sie mußte allein die Glückwünsche von Freunden und Bekannten entgegen nehmen. Als das Zeichen zum Beginn des zweiten Actes erklang und sie auf ihren Platz zurückkehrte, sah sie mit Be fremden, daß die Hände ihrer Schwiegermutter, welche ihr das Glas reichten, zitterten; aber schon hob sich der Vorhang, und ihr blieb keine Zeit zu einer Frage. Wieder war ein Aufzug beendet, doch weniger laut tönte diesmal der Beifall. Beunruhigt sah Lilli umher und erschrak vor dem todttraurigen Ausdruck in den Augen ihrer Begleiterin. Mein Gott, sollte wirklich Nein, sie konnte den Ge ¬ danken nicht ausdenken, und schon flüsterte der Graf etwa» in ihr Ohr von: zu hoch für diese Provinzialen! Natürlich, da» war. es; und rasch getröstet stand sie auf, um draußen von gefälligen Freunden wieder und wieder das Gleich« zu hören.
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