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Ansichts-Postkarten Nachdruck erwünscht Die Ansichts-Postkarte verdankt ihre Entstehung dem Bedürfnis des Absenders, seinen daheim gebliebenen An gehörigen, Bekannten und Freunden ein anschauliches Bild von seinem Aufenthaltsorte und von den Schönheiten der Gegend zu übermitteln, in welcher er weilt, und bei deren Genuß er der Seinigen zu Hause gedenkt. Schon zu An fang ihrer Entwicklung in ihrer technisch noch recht mangelhaften Ausführung besaß die Ansichts-Postkarte auch als Anschauungsmittel einen gewissen Wert, indem sie dem Beschauer Landschaften und Städtebilder zeigte, die ihm sonst vielleicht immer fremd geblieben wären, und die, wenn auch nur in geringem Maße und auch nur vor übergehend, sein Vorstellungsvermögen bereicherten. Seit aber die Ansichts-Postkarte über diesen ihren ursprüng lichen Zweck weit hinausgewachsen ist, seit sie durch die Entwicklung der photographischen Technik und der ver schiedenen Druckverfahren Kunstwert besitzt und zum Gegenstand des Sammelns geworden ist, hat sie erhöhte Bedeutung erlangt. Sie ist zu einem hervorragenden Bil dungsmittel geworden. Sie erweckt durch die Schönheit und Vollendung der Ausführung den Sinn für die Kunst auch in Kreisen, die sonst derartige geistige Anregung entbehrten. Nie vordem stand dem Publikum eine solche Fülle von Bildern zur Verfügung wie sie heute in den Ansichts-Post karten jedem geboten werden. Und es gibt kein besseres, ja überhaupt kein anderes Mittel für die Erkenntnis der Dinge um uns her, als die Anschauung. Keine noch so klare Auseinandersetzung gibt uns ein so deutliches, scharf umrissenes Bild, haftet so tief im Gedächtnis wie die bild liche Darstellung selbst, denn zum Verständnis der Dinge gelangt man nur durch die Vermittlung der Sinne. Freilich macht sich neben dem Guten, Wohltätigen und Nützlichen, ebenso wie auf andern Gebieten, auch hier eine wahre Flut von widerwärtiger Schundware aufdringlich breit, und es ist erstaunlich was diese an Abgeschmackt heit, Albernheit und Flachheit zu Tage fördert. Indes kann der Umstand, daß diese platten Geschmacklosigkeiten auch ihre Käufer finden, die bildende und veredelnde Wirkung des Guten nicht beeinträchtigen, und man muß den Firmen, die sich der edleren Ausgestaltung der Ansichts-Postkarte widmen, dankend Anerkennung zollen. Es gibt wohl nur wenig Gebiete, sei es aus dem Reiche der schaffenden Natur, sei es aus dem, in dem der Menschengeist schöpferisch sich betätigt, welche die An- sichts-Postkarten-Industrie nicht zum Gegenstand der Dar stellung gemacht hätte, und dem Sammler bietet sich ein unerschöpfliches, täglich sich mehrendes Material, aus welchem er nach Neigung und Geschmack, nach Beruf, Bildung und Kunstverständnis das ihn Interessierende aus wählen kann. Gewiß hat das Sammeln der Ansichts-Postkarten, die man von Freunden und Bekannten erhält, seinen eigen artigen Reiz, wenigstens für den Empfänger, während ein Fremder beim Durchblättern eines solchen Albums, in dem die verschiedensten Motive durcheinander gewürfelt auf treten, und die Bilder noch dazu durch schlechte und flüchtige Handschriften verunziert sind — oder vor Frei- gebung der Vorderseite wenigstens waren, mehr gelang weilt als ergötzt wird. Und einen schönen Eindruck wird auch eine solche Sammlung nie machen, denn nicht den Geschmack der Besitzer wird sie darstellen, sondern ein Kunterbunt, das dem Zufall seine Entstehung und der Laune und dem Geschmack der verschiedenen Absender sein Gepräge verdankt. Schön ist es nicht, ein farbensattes Blumenstück in Hochprägung neben einer pikanten Frauen gestalt auf mattem Bromsilberpapier oder eine Karte aus einer bunt geklecksten »Liebesserie« neben einem Nachtbild vom Nordseestrand zu erblicken. Es macht sich wirklich schlecht, wenn die Darstellung z. B. einer großartigen Alpen szenerie durch das fade Motiv einer sogen. Ulk- oder Scherz karte daneben beeinträchtigt wird. Und doch wird jedes derartige Album, dessen Karten in gehöriger Ordnung chronologisch eingereiht wurden, diesen unschönen Ein druck machen. Dem gegenüber wird ein ästhetischer Sinn Wert darauf legen, wenigstens die Gruppen auf den einzelnen Seiten aus Karten mit ähnlichen Motiven und von gleicher tech nischer Ausführung zu bilden. Er wird Hochglanzkarten nicht gern mit den Erzeugnissen auf mattem Bromsilber papier zu einem Ganzen vereinigen und es vermeiden, den künstlerischen Eindruck von in zartem Sepiaton oder Rötel gehaltenen oder gar von an Kupferdruck mahnenden Karten durch die Nachbarschaft von geprägten oder durch leuchtende Farben ausgezeichneten Mustern zu erdrücken. Der wahre Sammler aber wird den Hauptwert auf den Gegenstand der Darstellung legen und ihm bietet sich eine Fülle von anregenden Stoffen. Er legt keinen Wert darauf, die Karten mit irgend einem Poststempel versehen, von irgend jemand irgend woher zu bekommen, sondern er gibt in seine Sammlung nur saubere, neue Exemplare, die er durch Kauf oder Tausch erhalten hat. Warum z. B. sollte nicht jemand ein Album anlegen, dem er alle zu erlangenden, auf mattem Papier hergestellten Ansichten vom Riesengebirge oder der Schweiz einverleibt, warum ein anderer nicht charakteristische Aufnahmen von sämtlichen Städten Deutschlands sammeln? Ein Baumeister dürfte vielleicht Interesse haben an einer möglichst um fangreichen Sammlung von Abbildungen moderner Palast bauten, Kirchen, Brückenbauten usw. aus allen Weltteilen. Wieder ein anderer hat vielleicht eine Schwäche für Denk mäler aus aller Herren Ländern, während ein weiterer nur Karten sammelt, die Ereignisse der Zeitgeschichte dar stellen. Es gibt herrliche Blumenkarten in Hochprägung oder in Aquarellmanier ausgeführt, desgleichen Frucht stücke, und sicherlich wird ein mit solchen Karten ge fülltes Album viele Freunde finden. Auch eine Sammlung, die nur Tierbilder enthält, wie sie in reizvollem Buntdruck ebenso wie in photographischen Aufnahmen aus den zoolo gischen Gärten in reicher Auswahl vorhanden sind, würde seine Liebhaber finden, und Sportsleute werden Renn pferde, Hunde oder Geflügelrassen in einem Album ver einigen. Ein Blick in die Schaufenster wird jeden leicht eine Abart finden lassen, die für ihn des Sammelns wert ist: Bildnisse berühmter Männer, Schauspieler und Schau spielerinnen, schöne Frauenköpfe oder Figuren, Land schaften aller Art in verschiedener Herstellung und Aus führung, Völkertypen und Trachten, Seestücke und Schiffs bilder und vor allem die Wiedergabe von hervorragenden Kunstwerken. Das Beste, was in den Museen der ganzen Welt an Kunstwerken enthalten und nur so wenigen zu gänglich ist, hat die Ansichts-Postkarten-Industrie durch vorzügliche Wiedergabe zum Gemeingut aller gemacht, und jeder kann sich mit geringen Mitteln eine umfangreiche Sammlung von Nachbildungen der Meisterwerke alter und neuer Zeit nach und nach zusammenstellen. Eine nach bestimmten Materien angelegte und sorg fältig zusammengestellte Sammlung bietet jedem streben den und denkenden Menschen einen edlen Genuß, erweitert den Gesichtskreis und sollte der Jugend dringend em pfohlen werden. Denn ein in dieser Richtung zweckmäßig geleiteter Sammelsinn unserer Kinder muß die besten Früchte tragen, indem durch die Ansichtspostkarten spie lend Kenntnisse vermittelt werden, wie sie kein anderes Anschauungsmaterial in solcher Abwechslung, Reichhaltig keit und Naturtreue zu bieten vermag. O. T.