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Schöpferische Kritik 117 Solche Kritik zu pflegen, die vielen frei zu machen von Kon vention, Schablone, Philisterei, frei zu machen auch von jener inneren Unsicherheit, die sie verhindert, sich in Liebe dem Verständnis anderer hinzugeben, das war von Anfang an das Bestreben der fortschrittlichen Literatur-Bewegung unter den deutschen Katholiken. Daß man uns dennoch den Vorwurf machte, wir hätten dem Dichter die Verwendung konfessioneller Motive widerraten, und gewünscht, daß er sich auf mög lichst neutralen Boden stelle, das beweist doch Wohl nur, wie wenig man verstanden hat, worauf es uns vor allem ankommt! Wenn je eine so unsinnige Forderung, als welche man hier uns unterschieben will, an die Dichter ergehen würde, so wäre die fortschrittliche Richtung allein imstande, sie wirksam abzuweisen. Wie aber könnten ihre Gegner ein gleiches? Denn gerade sie versuchen es immer wieder, die Dichter zu kommandieren, ihnen den Stosskreis, die Darstellungsfreiheit nach opportunistischen Rücksichten einzuschränken und um der Schwäche und Ärgernissuchl einzelner willen Vorschriften zu machen. Oder wer anders als sie war es denn, der, um nur die letzten Beispiele zu nennen, sich entrüstete, als Handel-Mazzetti in ihren Romanen neben der innigen und gesühlsechten Darstellung katholischer Menschen auch die Gefühle und Überzeugungen von Lutheranern, Reformierten und Atheisten ebenso wahr und psychologisch-liebevoll darstellte, wer war es, der einem Dichter wie Fogazzaro zum Vorwurf gemacht hat, gewisse Priestergestalten seines Landes schlecht und recht, so wie er sie kannte und liebte, zum Gegen stand dichterischer, humorvoller Charakteristik gewählt zu Habens) und 1) So gibt z. B. R. von Kralik von der im „Hochland" erschienenen Novelle „Pereat Rochus" von Fogazzaro, einem untadeligen Werk von feinstem Humor, folgende Herabwürdigende Charakteristik: „Diese No velle könnte, wenn sie aus dem modernen Feuilletonstil in den klassischen Novellenstil des Trecento übersetzt würde, fast im Decameron stehen. Ein in der Moralkasuistik gar zu ängstlicher, bäuerischer Priester, wird da weniger zum Märtyrer als zum Gespött gemacht, in einer Weise, die kaum einen katholischen oder nichtkatholischen Leser erbauen kann. Denn nach der gleichen Methode könnte man auch die Lehren der Bergpredigt in ihren Konsequenzen lächerlich machen und ins Absurde kehren." (Gral I, 9, 413.) Das ist niedrigste Tendenzkritik! Was es mit diesem Urteil auf sich hat, mag man allein schon daraus ersehen, daß selbst Alex. Baumgartner 8. ck. diese Novelle mit Anerkennung unter Fogazzaros besten nennt! Er schreibt wörtlich: „Fast noch mehr als in den Romanen bekundet sich Fogazzaro in den Novellen als einen Meister in der Erzählungskunst, der feinsten Stimmungsmalerei, wirklich dichterischer