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Der Gärtner kann aber auch durch Aussaaten neue Formen erhalten. Der Laie glaubt gewöhnlich, dass die Pflanzen, aus Samen gezogen, konstant bleiben; das ist aber nur der Fall, wenn die Pflanzen sich selbst bestäuben ; ein grosser Teil befruchtet sich aber nicht selbst, und auf diese Weise entstehen kleine Abweichungen. Vater und Mutter sind sich nie ganz gleich, und darum ist das Kind stets ein Bastard, wenn man mit Prof. Correns in Leipzig jede Vereinigung zweier Keimzellen (weiblicher mit männ licher), die nicht die gleichen erblichen Anlagen besitzen, als Bastardierung ansieht. Aach hierdurch erklären sich viele Variationen. Die Variationen, allgemein gesprochen, können entweder in Rückwärtsbewegung oder in Vorwärts bewegung bestehen. Eine Pflanze kann statt blauer Blumen weisse bekommen, das ist nach de Vries eine regressive Variation; es kommen Fälle vor, wo solch ein Rückschritt in einigen Generationen wieder gutgemacht wird, das nennt de Vries eine degressive Variation. Endlich gibt es auch progressive Variationen, wo etwas neues hinzu tritt, z. B. die Kämme auf den Blumenblättern der Knollen begonie, {Begonia hybrida cristata), die man übrigens viel leicht besser als Sport oder Mutation ansieht. Die Grösse der Abweichung ist im allgemeinen keine sehr bedeutende. Dies fand Galton bei seinen Unter- . suchungen der Grösse der englischen Bevölkerung. Er mass erwachsene Männer und Frauen, multiplizierte das Mass der Frauen mit 1,08, um eine einheitliche Grösse zu haben, und untersuchte auch deren erwachsene Kinder. Da fand er, dass die Kinder von solchen Eltern, die nach plus oder minus vom Durchschnitt abwichen, auch in derselben Richtung abwichen, aber nicht so stark. Wenn der Vater und die Mutter z. B. grösser waren als der Durchschnitt, so waren die Kinder auch etwas grösser, der Unterschied war jedoch nicht mehr so gross wie bei den Eltern, sondern nur 2 /a so gross. Galton untersuchte das auch noch bei Samen von wohlriechenden Wicken Lathyrus odoratus und . fand dort auch eine solche Gesetzmässigkeit, aber nicht 2/a, sondern nur 1/3 Abweichung. Galton beobachtete ferner die Vererbung der Haarfarbe usw. bei Dachshunden und stellte folgendes Gesetz auf: Die Eltern geben dem Kinde die Hälfte der Erbmasse, die Grosseltern 1/4, die Urgrosseltern 1/s usw. Dieses Gesetz ist in vielen Fällen bestätigt worden, wenn man den Durchschnitt von grossen Zahlen nimmt. Betrachtet man aber einzelne Individuen und deren Nach kommen, so zeigt es sich nicht als gültig. Prof. Johannsen in Kopenhagen, derselbe, der das Aetherisierungsverfahren erfunden, beweist dies durch seine Versuche mit Bohnen. Er. kaufte sich 8 kg braune Prinzessbohnen, eine alte, an- . scheinend einheitliche und konstante Sorte, suchte die aller kleinsten, die allergrössten und die Durchschnittsgrösse heraus, und fand nach mehreren Jahren, dass die Bohnen, im ganzen gesehen, dem G a 11 o nschen Gesetz folgten; wenn er aber einzelne Bohnen nahm, fand er, dass grosse Ab weichungen vorkamen, dass Exemplare, die von einer Pflanze stammten, die im Durchschnitt kleine Bohnen geliefert hatte, auch manchmal grosse Bohnen brachten und umgekehrt. Die Beschaffenheit der Mutter- oder Grossmutterbohne hat nach Johannsen keinen Einfluss, sondern der ganze Stamm, oder wie er sagt, die „reine Linie“ entscheidet. Darum muss man die einzelnen Individuen untersuchen und von ihnen unter Ausschluss der Fremdbestäubung weiterzüchten, so erhält man „reine Linien“. Nun wollen wir uns der Hybridisation zuwenden, dem letzten und wichtigsten, aber auch schwierigsten Mittel zur Erzielung neuer Formen. Lange hat man geglaubt, dass beim Kreuzen eigentlich alles Zufall sei, aber ein Augustiner pater, Gr egor Men del, hat bewiesen, dass Gesetz mässigkeit existiert. Gregor Mendel wurde am 22. Juni 1822 in Heinzendorf bei Odrau (österr. Schlesien) geboren, trat als Novize 1843 in das Kloster Augustiner- | stift (Königinkloster) in Altbrünn ein, studierte 1851—53 in Wien und wurde, ins Kloster zurückgekehrt, zugleich Lehrer an der Realschule in Brünn und endlich Abt des Klosters, in welcher Stellung er in sehr ernste Kämpfe mit der Regierung kam. Er starb im Jahre 1884. Darwins Werk über die Entstehung der Arten 1859 mag in Mendel den Entschluss gereift haben, Kreuzungen vorzu nehmen. Er kam auf den glücklichen Gedanken, es mit Erbsen zu versuchen, weil Erbsen sich selbst befruchten. Er kreuzte u. a. Erbsen mit weissen Blüten mit Erbsen mit roten Blüten, und fand zu seinem grossen Erstaunen, dass die Nachkommen in der ersten Generation alle rot blühten. Das Rot ist demnach, sagte er, ein dominierendes Merkmal, das Weiss ein rezessives. Dieses Gesetz, dass die Eigenschaft eines der Eltern überwiegt, nennt Prof. C o r r e n s in Leipzig, früher in Tübingen, das P r ä vale nz- g e s e t z. In der zweiten Generation blühten nur 75% der Erbsen rot und 25 % weiss, also ein Verhältnis wie 3:1. Dasselbe hat Correns bei Brennessein gefunden. Eine Brennesselart, Urtica pilulifera, hat gezähnte Blätter, es gibt aber von ihr eine Abart, U. Dodartii, die ganz randige Blätter besitzt. Diese beiden kreuzte er, bekam in der ersten Generation lauter gezähnte Brennessein, in der zweiten Generation 75% gezähnte und 25% ganzrandige. Mendel sagte sich bei seinen Erbsen, als 75% rot und 25 % weiss erschienen, das muss dadurch zustande kommen, dass sich die Merkmale spalten. Die beiden Merkmale rot und weiss ‘bilden ein Merkmalpaar, sie bleiben während des ganzen Lebens des Bastardes 1. Generation bis einschliesslich der Blüte, wo ja das Rot dominiert, vereinigt • aber bei der Bildung der Samenanlagen und der Blütenstaubkörner spalten sie sich, sodass 50 c /o der Samen die Anlase für Rot, 50 % für Weiss erhalten, und ebenso bei den Blüten staub- oder Pollenkörnern. Dies ist das 2. Gesetz, das Spaltungsgesetz. Wie werden nun die 50 roten und 50 weissen männlichen Pollenkörner sich mit den 50 roten und 50 weissen Eizellen verbinden ? Nach der Wahr scheinlichkeitsrechnung wird sozusagen die Hälfte irregehen, es wird 50 mal vorkommen, dass rot nicht mit rot, sondern mit weiss zusammentrifft, dass wir also 50 Paar rot-weisse haben werden, und von der anderen Hälfte werden wir 25 Paar rot-rot und 25 Paar weiss-weiss finden. Dies kann man sich am besten durch folgenden Versuch von Darbishire klar machen. Ich habe hier 2 Kästen, in dem einen sind 50 rote und 50 weisse Pappscheiben; sie sollen die weib lichen Eizellen bedeuten, in dem andern sind ebensoviele, sie mögen die Pollenkörner sein. (Der Einfachheit wegen wollen wir die weiblichen Eizellen und die männlichen Pollenkörner Keimzellen nennen.) Ich bitte nun zwei Herren aus der Mitte der Versammlung, der eine aus dem einen Kasten, der andere aus dem andern Kasten ohne hin zusehen je eine Marke zu entnehmen und die beiden Marken nebeneinander zu legen u. s. f. Wenn gut gemischt ist, werden 50 mal rot mit weiss, 25 mal weiss mit weiss und 25 mal rot mit rot zusammenkommen. (Es kam in der Tat auch fast genau aus.) Man kann dasselbe auch mit 2 Spielen Karten, die recht viele Blätter haben, also z. B. Whistkarten, machen, muss dann aber alle schwarzen Karten als eine Sorte, alle roten als die andere ansehen. Auch durch Buchstaben lässt sich leicht beweisen, dass es so sein muss. Sei Rot A (wir wollen ein grosses A schreiben, weil Rot hier ein dominierendes Merkmal ist) und Weiss b, so haben wir in den 100 weibl. Keimzellen in den 100 männl. Keimzellen 50 A, 50 b 50 A, 50 b Von den 50 $ A werden sich verbinden 25 mit 25 8 A = 25 A A 25 „ 25 8 b — 25 Ab » » 50 $ b „ „ „ 25 „ 25 <5 A —25 Ab 25 „ 25 b = 25 b b