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SIEDLUNG UND WIRTSCHAFT DER TRIPOLJEKULTUR Von Hans Quitta Seit über 50 Jahren sind aus dem südlich Kiev liegenden Fundort Tripolje (ukrai nisch Trypillja) wie auch aus dem übrigen südrussischen Raum die Reste einer bemaltkeramischen Kulturgruppe bekannt. Die Träger dieser Tripoljekultur waren seßhafte, vorwiegend Bodenbau treibende Stämme, die im Verlauf des dritten Jahr tausends die gesamte rechtsdneprische Ukraine besiedelten. Ähnlich der Bandkeramik hatten sich auch im Südosten Europas mit dem Übergang zu Bodenbau und Viehzucht mehrere frühneolithische Kulturgruppen heraus gebildet. Ihre Wurzeln dürften einmal in der ausgehenden spätpaläolithischen Ent wicklung und zum anderen in der Einwirkung fremder, vorwiegend aus dem Süden stammender Einflüsse zu suchen sein 1 ). Ohne eine spezifische Entwicklung zwischen dem Dnepr und den Karpaten auszuschließen, weisen doch die Gefäßbemalung und die Verbreitung von Idolen, ebenso wie das Vorkommen von Rechteckhaus und früher Metallgegenstände auf enge Beziehungen zum Donau-Balkan-Raum. Somit kann in der Tripoljekultur eine auf bodenständiger Grundlage entstandene, aber aus dem mittelmeerisch-vorderasiatischen Kreis früh beeinflußte Lokalform der über Mittel und Südosteuropa verbreiteten donauländischen Kultur gesehen werden (Abb 1, S. 32). Das Interesse der Tripoljeforschung war anfangs fast ausschließlich auf die hoch entwickelte Keramik gerichtet, während man sich für alle weiteren Siedlung und Wirtschaft betreffenden Fragen nur wenig interessierte. Die ersten Grabungen auf russischem Gebiet wurden von den Archäologen W. W. Chvoiko und E. R. Stern ausgeführt 2 ). Gebührt auch ihnen das bleibende Verdienst, die hohe kulturgeschicht liche Bedeutung dieser ältesten osteuropäischen Bauernkultur erkannt zu haben, so waren doch ihre Schlußfolgerungen auf Grund unvollkommener Grabungsmethoden und mangelnder Schichtenbeobachtungen nicht frei von Irrtümern. Als charakte ristischer Wohnbau der Tripoljekultur galt die „Zemljanka", eine in den Löß ein getiefte und von einem Dachbau überdeckte Erdgrube. Umstritten blieb die Be stimmung der meist nur teilweise freigelegten Lehmplattformen, der sogenannten „Ploscadki“. Diese wurden von den oben genannten Forschern infolge der un gewöhnlich zahlreichen Gefäße für Sippenbegräbnisstätten gehalten, während Ailio und andere sie für die Fundamente von Töpferwerkstätten und deren Öfen an- sahen 3 ). So dauerte es noch Jahrzehnte, bis die bereits früher von Spizyn, Gorodzov und Himner vertretene Deutung der Ploscadki als Überreste einfacher Wohn häuser allgemein anerkannt wurde' 1 ). Dieser zu Anfang der zwanziger Jahre erreichte Forschungsstand ist durch die groß angelegten Felduntersuchungen der sowjetischen Archäologie, wie auch durch die Einbeziehung Südpolens, Rumäniens und des übrigen Balkanraumes in den erweiter ten Forschungsbereich der Tripoljekultur stark bereichert worden. Daß sich heute ein viel genaueres Bild der Gesamtentwicklung geben läßt, ist vor allem der 1936 ’) 0. Menghin, Einheimische Wurzeln der bandkeramischen Kultur, in Serta Hoffileriana, Zagrabiae 1940, S. 2 ff. Ähnlich Cucuteni sind auch im Silexmaterial der Frühtripolje-Station Luka Vrubleveckaja starke Beziehungen zum Aurignacien vorhanden. Vgl. S. N. Bibikov, Poselenie Luka Vrubleveckaja, in Sovetskaja Archeologia Bd. XI, 1919, S. 136. 3) E. R. Stern, Neolithikum Südrußlands, in Ebert Reallexikon Bd. XIII, 1929, S. 34ff. 3) J. Ailio, Fragen der russischen Steinzeit, in Suomen Muinaismuistoyhdistyksen Aikakauskirja, XXIX, Helsinki 1929, S. 88. 4) Von deutscher Seite setzte sich vor allem Schuchhardt, gestützt auf seine Grabungen in Cernavoda, für den Hauscharakter der Ploädadki ein. C. Schuchhardt, Die vermeintliche Brandbestattung in der Tripoljekultur, in Prähist. Zschr. XIV, 1922, 168 ff. ’ 25