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Oie Reise nach Polzin ! Von Erich Paetzmann (Nachdruck verboten.) Es ist in der ruhigen Zeit zwischen den Zügen. Von i den vier Tischen des kleinen Wartesaales ist nur einer ' besetzt. Von einem Herrn etwa in den Fünfzigern, der I rosig zwischen seinen Musterkofsern sitzt und allem An- ! schein nach in besseren Likören reist. ! Da entsteht draußen ein Geräusch, als wenn jemand k aus Spatz ein wenig an der Klinke fingere, dann öffnet I sich langsam die Tür und ein neuer Gast schiebt sich herein. i Er trägt einen kleinen Karton, und ist etwa füns Jahre alt. Der Junge geht ängstlich durch den Wartesaal an ! das Büfett und stellt sich da aus. Es dauert eine Weile, I bis das Fräulein Tina, das drinnen am Spülstein han- > tiert, ihn erspäht hat. Fräulein Tina ist Köchin mit » Büsettverpslichtung. „Na, mein Junge", sagt sie, „was > möchtest du denn Schönes?" „Ach, bitte, eine Fahrkarte nach Polzin." „Haha, nach Polzin! Ich dachte schon, nach Amerika!" ; lacht der rosige Herr und zwinkert Fräulein Tina zu. „Hast du denn überhaupt Geld für so eine weite I Reise?" fragt sie. „Ja, Geld habe ich schon", antwortet der Junge und ; nestelt aus der Hosentasche ein paar schwärzliche Pfennige i heraus. „Dafür könnte er ja direkt erster Klasse fahren, haha! I Und auch noch seinen Kabinenkoffer aufgeben!" „Ach ja, Koffer Hai er auch", sagt Tina. „Komm, > zeige mal her, was du da hast." Es sind ein paar Bunt- I stiste, ein abgebrochenes Taschenmesser, ein Päckchen Ziga- ; rettenbilder und eine halbe Korporalschast Bleisoldaten. I Fräulein Tina ist ernster geworden, als sie die i kümmerlichen Kostbarkeiten so beieinanderliegen sieht. > „Wie heitzt du denn, mein Jungchen?" „Fritz", antwortet er zögernd." i „Und weiter? Aber du wirst doch wissen, wie dein I Vater heitzt und wo er wohnt. Ueberlege mal!" „Da steht er ja!" flüstert er und starrt erschrocken > durch das Fenster auf den Bahnsteig. Dann rennt er ! plötzlich um die Theke herum nach hinten in die Wirt- I schastsräume. Die beiden anderen sehen drautzen einen I Mann mit einem Bahnbeamten sprechen und dann weiter- . gehen, nach den Schaltern zu. ! Nach einer Weile kommt er in den Wartesaal. Er ist l grotz und breit und vierzig Jahre alt. Er sieht nicht l gerade nach einem wüsten Kerl und Kinderpeiniger aus, « aber er hat einen etwas verschwommenen und unsteten ! Ausdruck in den Augen, der Tina nicht behagen will. Auch I sind seine Schritte reichlich unsicher, als er nun nach j vorn kommt und fragt, ob man hier keinen Jungen ge- » sehen hätte. „Ja, gesehen schon", sagt Tina zögernd. „Er wollte I verreisen, wenn ich recht verstanden habe. Nach Polzin." „Nach Polzin? Bloß — da ist niemand mehr zum « Besuchen. Da ist nämlich, was meine Frau war — da » wohnten wir nämlich noch in Polzin." «Ist Ihre Frau gestorben?" „Ja!" sagt er kurz. „So. Ich meinte auch bloß. Weil der Junge mir » gleich danach aussah, als wenn die Frau im Hause sehlte. ! Sie sind doch der neue Fischer Pressel vom Äabrowsee?" I „Ja. Kennen Sie mich?" „Nur von dem, was man hier spricht. Daß Sie den > See jetzt in Pacht hätten, aber sich nicht mehr viel darum I kümmerten, um die Fischerei nicht und auch nicht um den I Jungen. Einer kam und erzählte, der Herr Pressel säße ; seit seiner Witwerschaft ewig im Wirtshaus und ließe es « mit dem Jungen gehen, wie es wollte." , „Wer sagt das?" „Ich kann nicht alle Leute kennen, die hier auf den ; Bahnhos kommen. Ja — da fällt mir ein, ich brauchte ! bis zum Nachmittag noch schnell drei Pfund Aale. Haben I Sie so viel?" „Drei Pfund werden's Wohl sein. Aber ich muß doch i jetzt erstmal sehen, wo eigentlich der Junge —" „Lassen Sie nur den Jungen! Der findet schon selber I heim. Und sollte er noch hier irgendwo stecken, dann bringe ich ihn gleich mit, wenn ich meine Aale hole. Also j drei Pfund, Herr Pressel, aber schöne fette, hören Sie!" » Der Fischer Pressel geht sort, seine Reusen nachzu- I sehen. Denn Fräulein Tina ist zwar eine dicke und gut- > mütige, aber auch sehr resolute Person. Sie bringt also j am Nachmittag den Jungen, der sich nur schwer von Tinas < Küche trennen konnte, in einem leidlich sauberen Zustand ! zurück, nimmt dafür die Aale entgegen und benutzt gleich I die Gelegenheit, um mal Herrn Pressels Hauswirtschaft zu , revidieren. Und da sie die in einer sehr betrüblichen Ver- ; fassung vorfindet, und sie außerdem einen großen Bedarf » an Aalen, Schleien und Rotaugen hat, kommt sie von nun > ab öfters. Man merkt es auch bald dem Fischerhaus an, daß da ; wieder eine Frau ihre Hand im Spiele hat. Vor allem « an den beiden Pressels, von denen der eine immer häufiger I einen Bogen um die Gaststätten macht und der andere sich j immer mehr zu einem offenen und relativ sauberen ; Bürschchen entwickelt, das letzte nur, soweit es sich mit « seiner Jungenehre vereinigen läßt. Allmählich werden sich die beiden Herren Pressel, Vater > und Sohn, immer deutlicher darüber klar, daß Fräulein » Tina auf die Tauer dock wohl nickt gut an zwei Stellen I zugleich wirken kann. Sie muß daher eines Tages ganz I in das Fischerhaus übersiedeln mit einem kleinen Umweg j über das Standesamt. Zwerg am Fenster Von Mario Heil de Brentani. (Nachdruck verboten.) I Ein Hüne streckte mir die breite Faust hin, daß ich er- I schrak. Ta lachte er und schrie mir seinen Namen ins ! Gesicht, und ob ich denn meine alten Freunde vergessen ! hätte, he? Als der Hüne die Faust öffnete, lag ein winziger I Blumentopf darin. In dem Töpfchen aber stak ein viel- i blättriger, stolzer Rosenstrauch mit dunkclroten Knospen I und Blüten, aus denen der Tau blinkte. Aber es war, I als hätte mir der Riese — ein wenig zu hoch, wie das > alle Riesen tun, die dir etwas zeigen oder dir einen ! guten Tag wünschen wollen — eine Zauberlinse hinge- ! halten. — > Denn der stolze Rosenstrauch war ein Zwerg! Und I all seine Blüten und Knospen und der schlanke Stamm ! und die mit tausend feinen Dornen bewehrten Zweige ! hatte die Faust des Riesen unsichtbar geborgen! Später ging der Riese dröhnend lachend und von I meinen Weinen selig von dannen, nur der Rosenstrauch ! blieb bei mir, und ich saß lange vor ihm am Fenster und ! wartete, daß der Zauberbann sich löse, da der Riese doch l entschwunden war. — Da wurden die Märchen wieder I lebendig in mir, an die ich einmal geglaubt. Warum ! hatte ich sie eigentlich damals beiscitegeschoben? Hier — ! der blühende Rosenstrauch mit seinen hundert Blättern I wie grüne Stecknadelköpfe, die in einem verlorenen l Sonnenschein aufglitzerten, war geradewegs aus den al- 5 ten zerfetzten Märchenbüchern zu mir gekommen, die in ! einer vergessenen Kiste im Keller schlafen! Die Zwerge im wilden Kiefernforst, über deren große I Zipfelmützen der Wald seine starken Arme breitet und nur ! die Mittnachtssonnen und den Johannismond hinein- ! schauen läßt im Jahr, die Zerge — so deucht mich — waren I die ersten gewesen, an die ich damals nicht mehr glauben I mochte j An meinem Fenster aber steht ein rottönernes ' Zwergenhaus unter grünem Zwergeuwald, und sieben I rote Knospen schauen wie Zipfelmützen daraus! Ich träume auch nicht. Tenn vorm Fenster blüht ja ! ein großer Rosenstrauch, und es ist mir, als lache er früh- ' lich wie mein großer Freund durch die Scheiben das l rührende Zwerglein an. Wenn mich der Tag mit seinen Grillen grämt, wenn I das große graue Tier durchs Zimmer schleicht und mit ' Schweif und Pranken nach mir schlägt, wenn ick nicht I lachen mag, verstehst du — dann komme ich zu dir, du i süße Rose. „Komm mit!" blinzelt sie, „komm mit! Wir gcb'n ' heim... durch Tag und Tau, in den alten Zaubcrwald! I