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Hohenstem-EmMaler Taqedlallm-LiiMM Nr. 165 2. Beilage Sonnabend, den 18. Lull 1931 Die Geschichte einer fremden Frau daggerbeute Von G. K. Hagedorn An der Wand, gerade den großen, gefächerten Fenstern gegenüber, hingen die seltsamsten Dinge, Ankerteile, Trossen, Kistenstiicke, Fahnen reste, Waffen, Kugeln. Darüber lehnte eine Tafel: „Bei Baggerarbeiten im Strom gefun den." Das Museum der großen Seehandelsstadt hatte die merkwürdigen Funde aufgehoben. Mich fesselte ein schmaler, kurzer Dolch, an scheinend venezianische Arbeit, kostbar tauschiert und ausgezeichnet erhalten. Ich konnte es mir nicht versagen, leise über die feine Ziselierung hinweg zu streichen, wenn auch, wie üblich, eine Inschrift das Berühren der Gegenstände verbot. Her Führer, der aus dem Flur kam und meine Übertretung scheinbar gesehen hatte, lächelte und meinte freundlich: „Das Stück hat schon so seine Geschichte, die ich Ihnen gern erzähle, falls Sie Freude an der lange zurückliegenden Historie finden." Ich bejahte, und wir setzten uns auf die unter den Fenstern hergehende Bank, was der Alte — er schien den Siebzigern zuzugehen — um so mehr tun durfte, als die Uhr schon stark au? das Ende der Besuchszeit zeigte. „Die van Loewens sind ein schon vor Jahr hunderten eingebürgertes, reiches Kausmanns geschlecht, das auch für den Rat manchen tüchti gen Mann hervorgebracht hat. Sie galten stets für sehr zurückhaltend, taten, ohne viel Redens davon zu machen, mancherlei Gutes und nah men, womit sie hier oft anstießen, ihre Frauen fast nie aus der Stadt. Sie wollten dadurch, wie ein früherer Museumsdirektor meinte, ihr Geschlecht frisch und jung erhalten, womit sic denn auch Erfolg gehabt haben,' denn es lebt heute noch, während die übrigen alten Familien fast alle ausgestorben oder doch sehr von ent fernteren Linien durchsetzt sind. Dort steht übri gens ihr Haus!" Der Alte wies auf einen schönen,, sorglich er haltenen Empirebau, dessen Garten unmittelbar an die Rückseite des Museums stieß. Kinder lärm scholl über die gelben, sandgefugten Wege. Wir setzten uns wieder hin. „Nun hatte aber ein van Loewen, anschei nend ein jüngerer Sohn, lange als Offizier im Dienste der Ostindifchen Kompagnie gestanden und von dort eine Frau mitgebracht, die ausfal lend schön und klug gewesen sein soll, dennoch aber nicht in die Kreise hineinpaßte, die den Ton bestimmten, nach dem hier getanzt werden muß und den Eingewanderte mit Recht als steif und langweilig empfinden. Sie lächeln, und ich sehe, daß wir uns verstehen. Man muß hier groß geworden sein und immer in der Stadt ge lebt haben, um sich dabei zu beruhigen. Man fand die Frau anfangs fehr interessant und hatte Mitleid mit ihr, sich in unsere Verhältnisse ein zuleben, ließ sie aber sofort fallen, als man von einigen Beziehungen zu dem Sekretär des hol ländischen Generalkonsuls hörte. Man ist noch heute unbarmherzig, wenn nur der kleinste Riß in die alten Mauern kommt, und sieht das Leben nicht, das oft so fchön dahinter blüht. Es ließ sich nichts nachweisen, es war im Gegenteil nur natürlich, daß sich der junge Mensch, der aus ihrem Lande kam und sich des besten Rufes er freute, ihr anfchloß, zumal ihrem Mann durch die Übernahme des Geschäfts nach dem Tode des ältesten Bruders soviel Arbeit zuwuchs, daß die Angehörigen ganz von selbst vernachlässigt, sicher aber zurückgestellt werden mußten. Man sah sie oft zusammen, und der Kaufmann erblickte nicht das Mindeste darin, lud ihn im Gegenteil oft in jein Haus ein und suchte die alten Beziehun gen zu seiner Heimat, die er genau kannte, wach zu halten. Am meisten zeichnete sich bei den bald üppig aufschießenden Verleumdungen ein nicht mehr ganz junger ehemaliger Kapitän aus, der sich lang vergeblich bemüht hatte, sich in die Gunst der Frau zu setzen und keineswegs als solide verschrien war. Er brachte es sogar fer tig, den beiden anscheinend arglos nachzugehen, als sie dem kleinen Bootshafen zuschritten, den Herr van Loewen hinter seinem geräumigen Garten angelegt hatte. Als er ihnen ganz nahe war und mit einem Gruß vorübergehen wollte, da er nichts Greisbares erreichte, drehte sie sich um. Sie erkannte das unruhige, in Wut und schlecht verhehlter Begehrlichkeit zuckende Gesicht und stieß ihn mit dem kleinen Dolch, den sie nach heimischer Sitte immer bei sich trug, nieder, ehe der bestürzte Freund etwas zur Abwehr tun konnte. Dann warf sie die Waffe in den Strom und ließ sich willenlos nach Hause führen. Sie ist noch vor Beginn der Untersuchung ge- storbeki, den Dolch aber hat man später aufge sunden. Die Anfangsbuchstaben ihres Namens und das Familienwappen sind noch zu erkennen. Es war eine große Beerdigung, die nicht nur aus Neugierde, sondern bei manchem auch aus schlech tem Gewissen kam, bei vielen sreilich auch aus ehrlicher Teilnahme." Er hielt mir das Stück hin. „Die Familie hat keinen Einspruch erhoben, daß es hier hängt. Sie mochte es auch wohl nicht im Hause behalten. Und wer weiß schließlich auch noch davon! „Sehen Sie," fügte er nachdenklich hinzu, „die fer Dolch ist nur ein Teil der Schicksale, die hier an der Wand aufgereiht sind. Ich weiß nichts von den andern; aber wären sie ebenso schwer, wie könnte ich diesen Raum noch betreten! Ich trage schon genug an der Last, die mir das ver gangene Leben hier aufbürdet." Vom Garten her riefen Kinderstimmen. Der Alte führte mich noch einmal ans Fenster: „Sie sehen dort den ganz dunkelhaarigen, blassen Kopf mit den schwarzen Augen? Dann bemer ken Sie auch, wie sich das Mädchen, das jetzt neun oder zehn Jahre alt sein mag, immer ein wenig allein hält. Am liebsten spielt es mit seinen beiden Hunden. Es soll, nach alten Bil dern zu schließen, der Ahne am ähnlichsten sein, auch manches von ihrem Vater mit sich führen. Die Kleine besucht mich oft. Dieses Zimmer habe ich noch immer vor ihr verschlossen gehalten. Mögen Schönheit und Heller Sinn, wie sie die Tote hatte, in ihr weiter leben! Fast scheint er schon heute so. Das Dunkle ist besser bei dem Alten aufgehoben, der um manche Finsternis weiß, die verborgen in Schrank und zerschlisse nem Gewand kauert." Ich stand auf. Vor mir rauschte der Fluß, dem diese fremden Kreuze und Kränze des Lebens entrissen waren, und ich hörte das tiefe Schauern des uralten Wortes: „Du lässest sie da hinfahren wie einen Strom und sie sind wie Gras, das bald welk wird. Das da frühe stehet und blühet und des Abends abgehauen wird und verdorret." Jas steinerne Krenz Eine Geschichte von Kudwig Käte Dort hinten, wo die Heide am stillsten ist, vor dem kleinen Fichtenwald, hinter dem das weite Moor sich lagert, steht das graue Stein kreuz. Frommer Urvätersinn hat es einst er richtet. Einst, als zufriedene Menschen starkjchreitend hier den Weg nahmen, wenn der Elockenklang des Kirchdorfes sie rief. Die harte Arbeit der Woche hatte ihre Schritte schwer und ihre Herzen froh gemacht. In gläubiger Andacht zogen sie im Festtagsgewande durch das blühende Land, und ihre blauen Augen grüßten lachend in demütigem Stolz die grünen Weiden und die gelbe Pracht reifender Felder. Am Steinkreuz beugten sich die Knie, und harte Arbeitshände zogen die Mützen vom Blondhaar zum Gruße Gottes. In die Kirche brachten sie den Ruch der Erde und den Duft der Blüten, und mit starker Stimme sangen sie Gottes Lob und baten fromm um seinen Segen für ihre Arbeit. Aus dem Haufe Gottes gingen sie durch sein Schöpsungs- werk den Weg zurück, den sie gekommen, und der weißhaarige Priester, Sohn des Volkes und ihres Stammes, schritt mitten unter ihnen. Am steiner nen Kreuze, so wollte es die Sitte, gingen die Frauen und Kinder, die Diensten und Ein schichtigen den Gehöften zu, weildes die Männer, die Haus und Hof, Weib und Kind hatten, beim Steinkreuz zum Bauernmal versammelt blieben und mit ihnen der Priester, um das Wohl der Gemeine zu beraten und Urteil zu finden nach Vauernrecht und Bauerngesetz. Und war keiner unter ihnen, der falsch zu sprechen wagte unter den Augen des göttlichen Dulders. So hatte man es gehalten, so lange sie wußten, und keinem kam es in den Sinn, daß cs nicht so bleiben würde bis an das Ende der Zeiten. Da kamen Kriegsvölker von Osten und Westen, aus dem Norden und Süden. Haß und Unduldsamkeit, Mordlust und Habgier, Herrsch sucht und Grausamkeit sielen in das Land des frommen Glaubens und herrschten an die dreißig Jahre und mehr. Die blühenden Saaten wurden zerstampft, die fetten Weiden versumpf- ten, und Mauertrümmer und verkohltes Gebälk zeigten an, wo stattliche Gehöfte und Dörfer ge standen hatten. Zigeuner und Marodeure zogen hinter den Kriegsheeren und stahlen, was diese übrig gelassen hatten. Nach ihnen aber solgten Pest und Hunger und schwere Not. Nichts war von dem raubgierigen Mordgesindel verschont nur an dem ragenden Steinkreuz duckten sie schnell vorüber, an dem der göttliche Märtyrer mit brechendem Blick klagte: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Die Kriegssurie starb an ihrem eigenen Wüten. Da kamen die Menschen, die der Hun ger und die Not, der Tod und die Pest übrig gelassen hatten, aus ihren Schlupswinkeln in Bruch und Moor, aber sie fürchteten sich im freien Lande und siedelten sich vor den Toren der Städte und befestigten Plätze an. Kein Kirchweg führt mehr fromme Scharen an dem steinernen Denkmal der göttlichen Liebe vorüber. Nur der alte Schäfer geht dort still vorbei, der die ihm anvertraute Kreatur auch an dem Tage betreuen muß, an dem die Arbeit ruht zum Gedenken an des Erlösers Tod. Des Alten Hände schmücken des Heilandes Füße, wo der Nagel sie an den Balken heftet, mit hoff nungsgrünem Birkenzweig und falten sich zu einem stummen Gebet für die Menschen, die da kamen, gingen und geboren werden, auf daß der Herr ihnen gnädig sei in diesem und im anderen Leben. Einsam, wie der Gottessohn in seinem kurzen Erdenleben durch die Welt schritt, so einsam ragt in der stillen Heide das steinerne Kreuz gen Himmel. Und immergrüne Bäume halten stumme Wacktt. Suche Ne Seels Von Artur K r Das war eine selbst in unserer Zeit ver wegener Räuberromantik unerhörte Geschichte, die sich kürzlich in einem Villenvorort meiner Heimatstadt ereignete. Nacht für Nacht die schwersten Einbrüche. Wohlorganisierte, plan- ooll ausgeführte Raubzüge, reich an Beute. Alles sprachlos. Wachsende Erregung. Fieber- haste Arbeit der Polizei. Kein Ergebnis. Nicht einmal eine Spur. -eines Kindes ausewetter rend sie ihn oben aus seinem Zimmer in Gottes Hut eingcschlummert glaubte, verließ er das elterliche Haus, begab sich auf seine nächtlichen Raubzüge. Endlich. Bei einem Einstieg in ein großes Kaffeehaus, das erst vor einer Stunde die Gäste verlassen, faßt man die Bande. Wer? Die Söhne angesehener Eltern. Der eine unmittelbar vor der Reifeprüfung eines Gym nasiums, ein anderer Student der Technischen Hochschule, der seine Kenntnisse und hervor ragenden Gaben auf dem Gebiete der Technik und Elektrizität in den Dienst seines Verbrecher tums stellt. Aber auch kleinere, hübsche, frische Jungen vabei. Der eine ein zärtlich veranlagtes Kind, der Mutter Sonnenschein. Abend sür Abend ließ er sich von der Mutter zudecken, betete mit ihr sein kindlich frommes Nachtgebet. And wäh- Man fiel mit schweren Vorwürfen über die Eltern her, die ohnehin auf das furchtbarste be troffen waren, warf sich in die Brust: „Das wäre bei meinen Jungen unmöglich gewesen. Undenkbar!" Genau so dachten jene Eltern. Nicht der lei seste Argwohn regte sich in ihren Herzen gegen ihre Lieblinge. Wie sollten sie auch darauf kom men, daß ihr Junge, der die besten Zeugnisse aus der Schule brachte, zu Hause wohlgesittet und artig war, mit oen Söhnen der ersten Familien treue Freundschaft pflegte — Abend sür Abend das elterliche Haus verließ, Diebesgeschäfte ver richtete, um des Morgens froh und frisch in seine Schule zu pilgern. Ist es nicht immer so? Werden wir nicht von denen getäuscht und hintergangen, von denen wir es zu allerletzt für möglich gehalten? Wer verschwindet eines Tages mit der gefüllten Geschäftskasse? Wer begeht die kühnste!' Unter schlagungen? Doch nie der, dem der Ehef aus irgend einem Grunde nicht traute. Sondern der, den er für unbedingt zuverlässig, gewissenhaft und treu erachtete. Und das Ergebnis? Daß wir keine Ahnung von dem haben, was in dem anderen ist. Daß man verheiratet sein, in glücklicher Ehe leben, daß man Sohn und Tochter, Bruder, Schwester, Freund haben kann, aber ohne Ahnung, was in ihnen ist. Verhängnisvoll aber tritt diese Entfernung von Mensch zu Mensch, dies vollkommene Fremd- scin in dem anderen in der Erziehung hervor. Wie ungezählte Väter, mit den Obliegen heiten, Sorgen und Kämpfen ihres Berufes Tag ein, Tag aus beschäftigt, haben von dem, was in ihren aufwachsenden Söhnen ist, nicht die leiseste Ahnung. Wie viel Mütter sind treu um ihre Kinder besorgt, leben und wirken für sie, wäh rend die Seele ihrer Tochter, ihres Sohnes innerste Welt ihnen ein mit sieben Siegeln ver schlossenes Buch bleibt. Und wenn dann etwas geschieht, was sie nie für möglich gehalten — dann stehen sie ratlos, tatlos vor dem Unbe greiflichen. Woher kommt dos? Weil die Erziehungsgrundsätze und Er ziehungssorgen auch der besten Väter und Müt ter zu sehr auf das Äußerliche eingestellt sind. Daß ihr Sohn versetzt wird, einen einträg lichen Beruf ergreift, daß ihre Tochter die rech ten Manieren erhält, im Umgang mit anderen gefüllt, das ist vielen Eltern die Hauptsache. Gewiß, auch das muß sein. Für eine rechte Erziehung aber ist es immer nur das Technische, das Untergeordnete. Nicht ihr Inhalt. Ihr Inhalt aber heißt: Suche die Seele deines Kindes! Suche Kenntnis von dem zu erhalten, was in ihm ist! Denn nur dies kannst du pflegen und entwickeln. Was ist Han deln in der Erziehung? Das gibt es gar nicht. Nie können wir unsere Kinder zu dem machen was wir wollen, sondern allein zu dem, was sn wollen, d. h. was bereits in ihnen enthalten ist Deshalb gibt es nur einen Erziehungsgrund, satz: Suche die Seele deines Kindes! Versetze dich in sein Denken, Fühlen, seine Neigungen und Anlagen, als lebtest du in ihm! Und dann gehe an die Arbeit! Oder viel mehr: Dann übe deine Kunst! Denn es gibt keine größere Kunst und Kunstllbung als eine rechte Erziehung. Die „königliche Kunst" nannten sie die Alten. Welche Kunst ist das? Die Gärtnerkunst. Beschränke deine ganze Erziehung auf sie! Fördere, pflege mit der Ge duld und Kraft der Liebe die guten und edlen Triebe in deinem aufwachsenden Kinde! Be schneide die schlechten und ungesunden! Suche die Seele deines Kindes! Dann bist du ein Erzieher, der königfiche Kunst übt. Dann wirst du Freude und GÜick M deinen Kindern finden.