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DIE GESCHICHTLICHEN GRUNDLAGEN DER ENTWICKLUNG DER FRÜH POLNISCHEN KULTUR*) Von Witold Hensel In der traditionellen Historiographie gab es im allgemeinen keine Zweifel, daß das Polen Mieszkos I. und Boleslaw Chrobrys zu den starken, ja sogar mächtigen Ländern gehörte. Diesen Gedanken formulierten sowohl polnische als auch ausländische Forscher. Auch verschiedene idealistische deutsche Historiker hoben dies hervor. So stellte z. B. R. Holtzmann 1 ) im Jahre 1941 fest, daß Mieszko I. „kleine slawische Stämme, die zwischen Oder und Weich sel lebten, in einem mächtigen staatlichen Organismus vereinigte“. Derselbe Forscher fügte hinzu, daß der hervorragendste Vertreter der sächsischen Dy nastie auf dem Kaiserthrone, Otto I. (der Große, 936—973), es vorzog, mit dem Herrscher Polens lieber im Frieden als im Kriege zu leben 2 ). Ein anderer bekannter deutscher Historiker, Johannes Haller 3 ), bezeichnete im Jahre 1923 Polen um das Jahr 1000 als Großreich. Diese Urteile waren sowohl das Er gebnis einer Einschätzung der Rolle Polens in der Geschichte Europas im 10. und 11. Jahrhundert als auch die Widerspiegelung der zeitgenössischen Auffassungen über das Reich Mieszkos I. und Boleslaw Chrobrys. Unter die sen finden wir gleichermaßen die unmittelbaren Aussagen des arabischen Reisenden Ibrahim ibn Jakub, der sich über das Polen Mieszkos I. dahin gehend äußert, daß es zu den mächtigsten Staaten innerhalb der Westslawen gehört, dann die des Polen nicht geneigten deutschen Chronisten, des Bi schofs Thietmar von Merseburg, wie auch verschiedene indirekte Informa tionen über den Eindruck, den Wohlstand und Kulturhöhe in Polen auf den römischen Kaiser deutscher Nation Otto III. während seines Aufenthaltes in Gnesen im Jahre 1000 machten. Die von mir berührten Probleme finden zweifellos breitere Hervorhebung in weiteren Referaten der gegenwärtigen •) Vortrag - Übersetzung aus Kwartalnik Historyczny Nr. 4, Jg. LXVII, 1960, s. 893-919 (von Dr. E. Meyer, Dresden). In Anbetracht der kurzen Zeitspanne, über die ich verfügte, um mein Referat auszuarbeiten, tragen die Anmerkungen sehr allgemeinen Charakter, und ich schöpfe in ihnen nicht die gesamte wichtigere Literatur zu dem Thema aus. 1) R. Holtzmann, Geschichte der sächsischen Kaiserzelt (900-1024), München 1941, S. 187: „. . . einem mächtigen staatlichen Gebilde, dessen Hauptstadt Posen war". Dies bedeutet nicht, daß es in der deutschen Literatur zu dem Thema an Stimmen fehlte, daß sich die Sache anders verhielt. Die abweichenden Stimmen versuchten in dieser Beziehung u. a. die be kannte Stelle aus Buch 4, Abschnitt 10, der Chronik Thietmars zu benutzen. 2) R. Holtzmann, a. a. O., S. 223. 3) J. Haller. Das altdeutsche Kaisertum. Stuttgart. Berlin, Leipzig 19261, s. 48.