Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.02.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050227026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905022702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905022702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-27
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezuqS.Pret- k der Hauptexpedition oder deren AuSflabe- slellen ab«edott: vierteljSdrltld 5.—, bet rwrimallgn ttgllcher still«llu»ft tn«-au» 3.75. Durch dl» Pos» bezogen für Deullch» land u. Oesterreich vlrrleliädrlick 4.50, sür die übrigen Lünder laut steitunqSpreiSlist«. Lies» Nummer tostet 4/^ Mr aul asten vavnhvten und III I bei den steitungt-verküusern I * ArAotttoa «n» EppedlttO« ILS Fernsprecher 222 IodanniSgasse L. Haupt-Ftltale Tresveu: Diorienstratze 34 kFernsprecher Ami l Nr 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, H«rzgi.Bar>r.Hosduchbandlg^ Lützowstraßr lO (Fernsprecher Am» VI Nr. 4603 >. Abend-Ausgabe. Amtsvtatt des Äönigk. Land- nnd des Äönigs. Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Aotizeiamles der Ltadt Leipzig. An zeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile L5 Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, GrschSstsanzeigen unter Lrxt oder an beionderer Stelle nach Laris. Di« »gespaltene Reklamezeile 75^. Aunahmeschlutz sür A«,eigen: Abend-Au-gabe: vormUtag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeige» sind stet- an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mU der Morgen- Au-gabe- nach besonderer Vereinbarung. Tie Erprpttian Ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abendts 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pslz in Leipzig (Inh. Or. B„N. L W. Sltulhardt). Nr. M. Montag den 27. Februar 1905. 9S. Jahrgang. Var AiMigrte vom rage. * Der S t u de n ten st re i k in Hannover ist durch Einlenken des Kultusministeriums beendet. (S. Dtsch. Reich.) * Nach einer römischen Depesche will die Negic- rung daS in der Eisenbahnvorlage entlxfftcne AuLstandsverbot als besonderen Gesetzent wurf der Kammer unterbreiten und sofort ab- stimmen lassen. (S. Ausland.) * In Feodosia (Taurren) ist, nach Moskauer Meldungen, eine Judenhetze auSgebrochen. (D. den Artikel.) ' In Tokio haben eine Konferenz der Divisions stabschefs und eine Sitzung deS Ministerrates stattgefunden. (D. Russ.-jap. Krieg.) * Die Japaner sind auf den Stellungen des äussersten östlichen Flügels gegen die Nüssen siegreich: General Nogi befehligt mit der Artillerie von Port Arthur die japanischen Streitkräfte. (S. Russ.-jap. Krieg.) MtirpNrgr im Herr. In den Blättern ist dieser Tage gemeldet worden, daß ein Leutnant Haupt, der wegen zahlloser und schkverer Mißhandlungen zu neun Monaten Festungs haft verurteilt worden war, nach Abbüßung einer sieben- monatigen Strafzeit begnadigt worden sei. Der Leut- nant soll gleichzeitig mit schlickffem Abschied aus der Armee entlassen worden sein. Ter Fall legt, bei aller Respektierung des Kronrechts der Begnadigung, einige Betrachtungen nahe, und es wäre außerordentlich wünschenswert, daß der preußische KriegSministcr im Parlament veranlaßt würde, sich über die Motive der Begnadigung zu äußern. Olme nähere .Kenntnis des Falles erscheint sie unbegreiflich, denn wie man den Krebsschaden der Mißhandlungen beseitigen will, wenn die gerichtlich erkannten Strafen durch Begnadigung un wirksam gemacht oder abgeschwächt werden, das ist schwer zu begreifen. Gewiß mag deüBctresfende aus irgend einem Grunde des Mitleids besonders würdig sein, indessen liegt hier einer der Fälle vor, in welchen Humanität, die an sich stets schön und wünschenswert ist, leicht das Ganze schädigt, so Laß man als Patriot dazu raten muß, die Stimme der Menschlichkeit verstummen zu lassen und der strengen Gerechtigkeit freien Lauf zu gewähren. Die Begnadigung wird der Sozialdemokratie als AgibationSmaterial dienen und ist leider nicht geeignet, in der Armee, in der sich überhaupt die Verurteilung der Mißhandlungen noch nicht genügend durchgesetzt hat, die Auffassung zu schärfen. Im Gegensätze hierzu steht die Strenge, mit der den Gesehen zufolge gegen Vergehungen der Mannschaft ein geschritten werden mutz. So hat jetzt wieder ein Urteil Les Saarburger Kriegsgerichts über viar bisher unbe scholtene Soldaten insgesamt zehn Jahre und einen Monat Zuchthaus und zehn Jahre Gefängnis gebracht. Eine Wirtshausprügelei ist, formell mit vollem Recht, unter den Begriff der Meuterei subsummiert worden, und daher mußte das drakonische Urteil dem heutigen Stande der Gesetzgebung zufolge gefällt werden. Ter Vertreter der Anklage selbst hat die Strafe als unge heuer bezeichnet und mit dem Freimut, der sich erfreu licherweise noch immer im Heere findet, ausgesprochen, daß die Minimalstrafcn zu hoch seien und daß die Auf- ruhrparagraphcn den heutigen Verhältnissen nickst mehr entsprächen. Es müsse dem Richter mehr Spielraum nach unten hin gewährt werden. Wir brauchen uns diesen Ansichten, die wir schon des öfteren vertreten haben, heute nur anzuschließen. In dem vorliegenden Falle selbst ist Berufung eingelegt worden, und vielleicht findet die höhere Instanz ein Auskunftsmittel, um das Urteil zu mildern. Vielleicht wird auch der Kaiser hier von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machen. Die beiden besprochenen Fälle zeigen aber deutlich, nach welchen Richtungen eine Reform notwendig wäre. Gegen die Mißhandlungen muß mit rücksichtsloser Energie ein geschritten werden und andererseits muß den Richtern die Möglichkeit gegeben werden, unbedeutende Ver gehungen mit einer entsprechenden, d. h. einer gerechten und menschlichen Strafe zu belegen. Die Disziplin steht nicht im Gegensatz zu den Forderungen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit: sie wird sich vielmehr nur dann auf recht erhalten lassen, wenn diese Forderungen den Ge setzen zu Grunde liegen. Eine Disziplin, die dem modernen Bewußtsein völlig widerstrebt, ist auf die Dauer in einem Dolkshcer nicht möglich. Vie Wrir in ftuzzianck. Kur Lage in Riga. a. 22. (9.) Februar 1905. Die Situation wird immer unhaltbarer, daS geschäftliche Leben stockt, da die Betriebsstörungen in der Industrie nickt ausbören und die tumultuierenden, soüalistischen Elemente unter der Fabrikarbeilersckaft äs kscto Herren der Situation sind. Infolgedessen reist heute abend eine Depu tation der hiesigen Fabrikanten nach Petersburg, um beim Finanzministerium energisch darauf zu dringen, daß irgend etwas von Regierungs wegen unternommen werde, damit endlich wieder ein geregeltes ts.ben Platz greiser, könne D>r hiesigen Gieß industriellen haben beschlossen, den Arbeitern ihre letzten, end gültigen Bedingungen zu stellen. Falls diese nicht ange nommen werden, sollen sämtliche Fabriken ihre Arbeit auf 14 Tage einstellen. WaS dann geschieht, läßt sich noch gar nicht abseben, da Dank der Schwäche und bisherigen Verkehrtheiten der Regierung die radikalen Elemente überall, in der Arbeiterschaft, wie in der liberalen Presse und der ruMichen „Intelligenz", immer mehr Oberwasser gewinnen. Charakteristisch ist z. B., WaS sür Bedingungen letzt in der diesigen Gummisabrik „Prowodnik" — 5<>00 Arbeiter! — von den Arbeitern gestellt worden: Entlastung sämtlicher Meister und Vorarbeiterinnen, Zuweisung von 60 Proz. des Reingewinns an die Arbeiter und Be seitigung deS Direktoriums, da sie, die Arbeiter, selbst den Betrieb regeln wollten! Eine Vorarbeiterin in dieser Fabrik ist vor einigen Tagen von streikenden Arbeiterinnen derart mißhandelt worden, daß sie gestern ihren Verwundungen erlag. Außerdem haben die Arbeiter dieser selben Fabrik ein Verzeichnis von 42 Fabrik beamten veröffentlicht, die sämtlich ermordet werden sollen. — In der großen Por- zellansabrik von KuSnezor mit ihren 4000 Arbeitern ist der Streik tatsächlich ausgebrochen, ebenso in der Bandfabrik vorm. Eickcrt L Ko., in der Eisengießerei von Pohle, chemi schen Fabrik von Rutbenberg u. a. In der Tabakjabrik von Mündel, der Korkenfabrik von Sengbusch wurden heute die Fenster ringeworsen und versuchten von außen eindringende Tumultanten, die Maschinen zu demolieren. Militär wurde requiriert, erschien aber natürlich zu spät. Als die Nagaiken der Kosaken und Dragoner zu spielen begannen» waren es meist harmlose Gaffer, die daran glauben mußten und aus der Straße liegen blieben. — Auch die Zeitungs-Druckereien arbeiten seit beute wieder unter militärischem Schutz, da sich heute Vormittag verschiedene Trupps verdächtiger Gestalten in der Nähe der Redaktionen anzusammeln begannen. Die Unfähigkeit der Negierung, wirklich Ordnung zu schassen, tritt auch diesmal eklatant zu Tage. Wenn eS gilt, hier in den baltilchen Provinzen deutsche Pastoren, in Inner-Rußland im besten Sinne deS Wortes liberale Rechts anwälte, Lehrer, Professoren usw. zu chikanieren und in du,itler Nackt aufzuheben, dann steht die politische Polizei, die Gendarmerie, auf der Höhe ihrer Ausgabe. Wenn es aber gilt, eine Handvoll sozialdemokratischer Rädels führer, die Tausende von arbeitswilligen Arbeitern durch Einschüchterungen zum Ausstande zwingen, ding fest und unschädlich zu machen, dann ist von der „all wissenden " und „ allmächtigen" Gendarmerie nickts zu hören. Man kann sich vielfach dem Eindruck nicht ent ziehen, als passe der Regierung — oder den lokalen RegierungSorganen? — gar nicht eine Ordnung, sondern alS wäre ibr die chronische Unruhe und Unsicherheit viel lieber. Aber, die Sacke könnte doch einen Haken haben, da bekanntlich in Inner-Rußland, wie auch hier in Riga ein guter Posten ausländischer Kapitalien in der Industrie angelegt ist und bier bereits allen Ernstes ein Druck von außen erörtert wird! Vielleicht ist der Zeitpunkt gar nickt so fern, wo eine neue Aufgabe an die europäiiche Diplomatie herantritt: die Lösung einer „russischen Frage"! In Dorpat wurde dieser Tage ein Meeting russischer Studenten (Sickodka) abgehallen. Bon Professoren waren bloß der einbeimlsche, deutsche Professor Debio und der Russe Ewetzky erschienen, die beide dahin zu wirken suchten, daß unsinnige, politiiche Beschlüsse gefaßt würden. Außerdem ermahnten sie die russischen Freiheitsschwärmer, die Freiheit, von der sie so viel reden, auch denen zuzugestehen, die auf der Universiiät bloß ihren Studien nachgeben wollten. Ver gebens. Die Versammlung nahm eine Resolution an, in der u. a. Konstitution und allgemeines Wahlrecht sür jedermann ohne Unterschied des Geschlechts und Alkers (!!) geiordert wurde. Es ist, als ob der Wahnwitz im heiligen Rußland epidemisch geworben wäre. Die deutschen Korporationen waren, wie ich letzthin schrieb, auch zu einer Meinungsäußerung aufgesordert worden und hatten ein längeres Schreiben eingesanvt. Sie erklärten darin, daß sie allen Bestrebungen der russi,chen Kommilitonen auf Herbeiführung einer „akademischen Freiheit", wie sie an der deutichen Universität Doipat bestand, durchaus sympathilch gegeniibcrständen, daß sie aber eine Beteiligung an allen Resolutionen, die über den »»gezeigten Nahmen hiuausgchcn, ablchnea müßten. Bedrohlicher Gefamtarpekt. Aus Petersburg wird gemeldet: Die aus der Provinz eingehenden Nachrichten lauten sehr ernst. Georgien hat tatsächlich feine Unabhängigkeit erklärt. In Ar menien sind die Unruhen allgemein. In Klein rußland umfaßt der Ausstand bereits 200000 Arbeiter. Die Verbindungen mit dem Südosten sind unter brochen. In Transbaikalien veruriacht der Eisen bahnerausstand enormen Schaden. Man befürchtet die Zerstörung der Geleise. Kiew und Warschau sind isoliert. Von allen Seiten laufen in Petersburg Telegramme ein, in denen um Instruktion gebeten wird. Die Antwort lautet einförmig: man solle sich aufs Beste helfen. I« Warschau hat, wie auS Warschau gemeldet wird, ein partieller Polizeistreik begonnen. Die Mehrzahl der Polizeiposten wurde durch Militär besetzt. Viele Telegraphensäulen wurden umgeslür.t,Kavalleriepalrouillen versehen den Straßen dienst. In der Nowolipkistraße feuerte ein Unbekannter drei Revolvers chüsie auf einen Polizei- und Militärstraßen- posten ab. Ein Soldat und ein Schutzmann wurden schwer verletzt; der Täter entkam. Von einer Indenhetze in Leodofia. Moskauer Bläiter berichten: In Feodosia war ein Ar beiterstreik auSgebrochen. Aus der augesammelten Menge ertönte plötzlich der Rus: „Haut die Juden!" worauf sich in den Straßen eine furchtbare Iuvenhetze entwickelte. Bevor Truppen erichiencn, gab eS bereits 50 Tote und Verwundete. In der Stabt bericht sowohl in der christlichen wie jüdisch en Bevölkerung furchtbare Panik, die Besitzenden verkästen die Stadt. Baku nnd Vatnnr. Wie auS Petersburg gemeldet wird, werden die Nach richten aus Baku immer schauerlicher. Dieser Tage drangen, wie eS beißt, bewaffnete Armenier in eine dortige Fabrik und schnitten mit ihren großen Messern 40 Ar beitern regelrecht den Leib auf. Der halbamtliche Telegraph sagt, die Bevölkerung sei in niedergedrückter Stimmung. Vertreter der Börse, der Banken und industrieller Unternehmungen haben an den Präsidenten des Minister komitees ein Telegramm gerichtet, in dem sie eS für notwendig er klären, daß der Zar angesichts des drohenden Ruins von Handel und Industrie Anordnungen treffe, um Leben und Besitztum zu sichern. Aus Bat um wird gemeldet, daß indem von Militär um stellten Arbeiterviertel Harzechan Haussuchungen nach Waffen vorgenommen wurden. Die Unruhen haben auch in veu Distrikt Gonin deS Bezirks Batum übergegriffen. Die Un ruhestifter verlangen Beseitigung der Landbezirksverwaltung und der Kerosinsteuer. Viele Bewvhner der Stadt haben, da sie Ueberfälle befürchten, ihre Wertgegenstände auf den Banken deponiert. Offiziell wird hinzugesügt: „Bon Uebelgrsiunten auSzestreute Gerüchte haben große Aufregung in armenischen und türkischen Kreisen hervorgeruien. Es wird offenbar beabsichtigt, beide Nationalitäten wie in Baku so auch hier gegen einander zu Hetzen. In der Moschee wurden Andächtige durch das Gerücht erschreckt, die Moschte solle in die Luft gesprengt werden. Die Ab reise von Türken in ihre Heimat wurde böswillig durch armenische Gewalttaten erklärt, die aber tat sächlich nicht vorgekommen sind. Die Verwaltung tritt den alarmierenden Gerüchten nicht entgegen. Eine armenische Abordnung versicherte dem türkischen und persischen Konsul kategorisch, daß die Armenier nichts Böses im Schilde führten, und daß es zur Beruhigung der Gemüter eines energischen Vorgehens der Verwaltungsbehörde gegen die Personen bedürfe, welche die Mohcunedaner erregen, die etwa acht Zehntel der Bevölkerung bilden." Von -er Flucht -e» Popen Gapon wrichtet der findige „Petit Parisien", angeblich nach den Ans agen des Mithelfers der Entweichung, eines Schriftstellers, olgende Einzelheiten. Darnach hätte Gapon mit dem Schrift teller Petersburg beim Einbruch der Dunkelheit am 23. Januar verlassen. Sie trugen 4000 Rubel in Gold in ihren Gürteln, die der Schriftsteller von opferwilligen Freun den schon vor den Ereignissen vo.r 22 Januar erkalten batte. Der Pope war in schmutzige Bauerntleidung gehüllt und stellte sich bis zur Sinnlosigkeit betrunken. Er lchz neben einer leeren Wutkiflasche schnarchend auf dem Bauche in dem Wagen, den der Schriftsteller lenkte. Die Wutkiflasche war der Paß, der das meiste Vertrauen einflößte. In Kronstadt, wo sie um 2 Uhr morgens cintrasen, achteten die Wachtposten nicht einmal auf sie. Am nächsten Abend kamen sie, nachdem sie zweimal die Pferde gewechselt hatten, in Wiborg an. Dorten wurden sie von dem Gendarmerie-Offizier in «in strenges Verhör genommen, wobei sie auch gefragt wurden, ob sie wüßten, was Gapon ist. Der Pope erwiderte darauf dem Gendarmerie-Offizier mit blödem Lachen: „Ich weiß nicht, hochedler Herr, es ist vielleicht eine Kuh." — „Die sind ja zu dumm!'? ries der Offizier aus, „schert euch zum Teufel." Tas ließen sie sich nicht zweimal sagen und fuhren davon. Die Strecke von Wiborg nach Heisingfors, 230 Kilo meter in der Luftlinie, legten sie aus einem Segelschlitten zurück, nachdem sich Gapon bei einem Freund und Ge sinnungsgenossen in einen ausländischen Edelmann und sein Genosse in seinen Bedienten nmgewandelt hatte. Die ganze Fahrt dauerte bei dem regelmäßigen Winde von Nordost nach Sndwcst bei 25 Grad Kälte aus dem hartgefrorenen Boden (> Stunden. Sie hielten kurz vor Helsingsors in einem kleinen Torfe an, von dem aus der Schlitten per Eisenbahn zurück geschickt wurde. Dann ging die Flucht ohne weitere Zwischen fälle über Abo, wo Gapon beinahe von einem bekannten Professor verraten worden wäre, auf einem englischen Dampfer nach Stockholm, von da nach Paris und Genf. Der rimstcd-sapankche Weg. Der erweiterte Schiedsspruch. Die heutigen Londoner Blätter drücken bei der Be sprechung des Berichtes der HullkomMission allgemein ihre Befriedigung aus und sagen, das Verdikt bedeute einen Sieg deS SchiedspruchSprinzipS. Der „Standard" Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. NalbdruU verbeten. Uckd eine tiefe Verlassenheit überkam sie. Wo besaß sie jemanden, der ihr wirklichen Anteil zeigte? Ihr Mann holte eine Andere in- Haus, Valeska bekümmerte sich kaum noch um sie. Das Abholen der andern hatte aufgehört, DaleSka und Otto Eichkamp kamen nicht mehr, die Gesinnungsgenossinnen, die sie früher wie im Triumph nach Hause geleitet hatten, blieben aus. Man zeigte nicht mehr auf die junge Frau, die so kühn ihren eigenen Lebensweg beschritten hatte. Tag für Tag machte sie viermal allein denselben Weg, den sie nun schon in- und auswendig kannte und der ihr endlos lang vorkam. Ter Einzige, der sich noch zu ihr hielt, war Anton Grubwerler. Er war zwar etwas eigentümlich, ober er bekümmerte sich doch wenigstens um sie. Er war «in guter Mensch. So kindlich fröhlich konnte er sein! Nie hätte sie daS früher geglaubt. Mit welchem Vergnügen erzählte er ihr Schüler- und Stndentengeschichten! Und mit welchem Eifer erklärte er Namen und Art von aller hand FrühlingSkräutern, die da an den Wegen deS Parks emporsprossen! Sogar seine Turnkünste zeigte er, sprang ohne Anlauf über einen Graben von betracht- licher Breite und machte die Fahne an einer Gartenbank. Er hatte Kräfte, dieser manchmal so kraft- und saftlos scheinende, mit der gemeinen Welt im Zwiespalt lebende Jüngling! Daß er trotz ihrer neu erwählten Selbstän digkeit in ihr jetzt nur die Frau zu seh^ schien und nicht die mitstrebende Gesinnungsgenossin wie früher, daS ge fiel ihr. Es stieß sie nicht einmal ab, daß er den Frauen sozusagen nachstellte, denn dies war ein naiv menschlicher Zug, nnd sie sehnte sich seit einiger Zeit nach den Acuße- rungen naiv menschlichen Empfindens. — So freute sic sich heute Mittag ganz besonders, daß er sie abholte. Herzlicher als sonst begrüßte sie ihn. Er aber spürte auch sofort ihr größares Entgegenkommen, und seine Reden wurden freier. Er suchte ihr, während er sie aus seinen kleinen Augen vertraut anblinzelte, zu beweisen, daß sie für ihn geschaffen sei. Sie wehrte ihn nicht ab wie damals, als er sie durch seinen Kniefall er schreckt hatte. Ein gewisser Trotz hatte sie erfaßt: sie fühlte sich von Walter vernachlässigt und gedemütigt, eS war ihr geradezu eine Genugtuung, daß nun ein anderer an ihrer Seite ging, den eS nach ihrer Zu- neigung verlangte. Sie malte sich schon die Szene auS, wie sie Walter die Worte: „Ich liebe einen anderen!" ins Gesicht schleudern würde. Jetzt blickte sie von der Seite auf Anton Grubweiler und fragte sich, ob es sie Wohl reizen könne, ihn zu küssen? Wenn sie auch einstweilen noch kein besondere« Verlangen danach empfand, so beschäftigte sie ssch doch mit dem Ge danken, und eS wollte ihr scheinen, als ob häßliche Men schen und besonders solche mit langem Hals und kleinem Kopf, einen besonderen Zauber auf eine Frau auszuüben vermöchten. Dann wieder stieg ihr eine heiße Blutwelle der Verlegenheit ins Gesicht bei dem Gedanken an ihre Vertrautheit mit diesem fremden Menschen. In dieser Nacht hatte sie einen beängstigenden Traum. Ihr war, als zöge es sie mit Gewalt aus einem schönen Tal, wo Rosen blühten und Vögel sangen, hinaus in eine öde Steppe, die sie grau, endlos, furchterweckend vor sich liegen sah. Wilde Tiere wurden hinter Felsspalten sicht- bar, Skelette von Merffch und Vieh ragten aus dem End- baden, giftige, grellbunte Blumen nickten ihr von kahlem Gestein zu, wie von unsichtbaren Zanberhänden bewegt ... Es zog und zog sie, und sie konnte sich nicht wehren. Die Todesangst in ihr wuchs von Sekunde zu Sekunde, sie fühlte, daß es kein Zurück mehr gab Da empörten sich alle Fibern in ihr, sie machte mit ihren letzten Kräften eine gewaltsam« Bewegung und schrie laut ans wie jemand, der dem Tod in den Rachen sieht. Und da er wachte sie schweißdurchtränkt. Sie setzte sich aufrecht hin und trocknete sich die nassen Haare mit dem Aermel ihrer Nachtjacke: sse betastete ihr Kopfkissen, eS war ganz feucht und sie wendete es um. So saß sie eine Weile. Sie fühlte sich grenzenlos elend. Und dann überkam sie ein schier unbezwingbare» Verlangen, hinüberzugehen zu ihrem Mann, sich an sein Lager zu setzen, die Arme um ihn zu legen und so nur fünf Minuten an ihn geschmiegt zu verweilen. Mit Gewalt jagte sie diese Gedanken fort, doch immer kamen sie wieder und suchten den, der La nur durch zwei Türen von ihr getrennt schlief ihr Mann, der Mensch, mit dem die innigsten Bande sic verknüpften und dem sie einst mit so freudiger, felsenfester Ueberzeug- ung sich für ihr ganzes Leben gelobt hatte . . . Sckwn hatte sie die Decke vom Körper abgeworfen und ivollte leise aus dem Bett steigen, — da regte Valeska sich und schien zu erwachen. Leise legte sie sich nieder, zog die Decke bis an den .Hals und preßte den Kopf in ihr Kissen. Ter, den sie schlafend wähnte, schlief indessen nicht. Seine Sinne waren so klar, so wach wie am Tage. Jeden Laut hörte er, und manchmal hob er den Kopf, als wenn er nach jemandem Umsclxm hielte. Doch endlich streckte er sich unwillig wieder aus. Das war zu töricht, sich so um die Nachtnche zu bringen, dachte er. Jetzt hatte es schon zwei geschlagen, und morgen mußte er früh zum Dienst. Aber er körte es noch drei schlagen, dann erst kam ihm allmählich der Schlaf. — Und wieder faß Agnes am nächsten Morgen in ihrer Kanzlei. Am Nachmittag sollte die Hausdame kommen. Tie junge Frau saß und sann, und mit der Arbeit ging es noch schlechter als gestern. Was hatte Walter gestern Abend doch gesagt? . . . „Wir werden uns sehr Wolff fühlen." Möglich, ja wahr- schcinlich, daß er sich wohl fühlen würde. Recht beschä- wend war das allerdings für seine Fran . . . Natürlich würde sie ihm immer gleichgültiger werden. Er hatte die Erscheinung der Hausdame beschrieben . . . Ein schlichtes schwarze» Kleid habe sie getragen mit
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite