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2 Der Deutsche Erwerbsgartenbau Nr. 1. 2. 1. 1925. Der Ertragswert als Grundlage der Schätzung. Von cand. agr. Ulrich Walter in Berlin. (Unter Anlehnung an Aereboe: Taxation von Grundstücken.) Privatwirtschaftlich wie auch volkswirtschaftlich von gleich großer Bedeutung ist die Frage, welche Gesichtspunkte als Grundlage für die Wertschätzung von Grundstücken dienen sollen und wie weit diese im praktischen Leben brauchbar sind. Nebensächlich ist hierbei, ob es sich um Pacht- oder Kauf preise handelt, sofern man grundsätzlich den sogen. „Ertrags wert“ als sicherste Basis jeder Schätzung annimmt. Da dieser Standpunkt vielfach vertreten wird, erscheint es angebracht, auf den Begriff „Ertragswert“ näher einzugehen, ihn zu analysieren und seinen praktischen Wert zu prüfen. Ganz allgemein legt man dort, wo es sich darum handelt, den Grund und Boden einer Wertschätzung zu unterwerfen, sei es zu Kauf- oder Pacht zwecken, dem Taxverfahren die sogen. „Ertragstaxe“ zugrunde, die darin besteht, den durchschnittlichen Reinertrag aus der Differenz zwischen dem durchschnittlichen Rohertrag und den dazu erforderten Wirtschaftskosten zu ermitteln. Dieser Rein ertrag soll dann, kapitalisiert mit einem landläufigen Zinsfuß, den „Ertragswert“ darstellen und als Taxwert gelten. Ohne auf. die Durchführung dieses Verfahrens einzugehen, was an sieh schon wegen seiner Umständlichkeit lohnend wäre, einer Kritik unterzogen zu werden, will ich mich darauf beschränken zu prüfen, ob es prinzipiell richtig ist, aus den Reinerträgen un mittelbar den Wert finden zu können. In der volkswirtschaftlichen Literatur kann man eine ganze Bibliothek allein über den Begriff „Wert“ finden, ohne daß da mit gesagt werden soll, daß dieses Problem besonders schwierig zu verstehen sei, denn sofern man sich an das praktische Leben hält, löst es sich erstaunlich schnell in eine einfache, klare Form auf, die von Aereboe*) folgende Fassung erhielt: „Die Werte sind nicht etwas, was den Gütern an sich innewohnt, sondern etwas, was ihnen unter bestimmten Verhältnissen von Nachfrage und Angebot zufällt. Werte, welche nicht durch die volkswirtschaftlichen Verhältnisse von Nachfrage und Angebot ge bildet werden, gibt es nicht. Mit der Nachfrage stehen und fallen die Werte und auch die Nachfrage allein kann solche nicht bedingen, wenn ihr zeitlich und örtlich ein überreiches Angebot gegenübersteht.“ Die Wahrheit dieser Erkenntnis wird im Gar tenbau bisweilen recht unangenehm empfunden, nämlich dann, wenn ein Ueberangebot von Erzeugnissen vorliegt. Früchte, die heute noch einen angemessenen Wert haben, können morgen schon durch starke Einfuhr aus anderen Ländern oder Gegenden völlig wertlos geworden sein. Derartige Beispiele lassen sich beliebig viele anführen, sie alle ergeben notwendig den Schluß, daß Werte nichts anderes als geschätzte Preise sind. Welchen Schwankungen diese aber unterworfen sind, braucht nicht be sonders hervorgehoben zu werden. Es geht aus diesen Be trachtungen weiter hervor, daß die Werte unlösbar mit der Volkswirtschaft verbunden sind, daß beispielsweise ein Boden, sei es auch der beste Kulturboden, keinen Wert hat, wenn er außerhalb der menschlichen Wirtschaft liegt, oder anders aus- gedrückt: die gleich große Flächeneinheit des besten Kultur bodens wird um so billiger, je weiter sie vom gewerblichen Zentrum entfernt liegt. Das hat seinen natürlichen Grund in den Absatz- und Bezugsverhältnissen, welche den Preis der Erzeugnisse maßgebend beeinflussen. Außer diesen allgemein wirtschaftlichen Momenten kommen selbstverständlich noch viele andere Einflüsse, wie z. B. die klimatischen, die Wasserverhält nisse u. a. m., doch berühren diese weniger die Frage der Wert entstehung, die hier vornehmlich behandelt werden soll, um aus den allgemeinen Erörterungen den Kern herauszuschälen, welcher als Fundament der Abschätzungslehre zu gelten hat. Ebensowenig, wie jedes andere wirtschaftliche Gut, losgelöst von Angebot und Nachfrage, bewertet werden kann, ebensowenig gilt dies für eine Wertschätzung des Bodens. Man überlege ein mal, was dabei herauskäme, wollte man z. B. einen Obstbaum nach dem Ertragswert kaufen, ohne auf die allgemeine Marktlage Rücksicht nehmen zu wollen, oder man versuche einmal ein Pferd nach diesen Gesichtspunkten zu kaufen! Es ist ohne weiteres klar, daß man auf diesem Wege nicht weiterkommt. Denselben Schwierigkeiten begegnet man, wollte man eine Gärtnerei lediglich nach dem „Ertragswert“ kaufen oder pachten. Um die Unbrauchbarkeit dieses Verfahrens noch deut licher heraustreten zu lassen, werde ich auf die Einzelheiten näher einzugehen haben und zeigen, warum es den praktischen Verhältnissen nicht entsprechen kann, einen Pacht- oder Kauf preis ohne Rücksicht auf Angebot und Nachfrage ermitteln zu wollen. Ganz abgesehen von der Umständlichkeit einer derartigen „Ertragstaxe“ und der ungeheuren Spezialkenntnisse, die diese erfordert, halte ich es doch für unmöglich, den Ertrag irgend einer Landfläche auf einen Zentner genau zu schätzen. Erwägt *) Aereboe, Taxation von Landgütern. man aber, welche bedeutenden Differenzen sich bei einer der artigen Fehlerquelle, die gar nicht zu vermeiden ist, ergeben, sofern man die erhaltene Summe kapitalisiert, so zeigt sich schon hierbei das Unzulängliche dieses Verfahrens. Wieviel schwieriger gestalten sich noch die Berechnungen der aufge wandten Wirtschaftskosten. Von 20 Taxatoren dürften nicht 2 ein auch nur annähernd übereinstimmendes Ergebnis haben. Wenn man ferner glaubt, aus dem durchschnittlichen Reinertrag einer Reihe von Jahren einen Ertragswert zu erhalten, so ist dem gegenüber die Frage zu stellen, ob eine Gärtnerei, die seit mehreren Jahren keinen Reinertrag abgeworfen hat, auch keinen Ertragswert besitze. Liegt es nicht viel mehr an der mehr oder weniger großen Geschicklichkeit des Leiters ? Und kann man an dererseits "aus einem sehr hohen Reinertrag ohne weiteres auf einen sehr hohen Ertragswert schließen ? Keineswegs. Sondern als Maßstab für eine Wertschätzung können nicht die ver gangenen Reinerträge als Unterlage dienen, sondern nur die zukünftigen. Die Schätzung der zu erwartenden Reinerträge ist aber naturgemäß erheblich schwieriger, und noch mehr einer subjektiven Einstellung des einzelnen unterworfen, so daß dieser Weg zu einer ebenso unbefriedigenden Lösung führen muß. Außer diesen Einwendungen, die gegen eine Ertragstaxe sprechen, ist weiter hervorzuheben, daß die Ertragsfähigkeit zahlreichen Einflüssen unterliegt, die ihrerseits mehr oder weniger große Schwankungen am Reinertrag hervorrufen können. Ich brauche bloß an die Produktionsmittel, die Produktionspreise und an Ertragsrückschläge zu erinnern, deren Wirkungen erfahrungs gemäß leicht unterschätzt werden. In welchem Maße diese in den zu erwartenden Reinertrag einzukalkulieren sind, ist eine wohl kaum zu beantwortende Frage, deren Beantwortung ich denen überlassen werde, die für eine Ertragstaxe plaidieren. Es ergibt sich jetzt die weitere Frage: Wie verhalten sich die Er träge zu den Ertragswerten ? Bedingen gleiche Reinerträge! gleiche Ertragswerte? Ein Blick auf die Kredit- und Besteue rungsverhältnisse lehrt, daß davon keine Rede sein kann, son dern daß vielmehr der Wert eines Grundstückes durch diese in außerordentlich hohem Maße, beeinflußt wird. Sind die Mög lichkeiten, Kapital zu beschaffen, gering, oder ist der Zins fuß ein besonders hoher, so wird in dieser Gegend der Wert der Grundstücke diesen ungünstigen Verhältnissen angepaßt sein, ungeachtet der gleich hohen Reinerträge, die diese Grundstücke im Vergleich mit solchen in besseren Kreditverhältnissen ab werfen. Dasselbe Bild ergibt sich bei einem Vergleich von Gegenden mit verschieden hohen Steuern. Doch von noch größe rem Einfluß auf den Wert eines Grundstückes ist die Kaufkraft des Geldes. Ein einfaches Beispiel wird das leicht demonstrieren. Vergleichen wir zwei Gärtnereien, die unter gleichen Schulden verhältnissen denselben Reinertrag abwerfen, von denen aber die eine in unmittelbarster Nähe einer Großstadt, die andere in irgend einem unbedeutenden Ort in Ostpreußen liegt, so ist klar, daß die Bezugs- und Absatzverhältnisse für erstere weit günstiger liegen, daß dadurch weiter die Nebenspesen bei Ein- und Verkauf eine ganz untergeordnete Rolle spielen und ferner ästhetische Bedürfnisse äußerst leicht befriedigt werden können. Die zweite Gärtnerei muß auf alle diese der Gunst der Lage entspringenden Vorteile verzichten, und es liegt auf der Hand, daß bei jedem Kauf diese Verhältnisse mit in Betracht gezogen werden und ihrem Ausmaß entsprechend bewertet werden. Ohne daß die Reinerträge verschieden zu sein brauchen, wird für die Gärtnerei in der Nähe des gewerblichen Zentrums stets mehr gezahlt werden, als für eine solche Gärtnerei, die in einer entlegeneren Gegend liegt. Es ist auch hieraus wieder zu er sehen, daß der Ertragswert ohne Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage auch nicht im entferntesten, die Grundlage einer gerechten Bewertung bilden kann. Der Hauptfehler, welcher der Ertragstaxe zugrunde liegt, geht schon auf Thaer zurück, welcher die Kaufpreise als „mit landläufigem Zinsfuß kapitalisierte Reinerträge“ definierte. Dies ist ein Grundirrtum, denn daß der Kaufpreis sich weniger nach dem Reinertrag richtet, sondern von einer Reihe anderer Mo mente bedingt wird, geht schon aus dem Umstande deutlich hervor, daß die gezahlten Kaufpreise ganz allgemein den Rein erträgen vorauseilen. Die Tatsache, daß die Ertragstaxe (schein bar) so viel Anwendung findet, wäre unverständlich, würde man nicht bedenken, daß bei jeder derartigen Schätzung dem Taxator schon vor Errechnung seines Resultates eine bestimmte Summe, die er als Kauf- oder Pachtpreis für angemessen hält, vorschwebt und die er auf Grund seiner Erfahrung über die in jener Gegend üblichen Kauf- oder Pachtpreise und auf Grund seiner Kenntnis des Inventarbestandes und Gebäude kapitals ermittelt hat. Nach dieser Summe werden dann, um dem Verfahren den Nimbus der Wissenschaft zu erhalten, die Ergebnisse zurechtgestutzt. [1064