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212, 12. September 1911. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtlchn. Buchhandel. 10265 Gesetz bewirkt werden soll. Ein solcher Vorschlag ist doch wohl der Gipfel der Unverfrorenheit. Alle Welt hat von dem aus dem Louvre verschwundenen Bilde der »Nova lass« gehört. Ähnliches passiert überall; hier sucht z. B. die Polizei nach den Eigentümern folgender seltenen aus dem sechzehnten Jahrhundert stammenden Büchern: 1. Churchyards IVars in blauäers 1578, 2. Edmund Spensers Oomxlsivts, 1590, 3. eines Buches von »Wynkyn de Werde«, 1500. Die Bücher werden auf 100 Pfund Sterling geschätzt und stammen entweder aus einer öffentlichen oder einer privaten dem Publikum zugänglichen Sammlung. Zwei Männer baten einen Antiquar in Oxford Street, diese Bücher abzuschätzen und versprachen, in etwa einer Stunde sich Ant wort zu holen. Da der Antiquar die außerordentliche Seltenheit der Bücher kannte, benachrichtigte er die Polizei. Die wißbegierigen Bibliophilen ließen sich nicht wieder sehen. Der Bücherdiebstahl scheint überhaupt in großem Maßstab betrieben zu werden, wovon die größeren Buch handlungen ein Lied zu singen wissen. Leider scheint man sehr wenig gegen dieses Übel tun zu können, zumal es im Publikum einen schlechten Eindruck macht, wenn eine Firma öfters in den Zeitungen genannt wird, weil sie gegen einen Büchermarder Klage angestrengt hat. Es ist erfreulich, in dieser vom Materialismus regierten Welt einem so tatkräftigen Idealisten wie Edward Dwelly zu begegnen. Dieser Herr hat das vollständigste Gälische Lexikon in »80 000« Worten nicht nur bearbeitet, sondern auch gesetzt und gedruckt und reich illustriert. Gälisch ist die uralte keltische Sprache der schottischen Hochländer und in den abgelegenen Gebirgswinkeln des schottischen Nordens heute noch die Umgangssprache. Als Verleger und Verfasser nennt sich Edward Dwelly »Ewen Macdonald«. Bei Be stellungen ist dies zu beachten. Dieses Gälische Lexikon dürfte besonders in den Kreisen der keltischen Sprachforscher Beachtung finden und für Universitätsbibliotheken unent behrlich sein. Von allgemeinem Interesse wird das soeben über die Wirksamkeit und Reichhaltigkeit des Britischen Museums herausgegebene Blaubuch sein. Aus ihm erfahren wir, daß die einzelnen Abteilungen des Museums im Jahre 1910 eine große Zunahme ihrer schon vorher außerordentlich reich haltigen Sammlungen erfuhren. Die Bibliothek hatte an gedruckten Büchern einen Zugang von 26 888 Bänden und Broschüren, 68 811 Fortsetzungen und Nummern von Zeitschriften, 2 149 Karten und Atlanten, 12 036 Heften von Musikalien, 245 605 Einzel-Nummern von Zeitungen usw., 3 712 verschiedenen Veröffentlichungen, nicht klassifiziert, 328 Manuskripten und Siegeln, 2 545 Manuskripten und Büchern in orientalischen Sprachen. Wenn man auch in Betracht zieht, daß von allen in England gedruckten Werken usw. ein Freiexemplar an das Britische Museum geliefert werden muß, so bleibt doch ein großer Rest von Büchern, die von der Verwaltung des Museums gekauft werden müssen. Die hauptsächlichen Einkäufe in ge druckten Büchern scheinen Jnkunabeln'gewesen zu sein. So wurden 59 Bände, die im sünfzehnten Jahrhundert erschienen find, erworben, und 85 Bücher in englischer Sprache, die vor 1640 gedruckt worden sind. Ein Katalog der Wiegendrucke ist in Vorbereitung. Dieser »Ostaloguo ok Larlz? Lriutsä Looks« dürste wohl der vollständigste Katalog der Erstlingsdrucke werden und für die Erforschung der Geschichte der Buch druckerkunst von großer Bedeutung sein. Auch die Samm lung der Kupferstiche und Zeichnungen weist einen be deutenden Zuwachs auf. Original-Stiche, -Zeichnungen, Holzschnitte usw. von Dürer, Holbein, Rembrandt, Gains- Börsenbim für dm Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. borough, Constable, Turner usw. wurden dem Museum von Herrn George Salting vermacht. Das Museum erwarb auch die berühmte Wegener-Kollektion chinesischer Gemälde. Wie wir zufällig wissen, war diese hochbedeutende Sammlung dem Kaiser-Fricdrich-Museum in Berlin angeboten worden, und zwar zu einem in Anbetracht der Wichtigkeit der Sammlung verhältnismäßig billigen Preise; leider sollen die Autoritäten dieses deutschen Museums die Erwerbung der Flora-Büste von Lukas für wichtiger gehalten haben, als diese von Frau Olga Julia Wegener mit großem Kunstverständnis in China erworbenen echten Originalerzeugnisse altchinesischer Kunst. Die Autoritäten des Britischen Museums haben sich denn auch diese Gelegenheit, einen solchen Schatz der eng lischen Nation zu sichern, nicht entgehen lassen. Diese Sammlung enthält unter andern!: 2 Gemälde aus der Zeit der Tang-Dynastie (618—905 o. Chr.), 10 „ „ Sung- u. Juan-Dynastien (160 bis 1388 v. Chr.), SS „ „ Ming-Dynastie (1368—1644), S6 „ jetzt herrschenden Ming-Dynastie. Das Museum veröffentlichte neben anderen Katalogen den für Kunsthändler und Sammler wichtigen Katalog der ersten bekannten italienischen Stiche und Gravüren usw. in zwei Bänden. Der zweite Band enthält die Illustrationen. Der Lesesaal des Britischen Museums wurde im Jahre 1910 von 219 274 Personen benutzt, der Zeitnngs-Leseraum von 19 200 Personen. Eine Menge neuer Bücher ver danken den im Britischen Museum aufgespeicherten litera rischen Schätzen ihre Entstehung. Manche Autoren bezahlen eine Anzahl Herren und Damen, die beständig in den Büchern und Manuskripten Nachforschungen halten müssen, um ihnen Material für die in Arbeit befindlichen Bio graphien, Monographien, geschichtlichen rc. Abhandlungen zu liefern. Die schon längst sehnlichst erwartete Copyright Bill wurde zum dritten Male im Parlament verhandelt und wird demnächst gesetzliche Gültigkeit erlangen. Die bekannten Verleger Messrs. Ward, Lock L Co. wurden von einem großen Unglück betroffen: am 30. August brach uncrwarteterweise Feuer in den Geschästsgebäuden aus, dessen Schaden noch nicht festgestellt, dem Anschein nach aber sehr bedeutend ist. Die betroffenen Verleger haben von allein Seiten Sympathiebezeigungen empfangen. Verluste an Menschenleben sind glücklicherweise nicht zu beklagen. Zum Schluß ist der auch für deutsche Verleger und Buchhändler interessante Artikel im »kublisbiag virouiar« vom 2. September zu erwähnen, nämlich die Rezension eines in Chicago privatim in nur 303 Exemplaren ver öffentlichten Buches von James Westfall Thompson: »Tb» George Haven Pntnam, der bekannte amerikanische Verleger, ist der Verfasser dieser interessanten Besprechung. Diese Schilderung des alten französischen Verlegers und Buch händlers »Estienne» ist für deutsche Buchhändler und Ver leger besonders deshalb interessant, weil sie ein vorzügliches Bild des Buchhandels im sechzehnten Jahrhundert gibt. Frank- fnrta.M.war das große Zentrum des Büchermarktes und seine Büchermesse schon im Jahre 1480 von Bedeutung. Henri Estienne besuchte diese Messe regelmäßig. Wahrscheinlich machte er dort die Bekanntschaft von Huldreich Fugger, der ihn 1558 zu seinem Hofbuchdrucker ernannte. Estienne bezeichnet sich in der Folge nämlich als »T^xograxbus Illustris viri HuIärici lkugxori«. Das ursprünglich in Latein geschriebene Werk ist von Thompson ins Englische übersetzt worden, und der Caxton Club hat den lateinischen Urtext gleichzeitig mit der Über setzung und begleitenden Bemerkungen herausgegeben. Nach der Besprechung zu urteilen, ist dieses alte Werk für die 1334