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A-orker Wochenblatt. M i L t h e i l n n ft e n über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Neunter Jahrgang. Preis für Len Jahrgang bei Bestellung von der Post' 1 Thaler, bei Beziehung des Blattes durch Botengelegenheit: 20 NeugroschiN. Erscheint jede Mittwoche. 7. Aug. 1844. Korrespondeng - Nachricht. Vom Rhein, Len 2«. July I8i4. Wenn man sich einen richtigen Begriff von den Institutionen des mündlich-öffentlichen Strafverfahrens und der Jury machen will, muß man diese Institu tionen in ihrer Anwendung und Ausführung kennen lernen und beobachten. Bucher und Beschreibungen, selbst die gründlichsten, gewähren hierüber keine völlig treue Anschauung, gewähren keine hinreichende Unter lage für Beurthcilung derselben. Ob ich gleich frü her schon mich mehrfach mit dem Studium dieser In stitutionen abgegeben und ihre Eigenthümlichkeiten er kannt zu haben geglaubt hatte, so habe ich doch jetzt erst, nachdem ich in Frankreich sowohl, als hier am Rheine in mehren Städten den Verhandlungen der Strafsachen, sowohl der Geschworncn, als den correc- tioneller Gerichtshöfe, in welchen Lcztern bekanntlich rechtsgelehrtc Richter über That und Rechtsfrage ur- theilen, beigewohnt habe, über mehre bisher mir un bekannte Seiten dieser Institutionen und deren Vor züglichkeit mich insoweit aufgeklärt, daß ich meinen Theils alle gegen das öffentlich-mündliche Strafver fahren erhobenen Einwendungen für unstichhaltig und unerheblich halte, dagegen alle dafür geltend gemach ten Gründe durch die Erfahrung bestätigt finde. Es sagten mir nicht einer, sondern mehre, hohe Richter- ämtcr bekleidende Juristen hiesiger Gegend, sie möch ten um keinen Preiß auf den blosen Grund todter Acten hin, über die Freiheit' oder gar das Leben eines Angeklagten urthcilen, sie würdest es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, über ein Individuum, das sic nicht gesehen, worüber sie die Zeugen nicht selbst gehört, das Schuldig zu sprechen; und sie ha ben Recht! Wie oft klart sich durch das mündliche Verhör des Angeklagten und der Zeugen, wo der Vcrlheiöiger, der Richler, der Ankläger durch ihre je nach ihrem Standpunkte verschieden sich darstellende Fragen die Gewißheit der That und ihre Beschaffen heit, die Kcnnlniß der Zeugen und ihre Unparthci- lichkeit erörtern und fcststellen, wo die augenblickliche Möglichkeit gegeben ist, durch Confrontationen der Zeugen mit dem Angcschuldigten, wie der Zeugen unter sich etwaige Widersprüche aufzuhellen und Dun kelheiten zu beseitigen, wie oft, sage ich, klärt sich da durch das ganze Sachverhältnis auf, wie oft erfährt dadurch das Actenwort, die Actenbchauptung die nö- thige Berichtigung! Ich will hiervon nur ein Bei spiel erwähnen. In dem berühmt gewordenen, jüngst vergangenen Prozeß Rouffelet zu Paris — dessen Endergebniß man wahrscheinlich auch benutzen wird, um die Institution des Geschwornengerichts im All gemeinen anzuklagen, ob wohl, wie ich ein ander Mal und an einem anbei n Orte zu zeigen hoffe, mit Un recht — hatte der über die Aufführung des angeklag ten Eduard Cahot befragte Lehrer desselben, Namens Chauvet, in der schriftlichen Voruntersuchung zu dem Prolocolle erklärt, es sey dieser Eduard ein Ungeheuer; in der Audienz, also in der öffentlich-mündlichen Ver handlung, nochmals befragt, mußte er, derselbe Lehrer, vor dem Präsidenten und öffentlichen Ankläger, zuge- bcn, er habe sich geirrt, er habe keinen Grund zu dieser Behauptung, sie beruhe auf einem Jrrthum! Und dies war in der That der Fall, da eime Ver wechselung der Namen untergelaufen war. Würde aber wohl dieser vielleicht, wegen des sich daran knü pfenden Indiciums wider den Angeklagten höchst ein flußreiche, Jrrthum entdeckt worden seyn, wäre mit der schriftlichen Abhörung jener Zeugen die Sache ab- gethan gewesen und das öffentlich-mündliche Verhör desselben unterblieben, wie es bey uns unterbleibt? Was man von dem nachthciligen Einfluß der Oef- fentlichkeil auf die Sitten und die Moral des Volkes sagt, ist, nach meiner Meinung, eben so wenig be-