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Redaktioneller Teil. ii 197, 25. August 1916. die logariihmifchen Handbücher, auf deren Zuverlässigkeit Tauch nitz ungeheuer großen Wert legte. Setzte er doch Prämien aus für die Entdeckung von Fehlern in Höhe von einem Louisd'or. Nur ganz wenige konnten (bet Zahlenwerken von 1500 600 bzw. 900 000 Ziffern!) nachgewiescn werden, die in den Platten sofort verbessert wurden. Unter den Werken verschiedenen Inhalts fallen die dramatischen Werke der Prinzessin Amalie von Sachsen auf, die König Johann dem Tauchnitzschcn Verlage übergab, dann Kamill von Vehrs genealogische Bücher, das von Karl von Weber herausgegcbene Archiv für Sächsische Geschichte, Werke von Constantia Tischendorf, Adolf Wach, Wilhelm Theo dor Richter u. v. a. Tauchnitz war ein Mann, erfüllt von hohen Idealen, ein vornehmer Charakter, willensfest und stark bis ins achtzigste Lebensjahr, in dem er am 13. August 1895 die Augen schloß, auf richtig betrauert von allen Berufskollegen. Der jung aufstre benden Generation, dem gesamten Buchhandlungsgehilfenstand hat er seine treue Fürsorge Vis über den Tod hinaus in hoch herziger Weise gewidmet. In der Gesellschaft der alten Buch- Handelsstadt Leipzig nahmen er und seine Gattin, eine Leipziger Großkaufmannstochter, mehr als ein halbes Jahrhundert eine führende Stellung ein. Sein Haus im Grimmaischcn Steinweg und sein Schloß und Park in Kleinzschocher bei Leipzig waren Sammelpunkte der besten Leipziger Gesellschaft. Auch König Albert von Sachsen schätzte Tauchnitz sehr hoch, und das große Vertrauen, das er ihm entgegenbrachte, kam namentlich in der Berufung Tauchnitz' in die Erste Ständekammer auf Lebenszeit zum Ausdruck. Auch sonst ist Tauchuitz hoher Ehre» teilhaftig geworden. Die Verleihung der erblichen Freiherrnwürde in verhältnismäßig jungen Jahren, seine Ernennung zum Königlich Großbritannischcn Generalkonsul, die Auszeichnung durch viele hohe in- und ausländische Orden, all das sind wohlverdiente Zeichen von Anerkennung, die sich Bernhard von Tauchnitz durch seine Verdienste um die Wissenschaft und um die Volksbildung erworben hat. Er durfte beruhigt sich zum letzten Schlummer medcrlegen, denn in den Händen seines ältesten Sohnes, der ihm schon seit 1866 hilfreich zur Seite stand, wußte er das Werk seines Lebens Wohl geborgen. Siegfried Moltke. Aus der Vergangenheit der deutschen Sstseeprovinzen Rußlands. Von G. Jonck (früher Riga). (Fortsetzung zu Nr. IM.) IN. Dreißig Jahre lang hatte der Nordische Krieg in Livland gewütet, das Land war entvölkert; was das Schwert verschont hatte, war nach Rußland verschleppt worden. So war beispiels weise die gesamte deutsche Bevölkerung Dorpats ohne jede Aus nahme — selbst Kranke und Sterbende durften nicht Zurückbleiben — im Jahr« 1707 ins Innere des großen Reiches, nach Wologda und Kostroma getrieben worden. Erst im Jahre 1714 durften die überlebenden zurückkehren. Nach der Kapitulation Rigas konnte das Land sich nur ganz allmählich erholen. Es mangelte an Arbeitskräften, denn weite Flächen waren vollständig verödet. Die jahrelang unbebaut ge bliebenen Äcker Ware» mit Gestrüpp überzogen, aus dem sich hin und wieder sogar schon Hochwald entwickelt hatte. Die Guts herren, die sich mit der Zeit wieder einfanden, lebten in demselben Elend wie die Bauern, von denen sich auch einzelne aus heim lichen Verstecken wieder hervorwagten. Vieh und Pferde waren vollständig ausgerottet; erst nach zwanzig Jahren (1730) konnte langsam mit der Bestellung des Landes begonnen werden, und ebenso langsam trat eine Besserung der Verhältnisse ein. Das Elend des flachen Landes wirkte auch auf die Städte ein, Handel und Gewerbe konnten bei dem herrschenden Geldmangel nicht gedeihen. Da war es denn kein Wunder, daß auch der Buch handel keine Gelegenheit fand, sich zu betätigen. Ter Bücher- bedarf beschränkte sich auf Gesangbücher, Erbauungsschriften und einige wenige Schulbücher, besonders Katechismen, die im Lande! 1114 selbst hergestellt und von Buchbindern vertrieben wurden. Aus Deutschland wird wohl bisweilen ein unternehmender Buchführer nach Mitau und Riga gekommen sein und versucht haben, sen sationelle Neuigkeiten, wie die üblichen »Prophezeiungen« und »Reuen Zeitungen« sowie allerlei praktische Bücher unterzu bringen, aber di« Zustände waren doch so wenig verlockend, daß bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus kein wagemutiger Buchhändler sich dauernd in Livland hat niederlafsen mögen. Im Jahre 1763 endlich, Städte und Land fingen an auf zublühen, kam der richtige Mann zur rechten Zeit in die nordischen Provinzen. Der erste Buchhändler Rigas und auch der hedeu- tendste, Johann Friedrich Hartknoch. Der Lebens- gang dieses außerordentlichen Mannes, den Julius Eckardt den »baltischen Perthes« genannt hat, darf hier wohl kurz geschildert werden. Hartknoch stammte aus dem jetzt vielgenannten, im Anfang dieses Krieges von den Russen zerstörten Goldap in Ostpreußen, wo sein Vater die bescheidenen Ämter des Torschreibers, Orga- nisten und Stadtmusikus verwaltete, und wurde am 28. Sep tember 1740 geboren. Aus seiner Jugendzeit wissen wir nur, daß sein Vater, trotz seiner großen Armut, es mit Hilf« eines treuen Lehrers, namens Seckendorf, möglich machte, ihn für die Uni versität Vorzubereilen. Mit 16 Jahren kam er nach Königsberg, um dort Theologie zu studieren. Ganz auf sich allein angewie sen, ohne jede Unterstützung von seinem Vater, mußt« er jede freie Stunde, die ihm die fleißig besuchten Vorlesungen ließen, zur Gewinnung seines Lebensunterhalts mit Unterrichtgeben, haupt sächlich in Musik, ausfllllen. Mit dem berühmten Philosophen Kant, der sich wenige Monate vor Hartknochs Eintritt in di« Universität als Privatdozent für Logik, Metaphysik, Physik und Mathematik habilitiert hatte, trat er sehr bald in Beziehungen, die sich bis zu seinem leider frühen Tode erhielten. Die für Hart knoch wichtigste und folgenreichste Bekanntschaft war die mit dem Buchhändler Kanter. Dieser war, wie Prof, von Baczko in seinen Beiträgen zur Geschichte Königsbergs erzählt, »ein feu riger, gebildeter Mann, mit regem Sinn für alles Gute«. Kanter gewann bald Interesse an dem fleißigen und lese lustigen jungen Studenten und gestattete ihm, so oft er wolle, in seinen Buchladen zu kommen und sich darin umzutun. Er gewann ein so großes Zutrauen zu ihm, daß er ihm die Ver waltung und interimistische Leitung seiner Buchhandlung über trug, als er im Jahre 1761 zur Ostermcsse nach Leipzig reiste. Nach seiner Rückkehr fand er das Geschäft so vorzüglich verwaltet, daß er seinem gewissenhaften Vertreter den Vorschlag machte, das Studium an den Nagel zu hängen und ganz in sein Geschäft als Gehilfe einzutreten. Hartknoch bedachte sich nicht lange, die Theologie schien ihn nicht sehr zu fesseln — er wurde Buch- vändler. Eine Geschäftsreise führte ihn im Jahre 1763 nach Mitau. Dort gefiel es ihm so gut, daß er sich sofort entschloß, in dieser Stadt eine Buchhandlung zu gründen. Noch in demselben Jahre kam er in das nur sechs Meilen entfernte Riga, und auch hier eröffnete er sofort eine Buchhandlung und ließ sich hier zu dau erndem Aufenthalte nieder. Dem jungen Geschäftsmann kam es zustatten, daß er in Riga einen Kreis gebildeter Männer fand (die Brüder Berens, Schwartz, Zuckerbecker u. a.), die es zu schätzen wußten, einen in der neueren Literatur bewanderten, kenntnisreichen und strebsamen Buchhändler an ihre Stadt zu fesseln. Bei ihnen fand er auch weitgehende materielle Unter stützung und Förderung. Er selbst gewann schnell großen Ein fluß, denn als es sich im Jahre 1764 darum handelte, für die Domschule (das Gymnasium) einen Kollaborator zu wählen, zog man ihn mit zu Rate. Ihm und Hamann, der längere Zeit in Kur- und Livland geweilt hatte, gelang es, die Berufung Herders beim Rektor Lindner durchzusetzen. Als Hartknoch noch in der Kanterschen Buchhandlung als Gehilfe arbeitete, war Herder nach Königsberg gekommen, um Theologie zu studieren, und die beiden jungen Leute hatten sich rasch und herzlich befreundet. Herder hatte sogar dem Bei- spiel des Freundes folgen und auch Buchhändler werden wollen, war aber von diesem, der ihn nicht zum Geschäftsmann für I geeignet hielt, davon zurückgehalten worden.