Volltext Seite (XML)
Nr. 31. Leipzig, Dienstag den 8. Februar 1916. 83. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Das Weihnachtsgeschäft 1915. (Fortsetzung zu Nr. 30.) Aus Heidelberg wird uns mit dankenswerter Ausführ lichkeit folgendes berichtet: Das diesjährige Weihnachtsgeschäft war, und dies bezeugen alle hiesigen Handlungen, und es wird mir auch von anderen Firmen des Badisch-Pfälzischen Perbandes bestätigt, ein gutes; der Barverkauf war höher als in den Friedensjahren, und in manchen Geschäften soll auch manches in Rechnung gekauft worden sein. Übrigens sollen Firmen aller Art mit dem Weihnachtsgeschäft recht zufrieden ge wesen sein. Das Geschäft hat vielleicht etwas darunter gelitten, das; das Barsortiment infolge des Leutcmangels vielfach versagte, daß sehr vieles ansLager fehlte, manches falsch kam oderfalsch berechnet wurde; die gleiche Klage wurde gegen manche Verlagsbuchhandlungen erhoben. Der Ladcnvcrkehr war überall ein sehr reger und stellte an die Geschäftsinhaber, da sie vielfach ohne Gehilfen und häufig mit nicht- bnchhändlcrischcm Personal arbeiten muhten, große Anforderungen; von Anfang Dezember bis in die erste Januarwoche hinein ist wohl kaum ein Geschäftsinhaber vor 2 Uhr morgens ins Bett gekommen; um 8 Uhr war jedoch jeder wieder auf dem Posten. Tank den Frauen und Töchtern, das; sie uns so tatkräftig unterstützten! Gekauft wurden vor allem gute Romane, besonders auch ältere Sachen, wie Conrad F-crd. Meyer und G. Keller, von neuen Werken die Sachen von L. Braun, Pietzsch, Keller, Lagerlöf, Bloem, Heer, Günther, sodann Kunstgaben, vor allem auch Kalender, von denen manche, wie »Kunst und Leben« und der Richter-Kalender, bald ausverkanst waren, ferner die kleineren Sachen »Du mein Deutsch land«, Spitzwcg, Reime und Bilder, das Neimbüchlein der Evan gelischen Gesellsä.,1 nsw., selbstverständlich auch viel die »Blauen Bücher«, vor allein die schöne Heimat, und die Bücher der Rose, sowie die zweibändige Ausgabe der Werke Friedrichs des Großen von Hobbing. Garnicht begehrt war Kricgsliteratnr jeder Art; selbst der Große Bilderatlas des Weltkrieges hatte nicht den erhofften Absatz. Ins Feld wurden vorzugsweise Neclam- und Jnsclbändchcn neben den Spitzwegbüchelchen und kleineren Knnstgaben gesandt. Bei Jugendschriften und Kinderbüchern wurde die Wahrnehmung ge macht, daß vielfach teurere Sachen den billigen Büchern vorgezogen wurden. Jnsclbücher und Bände ähnlicher Sammlungen waren sehr be gehrt, aber es wurde auch ab und zu schon wieder nach Luxusaus gaben gefragt und verschiedene in Leder gebundene Werke abgesetzt. Keine Nachfrage oder doch nur sehr geringe war nach Reisebeschrei- ^ billigen, Atlanten, Prachtwcrkcn, Bismarckliteratnr und Schriften zur Tagesgeschichte mit Ausnahme von »Deutschland und der Welt krieg« und Naumann, »Mitteleuropa«. Nochmals möchte ich betonen, daß das Weihnachtsgeschäft ein recht gutes war, wenn cs natürlich auch nicht den Ausfall der ganzen Monate decken kann; hervorhcben möchte ich auch noch, daß es überhaupt den Anschein hat, als ob die schlimmste Krisis seit Be ginn des Winters überwunden ist. Dem Verlag wäre zu em pfehlen, leine Kriegslitcratur mehr zu bringen, da selbst ganz vor treffliche Werke nur noch geringen Absatz, wenigstens iin Sorti ment, erzielen, dagegen gute Romane, Biographien, historische Schil derungen, allgemein verständliche politische Schriften und dann auch gute Schriften zu billigen Preisen; ich glaube, daß z. B. mit einer billigen Ausgabe der F-rcytagschen Romane und der »Bilder aus der deutschen Vergangenheit«, mit billigen Ausgaben von Naabcs Hnn- > gcrpastor und anderen Werken des Meisters, von C. F. Meyer oder l von Felix Dahn, vielleicht auch von Stindes »Bnchholzens« ein glän- ! zcndes Geschäft gemacht werden könnte. I?. § I Wie ein Jubelhymnus auf die kommende Zeit liest sich der ! nachstehende Bericht aus Karlsruhe, der lvohl geeignet ist, z uns mit frohen Hoffnungen für die Zukunft zu erfüllen. Es ist erstaunlich und nie genug dnrchzndenken: Deutschland eingeschlossen in dem undnrchbrvchenen Ringe von Feinden, die in ! ihrer Nachsucht und Wildheit, ihrer Schlechtigkeit und ihrem Zynis mus eine Kriegführung hcraufbeschworen haben, die uns in eine weit zurückliegende Zeit versetzt. Niemand gibt cs in dem unge heuren Kreise, der sich nicht der schrecklichen Wirkung durchaus be wußt wäre, weikn's geschähe, daß der Ring uns zusammenschnürte und auf Deutschlands Erde sich wieder der Fremde nmhertriebe, wie es früher üblich war. Und dennoch diese Ruhe! Eine selbstverständliche Gewißheit, daß ein solches Geschick nimmer wicderkehre und daß, mehrten sich auch die Feinde wie der Hydra Köpfe, der Sieg doch unser wird. Oder wäre es sonst denkbar, daß bei einem nur leisen Gefühl der Unsicherheit und angesichts einer erneuten Ncichsanleihc-Ankündi- gung die Räume der Buchhandlungen vier Wochen lang eine wahr haft freudige Inanspruchnahme erleben dursten? Die Wochen vor Weihnachten 1015 werden im deutschen Buch handel immer denkwürdig sein und als eine bedeutsame Beurkundung für deutsche Kraft nicht übersehen werden können. In ihnen hat sich gezeigt, daß sich die für das Vorwcihnachten geltenden Verhält nisse gestärkt, die Kauflust gehoben und der Käuferkreis wahrscheinlich vermehrt haben. Der Wille zum Schenken war allgemein, und wie es sich er wiesen hat, war der Durchschnittspreis im Einkauf höher als 1914. Ausfallend wenig Kriegsliteratur ist gekauft worden; wohl dürfte der Absatz von Kriegschroniken zufriedenstellend sein, sonst hörten wir immer wieder den Ausruf: Nur nichts über den Krieg! Ein er freuliches Zeichen, daß der Sinn für die eigentliche Literatur neu erstanden ist, und daß die Wucht der Ereignisse ein Gleichgewicht verlangt, das nun in der Kunst und andern Zweigen literarischen Lebens gesucht und gefunden wird. Selbst feinere Luxusausgaben, vereinzelt auch größere Klassiker, fanden ihre Abnehmer, ganz be sonders die kleinen Sammlungen, die billig sind, hübsch aussehen und gern als Beigabe betrachtet wurden. Schlüsse zu ziehen, etwa auf die Vertiefung des Lebensgefühls, die Ncnerwccknng religiösen Empfindens oder die vermehrte Teil nahme an politischen und sozialen Fragen, wagen wir nicht. Zu leicht könnte man irren, und der Umkreis einer einzelnen Buch handlung ist schließlich zu klein, um in so großen Dingen all gemein gültige Behauptungen aufzustellen. Daß jedoch auf dem Gebiete der Untcrhaltungsromane gern zu solchen gegriffen wurde, die nicht gerade ein oberflächliches Crzä'hlnngsbedürfnis befriedigen, sei mit Freuden erwähnt. Wir glauben und hoffen, daß endlich auch dem Deutschen der Sinn für das gute Buch anflebt und es ihm nicht nur ein Gegenstand des Schcnkens bleibt, sondern mehr und mehr des eigenen köstlichen Besitzes. Viel Meinung für den Erfolg von auffälligen Zeitungsan zeigen und Plakaten: »Schickt Bücher ins Feld« oder: »Schenkt Bücher zu Weihnachten«? zeigt sich in Berichten aus München und auch aus Nürnberg. Beide Berichte sprechen sich über das Weihnachtsgeschäft befriedigt aus und bekunden mit geringen Abweichungen auch dieselben Erfahrungen im Geschäftsverlanf, wie sie vorstehend schon mehrfach in bemerkenswerter Nberein- stimmung geschildert worden sind. Wenn anderweit vielfach auf Reklame verzichtet worden ist, so äußern sich diese beiden Kol legen im gegenteiligen Sinne und messen der Zeitungs- und an deren Reklame große Wertschätzung bei. Jedenfalls, so mahnt der 141