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Allgemeiner Anzeiger : 30.05.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-05-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191705304
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1917
-
Monat
1917-05
- Tag 1917-05-30
-
Monat
1917-05
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 30.05.1917
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Mege m die Tukunkt. — Das neue russische Regicrungsprogramm. — Der neue russische Minister des Nutzeren hat vor den Pressederireteru der Newahauptstadl sein Programm entwickelt. Natürlich ist es in erster Linie darauf berechnet, in die Weite zu wirken und die Verbündeten über die Sorge wegen eines etwaigen russischen Sonderfriedens zu trösten. Zugleich aber soll es das Land be ruhigen, dessen Friedensbedürfnis mit jedem Tage stärker wird. Demgemäh erklärte Tereschtschenko, die Hauptaufgabe sei, möglichst schnell den all gemeinen Frieden herzustellen, der weder die Herrschaft über andere Völker, noch die Be raubung ihrer nationalen Eigentümer beab sichtigt oder mit Gewalt fremde Erde nehme. Es müsse ein Frieden ohne Annexionen und ohne Kriegsentschädigung sein, der auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gegründet ist, ein Frieden, der in naher und unauflösbarer Vereinigung mit den verbündeten Demokratien errungen weiden müsse. Das freie Rußland werde von zwei idealen Motiven belebt, erstens, dem Wunsch.derWelt einen gerechtenFrieden zu schenken, der keiner Nation schadet, nach dem Kriege keinen Hatz schafft. Hatz bleibe immer zurück, wenn aus dem Kampfe eine Nation auf Kosten der anderen hervorgeht. 1870 sei ein Beispiel da- tür. Elsaß-Lothringens Hoffnung auf eine bessere Zukunft sei in den 45 Jahren nicht ge storben. Das Land habe nun ein Recht, die Verwirklichung seines Ideals zu erhoffen. Das andere Motiv sei das Bewußtsein, daß das Band, das die verbündeten Demokratien ver-! einigt, von dem revolutionären Rußland nicht gelöst werden könne. Mit Befriedigung stellte der russische Minister dann fest, daß keine einzige demokratische Partei, keine einzige Organisation Propaganda für einen Sonderfrieden gemacht habe. Eine Frage aber existiere, die imstande sei, zahlreiche Gruppen - der russischen Demokratie aufzuregen: das sei die Frage der von der zarischen Negierung ab geschlossenen geheimen Verträge. Diese Frage entzünde Leidenschaften innerhalb der russischen Demokratie, beunruhige sie und vermindere ihre Begeisterung. Daraus entstände die Forderung der unmittelbaren Veröffentlichung der Geheim verträge. Eine unmittelbare Veröffentlichung sei aber gleichbedeutend mit einem Bruch mit den Verbündeten und würde die Vereinsamung Rußlands mit sich führen. Sie würde mit Notwen digkeit eine Sonderstellung Rußlands Hervorrufen und wäre der Anfang zum Sonderfrieden, den das ! russische Volk nicht bloß aus Ehrgefühl, sondern § deshalb verwerfe, weil es verstehe, daß einen'Welt- krieg nur ein Weltfrieden beschließen könne. Nur dieser Frieden garantiere dem befreiten Rußland seine Wünsche. Rußland müsse vorwärts, pickst rückwärts blicken. Das Vertrauen zwischen den Verbündeten sollte aber wachsen, damit die pro visorische Regierung imstande sei, voibereitende Schritte zu einem Einverständnis mit ihnen zu unternehmen. Hierzu müsse aber das Russen volk seine Verpflichtung den Verbündeten gegen über auf gegenseitige Hilse und gemeinsamen f Kampf erfüllen. Darauf besürwortele Tereschtschenko die Neu-! belebung der russischen Militärmacht. Das Heer müsse jetzt für des Vaterlandes Unabhängigkeit und Wohlfahrt kämpfen. Eine Niederlage würde die Freiheit vernichten. Es sei lächerlich, gegen wärtig von Annexionspläneu der Verbündeten zu sprechen, wo Rußland, Belgien, Frankreich und Serbien ganz oder teilweise vom Feinde besetzt seien. Man könne jetzt nur die Frage der aktiven Verteidigung der nationalen Unab hängigkeit erörtern. Die Regierung betrachte es als Ehrenpflicht, definitiv zu erklären, daß sie den baldigen Frieden anstrebe. Wenn sie von einem Frieden ohne Entschädigung spricht, erkläre sie damit die Proklamierung einer passiven Verteidigung des freien Rußlands. Die Regierung werde niemals einwilligen, daß die jetzt von den Deutschen besetzten Gebiete, die infolge einer verbrecherischen Gleichgültigkeit des alten Re gimes geräumt wurden, unter dem Joch des deutschen Militarismus verblieben. Rußland könne nicht gleichgültig bleiben angesichts der Schick- > i'e Siudäns Belgiens Rumänien?. Der > an der Front entstandene Waffenstillstand müsse aufhören. Es sei eine Schande, die den deutschen Reichskanzler instand setzte, die Vermutung von einem Sonderfrieden nuszu sprechen. Ein Waffenstillstand an der Front sei, wie ein Bürgerkrieg, mit Rußlands Ehre und Würde unvereinbar. In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen erklärte der Kriegs minister Kerenski und Ministerpräsident Fürst Lwow, daß es . die Hauptaufgabe der neuen Regierung sein müsse, die Schlagkraft der Armee wieder herzusteüen! — Wir sind den Dingen zu fern, als daß wir beurteilen könnten, wie sich dieser Prozeß voll ziehen wird. Niemand vermag zu sagen, ob die neue Regierung in Rußland eine Beendigung der Krise herbeizuführen verinag, die das Laud von Tag zu Tag mehr erschüttert. verschiedene Nriegsnachrichten. Versenkung eineS englischen Riesen- dampfers. Holländische Blätter melden, daß nach der Erklärung derBesatzung des versenkten schwedischen Schiffes „Cordelia" dasselbe U-Boot einige Tage später den White-Star-Dampfer „Baltic" (23 876 To.) angriff. Das Schiff erhielt mehrere Treffer und hatte bald darauf schwere Schlagseite. Englische Torpedojäger eilten sofort zu Hilfe. Später hörte man, daß ein anderes U-Boot den „Baltic" zum Sinken gebracht hat. 4- Ei» glückhast Schiff. Nach Berichten aus Amsterdam ist zum ersten Male seit Ausbruch des Krieges wiederum ein deutscher Dampferin Dmuiden an gekommen. Es ist dies die „Bavaria" mit einer Ladung Holz auS Norrköping. * Die amerikanischen U-Boot-Jäger. Die ,Daily Maift meldet aus New Jork: Von den am 4. April auf Stapel gelegten U-Bool-Jägern sind jetzt drei zu Wasser ge gangen, also in sechs Wochen fertig gestellt worden. Achtzehn weitere werden bis Ende Mai vom Stapel laufen, und bis Ende September sollen 400 Stück fertig sein. In amerikanischen Marinekreisen verlautet, daß bis zum Herbst 250 amerikanische U-Boot-Jäger in europäischen Gewässern angekommen und tätig sein werden. — 50 °/o der amerika nischen Handelsschiffe, die sür den Ozeanverkehr in Frage kommen, sind jetzt bewaffnet worden. * Deutsche Gegenoffensive an der Westfront? Aus Paris wird halbamtlich gemeldet, die Deutschen bereiten im allgemeinen eineGegen- offensive auf einer Front von fa st 20 Kilometern vor. Am 19. d. Mts. während des ganzen Tages und auch in der Nacht überschüttete der Feind unsere Linien mit einem Geschützfeuer von gewaltiger Kraft und mit Geschossen jeden Kalibers. Der Artillerie kampf dauert mit äußerster Heftigkeit fort. Sarrails stockende Offensive. Der Korrespondent des Mailänder .Secolch meldet aus Saloniki: Die am 6. Mai be gonnene Offensive der Verbündeten stieß auf einen sehr heftigen Widerstand des kriegs erfahrenen Gegners. Das höllische Feuer der Deutschen und die von den deutschen Jägern mit unerhörter Wucht ausgeführten Gegenangriffe erlaubten es den italienischen Truppen nicht, von ihren Erfolgen die Vorteile zu erzielen, die sie zu erwarten berechtigt waren. Aus diesen ersten Unternehmungen nach einer längeren Ruhepause ist zu entnehmen, daß der Feind alle seine Bemühungen auf die Verstärkung seiner Defensivkräste mit schwerer moderner Artillerie und zahlreichen Maschinen gewehren verwendet hat. Auf diese Weise ge lang eS ihm nicht nur, seine Stellungen mit einer verhältnismäßig geringen Truppenzahl zu halten, sondern auch noch Reservelruppen frei zu machen, um sie mit Leichtigkeit dorthin zu werfen, wo sie am nötigsten sind. Archangelsk von den Engländern besetzt? Schwedische Blätter erfahren aus sicherer Quelle, die Engländer hätten mit 4000 Mann Archangelsk besetzt und beab sichtigen, auch die Strecke von Archangelsk bis Petersburg zu besetzen; die Japaner hätten > Charbin besetzt. — Man tut gut, diese Mel- düngen, bis sie eine amtliche Bestätigung er fahren, mit äußerster Vorsicht aufzunehmen. Das verblutende frankreick. Zwei Nachrichten sind in Frankreich mit ganz besonderer Freude begrüßt worden: daß Italien sich endlich zu einer neuen Offensive aufge schwungen und daß die ersten amerikanischen Soldaten -- wenn es auch nur Sanitäter sind — in England augekommen sind. Mit jener begeisterten Hoffnungssähigkeit, die tief im französischen Volkscharakter wurzelt, erwartet man nun mit Inbrunst die ersten freiwilligen Kämpfer aus den Ver. Staaten, die an Frank reichs Küste landen werden. Frankreich muß sehnsüchtig auf diese Unterstützung warten, denn seine Volkskrast ist am Verbluten. Das zeigt ein Blick auf die Statistik. Vor Ausbruch des Krieges besaß Frankreich nach Abzug der Fremdbürtigen eine Bevölkerung von rund 38,8 Millionen. Da die französische Regierung aus „guten" Gründen, das heißt aus verlässiger Kenntnis der Volkspsyche, bis her abgelehnt hat, Verlustlisten zu veröffent- i lichen, ist mit einwandfreier Sicherheit die Be- ! wegung und der Stand der Bevölkerung während der letzten drei Jahre nicht festzustellen. Was von Zeit zu Zeit über den Rückgang der Geburtenzahl veröffentlicht wird, bezieht sich auf einzelne Departements. Zudem waren und sind die volkreichen nordöstlichen Gebiete Frank reichs von Deutschland besetzt. Andere Anhaltspunkte für das Aussterben der Männer in Frankreich geben die Veröffent lichungen einzelner Berichterstatter des Senats und der Deputiertenkammer au die Regierung. So hat der Senator Berenger in einem Bericht ausgesührt, daß die. Nachmusterung der Untaug lichen und Zurückgestellten 65 000 Hilfssoldaten ergeben habe. Nun waren die Ansprüche, die schon im Frieden an den Heeres-Ersatz gestellt wurden, nicht sehr hoch. Im Kriege wurde ohnedies alles hereingenommen, was marsch- fähig war. Schon vor längerer Zeit wiesen Westschweizer Zeitungen auf den hohen Prozent satz Geistes- und Gemütskranker im sranzösischen Feldheer hin! Frankreich hat in die Tiefen seines Volks reichtums gegriffen. Unersetzliche Werte sind für immer verloren gegangen. Vor dem Kriege betrug die Zunahme der Bevölkerung jährlich 0,18 °/o gegen 1,36 °/a in Deutschland. In den letzten Friedensjahren hat in Frankreich die Geburtenzahl die Sterbeziffer um fünfzig- oder sechziglausend überstiegen. Die Kriegsverluste haben diese mühsam errungenen Fortschritte nicht nur zerstört, sondern sind auch der Beginn einer neuen und dauernd starten rückläufigen Bewegung der Bevölkerung. Jedoch sorgt die strenge Zensur dafür, daß besorgte Männer ihre Warnungsrufe und Betrachtungen über den rettungslosen Verfall des modernen Frankreichs nicht der Öffentlichkeit bekanntgeben. Aber Senator Berenger darf mitteilen, daß durch die Zivildienstpflicht rund 300 000 Mann der im Landesinnern Beschäftigten von Frauen abgelöst werden konnten. Diese sollen dem Generalstabe oder dem Ministerium sür Ackerbau überwiesen werden. Der neue Generalissimus Pstain weiß besser, was not tut. Und deshalb hat er eine dringende Drahtung nach Washington gesandt, um die amerikanischen Freiwilligen in Frankreich ausbilden — und sterben zu lassen. Man darf nun gespannt sein, wann die ersten amerikanischen Freiwilligen den deutschen Truppen gegenübertrelen und in welcher Anzahl sie auf dem europäischen Kriegsschauplatz er scheinen werden. Sicher ist jedenfalls, daß Präsident Wilson fest entschlossen ist, den Krieg gegen Deutschland aktiv, d. h. nicht nur durch finanzielle Unterstützung der Verbündeten und durch Waffen- und Munitionsliesernngen zu führen. Ob aber, wie er träumt, die Truppen der Ver. Staalen die Entscheidung an der Westfront bringen werden, ist . eine Frage der Zeil. Bestimm! aber können sie den Auflösungs prozeß in Frankreich nicht hindern. Frankreich verblutet sich ftir Englands Interessen. politilLks Kunälcbau. Deutschland. * In einer Unterredung mit einem ungarischen Pressevertreter erklärte der Bayerische Minister präsident Frhr. v. Hertling, daß der Krieg im Herbst beendet sein werde. Unsere Marine erfüllte mehr als sie versprach, mit den U-Boot-Erfolgen sind wir völlig zufrieden. Eine andere' Frage ist, welche Wirkung die Versenkungen auf England haben. Dies könNS» wir von hier nicht beurteilen. Die nächste Zu kunft wird allenfalls Licht in diese Frage bringen. Die Hoffnung der Feinde auf inner deutscheu Zwiespalt bezeichnete der Minister präsident als chimärenhaft. * Die Regierung derNepublikLiberia hat in einem au ihren bisherigen Geschäfts träger in Berlin gerichteten Telegramm mitge teilt. daß sie als Einspruch gegen den unein geschränkten Unterseebootkrieg, der das Leben der liberianischen Passagiere und Seeleute auf den Schiffen der Verbündeten und Neutralen bedrohe und liberianischen Staatsangehörige schweren finanziellen und wirtschaftlichen Schädi gungen aussetze, die Beziehungen zu Deutschland abgebrochen habe. Österreich-Ungarn. *Aus Anlaß der bevorstehenden Wieder eröffnung des Reichsrates hat Kaiser Karl die Führer der parlamentarischen Parteien zwecks Aussprache über die politische und parlamentarische Lage empfangen. Die Audienz erfolgte nicht gemeinsam, sondern eine Parteigruppe wurde nach der anderen in den Audienziaal gefordert. Eine Ansprache wurde von keinem der Deputationsführer ge halten, da der Kaiser die Besprechung selbst ein leitete. Der Monarch sprach die Hoffnung aus, daß die Arbeiten des Parlaments von Erfolg begleitet sein möchten. Schweden. * In dem Ausruf, den der Ausschuß der holländischen und skandinavischen Sozialisten an die internationalen Sozialisten-Verbände erläßt, heißt es, die Besprechungen in Stockholm sollen der Wiederherstellung der Internationale dienen. Es sollen Be sprechungen mit den Vertretern der einzelnen Parteien der kriegführenden Länder stattfinden, um Möglichkeiten der Lösung der Friedensfrage erwägen zu können. Dazu soll Stockholm als dauernder Mittelpunkt dienen. Jede etwaige Beeinflussung von selten einer Regierung wird von vornherein zurückgewiesen. *Die schwedische Regierung erließ ein Ausfuhrverbot für Fische, die in schwedischen Gewässern oder in der Ostsee, im Öre sund, Kattegat oder Skagerrak gefangen worden sind. Rußland. * Nach den russischen Berichten, die in Holland eintreffen, besteht in Rußland gar keine ein heitliche Regierungsgewalt mehr. In der Hauptstadt arbeiten die provisorische Re gierung und der Arbeiter- und Soldalenrat neben- und gegeneinander. In fast jeder größeren Provinzstadt bildet sich eine eigene provisorische Regierung, die sich um die aus Petersburg kommenden Befehle nicht im mindesten kümmert, eigene Gesetze vorschreibt und die Steuern nicht sür die Zentralregierung, sondern sür sich aus hebt. Zahlreiche Steuerträger verweigern unter solchen Umständen jede Steuerzahlung, was die Verlegenheiten aller „Provisorischen Regierungen" erheblich vermehrt. Die mittleren und östlichen Gouvernements des ehemaligen Zarenreiches verwalten sich jetzt ganz unabhängig, und in einigen südrussischen Gouvernements bereitet sich ganz offenkundig eine monarchische Gegenrevo lution vor, die Nikolaus Nikolajewitsch auf den Zarenthron setzen will. Schließlich steht der Mißerfolg der russischen „Freiheitsanleihe" schon jetzt seit. friede Sörrensen. Sj Roman von H. Courths - Mahler. Fortsetzung.) Und das Schlimmste war, liebe Friede, daß mir nun jede Hoffnung genommen war, unsere Verhältnisse zu verbessern. Ich mußte quittieren. Daß wir von nun an ein anderes, sehr be scheidenes Leben führen mußten, war mir klar. Ich überlegte mir alles und wollte mit Lizzi beraten, wie wir uns einschränken könnten. Heute morgen ließ ich sie rufen und sprach idr von meinem beabsichtigten Sparsystem. Sie über weigerte sich, darauf einzugehen, und sagte mir kurz und bündig, daß sie sich mit Dir ver söhnen und Deine Hilfe in Anspruch nehmen wollte. Als ich mich wehrte, rief sie mir ins Gesicht, daß nur ich zwischen ihr und ihrer Schwester stehe — nur ich. Dieses Wort durchleuchtete wie ein Blitz meine Seele. Mein Tod würde den Weg fieimachen zu Dir, sür Lizzi — und für meine Kinder. Ja, Friede — sür meine Kinder — für sie gehe ich mit Freuden den Weg ins dunkle Nichts. Ich weiß, Du bist zu großmütig, die Kinder entgelten zu lassen, was die Eltern Dir getan. Ich wußte auch, es hätte mich nur ein Wort gekostet, dann hättest Du uns Deine Hilfe geboten. Der Lebende durste dies Wort nicht sprechen — aber der Tote darf es. Nicht wahr, Friede — Du hiljlt meinen Kindern? Ich kann ihnen nicht mehr Stab und Stütze Kin. Sei Lu es l Nun nur noch ein letztes Wort Wer meine Kinder. Hans, der Älteste, und Ellen, die Jüngste, sind echte Kinder ihrer Mutter. Du kennst Lizzi — so kennst Du auch dis Leiden. Lasse Dich nicht blenden durch meines Sohnes Liebenswürdigkeit, durch Ellens schmeichelnden Liebreiz. Sei diesen beiden eine strenge Tantel Hilf ihnen — aber hilf weise! Zeig ihnen nicht zu offen Dein gütiges Herz, sie würden es mißbrauchen. Du sollst gewarnt sein, trotzdem eS meine eigenen Kinder sind. Doch angesichts des Todes darf man wahr sein. Und nur weise Strenge kann diesen beiden dienlich sein. Anders ist es mit meiner Ruth, meiner ältesten Tochter. Das ist eine feine, stille Seele, Friede, stark in der Liebe zu mir, fest und treu gegen sich und andere. Sie hat mich so oft an Dich gemahnt. Aber nicht deshalb will ich sie vorziehen und sie Dir besonders ans Herz legen. Die beiden anderen wissen selbst ihren Vorteil auszunützen und werden durch Lizzi unterstützt. Ruth ist bescheiden. Sie wird unterdrückt und ausgenützt von der Mutter und den Geschwistern. Ich weiß, sie wird nichts für sich von Dir bitten. Deshalb bitte ich für sie. Ruth wird am härtesten getroffen werden durch meinen Tod. Ziehe sie in Deine Nähe, lerne sie kennen — ich glaube, Du wirst durch dieses mein Ver mächtnis nicht weniger gewinnen als sie. Es ist mir ein lieber Gedanke, daß ihr beide euch nach meinem Tode etwas sein werdet. Das ist alles, was ich Dir zu sagen hatte. Ich hoffe, meine Worte haben den Weg zu Deinem Herzen gesunden. Nun noch ein letztes LebewobÜ Friede — Du mein Friede, den ich im Leben verscherzte und nun im Tode wieder- l zufinden hoffe. Dein getreuer Fritz Steinbach." Mit großen, weit geöffneten Augen sah Friede Sörrensen noch lange über den Brief hinweg ins Leere. Ihre Seele hielt stumme Zwiesprache mit dem Toten, der ihres Lebens Glück und Verhängnis gewesen war. Wie eine warme Welle waren seine letzten Worte über sie dahingeflutet. Geliebt sein — so geliebt sein bis ans Ende — da, wo man mit heißem Schmerz sich verschmäht, verworfen glaubte, — welch ein reicher Trost war das sür alle Qualen, die sie erduldet l Dieser Brief löschte alle Bitter keit aus, die je in ihr gelebt hatte. Mit klaren Augen sah sie heute über das Geschehene hinweg und erkannte, wie abhängig der Mensch ist von den Launen des Schicksals. Es konnte sie nicht tief berühren, daß Lizzi sich ihr nur aus eigennützigen Gründen nähern wollte, was lag daran! Sie hatte heute ein Geschenk erhallen, das alles andere aufwog. Geliebt — geliebt von ihm, den sie nie hatte vergessen können! Und seine Lieblingstochter legte er ihr ans Herz. In all den auf sie einstürmenden Empfin dungen wurde auch eine Stimme laut, die an ihr eigenes Gewissen pochte. Hafte sie recht daran getan damals, als sie Fritz Steinbach so schroff von sich wies? Durfte sie ihn so kampf los aufgeben? Die Liebe soll geduldig sein, nicht schroff und stolz. Sie hatte ihn in diese Ehe Hineingetrieben, statt ibn mit aller Kraft an ihrer Seite festru ¬ halten, nur, um ihrem verletzten Stolz Genüge zu tun. Wie freudlos mußte sein Leben gewesen sein. DaS rastlose Mühen, der aufreibende Kampf un» die Existenz und das drückende Bewußtsein seiner Schuld — das waren lauter Bitterkeiten. Und neben ihm, kalt und verständnislos, ein Weib wie Lizzi. Nun hatte er sein zerstörtes Dasein selbst vernichtet, er atmete nicht mehr — lag mit zerschossener Stirn auf seinem letzten Bett. — Eine jähe Gewalt trieb sie bei diesem letzten Gedanken empor. Hin zu ihm! Ein letzteS- mal noch in seinen stillgewordenen Zügen lesen — ein letztesmal ihre Hand auf die seine legen, im feierlichen Gelöbnis, sein Vermächtnis hoch- zvhalten, gutzumachen an seinen Kindern, vor allem an Ruth, was sie im herben Stolz ver säumt hatte — und in feiger Zurückhaftung. Jawohl, Friede Sörrensen, feig bist du gewesen, seig und kleinmütig. War er denn keines Kampfes wert? So stark wähntest du zu sein — und warst doch schwach und verzagt! — Mit fieberhafter Eile rüstete sich Friede zur Reise. Mutter Triebsch und Lies packten schnell einige Sachen, während Friede im Kursbuch nachsah, wann der nächste Zug nach Berlin ging. Dann gab sie ihren beiden Getreuen Ver haltungsmaßregeln sür die Zeit ihrer Abwesen heit. Schließlich war sie viel zu früh fertig ge worden. Aber zu Hause hielt es sie nicht mehr. Sie beschloß, den Weg zum Bahnhof zu Fuß zurückzulegen. Mutter Triebsch gab ihr das Geleite bi»
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