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Allgemeiner Anzeiger : 16.10.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189710165
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- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1897
-
Monat
1897-10
- Tag 1897-10-16
-
Monat
1897-10
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 16.10.1897
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Politische Rundschau. Deutschland. * Die Nachrichten über den Stand des deut schen Militärstrafprozesses leiden über wiegend an einer gewissen Unvollständigkeit. Es ist nicht richtig, so wird offiziös versichert, daß die betreffenden Verhandlungen zwischen Berlin und München abgebrochen find; sie dauern fort und find nach den bekannten hochoffiziösen Mit teilungen beinahe zum positiven Abschluß ge langt, was allerdings noch nicht ein endgültiges Gelingen bedeutet. * Von den kritischen Eisenbahnmonaten dieses Jahres wird in den Nachweisen des Reichs- Eisenbahnamtes über die Betriebsunfälle auf deutschen Eisenbahnen nun der August behandelt. Er brachte 216 Betriebs unfälle, davon waren 35 Entgleisungen, 23 Zu sammenstöße; sodann werden 158 „sonstige Betriebsunfälle" verzeichnet; 62 Personen wur den getötet, darunter 11 Reisende und 35 Bahn beamte und Arbeiter im Dienst; verletzt wurden 162 Personen. Auf 184 Kilometer kam ein Betriebsunfall. * Die Ernennung des Direktors Gaebel zum Präsidenten des Reichsver sicherungsamtes ist nunmehr vollzogen worden. *Der Gesetzentwurf über die Entschädi gung unschuldig Verurteilter, der dem Reichstag in der nächsten Tagung zugehen soll, wird der Münchener ,Allg. Ztg.' zufolge im wesentlichen die Punkte berücksichtigen, worüber in der Kommission des Reichstages ein Einverständnis erzielt worden war. Das Wiederaufnahmeverfahren soll nicht in allen Fällen stattfinden können, wenn eine Frei sprechung erfolgte, sondern nur dann, wenn die Unschuld festgestellt worden ist. *Nach dem,Hann. Kour.' kann als sicher angenommen werden, daß die Vorlage wegen Erhöhung der Postdampfersubven tion den deutschen Reichstag alsbald nach feinem Zusammentritt wieder beschäftigen wird. * Der neugewählte säsische Landtag zählt 50 Konservative, 19 National liberale, 5 Fortschrittler W- 8 Sozialdemokraten. , * Die J'^tlzgöietzgcbungs-Kommission der wür sembergischen Abgeordnetenkammer hüt einen Paragraph der Polizeistrafgesetznovelle angenommen, in dem Wirte strafbar sind, wenn sie Personen unter 16 Jahren geistige Getränke verabreichen. Oesterreich-Ung-rn. *Mit der immer dringlicher werdenden Bei tragsleistung beider Reichshälften zu den ge meinsamen Ausgaben hat sich am. Montag unter Vorsitz des Kaisers ein Minister-' rat der gemeinsamen Minister beschäftigt und eine endgültige Entscheidung getroffen. Der Vor anschlag soll sich günstiger gestalten, als der laufende Staatshaushalt. Der Tag des Zu sammentritts der gemeinsamen Delegationen ist übrigens noch nicht fcstgestellt. *Jn Bozen soll, einer Meldung der .Franks. Ztg.' zufolge, nach der Vertagung des Reichsrats ein deutscher Volkstag statt finden, wozu die Abgeordneten der deutschen Obstruktionsparteien eingeladen wurden. Zwanzig haben ihre Teilnahme bereits zugesichert. Frankreich. * Die zwischen Frankreich unb Bra silien schwebenden Grenzstreitigkeiten in Guyana sollen durch ein Schiedsgericht beigelegt werden. England. "Der Notstand in Irland, hervor gerufen durch die mißratene Kartoffel ernte, hat eine Bittschrift von 64 irischen nationalistischen Abgeordneten zu Gunsten einer sofortigen Einberufung des Parlaments veran laßt, um Mittel zur Linderung des durch den Kartoffelmißwachs in Westirland erzeugten Not standes zu machen. Der erste Schatzamtslord Balfour erklärte darauf, die Regierung beab sichtige nicht, die nächste Tagung des Parlaments mit der irischen Bodengesetzgebung zu beschäftigen. Der Kartoffelmißwachs erheische keine außer ordentliche Gesetzgebung, da es in der Macht der irischen Vollzugsregierung liege, irgend.welche erforderliche Maßregeln zu treffen. Italien. *Jn Italien stehen im Ministerium Veränderungen bevor. Um dieselben zu erleichtern, wird Rudini wahrscheinlich den Rück tritt des gesamten Ministeriums anbieten. ,Populo romano' schreibt: „Die Frage ist nur, ob Rudini, der gewisse Erfahrungen als Seil tänzer gesammelt und sich sogar in Luftsprüngen von der äußersten Rechten nach der äußersten Linken versucht hat, ferner das Gleichgewicht zu bewahren vermöge." Der Sturz Rudinis gilt indessen als nicht wahrscheinlich. Holland. * Staatsministcr JanHeemskerk, früher wiederholt Ministerpräsident, ist in der Nacht zum Sonntag gestorben. Svanien. * Der Ministerrat hat die Notwendigkeit anerkannt, Verstärkungen nach den P Hi li p p i n e n zu schicken. Die Abberufung des Generals Primo de Rivera von dort wird un mittelbar erwartet. Dem .Jmparcial' zufolge sollen die Aufständischen in sechs Provinzen feste Stellungen inne haben. * Gegen den von Cuba abberufenen General Weyler, dem man Bestechlichkeit vorwirst, soll eine Untersuchung eingelcitet werden. Sein Nach folger, General Blanco, hat den Auftrag erhalten, mit den Aufständischen wegen Frieden unter Anerbieten der Selbstverwaltung für Cuba zu unterhandeln. Rustland. *Am Frestag wird in Wilna der Grund stein des Denkmals für den Grafen Mura- wiew, den bekannten Unterdrücker des polnischen Aufstandes von 1863, ge legt. Alle Bemühungen der russischen Polen, die Errichtung eines Murawiew-Denkmals zu hintertreiben, find erfolglos geblieben. Die Thatsache, daß die Errichtung des Murawiew- Denkmals gerade jetzt, wo eine neue Aera in den russisch-polnischen Beziehungen eingetreten M ffelck schien, vorgenommen wird, ist zur Kenn zeichnung der gegenwärtigen polnischen Politik der russischen Regierung von Bedeutung. Balkanstaaten. *Jm Orient geht die Regelung der Ver hältnisse ihren abgemessenen Gang. Verschiedene Kommissionen werden nun demnächst in Thätigkeit treten. Auch die Mißhelligkeiten an der persisch-türkischen Grenze sollen nunmehr aus dem Wege geräumt werden. Wie verschiedene Konstantinopeler Blätter melden, hat die persische Regierung die Vorschläge der Pforte bezüglich der Ernennung einer gemischten militärischen Kommission und Einsetzung einer Kommission behufs Grenzregulierung angenom men. — Für die griechische Finanz kommission trifft der deutsche Bevollmächtigte als erster am Donnerstag in Athen ein. Die übrigen Großmächte haben ihre Bevollmächtigten noch nicht ernannt. * Prinz Georg von Grienland ist nach achtmonatiger Abwesenheit wieder in Athen eingetroffen, doch begab der Prinz, der am Bahnhof von den Ministern empfangen wurde, sich alsbald nach dem königlichen Landsitz Tatoi. Ebenfalls am Sonntag trafen der Kron prinz und Prinz Nikolaus in Laurium ein und begaben sich von dort ebenfalls direkt nach Tatoi. — Eine traurige Heimkehr, wenn man daran denkt, mit welch ausschweifenden Hoffnungen es die griechische Nation begrüßte, als der volksbeliebte Marine-Prinz mit dem Torpedogeschwader nach Kreta in See ging und der Kronprinz nach Thessalien zum Angriffs heere abreiste. * General Smolensk i, der griechische Kriegsminister, erklärt, er erblicke feine Aufgabe lediglich in der Reorganisation desgriechische nHeerwesens. Das wichtigste sei die Einführung einer eisernen Mannes- zücht, deren Vorbedingung die Schaffung eines von allen parlamentarischen Einflüsfen freien Offizierkorps sei. So lange noch kein Gesetz bestehe, das den im aktiven Dienst stehenden Offizieren die Uebernahme eines Ab geordnetenmandats verbiete, müsse der König von seinem Rechte als oberster Kriegsherr Ge brauch machen und alle Offiziere, welche zugleich Abgeordnete seien, zur Einreichung ihres Ab schiedsgesuches veranlassen. "Ein ernster Ar ab er aufstand soll in Bassorah ausgebrochen sein. Türkische Truppen aus Erzinghian find nach Bassorah gesandt. Amerika. * Der Kongreß in Washington soll um einen Kredit von 42 Mill. Dollar für die Marine und fürHafenbefestigungen angegangen werden; davon sind acht Mill, für im Bau befindliche Schiffe, eine Million für rauchloses Pulver bestimmt. Schnlärrtr. Ueber die Thätigkeit der Schulärzte in Dresden schreibt das amtliche,Dr. I.': Die seit einem Jahrzehnt vielfach erörterten Schul- arztfrage ist in Dresden zur Befriedigung der beteiligten Kreise als glücklich gelöst zu betrachten. Sämtliche städtischen Schulen find einer Anzahl von Schulärzten unterstellt; jedem der Schul ärzte sind bestimmte Schulen zur ärztlichen Ueberwachung übertragen. Die Schulärzte untersuchen die Kinder auf ihren Gesundheits zustand, prüfen die Augen, das Gehör, die Wirbelsäule und untersuchen sie auf etwaige besondere körperliche Gebrechen. Bei gebrech lichen Kindern entscheiden fie, ob sie z. B. zum Turnen herangezogen oder dispensiert werden sollen. Bei ihren öfteren Besuchen der Schul- Häuser und Schulzimmer beachten fie die Zimmer wärme, die Reinigung und Lüftung der Zimmer, machen die Lehrer auf die gefundenen Gebrechen der Kinder aufmerksam und empfehlen die be treffenden Kinder der Berücksichtigung. Ist ein Kind von einer ansteckenden Krankheit genesen, aber von keinem approbierten Arzte behandelt worden, so wird es vom Direktor dem Schul ärzte zur Untersuchung überwiesen, der dann entscheidet, ob die Gefahr der Ansteckung be seitigt ist und das Kind den Unterricht wieder besuchen darf. Auch hat der Schularzt zu ent scheiden, ob und auf welche Zeit ein Kind ganz oder teilweise vom Unterrichte zu dispensieren ist. Mr die Lüftung der Schulräume hat die Schulbehörde im Einverständnis mit den Schul ärzten genaue Vorschriften über das Oeffnen und Schließen von Fenstern und Thüren zum Zweck der Lufterneuerung während der Unter richtszeit zu erlassen, welche die Lehrer zu befolgen haben. Beim Ausbrechen von ansteckenden Krankheiten hat der Schularzt zunächst Unter suchungen anzustellen und den Bezirksärzten und den Schulbehörden Bericht zu erstatten, welche dann im Einvernehmen mit den Bezirksärztcn die nötigen Anordnungen treffen. Bei den ver schiedenen ansteckenden Krankheiten, wie: Keuch husten, Masern, Scharlach und Diphtheritis, ist durch Verordnung genau bestimmt, wann die Kinder wieder zum Schulbesuche zuzulassen sind. Soll ein Kind früher wieder die Schule besuchen, so hat der betreffende Schularzt sich gutachtlich dem Direktor gegenüber zu äußern. Erst nachdem die Genehmigung durch ein ärzt liches Attest erfolgt ist, darf das Kind wieder ausgenommen werden. Ueberhaupt haben die Schulärzte in allen auf die Schulgesundheits pflege bezüglichen Fragen erstinstanzlich sich zu äußern. Bei Neu-, Um- und Neparaturbauten von Schulhäusern haben nach der Instruktion für die Bezirksärzte vom 10. Juli 1884 die Bezirksärzte die Bauplätze, in jedem Falle aber die Baupläne und nach Fertigstellung der Ge bäude die letzteren selbst vor der Ingebrauch nahme in gesundheitlicher Beziehung zu prüfen, auch in den Volksschulen und höheren Lehr anstalten Revisionen in Gemeinschaft mit den Schulärzten vorzunehmen und über etwaige Uebelstände den zuständigen Behörden unter gutachtlicher Auslassung über die Abstellung der Uebelstände Mitteilung zu machen. Aehnliche Vorschriften finden wir zwar in vielen deutschen und europäischen Staaten, Schulärzte find aber nur in Frankfurt a. M., Breslau und Dresden angestellt. Hoffentlich findet die Begründung von Schularztstellen allmählich auch an anderen Orten immer mehr Eingang. Kon Uah ««d Fern. Schwerin. Auf dem Sarge des Herzogs Friedrich Wilhelm in der Heiligen Blutskapelle des Schweriner Domes wird die von der Marine gespendete deutsche Marine-Kriegsflagge für immer liegen bleiben. Vorläufig liegen auch noch Hut und Schärpe des Herzogs, der, wie bekannt, seinen Tod beim Untergang des Torpedo bootes „8 26" fand, auf dem Sarg, ebenso der Kranz mit dem Heimatwimpel, den die Mutter des Verstorbenen dort niederlegte. Die Grotte, in welcher der Entschlafene ruht, gewährt jetzt mit dem reichen Blumenschmuck einen schönen Anblick. An der mittleren Wand find aus schließlich die Kränze der Marine aufgehängt. Die kostbaren Schleifen find alle so hervor- gezögen, daß man die Inschriften lesen kann. Die beiden Taucher Andersen und Robolski, denen bekanntlich die Bergung der Leichen des gesunkenen Bootes gelang, haben eine Ein ladung nach Schwerin erhalten, um der Groß herzogin Marie über ihre Arbeiten Bericht z« erstatten. Königsberg. Die Erträgnisse der Opsee- fischerei sind in den letzten 20 Jahren stetig zurückgegangen, so daß sich ein Teil der Fischerei bevölkerung geradezu in einer Notlage befindet. Man muß die Schuld zumeist der schlechten Be- schaffenheitderFanggeräteznschreiben. Schwedische Fischer z. B., die besseres Fangzeug, moderne Kutter rc. haben, erzielen auch bessere Ausbeute. Der deutsche Fischereiverein strebt deshalb die Anschaffung vervollkommneter Fanggcrätc an; er wird die Fischer, soweit es möglich ist, dabei finanziell unterstützen. Wörishofen. Am Sonntag fand hier die feierliche Enthüllung eines Denkmals statt, das die dankbaren Kurgäste von Wörishofen dem verstorbenen Prälaten Kneipp in Form eines Brunnens gesetzt haben. An eine prächtige, stolze Fichte, die von einer hübschen Felsgruppe umgeben ist, lehnt fich ein Brunnen, dessen oberste Stelle eine geschmackvolle Urne ziert. Die mit Säulchen flankierte monumentale Tafel birgt in ihrem oberen Teile das als Relief in Marmor ausgeführte Bild Kneipps. Darunter befindet fich die Inschrift: „Dem großen Wohl- thäter der Menschheit Vater Kneipp zu seinem 76. Geburtstag, die dankbaren Kurgäste. Wöris hofen, den 17. Mai 1897." Kassel. In der hiesigen Wohnung seiner Mutter erschoß fich der Einjährig-Freiwillige Lutter vom 26. Dragoner-Regiment aus Stutt gart in demselben Augenblick, als ein Gendarm eintraf, um ihn auf Veranlassung des Regiments zu verhaften. L. war am 1. Oktober bei letzterem eingetreten und hatte sich aus un bekannten Gründen von demselben heimlich ent fernt. Landsberg a. W. Durch eine unheim liche Sendung wurde hierselbst der Weingroß händler Richard Schroeter überrascht. Es kam eine schmale 1 Meter lange Kiste an mit der Aufschrift „Lebende Tiere". Die Kiste war aus Südamerika. Als fie geöffnet wurde, fand man in ihr zwei lebende, je drei Fuß lange Alliga- tore. Den Tieren, die nebeneinander verpackt waren, waren die Rachen fest zugebunden. Der Weinküfer hatte den Mut, diese einzigen Fesseln der Tiere zu lösen. Jetzt find fie in einem passenden Behälter untergcbracht. Die Tiere waren drei Wochen ohne jede Nahrung unter wegs. Sie find ziemlich lebhaft, fahren in die Höhe, wenn man fie reizt. Die merkwürdige Sendung ist von einem Schwager des Wein- Händlers, der in Amerika lebt, und zu dem letzterer im Scherz vor ein paar Jahren einmal gesagt hatte, er möchte gern ein Paar Krokodile haben. Posen. Vor einiger Zeit wurde hier er zählt, ein Gerichtsvollzieher habe in einem Restaurant der Oderstadt von den Gästen die Zahlung ihrer Zeche gefordert. Die .Posener Morgenztg.' nahm eine entsprechende Notiz auf. Da die hiesigen Gerichtsvollzieher sich darüber beleidigt fühlten, wird die Sache wohl ein gerichtliches Nachspiel haben. Inzwischen ver lautet, daß ein kürzlich bestrafter Agent unter der Maske eines Gerichtsvollziehers thatsächlich Gelder in einem hiesigen Restaurant eingezogen haben soll. Der Schmied von Merborn. 13j Roman von E. v. Borgstedt. (Fortsetzung-! „Bärbel," sagte Friede! leise, mit tiefer Trauer, „du hier? Mußt du denn immer wieder die alten Wunden aufreißen? Den Schmerz hättest du dir ersparen sollen, armes Mädchen." „Es schmerzt nicht mehr," klang es bebend zurück; aber funkelnde Thränen füllten plötzlich Bärbels Augen und erstickten ihre Stimme. „Komm," fuhr Friedel fort uud zog fie mit sanfter Gewalt vom Kruge zurück; „nicht länger darfst du hier stehen. Weiß denn Fräulein Gun dula, daß du hier bist?" „Ja," entgegnete Bärbel, gewaltsam ihr Schluchzen unterdrückend, „ich habe ihr alles, alles gesagt, und fie hat es erlaubt! Ach, Friedel, fie ist auch unglücklich; Fräulein Ulrike will ihr nicht den Herrn Rittmeister zum Mann geben." „Was, meinen Herrn Rittmeister nicht?" ries Hellmann heftig. „Gibt's denn einen braveren Menschen ringsum? Das ist schlecht von dem gnädigen Fräulein, so zu handeln; wahrhaftig, ich habe immer für fie gesprochen, aber das ist zu stark! Ich habe mich stets ge- freut, wenn Fräulein Gundula so glücklich aus- fah, und nun " „Geweint hat Fräulein Gundula nur am ersten Tage," erzählte Bärbel weiter; „fie glaubt fest, daß der Herr Rittmeister ihre Heirat durch fetzen wird; aber lachen hört man fie auch nicht mehr." Dann blieb das Mädchen stehen und bot ihm die Hand. „Gute Nacht, Friedel," sagte fie freundlich, „gute Nacht und schön' Dank." „Wofür, Bärbel ? Du hast nichts zu danken; aber allein nach Ellerborn hinauf kannst du nicht in der Nacht, das geht auf keinm Fall, ich gehe mit dir." „Nein, Friedel, das ist zu viel, das kann ich nicht annehmen," und plötzlich brach Barbara in krampfhaftes Weinen aus und schlug beide Hände vor das Gesicht. Der Schmied stand ganz bestürzt da, dann sagte er ernst: „Wenn ich dir nicht paß', Bärbel, sprich es ruhig aus; du hast mich von jeher nicht recht leiden mögen, ich weiß es wohl, und ich gehe! Denk' nicht, daß ich dich quälen will mit meiner Gesellschaft, ich dachte nur, ich —" und plötz lich stockte Friedel und wurde rot. Er hatte eine Unwahrheit sagen wollen ; nicht allein die Besorgnis um das Mädchen ließ ihn seine Be gleitung anbieten, er hätte fich ja nimmer von ihr trennen mögen, das war der Hauptgrund, welcher ihn leitete. Nach einer Pause fuhr er fort: „Gute Nacht denn, und komm' gut heim!" Er wandte fich zum Gehen, da fühlte er seine Hand erfaßt, und Bärbels dunkle, thränen- volle Äugen blickten ihn flehend an. „Geh' nicht so im Groll von mir, Friedel!" flehte fie leife. „Heute hast du mich nicht recht verstanden. Verdient habe ich, daß du so zu mir sprick ff, weil ich mich immer schlecht be tragen gegen dich; aber glaube mir, ich weinte um etwas anderes. Begleite mich, wenn du willst, ich fürchte mich allein im dunklen Walde." Der blonde Riese folgte gehorsam, aber schweigend, er schien es noch nicht fassen zu können, daß es Barbara war, welche so zu ihm sprach. Er hatte vergessen, ihre Hand los- zulasten, und das Mädchen scheute fich, fie zurückzuziehen, um ihm nicht abermals wehe zu thun. So stiegen fie aufwärts, der Ruine zu, wie zwei, welche zufammen gehörten. Ein Rauschen und Raunen, ein Wehen und Flüstern lief durch die Bäume, und doch schlief der Wind; gespenstische Schatten, unerklärliche Töne ängstigten Bärbel, lautlos schwebten die Nachtvögel durch die Stämme und berührten fie fast mit ihren Fittigen. Hin und wieder brach ein Ast unter den Tritten eines Wildes. Mehrmals schrie das Mädchen entsetzt auf und klammerte fich an ihren Begleiter, sie fürchtete fich namenlos, die Schmerzen der letzten Zeit hatten selbst ihre starken Nerven erschüttert. Friedel mußte lächeln, ihm kam es so seltsam vor, daß man beben könne vor Waldesrauschen und harmlosen Tieren, welche ihrer Nahrung nachgingen; aber er sagte ermutigend: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, Bärbel, dir thut hier niemand etwas, und im Notfall bin ich ja bei dir, um dich zu schützen. Du weißt nicht, Mädchen, was ich darum gäbe, dein Leben sicher und ruhig zu machen!" Er preßte ihre Hand mit eisernem Drnck zu sammen, und seine Stimme zitterte leicht. Barbara befreite ihre Rechte und trat von ihm zurück, ihre Wangen bedeckten sich mit heißer Röte, aber Zorn empfand fie nicht gegen Friedel, und dieser bereute, seine Gefühle ver raten zu haben. Wie würde er es ertragen, wenn fie fich abermals von ihm wandte und ihn nickt gern sah? Hellmann vergaß, daß über Bärbels Herzensfrühling unterdessen der Frost gekommen war, daß Stolz und Uebermnt zertreten am Boden lagen, daß sie es heute als Gnade empfand, was vordem ihren Unwillen erregt hatte. Und wie fie nun vorwärts schritten, er hier und fie da, in der linden Juni nacht, trat leise, ungesehen der Engel des Frie dens zwischen fie und wob unsichtbare Bande von einem zum andern. Run tauchte in dem Dunkel der Nacht die Ruine empor, jetzt standen die beiden am Gartenpförtchen, und Bärbel fühlte, daß es an ihr sei, das lange Schweigen zu brechen, daß fie fich bedanken müsse für die Mühe, welche fie dem Schmied gemacht. Er hatte ihr einen Teil der Nachtruhe geopfert; wie undankbar also, ginge fie schweigend davon. „Friedel," sie berührte leicht seinen Arm, dicht vor ihn hin tretend, „habe Dank! Leid thut es mir, daß du um meinetwillen den weiten Weg zurückgehen mußt. Fürchtest du dich auch nicht?" Er lachte herzlich. „Fürchten, ich? Wo denkst du hin, Bärbel, wozu hätte ich denn meine beiden Arme» Schlüpf' nur ins Haus, ich will erst sehen, ob du auch glücklich hinein kommst." „Das ist nicht nötig, geh' nur, Friedell" „Gute Nacht denn," sagte der Mann, und
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