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Hohensteiner Tageblatt : 22.11.1892
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189211228
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18921122
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18921122
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohensteiner Tageblatt
-
Jahr
1892
-
Monat
1892-11
- Tag 1892-11-22
-
Monat
1892-11
-
Jahr
1892
- Titel
- Hohensteiner Tageblatt : 22.11.1892
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bereit gewesen wäre. Und was das Schlimmste ist, die Männer, k die Contiol- oder Schutzmarke die Unterstützung der Parteigenosse» be anspruchen. Da pe zur Erreichung ihres Zweckes aber wie der Boycott die Theilnahme und Sympathie der breiten Massen voraussetzt, so kann sie nur bei Artikeln in Frage kommen, die hauptsächlich von der Arbeiter klasse consumirt werden. Die Parteigenossen haben gegen die Conlrol- marke sich in allen den Fällen zu erklären, wo ihrer Einführung der Gedanke zu Grunde liegt, mittelft derselben den gewerkschaftlichen Kampf überflüssig zu machen, oder wo sie als directes Zwangsmittel dazu dienen soll, jungen oder schwachen r rganisalioncn Mitglieder zuzuführen oder zu erhalten. Diese Verwandlung der Coutrolmarke zu einer Art Prämie führt nur zur politischen Heuchelei um augenblicklicher Bor,heile willen, zur moralischen und materiellen Vergewaltigung Einzelner und schließlich zur völligen Demoralisation und Auflösung der gesammtcn Organisation. Mit Rücksicht darauf, daß die Gründe der Genossenschaften nicht aus Feindseligkeit gegen die Partei handelten, sondern durchweg im Kampfe für die Partei gemaßregelt seien, stelle man sich dem Genossenschaftswesen soweit als möglich freund schaftlich gegenüber. Der Boykott dürfe niemals zur wirth- schaftlichen Schädigung oder politischen Mißhandlung der Gegner lediglich wegen ihrer politischen Ucberzeugung führen. Dagegen habe die Socialdcmokratie stets gekämpft und sie müsse sich hüten, in den Fehler der Gegner zu verfallen. Die Control- oder Schutzmarke könue nie ein Ersatz für den Streik sein, wie verschiedene Eontrolmarken-Cvmmissionen cs darzustcllen suchten. Beim nächsten Aufschwung würden die Arbeiter durch neue Streiks sich rächcu. In der Abcndsitzung, die um 8'/z Uhr eröffnet wurde, verhandelte der Parteitag lediglich über das Gcnosscnschafts- re. Wesen. Augustin und Borgmann-Berlin traten für die Control-Schutzmarke ein. Schweer-Hamburg hielt die Genossenschaften für die politische Bewegung für werthlos, eben so Metzger-Hamburg. Mit der Partei hätten diese Fragen nichts zn thnn und in Hamburg habe man sich an den Genossenschaften gründlich den Magen verdorben. Legien-Hamburg erklärte, daß sich eine starke Strömung in der Partei gegen die Genossenschastsbcwcgung deshalb geltend mache, weil mehr und mehr das kleine Untcrnchmcrthum eindringe, das den Drnck dieser Bewegung ebenfalls empfinde. Grün- waldt-Hambnrg hielt die Genossenschaften nicht einmal für ein nvthwcndigcs Attribut der Gewerkschaftsbewegung. Schmal- scldt-Bremerhafcn wollte die Gcnvssenschaiten nicht ganz ver werfen. Uebrigens würden sich die Gewerkschaften nm eine Resolution des Parteitages gar nicht bekümmern. Theiß- Hambnrg glaubte, daß in der Parteileitung verkappte Gegner der ganzen Gewerkschaftsbewegung säßen, und bat sich darüber mszusprechcu. Slomke-Biclefcld hielt auch die Gewerkschafts bewegung für ein thätiges Glied der Arbeiterbewegung, das man fördern müsse, aber allerdings aus politischen Gründen nicht aus der Parteikasfe unterstützen könne. Auer führte im Schlußworte gegen die Controlmarkc noch die freundliche Stellung der Unternehmer zu ihr ins Feld. Im Entgegen- ommcn gegen die Genossenschaften sei man bis an die äußerste Grenze gegangen. Eine bewußte Gegenströmung gegen die Gewerkschaftsbewegung bestehe schon seit 20 Jahren nicht mehr. Statt für diese eingebildete Strömung nach allerhand Gründen zu suchen, sollte man lieber den Zwistigkeiten in der Gewerk- chaftsbcwcgung ein Ende machen. Schließlich wurden alle von verschiedenen Delegirten beantragten Acnderungen und Zusätze abgelchnt und die Resolution Auers mit großer Mehr- ;eir unverändert angenommen. Um 11^ Uhr erfolgte der Schluß der Sitzung. Berlin, 10. November. Die heutige Vormittagssitzung l? 1' Jahren der Fall gewesen, jetzt nicht mehr. Ruinen aber be kämpfe man nicht mit besonderem Eifer. Wenn der Staats- socialismus einmal wieder besondere Anstrengungen machen sollte, wenn einmal wieder ein geschickter Staatsmann käme, die Socialdemokratie mit dem Staatssocialismus aufs Eis zu führen, so werde er nicht blos eifrig, sondern mit dem äußersten Eifer dagegen kämpfen. Kaum eine Frage sei augenblicklich im politisch-praktischen Leben weniger brennend, als die des Staatssocialismus. Bebel habe auch darin Recht, daß auch Andere dasselbe gesagt hätten wie er. Er sei also nicht an gegriffen wegen besten, was er gesagt, sondern weil er cs gc- fagt. Man brauche aber nun einmal Personen, und wenn man diese angreife, so schade man nicht ihnen, sondern der Sache. Gleichviel, wie man den Staatssocialismus definire, die Discussiou habe gezeigt, daß cs gegenüber den praktischen Handlungen des Staatssocialismus keine Meinungsverschieden heit gebe. Durch einstimmige Annahme der Resolution möge man den Streit endgültig aus der Welt schaffen. Abg. Lieb knecht gab der Ueberzcugung Ausdruck, daß die ganze Polemik nicht stattgefunden haben würde, wenn Vollmar sich in seiner Schrift so deutlich ausgcdrückt hätte wie heute. Die Polemik habe aber doch nicht blos an den .Vorwärts" angeknüpft, sondern auch an die eigene Erklärung Liebknechts. Wenn er von dem Staatssocialismns Lassalles gesprochen habe, so habe er dabei lediglich Lassalles „Vorschlag" im Auge gehabt. Wenn der heutige Staat mit dem Socialismus spiele, so werde darau nicht die Socialdcmokratie, sondern der Staat zn Grunde gehen. Das werde aber so leicht nicht gehen, die Bourgeoisie sei noch stark, wenn auch vielleicht am schwächsten in Deutschland. Daß sehr einflußreiche Leute den ernstlichen Versuch machte», die Socialdcmokratie durch Verwirklichung des Staatssocialismus zu tödtcn, müsse er gegen Bebels Auffassung aufrecht erhalten. Auch das halte er keineswegs für ausgeschlossen, daß das Junker- thum sich einmal mit der Verstaatlichung des Grund und Bodens einverstanden erklären könnte. Die Gefahr des Staatssocilismus sei also keineswegs schon vorüber. Der Redner erläuterte schließlich die Resolution und bat, sie einstimmig anzunehmen. Der Antrag von Diederich, Keßler, König, die Resolution zu nächst einer Commission zu überweisen, wurde hiernach gegen eine Stimme abgelchnt und die Rosolution unverändert ein stimmig angenommen. Alle sonstigen Anträge zn diesem Gegen stände waren damit erledigt. Die folgende Sache, Bericht über den internationalen Arbeitercongreß in Zürich im Jahre 1893 war bald erledigt. Der Parteitag nahm folgende Resolution an: Der Parteitag wolle beschließen: Die deutsche Socialdemokratie erachtet es als ihre Pflicht, den im Jahre 1893 in Zürich stattfindcnden internationalen Arbeitercongreß zahlreich zn beschicken, und ist es wünschens- werth, daß die Genossen in den einzelnen Kreisen und Provinzen ihre Bcrtreter dorthin entsenden. Die deutsche Socialdemokratie wünscht, daß in die Tagesordnung des Congrcsscs ausgenommen werden: „Die Be- theiligung der Arbeiterklasse an den Kämpfen nm die politische Macht", und „die Stellung dcr Arbeiter zum Krieg". Betreffend den Beschluß des englischen Tradcs-Unions-Longresses zu Glasgow, in Bälde einen internationalen Gewcrkschaftscvngrcß einzuberufen, welcher berathen soll, in welcker Weise der gesetzliche Achtstundentag international verwirklicht werden kann, erklärt der Parteitag der deutschen Socialdcmokratie: Es llegt kein Grund vor, angesichts des im nächsten Jahre stattfindcnden internationalen Arbciter-Congresses zu Zürich, der gleich seinen Vor gängern zu Paris und Brüssel die Ängel-genhcU des Achtstundentages erörtert wird, noch einen besondere» internationalen Gewerkschasls-Lon- grcß cinzuberuieu. Auch ist die Frage nach der gesetzlichen Regelung des Achtstundentages insofern wesentlich eine politische Frage, als die selbe nur auf dem Wege der Gesetzgebung gelöst werden kann. Es sind also die politisckcn Arbeiterparteien dabei mindestens ebenso interessirt als die reinen Gewerkschafts-Organisationen, und überdies geht diese Frage alle Arbeiter an ohne Rücksickt auf ihre Zugehörigkeit zu irgend einer Organisation, Ter Parteitag hegt die Erwartung, daß die deutschen Gewerkschaften im Sinne dcr obigen Erktärung einer etwaigen Einbe rufung eines besonderen internationalen Gewerkschasls-Congrcsscs nicht Folge leisten, wohl aber ihre Delegirten auf den internationalen Arbeuer- Congreß nach Zürick senden, welcher allein als dcr Vertrctungskörper deS ktassenbcwußten internationalen Proletariats angesehen werden kann. Der Parteitag bcgt ferner die Erwartung, daß auch die englischen Ge werkschaften das Verkehrte ihres Beschlusses emsehcn von der Einbe- runmg eines besonderen internationalen Gewerkschasts-Congresscs Abstand nehmen und ihre Delegirten ebenfalls anf den internationalen Arbeilcr- Congrcß nack Zürich senden werden. Abß. Bcbcl bemerkte dazu, daß mit dem Wunsche, die in dcr Ncsolutiou erwähnten Punkte auf die Tagesordnung gesetzt zu sehen, keineswegs die Absicht ausgesprochen sei, hohe Politik zu treiben. Es sei nur eine Kriegserklärung und Provocativn an alle Die, die durch Ausstreuungen namentlich im Auslande die deutsche Socialdemokratie dahin verdächtigten, daß sie an dcr internationalen Arbeitcrsachc Verrath übe. Zum nächsten Gegenstände erläuterte und begründete Abg. Auer die nachstehende Resolution: Jit derKFrage dcs Gcnosscnschaftswcscns steht die Partei nach wie vor auf dem Slaudruukt: Sie kann die Gründung von Genossenschaften nur da gulheißen, wo sie die sociale Existenzermöglichung von im politi schen oder gewerkschaftlichen Kampf gemaßregelten Genossen bezwecken oder wo sie dazu dienen sollen, die Agitation zn erleichtern, sie von allen äußern Einflüssen der Gegner zu befreien. Aber in allen diesen Fällen müssen die Parteigenossen die Frage der Unterstützung davon abhängig machen, daß genügend Mittel für eine gesunde, finanzielle Grundlage zur Verfügung stehen und Garantien für geschäftskundige Leitung und Verwaltung gegeben sind, cbe Genossenschaften ins Leben gerufen werden. Im Uebrigen haben die Parteigenossen der Gründung von Genossen schaften emgcgenzmrclen und namentlich den Glauben zufbekämpfcn, daß Genossenschaften ini Stande seien, die capitalistischen Productionsvcr- wurdc um 9^ Uhr von Gottlieb (Bremen) eröffnet. Die Berichte Liebknechts über die wirthschaftliche Krise und ihre Folge: dcr allgemeine Nothstand, und Bebels über den Anti- cmitismus und die Socialdemokratie wurden der vorgerückten Zeit wegen zurückgestellt. Die Berichterstatter legten folgende Resolutionen vor, über die später ohne Debatte abgcstimmt werden soll. Die Resolution Liebknechts lautet: Es liegt in der Natur dcs Capitalismus, daß die von ihm erzeug ten Krisen und Arbeitsunterbrechungen immer allgemeiner, andauernder und verheerender werden; daß die Aussaugung des Eigenthums, die Enteignung und Verelendung der sogenannten mittleren Gesellsckajts- chichlcu mit stets wachsender Geschwindigkeit vor sich gehr; und daß )nrch Hungerlöhne und Arbeitslosigkeit für immer weitere Kreise ein Nothstand in Permanenz geschaffen wird. Die uothwendige Folge dieser zerstörenden Wirksamkeit des Eapitalismus ist, daß die Zahl der Eigcn- thums- und Erwerbslosen sich fortwährend und in zunehmender Schnelle vermehrt. Obgleich diese Folgen des Capitalismus unter dcr Herrschaft des Capitalismus nicht zu beseitigen sind, und eine gereckte, menschen würdige Organisation der menschlichen Arbeit und dcr mcnschlicheu Ge- iellschast nur durch dcn zur Herrschaft gelangte» revolutionär-demo kratischen Socialismus zu erreichen ist, so haben dock Staar und Ge- mcinde anch in dcr hcutigcn Gesellschaft unbedingt die Pflicht, dcn Nolh- leibcndcu zu helfen und sie vor Hunger zu schütze«. Da das Almosen entwürdigt und die Hülse am zweckmäßigste» durch die Beschaffung von Arbeit geleistet wird, so fordert der Parteitag der deutschen Socialoemo- ratie die Reichs, Staais- und Gemeindebehörden auf, der zu einer fentlichen Calamität gewordenen Arbeitslosigkeit durch sofortige Jn- lgrisfnahme von Arbeiten im allgemeinen Interesse nach Möglichkeit zu steuern. Angesichts dcs nnanshallsam sich vollzicheuden, immcr weitere Volkskrcise ins Verderben reißenden Auslösuugspioecsscs,. der zwar einer seits dem Socialismus die Wege ebnet, anderseits aber auch die Gciahr blinder Ausbrüche der Leidenschast und der Verzweiflung erzeugt, ist es in verdoppeltem Maße die Aufgabe dcr socialüemok atischeu Partei, mit äußerster Anspannung aller Kräfte dahin zu ^arbeiten, daß alle Gesell- schastsglieder, die der Capitalismus zum Elend verurlheilt, und die in ihm ihren Todfeind erblicken müssen, über ihre Jnieresse» aufgeklärt und in die Armee der Socialdcmokratie: dcs zum wirtyschaitlichen Klassen- und politischen Befreiungskampf organisicien Proletariats eingereiyt werden. Die von Bcbcl beantragte Resolution hat folgenden Wortlaut: Der Antisemitismus entspringt der Mißstimmung gewisser bürger licher Schichten, die sich durch die capitalistijche Entwickelung bedrückt finden und zum großen Tbeil bmch diese Entwickelung dem wmhjchasl« lichen Untergang geweiht sind, aber in Verkennung der eigentlichen Ur sache ihrer Lage den Kampf nicht gegen das capiialistische Wirlyschasts- systcm, sondern gegen eine in demselben heroortrelcnde Erscheinung richten, die ihnen im Concurrcnzkampf besonders unbequem wird, gegen bas jüdische Ausbcuterthum Dieser sein Ursprung zwingt den Ant.se- mitismus zu Forderungen, die ebenso mit den wirlyschafUichen wie po litischen Entwickolnngsgesctzcn der bürgerlichen Gesellschaft im Wider» svrnch stellen, also fortschrittsfeindlich, d. h. reactionär si >d. Daher auch die Unterstützung, die der Antisemitismus vorzugsweise bei Junkern nud Pfaffen findet. Der einseitige Kampf dcs Antisemitismus gegen das jüdische Ausbcuterthum muß nothwcndig erfolglos sein, weil die A»ß- eilen. Um so schärfer interessirt dcr Besuch ill der Hofburg zu Wien und lebhaft ruft er die Erinnerung an den Argwohn des ersten Kanzlers wach, daß Oesterreich die beiden Eisen, die einst Deutschland im Feuer gehalten, nun selbst zum Glühen bringe. Will Jemand bezweifeln, daß auch die gewaltigsten Millionenhcerc an Wucht verlieren, wenn nicht eine kluge und weitsichtige Diplomatie als gleichbedeutender Factor an ihrer Seite kämpft? Wer den Unterschied begreift zwischen der Stellung Deutschlands vor kaum drei Jahren und der Stellung von heute, wird jeuen Zweifel auch nicht für Sekunden im stillen Busen hegen. Berlin, 19. November. Aus unterrichteten Kreisen ver lautet, daß man hier betreffs einer Verständigung mit Ruß land über einen Handelsvertrag zwar noch nicht alle Hoffnung aufgebe, doch bei dem jetzigen Stande der Dinge an ein be friedigendes Ergebniß noch nicht recht glauben wolle. Es seien von hier aus sehr mäßige Bedingungen gestellt worden, gleich wohl wisse man, daß diese Bedingungen wenig Aussicht aus Annahme seitens Rußlands hätten. Die hier überreichte russische Note begründe die Ablehnung dcr diesseitigen Vorschläge und bringe gleichzeitig ernente Vorschläge Rußlands, die augen blicklich, wie anderweit berichtet worden, einer Prüfung unter zogen werden. Gelänge es, so wird versichert, dcn diesseitigen Bemühungen nicht, die deutschen Vorschläge in Rußland zur Geltung zu bringen, so sei keine Aussicht vorhanden, zn einer gedeihlichen Verständigung zu gelangen. Unter allen Umständen soll dem Reichstage bei geeignetem Anlaß Mittheilung über den Stand dcr Angelegenheit gemacht werden. Ueber die Deckung dcr durch die Militärvorlagc verur sachten Mehrausgaben macht dcr „Rcichsanzciger" heute folgende Mittheilung: Die Deckung dcs Mehrbedarfs an fortdauernden Ausgaben, welcher als Folge dcr in Aussicht genommenen Heeresverstärkung erwartet werden muß, macht die Vermehrung der eigenen Einnahmen dcs Reichs nothwcndig. Die hierfür ausgearbeiteten Gesetzentwürfe sind mit Genehmigung Seiner Majestät dcs Kaisers dem Bundesrath vorgelcgt. Danach wird beabsichtigt, die erforderlichen Mittel aus einer ergiebigeren Be steuerung des Bieres, des Branntweins und der Börsengeschäfte zu gewinnen. Die Biersteucr soll innerhalb der Branstcucr- gemeinschaft verdoppelt werden. Um indes; einer Uebcrbürdnng der kleineren Brauereien vorznbcngcn, die in Folge ihrer un- vollkommncren technischen Einrichtungen einen relativ größeren Malzvcrbrauch zu habe» pflegen als die Großbetriebe, wird für die ersteren eine Ermäßigung dcr Steuer empfohlen, deren finanzielle Wirkung durch eine Erhöhung dcs Satzes für die letzteren ausgeglichen wird. Ferner soll dcr Satz, nach welchem dcn cinzclncn betheiligtcn Staaten die Kosten dcr Erhebung und Verwaltung dcr Braustcncr vergütet werden, künftig von 15 auf 10 dcr Gesammteinnahmc ermäßigt und Elsaß- Lothringen bei dieser Gelegenheit in dicBraustcncrgcmcinschaft einbczogcn werden. Der Ertrag dcr Branntwcinstcucr soll durch eine Erhöhung dcs niedrigeren Satzes dcr Verbrauchs abgabe von 50 aus 55 Psg. für das Liter reinen Alkohols gesteigert werden. Daneben wird cs nöthig, die Gcsammt- jahrcsmengc Branntwein, welche zu niedrigerem Abgabcsatzc hcrgcstcllt werden darf, von 4.5 anf 4 Liter reinen Alkohols für den Kopf dcr Bevölkerung herabzusetzcn, um gegenüber dem Zurückbleiben dcs Trinkeonsums hinter dcn Erwartungen die Wirkung dcr Contingeutirung auch für die Zukunft sicher zu stellen. Dcr letzte Vorschlag geht dahin, die durch das Gesetz vom 29. Mai 1885 eingeführte Abgabe von Kauf- und Anschaffungsgeschäftcn über Wcrthpapierc und andere börscn- artig gehandelte Wanrcn von '/i» bez. 2^ von: Tausend aus das Doppelte dieser Sätze zu erhöhen und durch veränderte Abstufung der Wcrthklasscn in Zukunft die Möglichkeit anszn- schlicßcn, daß namhafte Beträge von der Besteuerung überhaupt frei bleiben. Dcr ans dcr Durchführung dicscr Stcuerprvjccte sich ergebende Mehrbetrag ist — einschließlich dcr von dcn süddeutschen Staaten an Stelle dcr Bicrstcucr zu cutrichtcndeu Acguivalentc — auf insgcsammt etwa 58 Millionen Mark jährlich zn schätzen. Eine höhere Besteuerung dcs Tabaks in irgend welcher Form wird nicht beabsichtigt. Berlin, 18. November. In dcr Nachmittagssitzung nahm zunächst v. Vollmar-München das Wort. Durch die Ver handlung sei man nicht viel klarer geworden. Zweifellos seien die als Nachfolger unserer Größten für sie eintreten sollten, sie haben geschwiegen, als kennten sie nicht das alte Gesetz, daß die Ehre der Väter die eigene Ehre ist. Sie stehen auf dem Sockel, den ihnen die Früheren errichtet, und sie dulden den Maulwurf an seinem Grunde. Manche Zeichen deuten darauf, daß der kommende Reichs tag mit gebührendem Ernste sich dieser Fragen bemächtigen werde, und sicher darf man erwarten, daß daraus Segen er wächst. Daß hier klare Rechnung gelegt wird, ist wichtiger als alle Gesetze gegen Zuhälterthum oder über den Verrath militärischer Geheimnisse. Will der Reichstag seine Geltung bewahren, so wird es für ihn zur Pflicht gegen sich selbst, daß er für genügende Klärung sorge. Er wird allerdings auch anderwärts Fragen in Fülle finden, die einer Lösung harren. Die sociale Lage des Mittelstandes soll zur Erörterung kommen, wenn es gilt, Stellung zu nehmen zum Wuchergesetz und zur Vorlage über die Abzahlungsbazare; daß hier ein Wandel von Nöthen, wird Niemand leugnen, der nicht über den Forder ungen der Arbeiterwelt den Blick für die Noth der anderen Stände verlor. Der Handwerkerstand krankt; wer wollte cs leugnen? Er krankt daran, daß in der hastigen Entwickelung des Zeitalters der Maschinen er nicht den Ausgleich gefunden. Daß nicht Forderungen zur Geltung kommen, die den Gesetzen des modernen Lebens widerstreben, aber auch, daß dcr Hand werkerstand gesichert werde vor seiner Vernichtung, das wird und muß die Aufgabe jener Männer sein, welche die sociale Frage nicht allein begrenzt sehen in der Wohlfahrt des Arbeiters. Und daß die Noth der Landwirthschaft Hilfe finden soll in einem Gesetz, das vor Allem das Erdübel des Baucrnthums, die Auswucherung, hemmt, darf mit voller Genugthuung be grüßt werden. Auch die äußere Politik wird an mancher Stelle gestreift werden. Bietet doch die Forderung, in unerhörter Anspannung von Neuem unsere Wehrkraft zu vermehren, Anlaß genug, unsere Stellung im Dreibunde und vor Allem die Frage zu erörtern, ob wir bereits gezwungen sind, durch Conccssionen die Freundschaft dcr Bundesgenossen zu sichern. Erst die jüngste Zeit, als der russische Thronfolger in Wien festlichen Empfang gefunden, bot den Ausblick auf die weiten Gefilde der hochpolitischen Betrachtung. Unvergessen ist es noch, wie sich der Besuch des Czarcn beim deutschen Kaiserhofe hinaus- zog, und wie er znletzt in eigenthümlichcr Kürze verfloß; un vergessen ist es auch, wie flüchtigen Fußes russische Prinzen immer und immer wieder an dcr Rcichshauptstadt vorüber die meiste» Redner auf den Ton eingegangen, dcn Liebknecht und er nach Vereinbarung angenommen, nämlich Kleinigkeiten bei Seite zu lassen und die Sache von höheren Gesichtspunkten zu betrachte». Andere Redner hätten sich aber auch wieder an Buchstaben- und Zeitungsdeuterei gehalten, ganz wie im Sommer. Wäre es so weiter gegangen, so würde man am Ende noch uneiniger geworden sein, als am Anfänge. Am schlimmsten habe es Genosse Diederichs-Dortmund gemacht. Wer einem alten Genossen Regierungsfreundlichkeit vorwerfe, der müsse denn doch auch Beweise dafür beibringen. Er wolle darüber nicht weiter sprechen, die Abstimmung werde zeigen, wie viele Genossen auf Diederichs Seite ständen. Er be kämpfe den Staatssocialismus nicht schärfer, weil er ihn nicht für gefährlich halte, nicht etwa aus Sympathie für ihn. Der Staatssocialismus möge treiben was er wolle, er werde der Socialdemokratie nicht schaden. Daß Bebel die Sache anders angefangen und besser gemacht hätte, glaube er gern. Es gebe eben verschiedene Naturen. Der Vorwurf, daß cr seinen Brie in einer ausländischen und bürgerlichen Zeitschrift veröffentlich habe, sei nicht stichhaltig. Den Geyosscn hier würde er nu Bekanntes gesagt haben, nicht so den Franzosen. Grade am durch die gegnerische Presse solle man sprechen, wenn sich Ge legenheit biete. Auch in der Agitation, in Versammlungen wende man sich an Gegner. Auf dcn Gedanken komme es an, nicht auf den Ort, wo cr zum Ausdruck komme. An Bebels Theorie, daß es kein System dcs Staatssocialismus gebe, wolle er nicht cingehen. Das sei nicht der stärkste Theil der Bebelschcn Ausführungen. Einverstanden dagegen sei er mit Bebel darin, daß im Staatssocialismus keine besondere Gefahr liege. Das sei vielleicht vor 10 oder 15 oder 20 hältmssc zu beeinflusse», die Klassenlaqe der Arbeiter zu heben; dem politische» und gewerkschaftliche» Klassenkamps der Arbeiter zu beseitigen oder auch nur zu mildern. Der Boycott ist sür den politischen und ge werkschaftlichen Kamps der Arbeiterklasse eine Waffe, die nur unter der acliven Theilnahme der große», heute noch nicht organisirten Massen wirksam in Anwendung gebracht werden kann. Der Boycott kann da her mit Aussicht aus Erfolg nur in den Fällen in Vorschlag gebracht werden, wo es sich um Fragen handelt, an denen weite Arbeiterkreise mit tiefgehendem Interesse betheiligl sind, insbesondere auch um Zurück weisung von Bestrebungen, welche eine politische Schädigung der Arbeiter- klasse bezwecken. Unter keinen Umständen aber darf der Boycott zu einem Mittel der politischen oder wirthschaftlichen Vergewaltigung wer den zu dem Zwecke, die politische Gesinnung oder persönliche Ueberzeug- ung zu strafen, oder die äußere Bekundung einer politischen Meinung oder deren Belhätigung zu erzwingen. Die Controj- oder Schutzmarke hat dcn Zweck, dem Käufer einer Waare zu zeigen, daß bei deren Her stellung die jeweiligen Forderungen der betreffenden Gewerkschastsorgani« sation in Bezug auf Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen erfüllt werden. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob diese Waaren von einer Arbeiterge nossenschaft oder von einem Privatunternehmer hergestellt werden. Nur in diesem Sinne, als eine der Waffen im gewerkschaftlichen Kampfe, kann
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