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Rückgabe an mich übersendet hatte. Ich fragte den Juwelier, au) welche Weise er in den Besitz der Sachen gekommen sei. Er gab mir die Auskunft ohne Zögern. Vor einer halben Stunde sei ein junger Mann hercingekvmmen und habe ihm eine Anzahl Gold sachen, darunter dieses Medaillon, zum Kauf angcboten. Er habe angegeben, daß es Geschenke wären, die ihm eine Dame, mit der er sich überworfen, zurückgegeben Hütte. Jetzt wolle er die Sachen verkaufen, um nicht länger an etwas erinnert zu werden, was ihn traurig stimme. Ich fragte den Juwelier, welchen Weg der junge Mann nach dem Verlassen des Ladens eingeschlagen habe, und als ich erfuhr, daß er in der Richtung nach dem Zentralbahnhos gegangen sei, machte auch ich, zur großen Verwunderung des Juweliers, mich eiligst dorthin auf den Weg. Ich rannte so schnell meine Füße mich tragen konnten. Als ich den Bahnhof erreichte, setzte sich soeben der nach Antwerpen abgehende Zug in Bewegung. Ein Gefühl sagte mir, daß Harry Stanhope sich in diesem Zuge befinden mnßte, und richtig: das war Harrys Gesicht, daß sich dort am Wagcnfenster zeigte! Ich wollte in einen der letzten Wagen des schon in voller Geschwindigkeit fahrenden Zuges springen, glitt aber aus und fiel erst aus das Trittbrett und dann auf das Pflaster des Bahn steiges. Eine Woche nach diesem Ereignis erwachte ich in einem Hospital wieder zum Bewußtsein. Sobald ich mich hinreichend erholt hatte, diktierte ich einer der liebenswürdigen barmherzigen Schwestern einen Brief an meine Mutter, und als ich als Rekonvaleszent in ein Hotel übersiedelte, nahmen mich meine Lieben, die inzwischen hcrbeigeeilt waren, daselbst in ihre Obhut. Inzwischen sand sich auch der Vertreter unseres Kölner Zweiggeschäftes, von meinem Unfälle benachrichtigt, bei mir ein, und ich erfuhr nun, daß Harry Stanhope an dem Tage meines Sturzes flüchtig geworden sei, nachdem er sich verschiedener Unter schlagungen schuldig gemacht habe. Um sich vor sofortiger Ver folgung zu schützen, hatte er angegeben, von mir nach Rotterdam berufen zu sein/und so war über eine Woche vergangen, ehe man die Kassendefekte entdeckt hatte. Natürlich setzte ich sogleich die Polizei in Bewegung, um den Flüchtling aufzustöbern. Außerdem aber gelobte ich auch mir, nicht zu rasten, bis ich den Elenden aufgespürt und ihn ge zwungen haben würde, seine an mir und Hilda verübten Schandthatcn zu bekennen. Bei seiner großen Sprachfertigkeit konnte ich annchmen, daß er sich zunächst in Europa herumtreiben würde, obgleich eine Flucht uach Amerika nicht ausgeschlossen war. Ihn jedoch in letzterem Lande suchen zu wollen, hielt ich sür aussichtslos. Inzwischen setzte ich meine Versuche sort, auf eigene Faust zu ergründen, was sowohl Horace Myddleton wie Edith Stanhope bewogen haben könnte, die Verlobungen mit meiner Schwester und mir so unerwartet abzubrechen. Ich bediente mich dabei auch der Hilse unserer Freunde, sowohl in Englands wie in Australien, jedoch ohne jeglichen Erfolg. Die Erfahrungen der folgenden achtzehn Monate will ich nur kurz berühren. Heute erscheint mir jene Zeit wie ein Traum. Ich bereiste ein Land Europas nach dem andern, um'mit Hilfe der Behörden den Verbleib des Verbrechers aufzufinden. Lange war meine Mühe vergeblich, endlich aber ward mir die Gewißheit, seine Fährte entdeckt zu haben. Aus sicherer Quelle erfuhr ich, daß ein Mensch, auf den Stanhop.es Personalbeschreibung vollständig paßte, in einer Pariser- Spielhölle von einem Russen wegen betrügerischen Spiels mit Stockhieben traktiert worden sei. Daß Stanhope seit einiger Zeit sein Leben als gewerbsmäßiger Spieler zu fristen suchte, war mir bereits hinterbracht worden. Mein Gewährsmann teilte mir außerdem noch mit, daß der Gauner Paris verlassen und, nach den Aussagen einiger seiner Spießgesellen, zum nächsten Ziel seiner Wirksamkeit Wiesbaden auSersehcn habe, wo damals noch die Spielbank bestand. Ich hatte diese Nachricht in England erhalten und machte mich nun ungesäumt über Antwerpen auf den Weg nach dem ge nannten deutschen Badeorte. Der Abend war bereits herniedcr- gesunken, als ich in Wiesbaden ankam. Mein erster Gang galt dem Kursaal. Das Spiel hatte soeben begonnen. Ich ging aus einem Saal in den anderen und schaute mich vergeblich nach dem Manne um, den zu suchen ich hierhergekommen war. Endlich sah ich mich von dem Menschcn- strom an einen Roulette-Tisch gedrängt, um welchen sich ein dichtcr Kreis von Zuschauern gebildet hatte. Die Einsätze waren hoch und eS währte nicht lange, da verfolgte ich das Spiel mit solchem Interesse, als wäre ich selbst mit einer großen Summe daran be teiligt. Ich fing an, den Zatiber zu verstehen, durch welchen der Teufel an solchen Orten die armen Seelen zu sangen Pflegt. Mir gegenüber spielte ein Mann mit wahnsinniger Leidenschaft. Er setzte Händcvoll Gold und Banknoten auf die gemalte» Quadrate. Ich beobachtete ihn mit gesteigerter Aufmerksamkeit und schließlich mit fieberhaftem Interesse. Ich verfolgte den Gang des Spieles nur seinetwegen, um zu scheu, ob cr gewinnen oder verlieren würde. Die Roulette stand. Er hatte echten großen Gewinn ge macht. Die Kroupiers schoben ihm Haufefi Goldes zu. Er füllte alle seine Taschen mit dem Mammon und erhob sich. Als er den Stuhl zurüeksticß, begegneten sich unsere Blicke: seine Züge ent stellten sich — ich hatte Harry Stanhope gesunden! Er hatte sein Aeußeres jedoch so verändert, daß ich ihn nimmermehr erkannt haben würde, wenn sein schrcckcnsstarrer Blick ihn nicht verrate» hätte. Ich stieß die Umstehenden zur Seite, sprang auf ihn zu und packte ihn an der Kehle. Ich schüttelte ihn, wie ein Hund eine Ratte schüttelt, bis die Goldstücke aus seinen Taschen sielen, in meiner wahnsinnigen Wut fest entschlossen, ihn hier auf dem Flecke zu erdrosseln. Dergleichen Szenen mögen an jenem Orte nicht zu den Seltenheiten gehört haben. Ich war der Angreifer, und demzufolge »ahmen diejenigen der Anwesenden, welche den Vorfall bemerkten, ohne Weiteres sür Stanhope Partei. Die Damen kreischten und suchten zu entfliehen; es entstand ein all gemeines Getümmel, man riß uns voneinander, und obgleich ich in deutscher Sprache erklärte, jener Mensch sei ein Verbrecher und müsse der Polizei übergeben werden, so öffnete sich die Schaar der Spielcr und Zuschauer dennoch bercitwilligst und ließ ihn ent schlüpfen. Aber auch ich bahnte mir einen Weg und eilte hinter ihm her. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde Stanhope jetzt mit möglichster Schnelligkeit Wiesbaden zu verlassen suchen. Jeh sprang in eine Droschke und befahl dem Kutscher, nach dem Bahnhof zii jagen, indem ich ihm ein fürstliches Trinkgeld versprach, wenn wir den zunächst abgehenden Zug noch erreichten. Der Mann zeigte den besten Willen. In der Wilhelmstraße gewahrte ich vor uns eine andere Droschke, die ebenfalls die höchste Eile zu haben schien. Ich verdoppelte mein Angebot, und mein Kutscher schwang seine Peitsche mit doppelter Energie; unsere Fahrt wurde zu einem Wettrennen, denn jetzt that auch der Kutscher der anderen Droschke sein Möglichstes, um seine» Vorsprung zu behalten. Und dies gelang ihm auch; sein Pferd war das bessere, die Ent fernung zwischen uns vergrößerte sich, und als wir endlich in den Bahnhof hineinrasselten, da stand das andere Fuhrwerk bereits vor dem Treppenaufgange. Ein Mann verschwand oben in der Thür — Harry Stanhope! Ich stürzte in die Halle. Schon von weitem hörte ich das Zuschlägen der Kupeethüren, den schrillen Pfiff des Zugführers und dann den Pfiff der Lokomotive, die sich langsam in Be wegung setzte. Diesmal hatte ich mehr Glück, wie damals in Köln: mit Hilfe eines Schaffners kam ich noch glücklich in daS hinterste Kupee des letzten Wagens. Es war das Dienstkupee. Außer mir befand sich darin noch cin Schaffner, und diesen forderte ich nuf, mir sobald als möglich den Zugsührer herbeizuschaffen, mit dem ich die Mittel besprechen wollte, ein Entweichen Stanhopes aus dem Zuge zu hindern, wenn der Zug auf den Stationen unterwegs hielt, und ihn womöglich gleich auf der nächsten Station ausfindig zu machen und verhaften zu lassen. Der Beamte versprach, meinen Wunsch sofort zu er füllen, und verließ das Kupee um — aus den Trittbrettern an den Wagen hingehend — den Zugführer zu suchen. Inzwischen brauste der Zug längst im freien Felde dahin. Die Nacht war stockfinster geworden, und der Regen goß in Strömen. Ich befand mich in maßloser Aufregung, wußte ich nun doch, daß ich mich init ihm, den ich so lange Monate hindurch gesucht und verfolgt hatte, in einem und demselben Zuge befand. Plötzlich erscholl das Notsignal, und eilte Minute später hielt der Zug/ Alles stürzte voll Verwirrung aus de» Wagen, »nd auch ich that desgleichen. Da kam mein Schaffiter bereits zurück geeilt und meldete atemlos, daß während des Fahrens soeben cin Herr aus dem Zuge gesprungen sei — vermutlich in einem Anfälle von Geistesgestörtheit. Ich wußte es besser: offenbar hatte Harry Stanhope, mich, seinen Verfolger, in dem Zuge wisfend, zu diesem letzten ver zweifelten Auskunftsmittel gegriffen! Aus dein nächsten Wärterhause war der dort stationierte Beamte mit einigen Arbeitern, die gerade bei ihm waren, herbci- geeilt, und diese "Leute erhielten vom Zugführer die Weisung, die Bahnstrecke in rückwärtiger Richtung mit Laternen nach dem ohne Zweifel Verunglückten abzusuchcu. 'Ihnen schloß auch ich mich an, während der Zug alsbald weiter fuhr. Wir brauchten nicht lange zu suchen. Auf einem Steinhausen neben den Schienen lag Harry. Er hatte, wie sich später heraus- stellte, bei seinem Sturze einen mchrsachm Schädelbruch davou- getrageu und wurde als ein Sterbender in das WärtcrhauS ge bracht. Ich fürchtete, er würde den letzten Seufzer nuShauchcn, ohne noch einmal zum Bewußtsein erwacht zu sein, allein er kam zu sich und erkannte mich.