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Allgemeiner Anzeiger : 06.02.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-06
- Sprache
- Deutsch
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- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189702065
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- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1897
-
Monat
1897-02
- Tag 1897-02-06
-
Monat
1897-02
-
Jahr
1897
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 06.02.1897
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Politische Rundschau. Deutschland. *Murawiews Besuch in Berlin war kein bloßer Höflichkeitsakt, als welchen ihn die Franzosen gern darstellen möchten. Graf Murawiew hat in Berlin, ehe er zurAudienz beim Kaiser nach Kiel fuhr, mit den leiten den Staatsmännern stundenlange Unterredungen gehabt, über deren Inhalt natürlich nichts ver lautet. *Der Großherzog von Baden hat nach vierwöchigem Kuraufenthalt Baden-Baden wieder verlassen; in Karlsruhe wurde ihm bei der Rückkehr ein festlicher Empfang bereitet. Die Stadt hatte reichen Flaggenschmuck angelegt. Das Befinden des Großherzogs soll völlig be friedigend sein. *Beim Finanzminister Dr. v. Miquel findet am 7. Februar ein parlamentari sches Diner statt, zu welchem der Kaiser sein Erscheinen in Aussicht gestellt hat. *Dcr deutsche Ministerresident in Siam, General-Konsul Kempermann, soll, wie eine Korrespondenz wissen will, am Freitag das Opfer eines meuchlerischen Ueber - falls in Bangkok geworden sein. Er wurde bei einer Ausfahrt von einer fanatischen Volks menge angegriffen und aus seinem Wagen ge zerrt. Ein amerikanischer Ingenieur Bennet und der englische Finanzbeistand der siamesischen Regierung, MitchellJnnes, kamen dem bedrängten Diplomaten mit mehreren Polizisten, die sich gerade in der Nähe befanden, zu Hilfe, und es gelang ihnen, Herrn Kempermann von seinen wütenden Angreifern zu befreien. Herr Kemper mann sowohl wie seine Befreier haben ernste Verletzungen davongetragen. Eine amtliche Be stätigung dieser Mitteilung liegt noch nicht vor. * Als Ergebnis der Einnahmen an Zöllen und Verbrauchssteuern im Reiche in den ersten zehn Monaten des laufenden Etats jahres (also bis Ende Januar) ergibt sich eine Jsteinnahme von 531,3 Millionen oder 53,7 Millionen mehr wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Von dem Mehr entfallen auf die Zölle 33,9 Millionen, auf die Zuckersteuer 14,4 Millionen, auf die Br anntw einver brau chsabgabe 4,8 Millionen und auf die "Salzsteuer 1,2 Millionen. — Von anderen Einnahmen ist zu erwähnen, daß dieBörsen - steuer 6,4 Millionen weniger eingedracht hat, während die Post- und Telegraphenverwaltung ein Mehr von 10,5 Millionen, die Reichseiien- bahnverwaltung ein solches von 3,1 Millionen zu verzeichnen hatten. *Bci der Eröffnung der außerordentlichen Landtagssession in Weimar wurden Gesetze über den Ausbau der Selbsteinschätzung zur Einkommensteuer, über die Umgestaltung der Landcskreditkaffe, sowie die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches angekündigt. Oesterreich-Ungar«. * Der Gegenbesuch Kaiser Franz Josephs in Petersburg findet im April statt. Graf Goluchowski begleitet den Monarchen. Italien. * Die günstigen Nachrichten aus Afrika haben das Kabinett Rudini bewogen, die Neu wahlen zu beschleunigen. Im Februar schon soll die Auflösung der Kammer erfolgen, und werden die Neuwahlen für die erste Hälfte des März ausgeschrieben. Diö Regierung wird nahezu 60 neue Kandidaten aufstellcn und namentlich die Gruppe Sonnino bekämpfen. Die dem Auflösungsdekret vorangehende königliche Botschaft wird die Notwendigkeit weiterer Ein schränkungen in Afrika betonen, widrigenfalls das afrikanische Budget von 7 auf 20 Millionen erhöht werden müßte. Schweden-Norwegen. *Der norwegische Storthing ist am Montag wieder zusammengetreten. Steen (Anke) wurde mit 58 Stimmen zum Präsidenten gewählt gegen Schweigaard (Rechte), welcher 50 Stimmen erhielt. Die feierliche Eröffnung findet wahrscheinlich am Dienstag statt. Spanien. * Dem ,New Jork Herald' zufolge sollen Rodriguez, der die Aufständischen in der Pro ¬ gestorben. Die Amerika. Nordamerikaner verstehen den wurfsartig sich in den Boden einzuwühlen. Der Spaten ist neben dem Gewehr der unentbehr lichste Ausrüstungsgegenstand geworden. Manche Völker haben sich schon früher auf diese Maul wurfsarbeiten sehr gut verstanden, jetzt müssen auch wir uns dem Zwange fügen. Wo es nur immer möglich ist, werden unsere Soldaten sich künftighin der Schützengräben bedienen. Der Schützengraben führt aber fast mit Notwendigkeit zum Leichenwall. Man denke sich eine Ver teidigungsstellung mit flüchtig ausgehobenen Schützengräben, die in der Eile nicht mit rück wärtigen Verbindungsgängen versehen werden konnten, so daß die Verstärkungen, die nach und nach zu der ersten Besatzung der Schützengräben herangezogcn werden müssen, ein uuged. cktcs, dabei aber von Kugeln scharf bestrichenes Ge lände zu überschreiten haben. Sie werden das liegen, zahlreiche Fußtritte von derbster Art ab fallen werden. Sobald sich im Schützengraben die Leichen in störender Weise angesamckclt haben, müssen sie notgedrungen hinausgeworfen werden. Nach rückwärts kann dies nicht ge schehen, weil dadurch das Nachrücken der Reserve erschwert würde, es geschieht also nach vorwärts, wobei sich von selbst der Vorteil der Verstärkung der Brustwehr ergibt. Wenn bei dieser Gelegen heit ein noch Lebender mit hinausfliegt, so ist das eigentlich ein Glück für denselben, denn auf der Brustwehr erhält er vom Feinde bald dre Schützengräben hineinspringen, wobei für die Gesunden und die Verwundeten, die im Graben richtcrspruch mit. Der Schiedsspruch stellt die Grenze der streitigen Punkte zwischen der Kap- kolonie und Louren^o Marquez fest. * Der Rückzug der Derwische schafft der italienischen Kolonie amRoten Meere wieder Luft. Das Unternehmen der Mahdisten scheint auch mehr ein Raub- als ein Eroberungszug gewesen zu sein, wie ein solcher von ihnen auch in das ägyptische Gebiet nord wärts nnternommen worden ist. Asien. *Die Ausfuhr von Getreide aus Persien hat, wie der englische Gesandte in Teheran dem Handelsamt in London meldet, die persische Negierung verboten. Die Ver ordnung trete nach 50 Tagen in Kraft. beide die Trocha (die spanische Befestigungs linie) überschritten haben. Die Auf ständischen in der Provinz Pinar del Rio brachten am Freitag einen Eisenbahnzug mittels Dynamit zum Entgleisen, wobei der Maschinist, die Heizer und 13 Soldaten umS Leben kamen. Rußland. * Von einer Krankheit des Zaren ist in der letzten Zeit vielfach die Rede gewesen. Nach einer Meldung der .Daily Mail' aus Petersburg, die das Blatt als auf „indirekter Route empfangen" bezeichnet, sei Prof. Pawlow ausersehen, die Operation am Kopfe des Zaren Nikolaus vorzuuehmen. Es handelt sich angeb lich um ein Ohrenleiden, das nach der Ver wundung in Japan zurückgeblieben ist. Die Beseitigung des Auswuchses sei notwendig, da, falls dieser sich nach innen ausdehnen sollte, ein Druck auf das Gehirn verursacht werden könnte. * Der Zar will die Polenversöhnen. Dem .Grashdanin' zufolge stehen in nächster Zeit umfangreiche Personalveränderungen in der Verwaltung des Weichselgebiets zu Gunsten des polnischen Elements bevor. *Wie der ,Regierungsbote' meldet, ist der (noch vom Zaren Alexander III. ins Ausland verbannte) Großfürst Michael Michails- witsch Freitag wieder in Petersburg einge troffen. Preußischer Landtag. Im Abgeordnetenhause wurde am Montag die am Freitag abgebrochene Beratung des Anttages Ning bett. Sperrung der Grenzen gegen die aus ländische Vieheinfuhr fortgesetzt, ohne die Debatte zum Abschluß zu bringen. Laudwirtschaftsminister v. Hammerstein sprach sich besonders gegen das Ver bot der Einfuhr russischer Gänse aus unter Hinweis auf Petitionen von Gänsezüchtern aus dem Oderbruch. Nächste Sitzung am 6. d. Girr Md vom Zukunfts Krieg entwirft einer der hervorragendsten deutschen Sanitätsoffiziere, der erst kürzlich zur Disposition gestellte bayrische Generalarzt erster Klasse Dr. Julius Port in einer soeben erschienenen Broschüre „Den Kriegsverwundeten ihr Recht!" (Stuttgart. Encke.) Nachdem der Verfasser den peinlichen Ein druck geschildert hat, welchen auf dem Schlacht felde von Wörth die von den Turkos beim Zurück weichen zu ihrem Schutze aufgebauten Leichen wälle auf ihn damals gemacht haben, fährt er wörtlich fort: „Heute bin ich über die Leichen wälle nicht mehr so beruhigt wie vor 25 Jahren. Ich fürchte jetzt, daß sie in künftigen Kriegen auch bei uns Mode werden. Es scheint mir dies eine kaum vorausgesetzte Folge der gegen wärtigen Bewaffnung zu sein, welche Deckungen jeder Art mehr wie jemals gebieterisch fordert. Hat man doch schon daran gedacht, die Schilde wieder einzuführen, freilich nicht solche aus Holz oder Leder, sondern aus schwer durchdringbaren Aluminiumlegierungen. Die Schilde hätten jeden falls den ästhetischen Vorzug, daß die Soldaten in menschlicher Körperhaltung stolz und ausrecht wie die alten Krieger kämpfen könnten. Bis die Schildfrage gelöst ist, bleibt nichts übrig, als die Schlachten nach Vierfüßlerart zu schlagen, katzenartig auf dem Boden fortzukriechen, maul Balkanftaaten. *Die Pforte scheint nicht ganz ohne Besorgnisse vor möglichen Handstreichen gegen ihre Küsten zu sein. Denn durch ein Jrade des Sultans ist soeben die Verstärkung der Stationsschiffe durch mehrere Torpedoboote und der Wachmannschaft des europäischen und astatischen Küstenschutzdienstes angeordnet worden. * Wie die ,Pol. Korr.' meldet, sind die Be ratungen der Botschafter in Konstan tinopel abgeschlossen. Der ausgearbeitete Reformentwurf wird in den nässten Tagen den Kabinetten vorgelegt werden. Die Ueberreichung der Reformvorschläge an die Pforte dürfte in zwei bis drei Wochen erfolgen. *Von Kreta kommen fortgesetzt sehr un günstige Nachrichten. Die von den Mohammedanern im Kreise Kandia hervor gerufene Bewegung beginnt sich auf R e th y mo auszudehnen. Verschiedene christliche Dörfer find von den Mohammedanern eingeschlossen und umgekehrt mohammedanische von Christen. Am 30. v. wurde in Kandia ein christlicher Notabler ermordet, was Rachethaten befürchten läßt. *Die bulgarische Regierung hat die Zahlungen für den Tribut in den letzten Monaten aus dem Grunde nicht geleistet, weil fie eine alte Gegenforderung im Betrage von 10 Mill. Frank für die von ihr seiner Zeit übernommene Eisenbahnlinie Rustschuk-Varna bei der Pforte geltend macht. Der bulgarische diplomatische Agent in Konstantinopel hat die bezügliche Reklamation bereits vor einiger Zeit bei der Pforte in amtlicher Form erhoben, ohne daß bisher eine Gcgenäußerung der Pforte er folgt wäre, weshalb man in Sofia auch die türkischen Zahlungsmahnungen unberücksichtigt ließ. * In Athen ist der österreichisch-ungarische Gesandte Freiherr v. Kosjek am Montag plötzlich duldet werden. Afrika. *Die südafrikanischen Besitzstreitig keiten zwischen England und Portugal betreffs des Manikalandes find durch das Italien übertragene Schiedsgericht vorläufig zur Ruhe gekommen. Senator Vigliani teilte den Vcr- vinz Pinar del Rio befehligt, und Rivera, der > tretern Englands und Portugals den Schieds- den Oberbefehl in der Provinz Havana führt, Schiedsgerichtsvcrtrag mit Eng- im wildesten Laufe thun und blindlings in die l a n d auf ih r e Weise. Ein Zusatzanttag, den wnb-l für di? der Senat in Washington beabsichtigt, be deutet soviel, daß die Ver. Staaten entschlossen seien, die Monroe-Doktrin („Amerika den Amerikanern") aufrecht zu halten; eine Ein mischung Englands in die Fragen betreffend Nicaragua, Hawai oder Cuba würde nicht ge- Gnadenkugel, während er im Graben wahr scheinlich weniger schnell totgetreten wird. Das ist so ungefähr ein Bild des Krieges der Zu kunft, wie es sich wohl nicht immer, aber recht häufig gestalten wird. Wir sind dainit auf der tiefsten Stufe der Roheit angekommcn; ein noch tieferes Herabsinken ist vorderhand wenig stens nicht denkbar. Wenn das die letzten Früchte der Zivilisation sind, so war es nicht der Mühe wert, den Naturzustand zu verlaffen; denn im Vergleich zu dieser Kulturroheit war die natürliche Roheit eine paradiesische Unschuld. Wenn man die reißenden Fortschritte überblickt, welche die Verwilderung der Gemüter in breiten Volksschichten macht, und daneben zu allem Ueberfluß auch noch diese Verwilderung der Kriegsführung sehen muß, so hat man wohl Ur sache, besorgt der Zukunft entgegenzusehen. Don einsichtsvollen Männern ist längst die Notwen digkeit erkannt worden, durch die ausgleichende Gcrccytigkeit einen versöhnenden Zug in de« wüsten Kampf aller gegen alle zu bringen, um auf diesem Wege noch eine Rettung der Gesell schaft zu versuchen; wäre es nicht am Platze, einen versöhnenden Zug in recht ausgiebiger und nachdrücklicher Weise auch bei der Kriegsführung zur Geltung kommen zu lassen, deren äußerste Entartung eines moralischen Gegengewichts so dringend bedarf? Wenn wir die Greuel des Krieges nicht einzudämmen vermögen, wäre nicht wenigstens eine Sühne für dieselben zu leisten durch die weitgehendste Fürsorge für die Opfer des Krieges? Durch die lÄleichtcrung deS Loses der Verwundeten könnten wir unserem von den Scheußlichkeiten des Krieges schwer belasteten Gewissen eine sehr notwendige Er leichterung verschaffen. Wenn man sagen könnte, daß wenigstens für die Verwundeten das Menschenmögliche gethan wird, so wäre das immerhin noch eine Art von Genugthuungs- leistung und eine annehmbare Basis für das, was wir mit den Waffen zu sündigen genötigt find." So spricht ein Fachmann, — eine Autorität. So emanzipiert sich in der Brust eines Sol daten, eines abgehärteten Arztes, das Kultur- bewußtscin, daß es jene Zustände, die uns da bevorstehen, die „tiefste Stufe der Roheit" nennen muß. Wir köniren aber damit zufrieden sein. — Vielleicht kommt das so viel geschmähte „si vis PL66M para bsiium" doch zu seinem Recht, aber freilich in einem anderen Sinne, als die Ver teidiger dieses Lehrsatzes glauben.— Das „p«'» bellum" muß nämlich unbedingt die Reaktion zeitigen und aus der untrüglichen, unmöglich werdenden Kriegszurüstung wird eines schönen Tages das schlafende Menschheitsbewußtscin, er wachend den Frieden der Völker cinsetzen. Aus diesen Wintertagen heraus, muß uns einmal ei« Sonnenstrahl retten. — Erfreulich ist es schon, daß sich die Presse durch die Schilderungen des Dr. Port aus ihrer Lethargie rüttelt. So be merkt der ,Berl. B. Kouricr' dazu: „Der blusige Charakter des Kampfes wird ins Ungemessene vermehrt werden, wem die Millionenheere der Gegenwart dereinst gegen einander ins Feld ziehen sollten, ausgerüstet mit den weittragenden, kleinkalibrigen Nepetier- gewehren und dazu Geschützen, die in gleichem Tempo ihren mörderischen Geschoßrcgen ein ander entgegen senden. Es bedarf kaum des Fachwissens und der Schilderung eines zweiten Dr. Port, um das Schlachtfeld der Zukunft nach Durchführung der in der Luft schwebenden Neuerungen für die Phantasie zu ergänzen. Die ungeheuerlichste Verantwortung, welche unter den obwaltenden Verhältnissen dem Frie densstörer auf die Seele gehäuft wird, bildet, — das ist das Tröstliche in dem furchtbaren Bilde — die stärkste unter diesen Umständen denkbare Friedensbürgschaft. Die Kenntnis der der Sachlage muß aber alle Schichten durch dringen, wenn fie dauernde Wirkung ansüben soll und Geheimnisthuerei ist in diesem Falle unbedingt unangebracht, abgesehen davon, daß bei der in Europa durchgeführten allgemeinen Wehrpflicht jede Familie ihren Blutzoll selbst zu zahlen und deshalb schon den Anspruch hat, den ungefähren Umfang der Verpflichtung kennen zu lernen." Gi« Ehrenwort. 171 Roman von L. Haidheim. KoMttzung.) Roch nie hatte Trautmann Winzcek aus dem Gleichgewicht kommen sehen. Heute knirschte rr mit den Zähnen. Gleich darauf trat er zu ihm und sagte mit der alten Liebenswürdigkeit: „Sie find zu einer schlimmen Stunde gekommen, lieber Freund, es thut mir das unendlich leid. Verzeihen Sie mir nur, daß ich Sic nicht so herzlich willkommen heiße, wie ich fühle." „Sie haben natürlich die Forderung abge lehnt ?" fragte Trautmann und empfand nie deutlicher als eben jetzt Winzceks männliche, kraftvolle und doch so milde Persönlichkeit. „Selbstverstä.Llich! Aber wenn die Leute mir aus der Arbeit gehen, — Sie wissen, wie wichtig mir gerade jetzt ihre Hilfe ist, — so gerate ick in die unangenehmste Lage!" „Aber Sie bekommen ja leicht andere Arbeiter wieder," iröstete Trautmann. „Ja wohl, solche, die keiner brauchen kann, und die keine Ehre im Leibe haben, gut genug für den „Kunstreiter"! Es ekelt einen, wenn man an der Gemeinheit nur vorüberstreift, und heute hat mich auf der Station ein Kerl insultiert! — „Dieb" Hai er mich geschimpft und seine Kame raden stimmten ihm zu. Das rührt keinen ver nünftigen, ehrlichen Menschen? Ja, vor einem Jahr hält' ich keine Minute darücer nachgedachl, aber man bewirft mich mit Schmutz, und ich bin ein reinlicher Gesell!" „Das kann ich Ihnen uachempsindeu. Winzcek, und ich bin der Meinung, daß Sie sich dagegen wehren sollen — und deshalb kam ich gleich heute zu Ihnen!" sagte Trautmann. „Wehren Sie sich gegen solches Gelichter?" „Ja, wenn eS meine Ehre antastet!" „Der Kerl hat die Ausrede der Trunkenheit. — Und dann — Dieb! Das ist ja Unsinn! Der „Kunstreiter" ärgert mich viel tiefer, und daß ich einer war, hab' ich eingeräumt." „Rian hat inzwischen auch erfahren, daß Sie vermutlich aus der Fusch stammen!" „So? Das ist ja interessant!" „Der Apotheker Bükert ist in Hartenheim gewesen und ha: gehört, daß ein gewisser Max Winzcek in seinen Jugendjahren ein gefährlicher Pascher war, einen Grenzjäger erschoß, flüchtig wurde, hernach bei einem vornehmen Herrn in Wien, einem General, Stallknecht wurde, diesen bestahl, eingesteckt wurde und nachher ver schollen ist!" „Nun? Und was soll das?" „Plan kombiniert, daß der Reitknecht in die Manege seinen Weg fand, Kunstreiter wurde — und —" „Und nun als reicher Grundbesitzer — ha ha ha ha! Das ist ja der reine Sensations roman! Und der Lumpcnheld soll ich sein?" rief er, blaß bis auf die Lippen. „Ich hielt es für das beste, lieber Winzcek, Ihnen reinen Wein einzuschcnkcn." „Und dafür danke ich Ihnen von Herzen. Was finden Sie eigentlich an mir, Trautmann, daß Sie blindlings zu mir stehen? Ich habe mich das jedesmal gefragt, wenn Sic dieser ganzen Schar gegenüber Partei für mich nehmen. Ich konnte Ihnen nie Liebes thun, mich nie auch als Ihr Freund zeigen." „Doch, das können Sie! Gerade auch des halb kam ich zu Ihnen. Lösen Sie mich von dem Versprechen, Ihre Sache bei Ulla zu führen. Daß ich eS vergeblich versuchte, wissen Sie, aber Sie müssen auch wissen, daß mein eigenes Herz dabei verloren ging. Ich liebe dies Mädchen eben so sehr als Sie und ich muß von der übernommenen Pflicht frei werden." „Das ahnte mir! Das hab' ich kommen sehen!" „Sie ? Mir selbst kam die Erkenntnis meiner Liebe wie ein Blitz," rief Trautmann. „Und Ulla?" fragte Winzcek mit flammen den Augen. „Sie hat nie ein anderes Wort von mir ge hört, als das eines Freundes." „Wie ich das Mädchen kenne, wird es jetzt für mich Partei nehmen," sagte Winzcek leise zu sich selbst. „Das thut Ma von Truhn schon; Sie kennen fie genau." „Ja, ich kenne fie, sie ist wie Maria war!" erwiderte der andere mit tiefem Sinnen. Der Diener meldete das Abendessen. Nach demselben wollte Trautmann gehen. Wie schon oft, begleitete Winzcek ihn ein Stück. Beim Abschiede drückte er Trautmann die Hand. „Glauben Sie an mich, Trautmann! Und wenn ich Ihnen gegenüber nicht so offen bin, wie ich sein sollte, deuten Sie nicht schlecht von mir." Er war sehr bewegt; in dem Hellen Moirdscheiu erschien sein Gesicht wie verzerrt. „Es kleidet mich, den Jüngeren, schlecht, daß ich Sie um Offenheit bitte, Winzcek. Ich glaube aber in der That, daß es Ihnen wohlthäte, sich auszusprechen, und Sie könnten meines Schweigens sicher sein/' „Das weiß ich, Trautmann, Dank und aber mals Dank!" Damit stürzte er fort. Als Trautmann an des Landrats Wohnung vorüberging, sah er Licht hinter dessen Fenstern, er war also zurück. Von allen Bekannten, die der Assessor sich in Tristleben gewonnen hatte, fehlten nur noch Oberförsters und Fides. Er sprach am Hause vor und fragte die ihm öffnende Dienerin, ob Nachricht über die Rückkehr der Herrschaft ge- kommen sei. „Uebermorgen, Herr Assessor!" war die Am- wort, und er sah, das Mädchen glaubte, die Liebe mache ihn ungeduldig. Andern Tags war er zur Prinzessin geladen,die ihn beklommen empfing; Baron Luyken und Ulla kamen dazu. Die letztere trug das Krcpp- kleid, welches Oskar ihr gekauft und worin Trautmann sie noch nie gesehen hatte; die Trauer kleidete sie wunderschön. Er sagte sich: „Hat sie die frühere Herbigkeit verloren, oder war dieselbe nur Schein? Oder bist du so blind vor Liebe, daß du fie nur in diesem Lichte siehst?" Um so freudiger durchzuckte cs ihn, als dic Prinzeß scherzend sagte: „Früher dachte ich bei Ulla oft, sie sei ein Dornstrauch, dem dir Sonne der Liebe erst Blüten abgcwinnen müsse
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