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„Meinen Sie, daß ich ihn ganz für mich behalten solle?" fragte Bertie entzückt. „Wollen Sie mir das Thier- chen schenken?" „Ja, wenn Du es gern haben willst und Deine Tante keine Einwendungen macht." „O, Herr Oliphant, wie gut Sie sind! Mein reizendes Hündchen, wie sehr ich es lieben werde." Sie nahm das Thier auf den Arm und liebkos'te es auf das Zärtlichste, so daß Hugo sich sagen mußte, Mignon könne sicherlich nur gut behandelt werden, so lange Bertie seine Herrin sei. „O, Herr Hugo," fuhr sie athemlos fort, „ ich danke Ihnen recht sehr, ich will ihn getreulich versorgen, den lieben Hund. Ich will zu ihm so viel von Ihnen sprechen, er soll Sie niemals vergessen." „Auch Du darfst es nicht, Bertie. Ich werde eifer süchtig sein, wenn Mignon alle Deine Zuneigung in An spruch nimmt!" „Meinen Sie, wenn ich ihn lieber haben sollte als Sie? Ach, das kann nicht sein, denn er ist nur ein Hund. Wollen wir jetzt gehen, Herr Oliphant?" Während sie sprach, legte sie ihre Hand vertrauensvoll in die seine und zusammen gingen die Beiden durch ven Wald, Frau Greydon's Besitzung zu. Bertie plauderte heiter, während Hugo freundlich, aber etwas zerstreut ihre verschiedenen Fragen beantwortete, bis endlich die Besitzung sichtbar wurde. „Fürchtest Du nicht, ausgescholten zu werden, Bertie?" „Ich werde vermuthlich zu Bett geschickt," entgegnete sie mit freimüthiger Offenheit. „Ist Dir das unangenehm?" „Ja — entsetzlich." „Sprichst Du immer die Wahrheit, Bertie? Du könntest ja sagen, daß Du Dich im Walde verirrt hast." Das Kind entzog ihm seine Hand. „O, Herr Hugo, dann würden Sie mich doch sicherlich nicht mehr gern haben!" rief sie hastig, und den Ausdruck seiner Augen richtig auffassend, gab sie ihm rasch wieder ihre kleine Hand, die er fest umschlossen hielt. „Du hast Recht, Bertie, ich hoffe, Du wirst stets so wahrheitsliebend bleiben." Die Erkerfenster waren hell erleuchtet, unter dem Portal aber stand eine Dame; es schien, als habe sie Stimmen und Schritte vernommen und sei herausgekommen, um die An kömmlinge zu erwarten. Hugo Oliphant warf einen Blick durch die Fenster; viel einfacher war hier Alles als auf dem Schlöffe, doch graziös und harmonisch stand es vollkommen im Einklänge mit Frau Greydon, einer zarten, noch immer hübschen Frau in den vierziger Jahren. „Guten Abend, Frau Greydon," sprach Hugo, höflich den Hut lüftend, während er ihr die Hand zum Gruße bot. „Ich habe Ihren kleinen Flüchtling zurückgebracht; bitte, bestrafen Sie denselben nicht, obschon wir Beide darin über einstimmen, daß er es verdient. Wollen Sie mir aber den persönlichen Gefallen erweisen und dieses Mal Gnade für Recht ergehen lassen?" „Ich freue mich, wenn sie ihr Unrecht erkennt," er widerte Frau Greydon lächelnd. „Ich hoffe, sie wird nie mehr Derartiges thun," ver setzte Hugo. „Heute bitte ich aber noch um eine zweite Gunst, Frau Greydon. Wollen Sie mir gestatten, Bertie diesen kleinen Hund zu schenken? Er ist sehr zahm und zu- thunlich, so daß Sie des Kindes Zuneigung für ihn gewiß bald theilen werden." „Weich' ein reizendes Thier!" rief Frau Greydon be wundernd. „Ich bin überzeugt, daß wir in unserem Ent zücken, ihn zu besitzen, wetteifern werden. Wie gütig von Ihnen, Herr Oliphant." „Die Güte ist ganz auf Ihrer Seite," sprach er lächelnd^ „Vielen Dank, daß Sie meine Bitte erfüllen. Und nun guten Abend." „Ich hoffe, Bertie's Unüberlegtheit und Ihre Güte, sie wieder nach Hause zu geleiten, hat Ihnen keine unliebsame Verzögerung veranlaßt?" „Ich kehre heute nicht mehr nach Oliphant zurück," entgegnete der junge Mann nicht ohne Verlegenheit. „Ich fahre zur Stadt; guten Abend, Frau Greydon." Er neigte sich , zu Bertie nieder. „Lebe wohl, Kleine — Du wirst mich nicht vergessen^ wenn ich einsam bin — draußen in der weiten Welt?" „In der weiten Welt?" wiederholte Frau Greydon verwundert. „Was meinen Sie damit, Herr Oliphant?" „Nichts Besonderes," erwiderte er wehmüthig. „Lebe wohl, Bertie!" „Adieu, Herr Hugo — adieu, adieu — Herr Hugo!" rief das Kind, die Arme leidenschaftlich um seinen Nacken schlingend und ihm die Lippen zum Kusse bietend. Voll Innigkeit hielt er das Mädchen in seinen Armen; es war ihm, als sollte er sie für immer lassen und nie wieder in ihre lieben, treuen, unschuldsvollen Augen schauen. Wiederholt küßte Hugo die kleine Bertie; dann riß er sich gewaltsam los und schritt hinaus aus der hell erleuchteten Vorhalle in die dunkle Nacht, während Mignon seinem Ge bieter nachsprang, ohne auf Bertie's mahnenden Ruf zu achten. Hugo beugte sich nieder und den Hund emporhebend, legte er ihn in Bertie's Arme. „Du sollst in Zukunft hier bleiben," sprach er ruhig. „Dies ist Dein Heim und hier Deine Gebieterin, merke es Dir! Nochmals Lebewohl, meine liebe, kleine Bertie!" Bertie hielt den Hund fest an sich gedrückt, als Hugo zum zweiten Male von dannen ging, und Frau Greydon wunderte sich im Stillen, weßhalb wohl der junge Mann so auffallend bleich sei und sein Antlitz sichtliche Spuren inneren Schmerzes trage. Hugo Oliphant aber entfernte sich mit raschen Schritten, während Bertie's Stimme ihm noch immer in den Ohren klang: „Adieu, Herr Hugo, adieu, adieu, Herr Hugo!" Einmal wandte er sich um und konnte in der erleuch teten Vorhalle noch immer die Gestalt des Kindes wahr nehmen, das ihm mit thränenvollen Augen nachblickte und unzählige Male ihr Taschentuch zum Abschied schwenkte. Die letzte Erinnerung an die Hcimath, welche Hugo Oliphant begleitete, als er sich kurze Zeit darauf nach Indien ein- schiffte, war diejenige einer süßen Kinderstimme und die Berührung zweier rosigen Lippen, zweier weicher Arme. Und dies war der Grund, weßhalb er bei seiner Rück- kebr von Indien Bertie sofort aufsuchte; — als er aber fand, daß die Offenheit und Wahrheitsliebe, welche er so sehr an dem Kinde bewundert hatte, auch das erwachsene Mädchen noch auszeichneten, hatte er ihr Herz und Hand zu Füßen gelegt, nach denen io manche indische Schöne ge schmachtet hatte. Bertie, welche das Andenken an Hugo stets im tiefsten Herzxn bewahrt hatte, nahm seine Werbung an und liebte ihn mit einer Treue, Tiefe und Innigkeit, welche weit größer waren, als Hugo es sich träumen ließ. Sie gedachte einzig seiner, während sie jetzt, seiner harrend, an der Gartenpforte lehnte und dieser Gedanke ließ ihre Augen aufleuchten in überirdischer Seligkeit. (Fortsetzung folgt.) Verantwortliche Redaktion, Druck und Verlag von Paul Weber in Pulsnitz. für E Mittwoch« Abonne (einschließlich des beiliegende« Vierteljährli Ar werden mit » Raum einer »eile berechnet Dienstag- und » Uhr Ausw« MitÜ Sch V Und K Tra Die E F Auf untengesetzter an Herrn C Die gäbe des bei § Kamenz flugs Denkmi wklchem wied