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Erscheint wöchentlich drei Mal und zwar Dienstag, Donnerstag und Sonnabend (Bonnittag). AbonnementSpreis betrügt vierteljährlich t Mark SO Pf. peienumeranän. AmeiM für Inserat« werden bi« ipätestens Mittags dcS vorhergehenden Tages des Erscheinens erbeten und die Corpusspaltenzeile mit lv Pf., unter „Eingesandt" mit 20 Pf. berechnet. Zwönitz und Umgegend. Amtsblatt für den Stadtgemeinderath zu Zwönitz. Dienstag, den 14. Mai 1878. 3. Jahrg. Das Attentat ans unsern Kaiser. Am Sonnabend Nachmittag 3 Ubr 10 Minuten wurde Unter den Linden 6». in Berlin vor dem Hanse der russischen Gesandtschaft ein Attentat auf den Kaiser anSgeübt. Der Kaiser kam von einer Spazierfahrt aus dem Thiergarten zurück, seine Tochter, die Groß» Herzogin von Baden, saß neben ihm. Da plötzlich erfolgten drei Schüsse kurz aufeinander, die sämmtlich inkeß ihr Ziel verfehlten, und nur den kaiserlichen Wagen streiften. Während sich einige der in der Nähe befindlichen Personen an den Wagen drängten, um sich nach dem Befinden des Kaisers zu erkundigen, stürzte der größte Theil auf de» Frevler zu, der in der Abwehr noch einen Schuß in die ihn nmringenve Menge abfenerte, sodann aber mit einem anschei nenden Complicen, der die Festnahme vereiteln zu wollen schien, ver haftet und kaum vor Mißhandlungen durch das gereizte Publikum zu behüten, nach dem dritten Polizeibureau gebracht wurde. Der Thater ist der Klempnergeselle Lehmann auS Leipzig. Der Kaiser fuhr nach etwa 5 Minuten Aufenthalt nach dem Palais weiter. Bei dem Ver hör, das in Gegenwart des Ministers des Innern mit dem Ver brecher staufand, behauptete er zuerst, daß er sich brod- und obdach los bier aufgehalten habe und sich habe erschießen wollen, um die gegenwärtigen Zustände und die Bedrückung der Armen durch die Neichen zu konstatireu. Der Kaiser soll glücklicherweise gar nicht alterirt gewesen sein. Die Nachricht von dem Attentat verbreitete sich mit Blitzesschnelle durch die Stadt, war im Reichstage um Uhr bekannt und die Linken zeigten um diese Zeit eine ungeheure Menschenbewegung, besonders vor dem Palais des Kaisers, wo die Nationalhymne und die Wacht am Rhein immer wieder von Neuem aus tausend Kehlen erklang, der Kaiser zeigte sich wiederholt ans dem Balkon. Zahlreiche Gruppen bildeten sich und äußerten über die Abscheulichkeit des Verbrechens ihren Unwillen. In der ganzen Start war bereits gegen 5 Uhr geflaggt und am Abend verschiedenartig, namentlich Unter den Linden illuminirt Ein weiterer Bericht lautet: Das Attentat auf dem Kaiser, welches am Sonnabend Nachmittag die Bevölkerung wie ein Lauffeuer durchdrang, wurde gegen den Kaiser ausgeführt, als derselbe von Charlottenburg kommend, mit seiner Tochter, der Großherzogin von Baden, die Linden um 3 Uhr 3t) Minuten entlang fuhr und dort in seinem cfsene» Wagen bis vor das russische GesandschaftShotel ge kommen war. Drei Schüsse krachten plötzlich schnell hinter einanrer von einem Jndividnnm abgesenerl, das sich hinter einer dort haltenden Droschke postirl batte. Glücklicherweise hatte kein Schuß getroffen, doch erhob sich der Kaiser von seinem Sitze fragend: „Gellen diese Schüsse mir?" Das vorübergehende Publikum hatte aber schon die Gefahr für eei, Monarchen erblickt und mit Energie warf sich Herr Curl Dittmann anS Charlottenburg ans den Meuchelmörder, griff denselben in das Genick, dieser riß jedoch sich loö, in derselben Minute aber hatte ihn der Leibjäger des Kaisers am Kragen. Das erbitterte Publikum hieb mit Macht auf den Bösewicht ein, der sofort auf das 3. Polizei-Revier Bureau gebracht wurde. Dort entpuppte sich der selbe als der aus Leipzig kommende Klempnergeselle Emil Hötel, ge nannt Lehmann, etwa 21 Jahre all, welcher erst seit Kurzem in Berlin und guter Patriot sein will. Doch wurden in seinem Notiz buch genau die sozialdemokratischen Versammlungen verzeichnet gefunden, die er hier schon besucht hat und noch besuchen wollte. Als das Publikum erbittert über Hödel herfiel, bat ein in der Nähe stehender Arbeiter Krüger, bei seiner Mutter Weberstraße 27 wohnhaft, das Publikum: „Haut ihn doch nicht so, er kriegt doch seine Strafe," diese Worte und da« ganze Benehmen des Krüger für den Attentäter verdächtigten diesen so, daß er ebenfalls verhaftet wurde. Gegen 6>/, Uhr wurde» beide Arrestanten, nachdem inzwischen auf dem Molken- markt das ganze hiesige Kriminal-Kommissariat, sowie die Staats anwaltschaft, der Untersuchungsrichter, im Beisein des stellvertretenden Polizei-Präsidenten, Wirkl. Geheimen Rath v. Herzberg sich ver sammelt halten, eingeliefert. Dieselben kamen unter starker Eskorte, voran ein Polizei - Lieutenant zu Pferde, berittene Schutzleute, der grüne Wagen mit den gebundenen Gefangenen im Innern und be rittene Schutzleute als Deckung hinter dem Wagen. Hödel ist ein schlank gewachsener Manu, etwa 5 Fuß 6 Zoll, hat einen entschiedenen Blick und sicheres Auftreten, seine Kleidung ist armselig, sein Hut, der bekannte runde Sozialistenhut. A. Krüger sieht ähnlich ans, doch trägt derselbe ein nichtssagendes, aufgedunsenes Gesicht. Die Vernehmung des Attentäters, dessen voller Raine Heinrich Max Hödel ist, und der am 27. Mai 1857 zu Leipzig geboren, fand im Beisein de? Ministers des Innern Grafen Eulenburg, des Wirklichen Geh. RegierungsralhS v. Herzberg, des Oberstaatsanwalts v. Luck, de« Stadtgerichts-Präsidenten Krüger, des Staatsanwalts Tessendorf, ker Untersuchungsrichter, StadtgerichtS-Räthe Johl und Hollmann, deS Chefs der Kriminal Polizei, Polizeirath Pick und des Kriminal-Distrikt- Kommissars Richards u. A. statt. Die Untersuchung und Vernehmung selbst führte der StaktgerichtS-Ralh Johl. Hödel giebt an seit dem 26. April bei der Wittwe Breiter, Stallschreiberstraße 13, gewohnt zu haben. Die Haussuchung bei demselben ergab, daß er mit Leib nnd Seele der Sozialdemokratie angehöre. Photographien von Most, Weber, und verschiedene sozialistische Schriften wurden in seinen Sachen vorgefunden. Der Attentäter selbst giebt an, er sei Klempnergeselle, heiße Max Hövel, genannt Lehmann und habe sich gegen 3V» Uhr Unter den Linden erschießen wollen. Er gehöre der christlich-sozialen Partei an, sei aber Anarchist vom reinsten Wasser. — Dagegen sprechen die vernommene» Zengen entschieden sich dahinaus, daß der Attentäter auf Sr. Majestät den Kaiser, der mit der Großherzogi» von Baden angefahren kam nnd zwar zuerst von vorn, hinter einer Rampe am Russischen GesandtschaftShotel stehend, den ersten Revolver schuß auf den Kaiser abgefeuert, dann über den Damm geeilt sei und einen zweiten Schuß auf den Kaiser vom Reitweg aus entladen habe und einen dritten Schuß abfeuene, als er unter dem eisernen Gitter des Fußweges der Linden burckkroch. Hier faßten ihn die ihn ver folgenden Zeuge» Carl Dittmann, und Andere, besonders ein roth- bärtiger Herr, der ihn zu Booen niederstreckte. Der Revolver wurde seinen Händen entwunden, es war ein Sechsläufiger, der noch zwei scharfe Schüsse zeigte, da Hövel den vierten Schuß gegen seinem Verfolger noch gerichtet hatte. — Entrüstet weist Hövel die Anschuldig ung zurück, daß er den Kaiser habe erschießen wollen, kann aber den inzwischen eingelaufenen Nachrichten nicht widersprechen, daß er selbst sozialistische Volksversammlungen in Schkeuditz bei Leipzig einberufen und abgehalten habe und dort als Volksredner ausgetreten sei — doch bleibt er dabei: aus Noth sich selbst babe erschießen zu wollen, denn, sagt er, dem armen Volke bleibe nichts anderes übrig, wenn es nicht verhungern will, als sich selbst todtzuschießen. — Das Verhör dauerte bis 10 Uhr, dann wurde er in strenge Haft genommen, dagegen der mitverbaftete Arbeiter Krüger, dessen volle Unschuld sich erwies und der wirklich, weil vaS Publikum in seiner Erbitterung een Hövel zer rissen hätte, besonntnerweise für diesen Partei nahm, bis die Behörde ihn in Sicherheit halte, seine Gutmüthigkeit aber beinahe sehr schwer hätte büßen müssen. Gegen 8'/, Uhr erschien noch auf dem Kriminal-Kommissariat ein Klcmpnergeselle, der sich für Hödel in das Mittel legen wollte und bezeugen, daß er wisse Hödel wollte sich selbst erschießen. Man hörte denselben ruhig an und ließ ihn darauf ungehindert seine Wege gehen. Lokales und Sächsisches. , Die große Parade, welche in Dresden am 18. Juni anläßlich der silbernen Hochzeit des KönigSpaareS an Stelle der dies Jahr an Königs Geburtstag ausgefallenen Frühjahrsparade über die Dresdner