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Allgemeiner Anzeiger : 25.12.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-12-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191812258
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- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1918
-
Monat
1918-12
- Tag 1918-12-25
-
Monat
1918-12
-
Jahr
1918
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 25.12.1918
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Von unÄ fern. Lebensmittelschicbungen in Ahlbeck. Nachdem der ASR Swinemünde in Ahlbeck- Seebad umfangreiche Lebensmittelschiebungen ausgedeckt hat, ist der dortige Gemeinderat, Kapitänleutnant a. D. v. Tilly, vom Dienst dispensiert und unter Anklage gestellt worden. Eine Wegelagererbande in der Nähe Berlins. In Melchow bei Fredersdorf, Kreis Oberbarnim, wurde das Ehepaar Mostphul von Wegelagerern überfallen und ermordet. Darauf drangen die Mörder in die Gastwirtschaft, die dem Ehepaar gehörte. Hier ermordeten sie die 13 jährige Tochter und warfen die Leiche in den Keller. Sie durchwühlten und raubten, was sie in der Wohnung fanden. Bestrafter Vorwitz. Trotz aller War nungen waren 250 deutsche Soldaten über den Rhein nach Ludwigshafen gegangen, um sich die dortige französische Garnison anzusehen. Sie wurden gefangen genommen. Verhaftung einer grasten Diebes bande. Wie aus Hamburg gemeldet wird, ist es dem Sicherheitsdienst des Obersten Marine rats der Niederelbe gelungen, auf dem Güter bahnhof Hamburg-Veddel etwa 50 Mlitär- uckd , Zivilpersonen, die Güterwagen erbrochen und Lebensmittel, Spirituosen usw. entwendet hatten, zu verhaften. i Treibjagd mit Maschinengewehren, f Im Fürslenbergischen Wildpark bei Piohren f haben wildernde Soldaten mit Majchinen- - gewehren eine Treibjagd veranstaltet und große Verheerungen in dem Wildstand angerichtet. Hunderte von Hirschen wurden niedergemacht. Auch unter den Treibern gab es Verwundete und Tote. Meuterei russischer Gefangener. Auf dem GottlmrdsHacht bei Orzegow bei Beuthen kam cs unter rujsischen Kriegsgefangenen da durch zu einer Meuterei, daß die Russen infolge des Waffenstillstandes sich weigerten, weiter zuarbeiten. Das auf dem Grubenhose zur Be wachung der Kriegsgefangenen befindliche Militärkommando wurde von den Ruffen, die mehrere hundert Mann stark waren und die versuchten, den Wachmannschaften die Gewehre zu entreißen, angegriffen. Sie drangen mit eisernen Stäben, die von Bettstellen abgerissen waren, gegen die Mannschaften vor. Der Unteroffizier deS Wachtkommandos gab Befehl zu feuern. Dabei wurden sechs Kriegsgefangene getötet, sieben teils schwer, teils leicht verletzt. Darauf Laten die Russen um Gnade und nahmen die Arbeit wieder auf. Schweres Brandunglück. Drei Per sonen, ein Arbeiter, ein Knecht und ein Junge, sind bei einem Brande auf einer Besitzung in der Schwetz - Neuenburger Niederung schwer verbrannt. Der Knecht und der Junge sind gleich gestorben. Sämtliches Inventar mit den Pferden und allem Vieh, das Wohnhaus, Stallungen und Scheune wurden vollständig vernichtet. Terror gegen ein Theater. Das Münchener Schauspielhaus wurde dieser Tage von einem Trupp Soldaten überfallen, die trotz des ausverlausten Haufes Einlaß begehrten und das Theater kurz und klein schlagen wollten. Nur mit Mühe gelang es, die Zuchtlosen zum Abzüge zu bringen. Was jetzt alles gestohlen wird. Beim Abrücken eines bayrischen Feldartillerie-Regi- msnts merkte man erst, daß die ohne Aussicht gelassenen Geschützkästen in Oberensingen er brochen und eine größere Anzahl Waffen und Munition gestohlen worden ist. — Aus der Turnhalle in-Herrenberg, wo Militärgut lagert, wurden Revolver, Gewehre, Teppiche und Schuhwerk gsstohlen. Jüngere Burschen sind als Täter bekannt. — Auf dem Durchmarsch durch Haiterbach ist einem westfälischen Jn- i fanterie-Negiment ein Maschinengewehr mit' Munition gestohlen worden. französischer Lenküallo« verunglückt. Nach einer Pariser Meldung wurde ein fran zösischer Militärlenkballon. der über dem Mittel meer manövrierte, von Sturm erlasst und zer stört. Der Kommandant des Fahrzeuges, die Offiziere und die gesamte Bemannung des Luft schiffes sind ertrunken. Ern elekirischer Weichensteller. Ein schwedischer Student hat auf eine Erfindung ein Patent nachgesucht, die gestattet, daß Straßenbahnweichen vom Fahrerstand aus elektrisch umgelegt werden. Die ÄmenkMer in Trier. Was ihnen an den Deutschen auffällt. Aus Trier wird geschrieben: Mit dem ersten amerikanischen Soldaten, der über die deutsche Grenze marschierte, zogen auch die ersten amerikanischen Berichterstatter ein. Sie wollten den ersten Eindruck voll genießen, den die amerikanischen Truppen auf die deutsche Be völkerung machen würden. Sie durchwanderten die Straßen, beobachteten die verschlossenen Mienen von Männern und Frauen; sie mischten sich in den Kreis der Jugend, um hier ein Wort oder einen Gedanken aufzufangen. Sie betraten einen Laden oder besuchten ein Kaffee lokal, setzten sich an den Tischen zu einem einsamen Deutschen und fühlten und tasteten an seiner deutschen Seele herum. Und was haben die amerikanischen Journa listen gesehen, als sie stundenlang durch die Straßen wanderten und fuhren? Als sie sich in Morgen- und Abendstunden an den Mosel- brücksn- und Übergängen aufstellten, über die ihre Truppen einrückten? Sie haben es auf schnellem Wege an ihre amerikanischen Blätter berichtet, und sie haben selbst Einzelheiten darüber erzählt. Ein stilles Volk haben sie an den deutschen Flußläufen von Sauer und Mosel gefunden, ein stilles Volk in den Städten und Dörfern. Und ernst haben sie alle dreingeblickt, Frauen, Mädchen, Männer. Selbst die begeisterungs fähige Jugend hat ihre Neugier oder ihre freudige Überraschung im ernsten Augenblicke zurück- gehalten, als die Dankees in den Straßen auf tauchten. Ohne Neugier oder Teilnahme für sie sind die Menschen über die Straße ge gangen, durch die amerikanische Autos und amerikanische Kavallerie, Artillerie oder Infanterie zogen. So eigenartig hat diese Teilnahmlosig- keit, diese Ruhe, diese Stille der Deutschen auf die Amerikaner gewirkt, daß sie kopfschüttelnd zugesehen haben, daß es ihnen geradezu un heimlich geworden ist, nichts als das eintönige Marschieren ihrer Truppen, dieses schnelle Marschieren über schmutzige Straßen zu hören. Dann sangen die flutenden Massen ihre amerikanischen Marschlieder. Aber auch die singenden Truppen ließen die Deutschen schweigend an sich vorbei ziehen. Nur als die Militürmusik in den Sonnlagmitlag hinein spielte, da fahen die Menschen auf, da wurden die Köpfe der Frauen und Töchter an den oberen Stockwerken der Häuser für wenige Augenblicke sichibar. Wie ganz anders war der Einzug der Amerikaner in luxemburgisches Land! Den Journalisten ist der Jubel der Kinder ausge fallen, als sie die ersten Khakisoldaten durch ihre Gassen reiten und marschieren sahen. Aus allen Türen sprang das kleine Volk, lief den Truppen nach und rief immerzu: „Hipp, hipp, Hurra!" Und die Erwachsenen winkten und grüßten. Junge Mädchen kamen verschämt mit Blumen und Tannengrün. Alte und junge Männer gaben zu erkennen, daß sie die ameri kanischen Soldaten willkommen heißen. . . . Stiller wurde es aber in den Dörfern, je näher sie der deutschen Grenze kamen. Hier fühlten die amerikanischen Bericht erstatter ein weltgeschichtliches Erleben. Der Gegensatz zwischen dem rauschenden Empfang rn Luxemburg und dem schweigsamen in Deutschland hat sie erschüttert. Wie die fremden Beobachter aber sehr bald herausjühlten, war es kein Schweigen des Hasses. Es war das Schweigen eines traurigen Volkes, das, nicht besiegt, fremde Macht 'mit I stolzer Würde zu ertragen weiß. Über die Haltung und Garderobe der deutschen Frauen und Männer haben die ameri kanischen Journalisten ihre eingehenden Beob achtungen gemacht. In Trier ist ihnen aus ¬ gefallen, daß die Herren entschieden mehr Wert auf guten Anzug legen als die Frauen. Die Herren scheinen mit Vorliebe Helle Hüte und PAzkragen zu tragen. Die Frauen gingen einfach gekleidet. Ihre Garderobe mache zum Teil einen dürftigen Eindruck. Eine andere Vorstellung haben sich viele unter ihnen von dem Äußern der Deutschen gemacht. Was ihnen allen aber an ihr gefalle, das sei eine offenkundige, würdevolle Haltung. Anfänglich habe sie die Teilnahmslosigkeit der jüngeren Damenwelt während ihres Einzuges etwas ver letzt, doch bald hätten sie dieses Schweigen richtig verstanden. Es seien schlichte, doch stolze Frauen und Mädchen, die sie gesehen. Mlerlei Interessantes. Natürliche und künstliche Rufweite. Von der Kraft unserer Lungen hängt auch die Weite unseres Rufes ab, die sich, wenn es hochkommt, aus 1000 Meter belaufen mag. Ballonfahrer können sich gelegentlich aus einer Höhe von einem Kilometer gerade noch mit Personen auf der Erde verständigen. Anders steht es um die Frage, wie weit unser künst licher Ruf dringt. Hier sind wir ja nicht allein auf den Schall angewiesen. Läßt man alle überhaupt möglichen Verfahren, die zum Geben von Zeichen in die Entfernung geeignet sind, außer acht, so reicht am weitesten der Ruf der drahtlosen Telegraphie; wenigstens, wenn man darunter ein nach allen Seilen gleicher weise gerichtetes Zeichen versteht. Denn die elektrische Telegraphie durch Draht ist an keine Grenze gebunden. Es ist am vorteilhaftesten, die Rusdrähte oder Antennen möglichst hoch über dem Erdboden zu führen, so benutzt man bei spielsweise in Nauen Türme bis zu 250 Meter Höhe. Die Funkfprüche dieser Stauon reichen unter günstigen Umständen bis nahe zu ihrem Gegenpunkt auf der Erdoberfläche, zu demAnti- podenpunkte, nämlich bis Awanui auf Neusee land, das 19 000 Kilometer von Nauen entfernt liegt. Der Erdhalbkreis betrügt nur 1000 Kilo meter mehr. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die Nauener Zeichen bereits auf der ganzen Erde gehört werden können, wenn nicht gerade der Gegenpunkt einer Station dadurch bevorzugt ist, daß die auf der Oberfläche der Erde entlang laufenden elektrischen Wellen just in ihm wie in einem Brennpunkt zusammen treffen. * Das Brutkleid des Rebhuhns. Die Färbung des Rebhuhns, der bei uns am meisten verbreiteten Flugwildart, ist bisher nur recht unvollständig bekannt; sie wird nur nach den In Schußzeit leicht erhältlichen Stücken beschrieben, während über das Frühjahrskleid, das Brutklsid des Rebhuhns noch genaue Be obachtungen fehlen. An einem im Juni während der Schonzeit tot aufgssundenen Rebhuhn stellte Dr. Ernst Schaff eine bisher nicht bekannte Färbung des Gefieders von HalS und vorderem Rückenteil fest, nämlich rotfarbige, querstrich artige Flecken, die auf einer entsprechenden Bänderung einzelner Federn beruht. Spuren der Abnutzung an diesen Federn ergaben, ferner, daß sie me letzten Reste einer im Frühjahr in größerer Ausdehnung vorhandenen Befiederung gewesen sein müssen. Ähnliche Reste einer solchen Färbung fand Dr. Schäff noch öfters an den Ende August zu Anfang der Schußzeit erlegten Hühnern. Vermutlich stellt die hell- dunkle Querbänderung eine bessere Schutz färbung dar als die ziemlich auffällige, allge meine Färbung von Hals und Brust. In ähn licher Weise war das Sommerkleid des Birk hahnes lange Zeit unbekannt, bis es im Jahre 1901 von Schäff beschrieben wurde. Der mausernde, vorübergehend flugunsähige Birkhahn legt um diese Zeit ein, besonders an Kopf und Hals rostbraun und schwarzgebändertes Sommer kleid an. Man sieht daraus, daß die Jäger bisher in den Toileiiengeheimuissen des Flug wildes recht wenig Bescheid wußten und eigent lich nur jene Garderobe kannten, die ihnen zur Schußzeit von den Vögeln gezeigt wurde. In den Kleiderschrank des Frühlings ließen Reb huhn, Birkhahn und Genossen den Jäger noch keinen Einblick tun, und so war er darauf an gewiesen, zu glauben, daß das Flugwild kein Gewicht auf Abwechslung in seiner Toilette legt. * Finnische Erfahrungen mit dem Frauen stimmrecht. Am 16. Februar 1919 werden 21 Millionen deutsche Frauen zum erstenmal an die Wahl urne treten und ihre Stimme abgeben skr die politische Gestaltung unseres Staates. Ange sichts dieser Tatsache fragt man sich, welche Er fahrungen mit dem Frauenstimmrecht Länder gemacht haben, in denen es bereits längere Zeit sjugeführt ist. Besonders interessant sind in dieser Hinsicht die Erfahrungen in Finnland, wo die Frauen schon seit 1904 Wahlrecht und Wahlsähigkeit besitzen. Die finnischen Wahlen widerlegten die Anschauung von der politischen Interesselosigkeit der Frau; iie ergaben für die Frauen eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von 50 bis 60 ho, während die Wahlbeteiligung bei den Männern zwischen 40 bis 70 °/o schwankte. Die Frauen stimmten auch nicht gegen die Männer, wie man wohl erwartet hatte. Obwohl die Stimmenzahl der Frauen die der Männer in Finnland um 60 000 über traf, wurden doch hauptsächlich Männer gewählt. Ebenso wenig bestätigte sich die Erwartung, daß die Frauen radikal wählen würden. Die fünf Wahlen, die in Finnland unter Beteiligung der Frauen stattfanden, führten zu dem Resultat, daß die weiblichen Wähler sich in demselben Verhältnis wie die männlichen auf die ver schiedenen Parteigruppierungen verteilten. Der Prozentsatz der Frauen, der konservativ wählte, war nicht geringer als der der Männer. Die Frauen sorgten dafür, daß auch einige weibliche Abgeordnete in das Parlament kamen, die ihre j Jmeressen besser vertreten könnten, und diese Frauen erwiesen sich bei der parlamentarischen Arbeit als ganz ungewöhnlich hochstehende und intelligente Mitarbeiterinnen. Den finnländischen Abgeordneten Hultin, der diese Erfahrungen über das Frauenwahlrecht in Finnland in einer Abhandlung zusammenfaßt, erscheint besonders eins merkwürdig: die weiblichen Abgeordneten reden viel weniger als die männlichen. VolksxyirtlckLMicdes. Das Lederschnywcrk wird noch teurer. Die Ansicht, daß die Schubnot nach Eintritt der Demobilmachung behoben sein wird, ist, wie halb amtlich miigetsiit wird, irrtümlich. Zwar wird durch Fortfall des Heeresbedarfs und durch Wiederer öffnung der stillgclegten Betriebe eine Steigerung der Schuherzeugung für die bürgerliche Bevölkerung möglich sein, aber dennoch wird die Produktion unter den außerordentlich schwierigen Verkchrsverhältnisfcn, der Äohlennot und dem Rohstoffmangel nicht an nähernd den Bedarf decken. Der Lederanfall ist nicht ausreichend. Die Schlachtungen im Jnlande sind zurückgcgangen. Aus den bisher besetzten Ge bieten fehlt die Einfuhr; andere Einsuhrquellsn kommen vorläufig nicht m Frage. Sparsamster Verbrauch des Lederschuhwerks, das sich überdies infolge der erhöhten Produktionskosten noch verteuern wird, und Verwendung des wesentlich verbesserten Kriegsschuhwerks lieg! daher im Interesse der Allge meinheit. Die bedrohte Papierversorgung. Die Reichsstells für Papierholz hat an das Reichswirt schaftsamt eine Eingabe gerichtet, in der erklärt wird, der Zusammenbruch der Papierversorgung der deutschen Tagespreise stehe vor der Tür, wenn es nicht im letzten Augenblick gelinge, eine Lösung der Arbeiterfrage in den deutschen Kohlengebieten herbei zuführen. Vermilcktes. Die gefährlichen Bleisoldaten. Ein französisches Blatt schreibt: Die Friedensunter händler am grünen Tisch müßten darauf achten, daß ja nichts vergessen werde, damit nicht der Keim zu einem neuen Krieg gelegt werde. Wenn damit am grünen Tisch jedermann ein verstanden ist, soll ein weitsichtiger Diplomat als letzte, unscheinbare Konzession vom Feinde verlangen, daß Deutschland sich verpflichte, die Bleisoldatenfabrik in Nürnberg zu schließen, damit das kommende Geschlecht nicht wieder durch solche Spiele an den Krieg gewöhnt kleine Beobachtung, die er gemacht hatte. Klein und doch von einer solchen Bedeutung, daß die Herren, die die Untersuchung führten, sowohl der Herr Amtsrichter, wie seine Detektivs und Berliner Kriminalkommissare, darüber vielleicht starr gewesen wären. Aber er behielt diese Be obachtung für sich. Erstens: Mochten die^e guten Leute samt ihrem Herrn Amtsrichter selbst zusehen, wie sie sich ein Licht anzündeten. Zweitens: Nun wuße er genau, wied er seinen Plan ihr gegenüber einzurichten hatte — so oder so! Schon deshalb war es gut, daß er ge wartet hatte. Wieder war er in dem Zimmer, in dem sie ihm so nahe war, allein. Von droben drangen die sanften Klänge einer Clemeutischen Sonate, eines ihrer Lieblingsstücke, zu ihm in die Stille. Er legte die Feder aus der Hand und Bilder der Zukunft zogen an seinem sich durch die Decke bohrenden heißen Augen vorüber. Sie sein Weib — ob in Liebe oder in Haß I Er ihr Herri Und Herr auch dieser Fabrik! Herr von dem allen um ihn her, was er durch seine Kraft geschaffen. Wer Martin Hollseld von allen Menschen, die ihn kannten, jetzt beobachtet hätte! Ein dämonischer Traum schien um ihn sein Wesen zu spinnen. 5. Einen Tag, nachdem der Tod des Fabrikanten Rosenau in 'der weiteren Öffentlichkeit bekannt geworden war, wußten die Zeitungen in ihrem Depeschenteil ein anderes unglückliches Ereignis zu melden. Der zwischen Berlin und Bremen verkehrende Nachtschnellzug war infolge falscher Weichenstellung entgleist. Wenn auch keine Menschenleben dabei zu beklagen waren, so waren doch verschiedene Personen sehr schwer verwundet worden. Zu den Schwerverletzten gehörte auch ein junger Mensch, dessen Namen sich nicht in Erfahrung bringen ließ, da er keine Legitimationspapiere bei sich trug und anderer seits eine bedenkliche Schädelverletzuna ihm das Bewußtsein genommen hatte. Einige Tage vergingen, die sorgsamste Pflege wurde ihm zuteil und er schlug wieder die Augen auf. Aber auch jetzt noch verbot der Arzt, irgend eine Frage an ihn zu stellen. Auf dem schwarze« Brett über seinem Kopf, das dazu bestimmt war, den Namen des Kranke« anzu geben, stand mit Kreide angeschrieben „Unbe kannt". Immerhin gaben die Blicke des Patienten, so oft er die Lider hob, zu erkennen, daß er wußte, was mit ihm vorgegangen war und wo er sich befand. Boll Mattigkeit schloß er sie aber immer wieder von neuem. Das einzige, was man in seinen Taschen gefunden hatte, war ein Billett dritter Klaffe nach Bremen und ein kleiner Geldbetrag. Manchmal, nachdem ihm nunmehr das erste Bewußtsein zurückgekehrt war, wurde er unruhig im Schlaf, er hatte offenbar schwere Träume, wobei er sich verfolgt zu glauben schien. Auf seiner Seele schien irgend ein Geheimnis zu laste«, eine dunkle Tat, deren Schatten von dem hübschen, jugendlichen, von dunklen Locken umrahmten Gesicht, dem aber wilde Leiden schaften ihren verwüstenden Stempel aufgedrückt hatten, nicht weichen wollten. Erwachte er aber und erkannte und begriff er wieder die Um gebung, in der er sich befand, so hätte ein scharfer Beobachter von seinem Gesicht wohl einen Ausdruck des Schreckens und der Furcht ablesen können, der dann allmählich einer er gebenen Fassung Platz machte, worauf er aber mals alsbald die Augen schloß und von neuem in Schlaf zu fallen schien. Wenn nur der Arzt, die Schwester, die beiden anderen Kranken, die neben seinem Bette lagen, gewußt hätten, daß dieser Schlaf dann nur von ihm geheuchelt war, daß er nur seine Augen schloß, um auch weiterhin nach nichts gefragt zu werden. Ja, er hatte Furcht — die Furcht, erkannt zu werden. An seinen Händen klebte Blut. Mörder! klang es ihm ins Ohr mit einer Stimme, die er allein nur hörte. Schon waren die Häscher ausgeschickt, um ihn zu suchen, zu greifen, seinen Richtern vorzu führen. Er hatte fliehen wollen, über das Meer — noch wäre ein Entrinnen möglich ge wesen. Gott selbst — wie lange hatte er nicht an Gottes Namen gedacht hatte seine Flucht vereitelt. Nur eine kurze Freistatt war ihm noch gegönnt. Wenn er wieder gesund war und dieses Bett verließ — was würde ihn er warten? Vielleicht genügte schon sein Name, sobald ihm der erst abgefordert würde, ihn seinen Verfolgern auszuliefern. Noch fragten sie ihn nicht danach, noch hielten sie ihn für zu krank, noch ließen sie sich von ihm täuschen. Warum aber hatten sie ihn wieder zum Leben gebracht, zu einem Leben, das ja doch verloren war und das am besten gleich auf der Stelle ausgetilgt geblieben wäre? Warum? Mörder! Das also war das letzte in der Reihe seiner Taten. Moeier! Aber nein! Wenn auch Blut an seinen Händen klebte, ver gossenes Menschenblut — ein Mörder war er nicht! Gott wußte eS! Nicht mit Berechnung, mit kaltem Vorbedachte hatte er die Tat be gangen! Und wenn er die Strafe fürchtete — nicht um seinetwillen sürchtete er sie, denn was lag noch an ihm — um eines anderen Wesens willen schauderte er davor zurück. Renate! Von neuem umstrickte ihn seine alte Qual, wenn er an diesen Namen dachte, von allen Qualen die allerbitterste, die Reue. Aber war er nicht an sie gewöhnt? Wie hatte sie wäh rend dieser letzten Jahre in seinem Elend, aus dem er sich nicht mehr befreien konnte, an ihm genagt? Jetzt erst war sein Maß voll ge worden. Der Tod hatte die Hand nach ihm ausgestreckt, er war noch einmal von ihm er- wachr und jetzt erst sah er, wohin es mit ihm gekommen war. Er dachte wieder an die verlorene Kindheit zurück. Schon damals — nun wußte er's — hatte er Renate geliebt. Selbst auf ihre Freun dinnen war er eifersüchtig gewesen, selbst aus ihre Puppen. Nur mit ihm sollte sie spielen. Eine Zeitlang hatte sie eine Lieblingspuppe, mit großen Kornblumenaugen, blonder Perücke, dicken roten Backen und einem Mund, in dem deutlich jeder Zahn zu sehen war. Zornig, weck sie die Puppe lieber hatte als ihn, riß er ck aus dem Wagen und schleuderte sie auf dack Steinpflaster im Hof, daß der Kopf gleich m zwei Stücke sprang. Niemals hatte er einen Menschen mehr gehaßt als diese Puppe. EH s (Fortsetzung folgt.)
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