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die entsetzliche Angst der aufgeschreckten Gänse nur all zu deutlich für die Leistungsfähigkeit der Motocycles Comiot spricht. Das Mädchen aber, das auf dem Rad sitzt, hat dasselbe rote Kleid, dasselbe goldene Haar und dieselben Katzenaugen, die man so oft auf Steinlens Plakaten findet, und die so bezeichnend für diesen Großen sind. Es ist schwer, andere Tierplakate zu finden, die die Tiere nicht um ihrer ‘selbst willen darstcllen und den Steinlenschen Blättern ebenbürtig sind. Die ihm am nächsten kommenden sind meist Innenplakate, Blätter, die nur in Buchhandlungen, Wirtschaften usw. hingen und nicht für Straßenreklame benutzt wurden. Da ist zuerst der kleine Henri de Toulouse-Lautrec zu nennen; es ist in einem früheren Vortrage schon einmal über Lautrec und das gleiche Bild gesprochen worden, wie es dieser Künstler verstanden hat, so tief in das mensch liche Leben hineinzugreifen, einen Mann, etwa einen Professor Biedermann ins Französische übersetzt, einen Hund, ein Fastnachtstandem mit Pierrot und Pierrette, einen Koch, einen Schutzmann zusammenzuwürfeln, und in die Mitte dieser Gestalten la vache enragee (wilde Kuh) zu setzen, von der alles Leben ausgeht, die schon durch ihre Farbe den Mittelpunkt bildet und ihre Umgebung wie die Zu schauer außer Atem bringt. Weil dies Bild zum Innen plakat bestimmt war, durfte Lautrec die Darstellung etwas auseinander ziehen. Gewiß ist die Kuh der Mittelpunkt, aber jede der sie umgebenden Gestalten ist gleich wichtig. Es ist gleich interessant zu sehen, wie sie den Professor vor sich hertreibt, den Schutzmann fast magnetisch hinter sich her zieht, und welche Mühe das Tandem hat, mit ihr gleichen Schritt zu halten. Ein Straßen plakat soll die Handlung in einem großen, breiten, flächigen, einheitlichen Bild so darstellen, daß man sie im Vorübergehen mit einem einzigen Blicke auf fangen kann. Das hat das Innen plakat nicht nötig. Plier bekommt man beim Betrachten keine kalten Füße, man hat es auch nicht eilig, im Gegenteil, wenn man im Laden, auf dem Bahnhof oder sonstwo warten muß, ist man oft für jedes Bild dankbar. Den Plakaten fällt hier dieselbe Rolle zu, wie im Wartezimmer des Arztes der Zeitung, von der man schließlich alle Anzeigen aus wendig kennt. Daß es beim Innenplakat zulässig ist, den Blick zu zer streuen und mehr ins Einzelne zu gehen, beweisen auch zwei andere Tierplakate, einmal das von der Exposition Canine, das auch keine einheitliche. Wirkung hat, dann in allerdings geringerem Grade das vielleicht beste deutsche Tierplakat mit Inhalt, die Weiß- gerbersche Affiche für Gerlachs Jugendbücherei (Bild 5). Der Mär- chen-Illustrator hat hier denRatten- fänger dargestellt. Inmitten einer großen Anzahl weißer hüpfender Tierchen sitzt eine dünne hagere Gestalt mit unglaublich abge magerten Gliedern, einem Gesicht, dessen Augen zusammengekniffen sind, um die Töne besser zu empfinden, dessen Mund so sehr gespitzt ist, um die wenige Kraft, die die Lunge noch hat, richtig anzuwenden, ein Gesicht, daß gar keine anderen Züge mehr annehmen kann als die, welche die Gewohnheit hineingegraben hat. Aber dafür wird auch jede der Ratten genau den Tönen ge horchen. Trotz all des Elends, das in diesem Bilde liegt und trotz all der vielen Tierchen, von denen wir keines missen möchten, atmet diese sich in der Stille der Nacht und Einsam keit abspielende Szene großen Zauber, Einfachheit und Selbst verständlichkeit. Man begreift, daß dieser Spielmann der König der Ratten ist. Der Vortragende besprach sodann eine Anzahl der aus gestellten Plakate, darunter auch einige spanische, sehr eingehend und erntete für seine Ausführungen lebhaften Beifall. Etwa um 1/211 Uhr eröffnete der Vorsitzende die Dis kussion über den Vortrag, die sehr lebhaft wurde. Für die von Ramon Casas gezeichneten zwei spanischen Bild 4