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Nr. 62. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 28. Mai 1912 Seite 2. trrlaffen. Er berichtete: „lvie die unglücklichen Bewohner dieser Länder durch die allgemeine und gleichzeitige Bewegung, zu der so ganz und gar keine Anstalten voraus getroffen waren, durch die Hinwegnahme ihrer Pferde und ihres ganzen viehstandes, der Fourage, des Mehls und aller Lebensmittel schon anfangs Juni gelitten haben, dafür ist es schwer, einen vollständigen Be griff zu geben. Auch die künftige Ernte ist bereits in Beschlag genommen, indem nach einem Tagesbefehle Napoleons die sämt liche Kavallerie der großen Armee bereits auf grüne Fourage ge setzt wurde und forthin keine Fouragewagen mehr bei den Kaval lerieregimentern geduldet werden". Ja, vor hundert Jahren hatte der Vsten des Reiches schon sehr schwere Dxser zu erdulden. — (Oeffentliche Sitzung der ve-irkS- au» schuss es) findet Sonnabend, den 1. Juni 1912, vormittags 9 Uhr im Sttzungssaale der Königlichen AmtShauptmannschast Kamenz statt. Die Tagesord nung hängt in der AmtShauptmannschast au». — 8^K. (Erfolge der chri st lich--natio nalen Bergarbeiter. Verbandes.) Die vom christlich-nationalen Bergarbeiterverband eingenommene Haltung de» letzten Kämpft» im Rahrbergbau hat bei allen Einsichtigen Zustimmung gefunden. Die Berg, arbeiterschast de» Ruhrgebiet» selbst kommt immer mehr zu der Erkenntnis, daß al» ihre Interessen vertretung einzig und allein die christlich-nationale Arbeiterbewegung in Betracht kommen kann. Da» beweist auch das Wahlergebnis der jüngst im Ruhr- revier stattgefundenen StcherheitSmännerwahlen. Weit über 200 Mandate, die bisher sozialistische Verbändler verwalteten, gingen auf den christlich-nationalen Ver- band über. Dieses Wahlresultat ist ein sprechender Beweis für das steigende Vertrauen besten sich die christlichen Gewerkschaften in der Arbeiterwelt erfreuen. Dresden. (Vom Königrhauie) Se. Majestät der König traf am Freitag vormittag im Rrstdenz- schloste ein und empfing hierselbst den General der Infanterie, Grafen von Kirchbach, Präsidenten be« Reichsmilitärgerichts, zur Meldung. Hierauf nahm Se. Maj. au» Anlaß seines Geburtstage» Beglückwün schungen entgegen. Um 11 Uhr wohnte Se. Majestät dem Tedeum in der Katholischen Hofktrche bet und be gab sich hierauf nach Wachwitz zurück. »/,3 Uhr nach, mittag» nahm der König eine Huldigung de» Dresd ner Pfadfinderbunde» vor der Königl. Villa in Wach- wttz entgegen. Am 1. Feiertag früh besuchte der König den Gottesdienst in der Kapelle zu Wachwitz, woran sich mittag» 1 Uhr eine Tafel ohne Dienst schloß. Nach- mittag» begab sich der König in das Restdenzschloß zu Dresden, wo 6.45 Uhr eine feierliche Audienz zu Ehren des hier anwesenden Minister» de« Auswärtigen, Gra- fen Berchtold-Wien stattfand. Hieran schloß fich eine Galatafel, nach deren Schluß der König nach Wachwitz zurückkehrte. Am 2. Feiertag früh besuchte der König gleichfalls wieder den Gottesdienst. 10,30 erfolgte die Abreise de» Königs mit seinen Söhnen und Töch- tern zu einem mehrtägigen Aufenthalte nach Sybtllenort. 8. Dresden. (Ehrung Geh. Rat Lingner».) In Ansehung seiner Verdienste aus dem Gebiete der Hygiene wurde Wtrkl. Geh. Rat Or. Lingner zum korrespondierenden Mitglied« de» Kaiserlich Russischen Institut» für Expertmental-Medizin in St. Petersburg ernannt. Bischofswerda, 25. Mai. (Auszeichnungen.^ Se. Majestät der König hat Herrn vr. meck. Roch hier den Titel Sanitätsrat und Herrn Lehrer Mäder den Titel Oberlehrer verliehen. Der Mitinhaber der Firma C. G. Kunath in Demitz-Thumitz, Herr Bruno Hitzig ist zum Kommerzienrat ernannt worden. Leipzig. (DieBauauSstellung inLeipzig und Preußen.) Der preußische Staat beabsichtigt sich in großzügiger Weise an der Leipziger BauauS- stellung im Jahre 1913 zu beteiligen. Der Minister für öffentliche Arbeiten hat der Ausstellungsleitung mitgeteilt, daß die ihm unterstellten Ressorts der Eisen bahn-, Hoch- und Wastrrbauverwaltung mit Modellen, Zeichnungen und anderen Gegenständen vertreten sein werden. Das Direktorium hat dafür einen Flächen raum von 1000 Quadratmetern reserviert. Leipzig, 2S. Mai. (Parseval-Luftschiff 6 zerstört.) Das heute morgen 6 Uhr eingrtroffene Parseoal-Luftschiff 6 wurde gegen »ft11 Uhr von einer Windböe erfaßt, vom Anker loSgeristen und etwa 200 Meter weit geschleift. Da» Luftschiff ist vollständig zertrümmert. ES bereitete sich eben zum Aufsteigen vor, al» e» infolge des böigen Windes plötzlich in die Höhe gerissen wurde. Im Luftschiff befand fich ein Steuermann, welcher der Mannschaft, die den Ballon hielt, zurief, daß sie lorlasten sollen. Bi« aus einen Soldaten folgten alle dem Befehle des Steuermanns. Dieser ließ sich erst in einer Höhe von 5 Metern lo». Beim Absturze erlitt er schwere innere Verletzungen. Da» Luftschiff wurde in einer Höhe von 8 Metern vom Winde weitergetrieben. Der Steuermann öffnete die Reißleine, worauf das Luftschiff sank. Dabei stieß es gegen die Umzäunung einer Tennisplätze», der fich an den Sportplatz anschließt. Bei dem Aufprall knickte die Ballonhalle in der Mitte zusammen. Die Motore wurden vollständig zertrümmert. Der Steuermann, der aus der Gondel geschleudert wurde, hat schwere Verletzungen erlitten. Da» Luftschiff war aus Bitter- feld in Leipzig angekommen und beabsichtigte, hier mehrere Flüge zu absolvieren. Leipzig. (Der Leipziger Schlachtfeld, turngau) mit 35000 Turnern veranstaltet am 2. Juni in Leipzig-Connewitz al» Probe für da» 12. Deutsche Turnfest ein Mastenschauturnen, an dem fich 10 000 Turner, 900 Vorturner, 22 000 jugendliche Turner und 1600 Turnerinnen beteiligen werden. Freiübungen, Geräteturnen, Frauenturnen, Turnspiele und Rtngkämpfe stehe« auf dem Programm. Dar Schauturnen wird da» glänzendste turnerische Schau- spiel sein, da» jemals in Leipzig gezeigt wurde. — (Zur Millionenerbschaft de» Sol- baten Henker) wird uns au« Hohenstein-Ernstthal geschrieben: „Der wirkliche Sachverhalt ist folgender: Im Jahre 1841 desertierte der in Sebasttan-berg ge borene 20jährige Marku« Nowack, der bi« zu dieser Zeit in Zöblitz arbeitete, und landete nach mancherlei Irrfahrten in Südafrika. In der ersten Zeit seines Dortsein« ging e« ihm nicht sonderlich gut, später machte der bi« dahin als Pferdewärter tätige Nowack fich selbständig und betrieb einen schwunghaften Vieh handel. Durch umfangreiche Länderspekulationen kam er bald zu einem größeren Vermögen, da- sich im Laufe der nächsten 30 Jahre verzehnfachte. Im Jahre 1871 oder 1872 starb Nowack, ohne daß seine in Hohenstetn-Ernstthal und in Böhmen wohnhaften Verwandten eine Nachricht erhielten. Erst im Vor jahre wurden im „Prager Abendblatt* die Erben ge- sucht. Inzwischen war sein bi« 1892 in Sebastian«, berg al« Kirchner angestellte Bruder gestorben und die übrigen Geschwister nach hier verzogen. Der Vater de» Soldaten Henker war hier vor Jahren Bäcker meister, während die übrigen Verwandten al» Weber und Schneider in ärmlichen Verhältnisten leben; e« sind die» die Familien Richter, Hiemann, Fischer und Henker. Ein weiterer Bruder wohnt in Meerane, in Chemnitz ein Neffe. Letzterer, der Ratsbeamte Uhl- mann, hat die Nachprüfung der im übrigen noch sehr unwahrscheinlichen Erbschaft in die Hand genommen. Im günstigsten Falle dürften von dem Riesenvermögen auf die einzelnen Erben etwa je 100 000 M entfallen, da die Zahl der Beteiligten ziemlich groß ist. Schon seit Jahresfrist spukt diese „Millionenerbschaft*, doch stehen selbst die direkten Erben der ganzen Angelegen, heit ziemlich skeptisch gegenüber. Der Soldat Henker, der gegenwärtig hier seinen Urlaub verlebt, wird natürlich von den heiratsfähigen Damen al» „Held de» Tages* gefeiert.' Plauen i. B., 27. Mui. Im Nachbarorte Theuma versuchte der 32 jährige Steinbrucharbeiter Joseph Jed- licka nach einem vorausgegangenen Streite mit seiner Frau seine fünf Kinder, vier Mädchen und einen Kna- ben, umzubringen. Der sehr jähzornige Maan war zwei Tage nicht zur Arbeit gewesen. Al» ihm die Frau zuredete, aufzustehen und seinem Broterwerb nachzugehen, muß Jedlicka plötzlich den Plan gefaßt haben, sich seiner Kinder zu entledigen. Er hatte ih nen bereit« Schlingen um den Hal- gelegt, und der Junge, der taubstumm ist, war schon völlig bewußtlos, als die Frau aufmerksam wurde. Mit Hilse herbei, gerufener Nachbarn gelang e«, die armen Kinder au« den Schlingen zu befreien und den bewußtlosen Kna» ben in« Leben zurückzurufen. Jedlicka, der nach Böh. men flüchten wollte, wurde verhaftet. ^agesgescvrcdte. Deutsches Reich. (Die Vertagung de» Reichstag») bi» zum 26. November bedeutet nicht, daß die neue Session nun gerade an dem genannten Termin eröffnet wird, der Präsident kann den Reich», tag im Herbst auch einige Tage später berufen, wie die» bei der letzten Herbstsesston bekanntlich der Fall war. Die 69., die letzte sturmbewegte und nahezu zehnstündige Sitzung de» Reichstag» in dem abgelaufe. nen SesstonSabschnitt brachte außer der Erledigung kleinerer Vorlagen die endgilttge Verabschiedung de« Etat«, der damit beinahe volle zwei Monate zu spät fertig wurde. Die äußeren Verhältnisse, nicht der Reichstag selber, trugen jedoch die Schuld an diesem Mißstand, der praktischen Schaden ja nicht angerichtet hat. Zum Schluffe der letzten Sitzung aber erfüllte da« Katserhoch, vor dem die Genossen flüchteten, wie. der brausend den ganzen wetten Sitzungssaal zum guten Zeichen. Köln, 26. Mai. (Zur Schweizreise de« Kaisers.) Die „Köln. Ztg.* meldet: Wie amtlich bekanntgegeben wird, hat der Bundesrat beschlossen, ein ihm von privater Seite gemachtes Anerbieten für den Aufenthalt de« deutschen Kaiser« in Zürich unzu- nehmen. Der Kaiser wird demnach für seinen Aufent. halt in Zürich die Villa Wesendonck zur Verfügung gestellt erhalten. E« handelt sich um die Villa der ehedem in Zürch wohnenden deutschen Familie Wesen, donck in prachtvoller landwirtschaftlicher Lag« in Zü- rtch Enge, in der Richard Wagner durch den der Name der Familie Wesendonck und insbesondere der v. Ma- thilde Wesendonck in die Kunstgeschichte übergegangen ist, verkehrt hat. Das kleine Häuschen auf derselben Anhöhe, da- Wagner einst bewohnte, steht nicht mehr. 28 Die Starken und die Schwachen. Roman von Herbert Rivulet. (Freifrau G. v. S ch l i p p e n ba ch.) (Nachdruck verboten.) „Ah! wie reizend! So erinnern Sie sich noch meiner Vorliebe für diese Blumen, das ist lieb von Ihnen — Alvar." Sie legte eine zärtliche Betonung auf seinen Namen. Zerstreut achtete er nicht darauf, seine Blicke suchten Ellen. Sie war nicht da, und er fühlte sich enttäuscht. Aber vielleicht war sie in ihrer stillen, hilfreichen Art im Speisezimmer beschäftigt, dann kam sie Wohl erst später zu den Gästen. Alvar begrüßte sich mit den Anwesenden, die er teil weise schon kannte. „Principe Alfredo Giantini wünscht Ihre Bekannt schaft zu machen, Herr von Mannerheim," sagte die Gräfin Isa und stellte den Italiener vor. Alvar erkannte sofort den Begleiter Vronis, den er in München flüchtig gesehen hatte. „Ah so," dachte Alvar, „es scheint, daß sie ihr Spiel hier tortzusetzen gedenkt, glaubt sie, daß ich auf den schwarzen Kerl eifersüchtig werden könnte? Hofft sie mich dadurch zu einer Liebeserklärung zu bringen?" „Welch' ein schöner Mann, ein gefährlicher Neben buhler," das waren Giantinis Gedanken, während er plaudernd neben Alvar stand, „ob er ein alter Bekannter von Vroni ist? Sie sprach vertraulich mit ihm, er aber hat etwas Abweisendes gegen sie. In ihrer Eitelkeit merkt sie es nicht." Das Fest war wirklich als vollkommen gelungen zu bezeichnen. Die reiche Bewirtung, der Sekt in den Silber kübeln auf Eis stand und dem beim Buffet zugesprochen wurde. Vronis Liebenswürdigkeit als Wirtin und die munteren Weisen der Musikkapelle, alles trug dazu bei, eine heitere, belebte Stimmung hervorzurufen. Man pro ¬ menierte im Garten, bewunderte die Illumination und sagte der Festgeberin viel Schmeichelhaftes. Nur einer in der großen Gesellschaft fühlte sich enttäuscht und ver stimmt. Je weiter der Abend Fortschritt, desto unruhiger wurde Alvar. Wo blieb Ellen? Er fürchtete, daß sie krank sei. Oder war es Vronis Verbot, das sie fern hielt? Endlich hielt er es nicht länger aus, er mußte Gewißheit haben. Deshalb setzte er sich zur alten Gräfin Holwitzky, die halb eingeschlafen im Nebenzimmer saß. „Erlauben Sie, daß ich mich hier eine Weile von der Hitze des Ballsaales erhole?" fragte Alvar höflich. „Bitte sehr, Herr von Mannerheim," sagte Tante Isa erfreut. „Wissen Sie, oaß ich eine Schwäche, für Sie habe?" „Sehr schmeichelhaft," Alvar küßte die dicke, weiße Hand der alten Tome. ,^§ie haben wenig getanzt," sagte sie, „nur einige Male mit Vroni und mit der Braut ihres Freundes Wolmar." „Ja, ich bin kein großer Tänzer," gab er zu, „ich habe seit Jahren keine Uebung gehabt." „Tie Vroni wird aber böse werden, wenn Sie sich zu rückziehen. Sie hat sich wie närrisch auf ihr Fest gefreut und — aus Sie." Tante Isa lachte mit ihrer hohen Stimme. „Warum ist Fräulein von Wittenburg nicht da?" fragte Alvar, „ist sie nicht wohl? Sie «freute sich so sehr auf heute." Tie Gräfin rückte ganz nahe heran, dann sagte sie mit einem geheimnisvollen Zwinkern der kleinen, verschwom menen Augen: „Tie Vroni hat es ihr verboten." „Warum?" rief Alvar, „sie hat kein Recht dazu." „Toch, wenn man so arm und abhängig ist wie Ellen. Wissen Sie, weshalb Vroni so böse war? Sie sind schuld daran." „Ich, wie ist das möglich, Gräfin?" „Die Ellen erzählte gestern ganz harmlos, daß Sie ihr reim Pflücken der Wasserrosen geholfen haben ontro nous voit clit, Vroni ist auf «das hübsche Mädchen eifersüchtig." Gräfin Isa lachte wieder in ihrer erquickenden Art. Alvar erhob sich. „Ich danke Ihnen für diese Mitteilung," sagte er, „sie ist mir sehr schätzenswert." „Verraten Sie mich nur nicht, Vroni wäre wütend auf mich." Alvar versprach, zu schweigen. Er ging in den Ball^ saal zurück und näherte sich der Gräfin Holwitzky. „Geben Sie mir diese Quadrille," bat er. Sie schien es erwartet zu haben und sagte mit einem Aufleuchten der Augen zu. Giantini saß beim Buffet und juchte iein heißes Blut durch eisigen Sekt zu kühlen, was ihn aber nur noch mehr erregte. Alvar spielte während des Tanzes mit Vroni mit viel Geschick den Verliebten, er wollte sich rächen für die Ellen angetane Unfreundlichkeit. Diese gewissenlose Frau, die so vielen Männern gefährlich geworden war, sollte nun ihrerseits getäuscht werden. Und wenn sie auf dem Punkte stand, seine Erklärung zu erwarten, dann wollte er sie von sich schleudern wie ein giftiges Reptil, dann sollte sie erfahren, wie tief er sie verachte, daß er ihre Intrigen durchschaute. „Alvar," sagte Vroni, „sind Sie nicht stolz auf Ihre Erziehung? Habe ich Ihnen noch Grund gegeben, mich tadelnswert zu finden?" „Sic haben sich ganz reizend benommen," entgegnete Alvar, ich muß Sie wirklich loben, Frau Gräfin." Sie tanzten die Schlußtour; innig schmiegte sie den schlanken Körper an seine hohe Gestalt. „Ich muß mit Dir allein sein," flüsterte sie leiden schaftlich. „Ja, auch ich möchte es," entgegnete er, „ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen." „O! Wie glücklich machst Du mich, Geliebter! In